Whistleblower-Urteil des EGMR im "Luxleaks"-Prozess

Lu­xem­burg hat mit der Ver­ur­tei­lung eines der Haupt­an­ge­klag­ten im "Lux­leaks"-Pro­zess gegen des­sen Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung ver­sto­ßen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Der Verurteilte Raphaël Halet hatte geklagt, weil er sich als Whistleblower sah, der im öffentlichen Interesse gehandelt habe.

Vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMGR) hat Raphael Halet nach jahrelangem Rechtsstreit Anerkennung gefunden. Der EGMR bestätigte: der ehemalige Arbeitnehmer von Pricewaterhousecooper (PwC) ist ein Whistleblower und kein Dieb. Halet hatte Daten seines früheren Arbeitgebers im sogenannten "Luxleaksskandal" weitergegeben. Dafür war er unter anderem wegen Datendiebstahls verurteilt worden. Aufgrund des EGMR-Urteils vom 14. Februar 2023 muss Luxemburg ihm jetzt 55.000 Euro zahlen – Schadensersatz sowie die Gerichtskosten.

Der Hintergrund: Whistleblowing im Finanzskandal "Luxleaks"

"Luxleaks" war ein Finanzskandal aus dem Jahr 2014: Zwei Whistleblower, Beschäftigte von Pricewaterhousecoopers (PWC), hatten insgesamt 28.000 Seiten mit 548 verbindlichen Vorbescheiden (Advance Tax Rulings) der Luxemburger Steuerbehörde, die PwC zwischen 2002 und 2010 vermittelt hatte, durch Weitergabe an die Presse öffentlich gemacht. Diese vertraulichen Steuervereinbarungen boten 343 internationalen Konzernen aus 82 Ländern, darunter Apple, Amazon, Ebay, Heinz, Pepsi, Ikea und der Deutschen Bank, die Möglichkeit, auf Kosten der Nachbarländer aggressive Steuervermeidungsmodelle zu realisieren. Ihre Steuern ließen sich so auf unter ein Prozent drücken.

"Luxleaks": Prozesse wegen Datendiebstahls

Die Whistleblower flogen auf und wurden zusammen mit dem Journalisten, der die Informationen veröffentlich hatte, in Luxemburg angeklagt. Die Vorwürfe lauteten unter anderem Datendiebstahl und Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen.

Zunächst wurden die beiden PWC-Beschäftigten 2016 zu einem Jahr beziehungsweise zu neun Monaten Gefängnis sowie jeweils einer Geldbuße verurteilt. Die Haftstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Der Journalist wurde freigesprochen.

Beide Verurteilte legten Berufung ein. Im März 2017 verringerte ein Berufungsgericht das Strafmaß. Bei einem der beiden PWC-Angestellten, Antoine Deltour, blieb es bei sechs Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 1.500 Euro. Der andere, Raphaël Halet, bekam eine Geldstrafe von 1.000 Euro.

Beide legten daraufhin Kassationsrekurs ein. Im Januar 2018 hob der Kassationshof Luxemburgs die Bewährungsstrafe gegen Deltour auf. Die Geldstrafe für Halet wurde dagegen aufrechterhalten. Dieser zog daraufhin vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

EGMR-Urteil: Nach 11 Jahren Whistleblower-Schutz anerkannt

Der EGMR hatte zwar zuvor schon in seinem Urteil vom 11. Mai 2021 (Rs. Halet v. Luxemburg Nr. 21884/18) im Grundsatz anerkannt, dass der Antragsteller als Whistleblower anzusehen ist. Er verfolgte mit seinen Handlungen ein legitimes Ziel. Dennoch überwog für die Richter die schwerwiegende Verletzung des Berufsgeheimnisses und die hierdurch verursachte Rufschädigung seines Arbeitgebers PWC. Das öffentliche Interesse schätzten sie dagegen vergleichsweise gering ein.

Dies sah die Große Kammer anders. Auf die Beschwerde Halets gegen das erste Urteil, erkannte sie in dem am 14. Februar 2023 ergangenen Urteil einen Verstoß des Staates Luxemburg gegen die freie Meinungsäußerung.

EGMR bestätigt großes öffentliches Interesse

Nach Auffassung der Großen Kammer des EGMR war das öffentliche Interesse an den veröffentlichten Informationen größer als der dem Arbeitgeber entstandene Schaden. Die Interessensabwägung des Gerichts fiel somit in diesem Fall nicht zugunsten des Arbeitgebers, sondern zugunsten des Whistleblowers aus. Ein solcher Eingriff in die Meinungsfreiheit sei in einer demokratischen Gesellschaft nicht nötig, urteilten die Richter. Der Staat Luxemburg muss den ehemaligen PWC-Mitarbeiter nun für seine Verurteilung entschädigen und die Gerichtskosten übernehmen.


Hinweis: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 14. Februar 2023, Rechtssache Halet gegen Luxemburg, Az. 21884/18


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