Wollen Arbeitgeber einen schwerbehinderten Mitarbeiter kündigen, bedarf die Kündigung der Zustimmung des Integrationsamts.[1] Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung nicht, ist die Kündigung unwirksam. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung nichts wusste.[2]

 
Praxis-Beispiel

Mitteilung der Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers

Im Februar 2012 entschied das Bundesarbeitsgericht einen Fall zu einer Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers, dessen Schwerbehinderung dem Arbeitgeber unbekannt geblieben war. Als der Mitarbeiter schon länger als 6 Monate im Betrieb beschäftigt war, fragte der Arbeitgeber danach, ob der Mitarbeiter schwerbehindert sei. Das Gericht entschied, dass der Mitarbeiter darauf wahrheitsgemäß antworten müsse. Die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Antwort der Frage schlussfolgert das BAG aus der Rücksichtnahmepflicht des Mitarbeiters gemäß § 241 Abs. 2 BGB.[3] Der schwerbehinderte Mitarbeiter musste es dem Arbeitgeber ermöglichen, dessen Pflichten der Rücksichtnahme auf schwerbehinderte Menschen[4] zu erfüllen. Das kann er aber nicht, wenn ihm die Schwerbehinderung unbekannt ist. Auf die Wahrheitstreue der gemachten Angaben durfte der Arbeitgeber daher vertrauen[5] und musste für eine Kündigung das Integrationsamt nicht um Zustimmung ersuchen.

Dass ein Arbeitnehmer eine entsprechende Frage dann wahrheitsgemäß beantworten muss, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens 6 Monate bestanden hat, basiert auf der Regelung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX. Mit dem Ablauf von 6 Monaten treffen den Arbeitgeber besondere Pflichten der Rücksichtnahme auf schwerbehinderte Menschen. Er muss schwerbehinderte Arbeitnehmer angemessen zu ihrer Behinderung beschäftigen, um ihnen eine faire Chance der Teilhabe am Arbeitsleben zu geben.[6] Das heißt, der Arbeitgeber muss beispielsweise mit der Architektur des Betriebs Rücksicht nehmen[7], damit schwerbehinderte Mitarbeiter ihre Arbeit ordentlich verrichten können. Dieser Pflichtenkanon tritt neben den besonderen Kündigungsschutz (Erfordernis der Zustimmung des Integrationsamts), den schwerbehinderte Arbeitnehmer haben. Soweit diese Pflichten eingreifen, darf der Arbeitgeber danach fragen, ob der Mitarbeiter eine schwerbehinderte Person ist.

 
Wichtig

Zulässigkeit der Frage nach Behinderung

Das BAG entschied, dass die Frage nach der Behinderung keine (unmittelbare) Benachteiligung i. S. d. § 3 Abs. 1 AGG aus dem Grund sei, dass nur schwerbehinderte Menschen wahrheitswidrig eine negative Antwort geben können.[8] Schwerbehinderte Menschen erfahren hierdurch keine Schlechterbehandlung, denn es gehe darum, besonders auf sie Rücksicht zu nehmen.[9] Anders formuliert: die Frage nach dem Vorliegen einer Behinderung bezweckt ihre Besserstellung anstatt der Schlechterbehandlung. Daraus folgt, dass die Frage nach der Schwerbehinderung im Arbeitsverhältnis nicht den Tatbestand der unmittelbaren Benachteiligung i. S. d. § 3 Abs. 1 AGG erfüllt.

[2] Vgl. nur ArbG Berlin, Urteil v. 7.10.2008, 8 Ca 12611/08, Rz. 47, juris.
[7] Stichwort "Barrierefreiheit", § 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX.
[8] Etwas ungenau ebd., Rz. 20.
[9] Ebd., Rz. 21.

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