
Nachdem der Bundesrat dem Hinweisgeberschutzgesetz in seiner damaligen Fassung im Februar 2023 die Zustimmung verweigerte, konnten sich Bund und Länder jetzt auf einen Kompromiss einigen. Der Bundestag hat den geänderten Entwurf am 11. Mai 2023 verabschiedet. Insbesondere wurde auf anonyme Meldekanäle verzichtet. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 12. Mai zugestimmt.
Nachdem der Bundesrat am 10. Februar 2023 seine Zustimmung zum Hinweisgeberschutzgesetz nicht erteilte, scheiterte das Gesetz, das der Bundestag am 16. Dezember 2022 beschlossen hatte. Um dennoch eine zügige Umsetzung zu ermöglichen, hatte die Bundesregierung am 14. März 2023 das Gesetzesvorhaben kurzerhand in zwei Gesetzentwürfe aufgespalten, von denen nach ihrer Auffassung nur einer im Bundesrat zustimmungspflichtig gewesen wäre. Einige Sachverständige sahen die Gefahr eines Verfassungskonflikts. Das Thema wurde dann Ende März kurzfristig von der Tagesordnung genommen und doch der Vermittlungsausschuss angerufen. Der nun erreichte Kompromiss ersetzt die zwei bisherigen Gesetzentwürfe.
Dringende Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern
Der Bundestag hatte am 16. Dezember 2022 das lange erwartete Hinweisgeberschutzgesetz beschlossen. Ziel des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden EU-Richtlinie ist ein besserer Schutz von Whistleblowern, also von Personen, die Hinweise auf Missstände in Unternehmen geben. Bis zum 17. Dezember 2021 hatten die EU-Mitgliedsstaaten Zeit für die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern in nationales Recht. In Deutschland war ein geplantes Hinweisgeberschutzgesetz bereits in der vorigen Legislaturperiode aufgrund unterschiedlicher Auffassungen in der großen Koalition gescheitert. Wegen der Fristversäumnis hat die EU-Kommission am 27. Januar 2022 ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.
Inhalt des Hinweisgeberschutzgesetzes
Das Hinweisgeberschutzgesetz will einen umfassenden Schutz von Whistleblowern sicherstellen. Dazu sieht das Gesetz in der vom Bundestag jetzt beschlossenen Fassung folgende Maßnahmen vor:
- Unternehmen und Organisationen ab 50 Beschäftigten müssen sichere interne Hinweisgebersysteme installieren und betreiben. Kleineren Unternehmen zwischen 50 und 249 Beschäftigten wird eine Umsetzungsfrist bis zum 17. Dezember 2023 eingeräumt.
- Whistleblower müssen die Möglichkeit erhalten, Hinweise mündlich, schriftlich oder auf Wunsch auch persönlich abzugeben.
- Wird ein Hinweis abgegeben, muss die interne Meldestelle dies dem Hinweisgeber innerhalb von sieben Tagen bestätigen.
- Binnen drei Monaten muss die Meldestelle den Whistleblower über die ergriffenen Maßnahmen informieren, beispielsweise über die Einleitung interner Compliance-Untersuchungen oder die Weiterleitung einer Meldung an eine zuständige Behörde, etwa eine Strafverfolgungsbehörde.
- Als zweite, gleichwertige Möglichkeit zur Abgabe von Hinweisen wird beim Bundesamt für Justiz eine externe Meldestelle eingerichtet. Die Bundesländer können darüber hinaus eigene Meldestellen einrichten.
- Whistleblower können sich frei entscheiden, ob sie eine Meldung an die interne Meldestelle ihres Unternehmens abgeben oder die externe Meldestelle nutzen möchten.
- Auch anonymen Hinweisen soll nachgegangen werden.
- Zum Schutz der Whistleblower vor "Repressalien" enthält das Gesetz eine weitgehende Beweislastumkehr: Wird ein Whistleblower im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit "benachteiligt", wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist. Zudem kommen Schadensersatzansprüche des Whistleblowers aufgrund von Repressalien in Betracht.
Änderungen durch den Vermittlungsausschuss
- Der Vermittlungsausschuss einigte sich darauf, dass das Gesetz auf eine Pflicht, die Abgabe anonymer Meldungen zu ermöglichen, verzichtet. Dies gilt sowohl für interne als auch für externe Meldestellen. Es wird lediglich vorgegeben, dass die Stellen auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten sollen. Außerdem wurde ergänzt, dass hinweisgebende Personen in Fällen, in denen intern wirksam gegen Verstöße vorgegangen werden kann, die Meldung an eine interne Meldestelle bevorzugen sollen.
- Informationen über Verstöße fallen nur noch in den Anwendungsbereich des Gesetzes, wenn sie sich auf den Beschäftigungsgeber oder eine andere Stelle, mit der die hinweisgebende Person beruflich im Kontakt stand, beziehen.
- Der Gesetzentwurf sah bislang bereits eine Beweislastumkehr vor, wenn die hinweisgebende Person eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit erleidet. Dabei soll es auch bleiben. Die Vermutung, dass die Benachteiligung eine Repressalie für den Hinweis ist, soll aber nur dann bestehen, wenn die hinweisgebende Person dies auch selbst geltend macht.
- Die maximale Höhe der für Verstöße gegen das Gesetz angedrohten Bußgelder wird von 100.000 Euro auf nur noch 50.000 Euro reduziert.
Bedeutung des Hinweisgeberschutzgesetzes für die Praxis
Unternehmen, die mindestens 50 Mitarbeitende beschäftigen und damit unter das Hinweisgeberschutzgesetz fallen werden, müssen sich mit der neuen Rechtslage auseinandersetzen. Das Hinweisgeberschutzgesetz wird einen Monat nach Verkündung und damit wohl Mitte Juni 2023 in Kraft treten. Zwar wird für Unternehmen, die zwischen 50 und 249 Arbeitnehmenden beschäftigen, noch eine "Schonfrist" hinsichtlich der Umsetzung bis zum 17. Dezember 2023 bestehen. Die Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes ist aber komplex, sodass entsprechende Vorbereitungen rechtzeitig getroffen werden sollten. Unternehmen mit mindestens 250 Arbeitnehmenden müssen dagegen unverzüglich handeln, da für sie das Gesetz mit Inkrafttreten gelten wird.
Wichtig ist, eine interne Meldestelle im Unternehmen einzurichten. In Konzernstrukturen kann überlegt werden, ob eine konzernweite zentrale Meldestelle errichtet wird, da dies vom Hinweisgeberschutzgesetz ermöglicht wird. Ebenfalls müssen klare Vorgaben im Unternehmen erlassen werden, wie man verfahrenstechnisch mit Meldungen von Hinweisgebern umgeht. Falls bereits eine Meldestelle und Vorgaben hinsichtlich des Umgangs mit Meldungen im Unternehmen bestehen, muss geprüft werden, ob diese im Einklang mit den Regelungen des neuen Hinweisgeberschutzgesetzes stehen.
In Unternehmen mit Betriebsrat ist regelmäßig ein längerer Vorlauf einzuplanen. Dem Betriebsrat stehen bei der Ausgestaltung des Hinweisgebersystems Mitbestimmungsrechte zu, sodass die Betriebsparteien hier eine Betriebsvereinbarung abschließen müssen.
Ist die Identität des Whistleblowers bekannt, könnte womöglich bereits seine Nichtberücksichtigung bei einer anstehenden Beförderung, bei einer Versetzung oder auch die bloße Nicht-Verlängerung seines befristeten Arbeitsvertrags als "Repressalie" gewertet werden, mit der Folge, dass der Arbeitgeber aufgrund der Beweislastumkehr beweisen muss, dass dies gerade keine Benachteiligung des Whistleblowers wegen der von ihm abgegebenen Meldung war. Gelingt dieser Entlastungsbeweis nicht, drohen Schadensersatzansprüche des Whistleblowers und Bußgelder.
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