Streit um Urlaubsabgeltung bei Langzeiterkrankung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich vorliegend mit einer arbeitsvertraglichen Regelung zu beschäftigen, nach der Urlaub, der aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden kann, über den Übertragungszeitraum hinaus fortbesteht. Hierauf berief sich die Pflegekraft einer diakonischen Einrichtung, die von 2015 bis 2023 dauerhaft erkrankt war, und verlangte nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses die Abgeltung von restlichen Urlaubstagen in Höhe von über 16.000 Euro - mit Erfolg.
Der Fall: Urlaubsverfall einer langzeiterkrankten Arbeitnehmerin
Die Arbeitnehmerin war seit 2010 als Pflegekraft angestellt. Seit Juli 2015 bis zur rechtlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 2023 war die Pflegekraft durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Vor Gericht verlangte sie vom Arbeitgeber die Abgeltung von 144 Arbeitstagen gesetzlichen Mindesturlaubs aus den Jahren 2016 bis 2021.
In ihrem seit 2009 geltenden Arbeitsvertrag fand sich folgende Regelung: "Ist die Mitarbeiterin infolge einer ärztlich nachgewiesenen, krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit daran gehindert, den übertragenen Urlaub bis zum 30. April des Folgejahres zu nehmen, besteht der Urlaubsanspruch auch über den Übertragungszeitraum hinaus fort, allerdings maximal bis zur Höhe des noch bestehenden gesetzlichen Urlaubsanspruchs".
Auf das Arbeitsverhältnis finden zudem die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-DW-EKD) Anwendung. Diese enthalten generelle Bestimmungen zum Urlaubsverfall, wie beispielsweise "Urlaub, der nicht innerhalb der genannten Fristen angetreten ist, verfällt. …". Zum Umgang mit Urlaub bei einer Langzeiterkrankung findet sich darin keine konkrete Regelung.
Arbeitnehmerin verlangt Urlaubsabgeltung
Die Arbeitnehmerin machte geltend, dass der gesetzliche Mindesturlaub, den sie wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis Ablauf des Übertragungszeitraums am 30. April des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres nicht habe in Anspruch nehmen können, aufgrund der besonderen Vereinbarung in ihrem Arbeitsvertrag nicht verfallen sei. Der Arbeitsvertrag enthalte eine gegenüber den Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks eigenständige Regelung zum Urlaubsverfall, die diese und die gesetzlichen Bestimmungen zum Urlaubsverfall verdränge.
Nach Auffassung des Arbeitgebers waren ihre Urlaubsansprüche spätestens 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen.
BAG: Arbeitsvertragliche Klausel geht vor
Das BAG gab der Arbeitnehmerin recht und entschied, dass der Arbeitgeber zur Urlaubsabgeltung für die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch offenen 144 Urlaubstage aus den Jahren 2016 bis 2021 verpflichtet ist.
Das Gericht wies in seiner Begründung darauf hin, dass Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung der Arbeit ferngeblieben sind, und solche, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben, hinsichtlich Entstehung und Berechnung des Urlaubsanspruchs gleichgestellt sind. Daher sei der Arbeitnehmerin wirksam ein Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub entstanden. Dieser war nach Meinung der BAG-Richter auch nicht aufgrund der langandauernden Erkrankung der Arbeitnehmerin 15 Monate nach Beendigung des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen.
Kein Widerspruch zu EU-Recht
Zwar verfällt der gesetzliche Mindesturlaub bei einer Langzeiterkrankung grundsätzlich in unionskonformer Auslegung von § 7 Abs. 3 BurlG nach einem 15-monatigen Übertragungszeitraum, stellte das Gericht klar. Die zeitliche Befristung des Urlaubsanspruchs gebe EU-Recht selbst aber nicht verbindlich vor. Für den Arbeitnehmer günstigere individual- oder kollektivrechtliche Regelungen seien daher möglich.
Im konkreten Fall hätten die Parteien folglich mit der arbeitsvertraglichen Klausel den Verfall des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG bei Vorliegen einer Langzeiterkrankung wirksam ausgeschlossen. Dem BAG zufolge war die AGB-Klausel im Arbeitsvertrag eine gegenüber den vertraglich in Bezug genommenen Arbeitsvertragsrichtlinien eigenständige Regelung, welche diese und zudem § 7 Abs. 3 BUrlG in seiner unionsrechtskonformen Auslegung verdränge. Damit sei der restliche gesetzliche Mindesturlaub der Arbeitnehmerin bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses erhalten geblieben.
Hinweis: BAG, Urteil vom 15. Juli 2025, Az. 9 AZR 198/24
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