Die Rechtsprechung des BAG geht davon aus, dass das Betriebsverfassungsgesetz und die sich aus ihm ergebenden Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte auch während eines Arbeitskampfes gelten. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält hier keine sachliche Bereichsausnahme. Mögliche Einschränkungen der gesetzlichen Rechte bedürfen einer arbeitskampfrechtlichen Rechtfertigung. Hiervon ausgehend sind einzelne Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats während eines Arbeitskampfes eingeschränkt, wenn bei deren vollständiger Aufrechterhaltung die ernsthafte Gefahr besteht, dass der Betriebsrat eine dem Arbeitgeber sonst mögliche Arbeitskampfmaßnahme verhindert und dadurch zwangsläufig zu dessen Nachteil in das Kampfgeschehen eingreift. Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie und der aus ihr abzuleitende Grundsatz der Kampfparität verlangen in diesen Fällen eine arbeitskampfkonforme Auslegung und damit Einschränkung der Mitbestimmungsrechte. Diese haben so weit zurückzustehen, wie deren Ausübung die Kampffähigkeit des Arbeitgebers ernsthaft gefährdet. Eine weitergehende Beschränkung betriebsverfassungsrechtlicher Rechte ist nicht geboten. Der Arbeitgeber, der die Folgen von kampfbedingten Arbeitsniederlegungen nicht einfach hinnehmen muss, kann seinerseits kampfbedingten Maßnahmen einleiten und durchführen. An ihnen darf er nicht durch betriebsverfassungsrechtliche Gegenrechte vorübergehend gehindert und auf diese Weise zusätzlich Druck auf ihn ausgeübt werden.[1] Im Einzelnen:

[1] BAG, Beschluss v. 22.12.1980, 1 ABR 2/79; BAG, Beschluss v. 10.12.2002. 1 ABR 7/02; BAG, Beschluss v. 13.12.2011, 1 ABR 2/10; zuletzt grundlegend BAG, Beschluss v. 20.3.2018, 1 ABR 70/16, Rzn. 35 ff.

17.1 Mitbestimmung bei arbeitskampfbezogenen personellen Einzelmaßnahmen

Als arbeitskampfbezogene personelle Einzelmaßnahmen, bei denen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats[1] nach § 99 BetrVG modifiziert sein kann, kommen insbesondere in Betracht

  • Versetzungen für die Dauer des Arbeitskampfes, um die Arbeitsplätze von streikenden Arbeitnehmern anderweit zu besetzen,
  • Neueinstellungen zur Ausführung bestreikter Funktionen

    nicht aber

  • Neueinstellungen oder Versetzungen auf Dauer;
  • Ein- oder Umgruppierungen, bei denen es nur um den Vollzug tariflicher Regelungen geht.

Ist eine personelle Einzelmaßnahme hiernach arbeitskampfbezogen, stellt in der Sache also eine arbeitgeberseitige Kampfmaßnahme zur Minderung oder Beseitigung des Drucks aus der kollektiven Arbeitsniederlegung dar, entfällt gleichwohl nicht jede Pflicht, den Betriebsrat zu beteiligen. Der Arbeitgeber muss jedoch nicht die Zustimmung des Betriebsrats einholen. Es genügt, wenn er den Betriebsrat während eines Arbeitskampfes über solche Einzelmaßnahmen informiert.[2] Unterlässt er dies, hat dies aber nicht die Unwirksamkeit der Einzelmaßnahme zur Folge.

Alle personellen Einzelmaßnahmen, die nur während, aber nicht wegen des Streiks und als Gegenmaßnahme gegen ihn vorgenommen werden, unterliegen weiterhin dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Er ist in diesem Rahmen auch in vollem Umfang zu informieren. Entsprechendes gilt nach richtiger Auffassung auch für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 102 und § 103 BetrVG. Nur arbeitskampfbedingte Kündigungen sind aus den Anhörungs- und Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats ausgenommen. Ob dies auch für Kündigungen als Reaktionen auf Streikexzesse gilt,[3] die nach dem Ende der Tarifauseinandersetzung erklärt werden sollen, ist sehr zweifelhaft. Es handelt sich dann nicht mehr um Aktionen des Arbeitgebers, die sich auf eine Abwehr der Folgen aus einem aktuellen Streik richten. Es kann angesichts der aktuellen Rechtslage nur empfohlen werden, dass ein Arbeitgeber stets vor Ausspruch einer Kündigung das Verfahren nach § 102 BetrVG einleitet. Hat er dies hinsichtlich einer während eines Arbeitskampfes ausgesprochenen Kündigung nicht getan und nicht die Stellungnahme des Betriebsrats oder den Ablauf der entsprechenden Fristen abgewartet, muss er in jedem Falle nachweisen, dass die Kündigung im genannten, in der aktuellen Rechtsprechung sehr engen Sinn arbeitskampfbedingt war. Nur so kann das geschilderte Verhalten ohne nachteilige Folgen bleiben.

17.2 Mitbestimmungsrechte in sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten

Auch im Bereich der sozialen[1] und wirtschaftlichen[2] Angelegenheiten bleiben die Rechte aus § 87 BetrVG während eines Arbeitskampfes im Grundsatz ungeschmälert bestehen. Nur dann, wenn in Reaktion auf das Arbeitskampfgeschehen im eigenen Betrieb Kurzarbeit eingeführt werden soll, kann der Arbeitgeber dies ohne Zustimmung des Betriebsrats – aber auch ohne Unterstützung durch die Agentur für Arbeit – tun und deren Umfang festlegen. Die konkrete Umsetzung in den einzelnen Abteilungen und für die einzelnen Mitarbeiter unterliegt dann aber wieder der Mitbestimmung des Betriebsrats.

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