Hinweis

Vorlagefragen an den EuGH bzgl. der Zulässigkeit von Kopftuchverbote

In den Rechtssachen C-804/18 und C-341/19 beschäftigte sich der EuGH[1] mit Vorlagefragen deutscher Arbeitsgerichte (ArbG Hamburg und BAG). Gerichte der Mitgliedsstaaten der EU dürfen gemäß Art. 267 Unterabs. 2 AEUV dem EuGH Fragen stellen, die die Auslegung des Unionsrechts betreffen. Eine der Richtlinien, die der deutsche Gesetzgeber mit dem AGG umgesetzt hat, ist die Richtlinie 2000/78/EG. Die Richtlinie dreht sich um Diskriminierungsprobleme im Rahmen von Arbeitsverhältnissen. Demgemäß betrafen die Vorlagefragen die Zulässigkeit von Kopftuchverbote im Arbeitskontext. Die Verfahren kamen zwar ohne Entscheidung der Arbeitsgerichte zum Erliegen, vorher erging jedoch noch eine Antwort des EuGH auf die Vorlagefragen.

Neutralitätsanordnung in einer Kindertagesstätte

Der der ersten Rechtssache zugrundeliegende Fall C-804/18 betraf die Neutralitätsanordnung einer Behörde, die für den Betrieb von Kindertagesstätten verantwortlich ist. Dieser kam zustande durch mehrere Abmahnungen einer Mitarbeiterin, die sich weigerte, ihr Kopftuch abzulegen. Zur gleichen Zeit wies die Behörde einen Mitarbeiter an, eine Kette mit christlichem Kreuz abzulegen. Die Neutralitätsbestimmung, die der Arbeitgeber auf sein Direktionsrecht gemäß § 106 GewO fußte, gab verschiedene Beispiele unzulässiger religiöser Symbolik – christliches Kreuz, jüdische Kippa, muslimisches Kopftuch.

Die Frage, die das Gericht dem EuGH stellte, bezog sich vor allem darauf, ob eine solche Neutralitätsbestimmung sich rechtfertigen lässt, wenn sie Menschen benachteiligt, die religiöse Bekleidung tragen. Zum einen nannte die Beklagte als möglichen Rechtfertigungsgrund, dass der Arbeitgeber subjektive Wünsche der Kunden berücksichtigen möchte. Der zweite Rechtfertigungsgrund betraf mögliche Ertragseinbuße. Dabei fragte das Gericht den EuGH, ob es genügt, wenn Ertragseinbuße möglich erscheinen (ohne dass es hierfür konkrete Anhaltspunkte gibt), oder ob konkret die Gefahr dafür vorliegen muss. Der Unterschied hierbei ist der Grad an Sicherheit, mit dem man von einem bestimmten Ereignis ausgehen kann. Es ist vorstellbar, dass weniger Eltern ihre Kinder in die jeweilige Kita geben werden, weil sie sich gestört fühlen von Mitarbeitern, die ein Kopftuch tragen. Aus der bloßen Vorstellbarkeit allein ergibt sich allerdings nicht weder Gewissheit noch eine zuverlässige Prognose.

Der EuGH hat entschieden, dass Neutralitätsanordnungen grundsätzlich zulässig sind, sofern sie unterschiedslos auf alle Bekenntnisse und Religionen angewendet werden.[2] Nach Ansicht des EuGH liegt in diesem Fall keine Ungleichbehandlung vor. Das ändere sich auch nicht durch den Umstand, dass manche von einer Neutralitätsanordnung stärker betroffen sind als andere, weil die Religion der einen das Tragen religiöser Bekleidung vorschreibt und die Religion anderer nicht. Der EuGH legte Wert darauf, dass die Behörde die Regel unterschiedslos sowohl auf das Kopftuch als auch auf die Kette mit Kreuz anwendete.

Verbietet der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern, religiöse Bekleidung zu tragen, sind davon fast ausschließlich muslimische Frauen betroffen. Daher kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass eine pauschale Neutralitätsanordnung mittelbar diskriminierend ist.[3]

Ferner entschied der EuGH, dass eine Rechtfertigung möglich ist. Hierfür müssen aber mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss der Arbeitgeber darlegen, dass sein Motiv dafür, das Tragen religiöser Bekleidung zu verbieten, tatsächlich auf dem Wunsch nach äußerlicher Neutralität beruht. Der Arbeitgeber muss beweisen, dass die Kunden des Unternehmens einen neutralen Auftritt erwarten. Er muss außerdem beweisen, dass ihm Nachteile drohen, sollte er der Erwartung der Kunden nicht nachkommen. Ordnet der Arbeitgeber an, dass die Mitarbeiter im Kundenkontakt neutral auftreten müssen, muss der Arbeitgeber diese Anordnung auch unterschiedslos und konsequent umsetzen und auf das beschränken, was dafür nötig ist, die Nachteile abzuwenden.

Neutralitätsanordnung in der Drogerie

Hier ging es um eine Mitarbeiterin, die in einem Drogeriemarkt als Kassiererin und Verkaufsberaterin arbeitete. Sie war seit 2002 beschäftigt und begann 2014 ein Kopftuch zu tragen. Der Arbeitgeber versetzte sie dann an einen Arbeitsplatz, an dem sie das Kopftuch tragen konnte, da sie sich weigerte, es abzulegen. Im Juni 2016 forderte der Arbeitgeber sie erneut, das Kopftuch abzulegen und sie weigerte sich, weswegen dieser sie nach Hause schickte. Im Juli 2016 erhielt sie die Weisung, ohne religiöse Bekleidung zur Arbeit zu kommen. Hiergegen klagte sie und beantragte die Feststellung der Unwirksamkeit der Weisung.

Das Gericht fragte den EuGH, inwieweit es Arbeitgebern möglich ist, die Neutralitätsbestimmung zu rechtfertigen. Er kam zu dem Ergebnis, dass eine Neutralitätsbestimmung nur gerechtfertigt sein kann, wenn sie allgemein und unterschiedslos jede Art der religiösen Bekleidung erfasst. Eine Neutralitätsbes...

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