Rz. 26

Nach dem Wortlauf von § 11 Abs. 1 TVöD/TV-L/TV-H "soll" bei Vorliegen der Voraussetzungen eine geringere als die vertraglich festgelegte Arbeitszeit vereinbart werden. Mit dieser Gestaltung haben die Tarifvertragsparteien des TVöD/TV-L/TV-H – wie bereits bei § 15b BAT – das von ihnen gewollte Regel-/Ausnahmeverhältnis herausgestellt. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 TVöD/TV-L/TV-H vor, hat der Angestellte Anspruch auf die Vereinbarung einer geringeren Arbeitszeit. Dem Arbeitgeber ist insoweit kein Ermessen eingeräumt (so BAG, Urteil v. 18.3.2003, 9 AZR 126/02 zu § 15b BAT[1]). Seine Interessen an der Beibehaltung der bisherigen Arbeitszeit und die Interessen des Angestellten an deren Veränderung sind nicht abzuwägen.[2] Das wirkt sich andererseits auch auf die Rechtsstellung des Beschäftigten aus. Gibt es entgegenstehende Gründe i. S. v. § 11 Abs. 1 TVöD/TV-L/TV-H, kann er keine tarifliche Verringerung seiner Arbeitszeit beanspruchen, so nachvollziehbar und wichtig seine Gründe sein mögen. Dieses "Alles oder Nichts" bedingt zugleich, dass nur wirklich objektiv gewichtige Gründe des Arbeitgebers die Ablehnung des Antrags rechtfertigen können.

 
Praxis-Beispiel

Das BAG hat im Rahmen von § 8 TzBfG anerkannt, dass pädagogische Gründe der Beschäftigung einer Erzieherin mit nur 10 Stunden in der Woche entgegenstehen können. Ein häufiger Wechsel der Bezugsperson und die damit verbundene fehlende Ansprechbarkeit für Kinder und Eltern kann sich pädagogisch nachteilig auf die Entwicklung der Kinder auswirken. Gerade bei Kindergartenkindern können konstante Bezugspersonen zu ihrer gedeihlichen Entwicklung beitragen. Für die Erziehung ist oftmals eine dauerhafte, auf einen längeren Zeitraum angelegte Beobachtung der Entwicklung und Verhaltensweisen erforderlich.[3]

Zu respektieren ist auch das den anerkannten Grundsätzen der Heimerziehung entsprechende "Erzieherbezugssystem" und die daraus resultierende pädagogische Entscheidung des Arbeitgebers, in einer von ihm unterhaltenen Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe (§ 34 SGB VIII) den Kreis der Erzieher möglichst klein zu halten, um nicht die Beziehungsfähigkeit der aufgenommenen Kinder und Jugendlichen zu überfordern. Es dient zunächst der Überbrückung der Eingewöhnungsschwierigkeiten. Das Kind/der Jugendliche soll nicht mit einer Vielzahl ihm fremder Personen konfrontiert werden, sondern sich an eine Person aus dem Team halten können, die es/ihn auch in der Folgezeit im Alltag begleitet (BAG, Urteil v. 16.10.2007, 9 AZR 321/06[4]).

[1] ZTR 2004, 143. Im Ergebnis ebenso bereits LAG Bremen, Urteil v. 23.11.2000, 4 Sa 123/00, DB 2001, 1203, 1204.
[2] So auch Burger/Nollert-Borasio, TVöD/TV-L, 4. Aufl. 2020, § 11 TVöD, Rz. 15.
[4] Zum gleichlautenden § 15b BAT-KF in kirchlicher Fassung v. 26.6.1986 für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland.

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