Mobbingvorwürfe über das Hinweisgeberschutzsystem

Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten sind seit kurzem dazu verpflichtet, einen Hinweisgeberkanal einzurichten. Auch auf Meldungen, die den Bereich der Belästigung betreffen, sollten Arbeitgeber vorbereitet sein. Wann sind diese rechtlich relevant? Und wer fällt unter den Schutz des Hinweisgeberschutzgesetzes?

Ein Hinweisgeberkanal kann alle möglichen Missstände, aber auch persönliche Fehden und üble Nachrede zu Tage treten lassen. Zu erwarten ist, dass unter anderem Vorwürfe des Mobbings erhoben werden, denn etwa die Hälfte aller Mobbingfälle, von denen 18 bis 65-jährige betroffen sind, finden am Arbeitsplatz statt. Das kann sowohl das Verhalten von Führungskräften als auch von Kollegen und Kolleginnen untereinander oder gegenüber Vorgesetzten betreffen. Arbeitgeber müssen reagieren, daher empfiehlt es sich zu klären, wann Mobbingformen wie "Gaslighting", "Bossing", "Staffing" oder "Ghosting" rechtlich relevant sind und wer überhaupt unter den Schutz des  Hinweisgeberschutzgesetzes fällt.  

Typische Formen des Mobbings anhand von Beispielen

Gaslighting: Tobias fühlt sich "gegaslighted". Immer wieder verschwinden wichtige Dokumente, von denen er schwören könnte, er hätte sie doch fein säuberlich abgeheftet. Es ist jetzt auch schon drei Mal passiert, dass er angeblich in Meetings besprochene To-Dos nicht erledigt hat – oder wurden sie dort überhaupt besprochen? Tobias ist sich nicht mehr sicher, was wirklich stimmt, schläft kaum mehr und lebt in ständiger Angst, sein Arbeitgeber könnte ihm wegen Schlechtleistung kündigen.

Bossing: Ein Chefarzt würdigt den ihm zugeordneten Ersten Oberarzt regelmäßig in Teambesprechungen herab und spricht ihm ab, die Eingriffe sachgerecht vorzunehmen. Er lehnt seine Urlaubsanträge mit dem Hinweis, dass er als Chefarzt Vorrang hätte und den entsprechenden Termin wählen wollte ab und zwingt den Oberarzt, ein Arztzimmer mit einem weiteren Arzt zu teilen, obwohl so keine vertraulichen Patientengespräche möglich sind.

Staffing: Seit der Beförderung klappt nichts mehr. Die ehemaligen Kollegen und Kolleginnen teilen Probleme zu spät oder gar nicht mit, verschieben Meetings auf Zeiten, zu denen Marie nicht kann und betonen in Besprechungen mit dem Management ständig nur, dass jetzt alles in der Abteilung schlecht laufen würde. Marie überlegt sich, ihr Arbeitsverhältnis zu kündigen.

Ghosting: Seit ihrem Start in der neuen Firma bemerkt Nina, dass sie nicht jedem in der Firma willkommen ist. Einige Kollegen beantworten Ihre E-Mails nicht. In den letzten zwei Wochen ist es drei Mal vorgekommen, dass sie zu Meetings, die eindeutig in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht eingeladen wurde. Auf ihrem Schreibtisch fand sie eine Notiz, die sie rassistische beleidigte und dazu auffordert, sich in Luft aufzulösen.

Arbeitgeber haben Fürsorgepflicht

Das Bundesarbeitsgericht hat das Mobbing als systematisches Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Arbeitnehmenden untereinander oder durch Vorgesetzte definiert. Die Deutsche Unfallversicherung DGUV definiert dagegen enger und fordert ein systematisches Vorgehen durch einzelne direkte oder indirekte Angriffe mindestens einmal pro Woche über mindestens sechs Monate mit dem Ziel des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis. Unabhängig von diesen Definitionen kann jedoch ein rechtlich relevantes Geschehen, das den Arbeitgeber zur Handlung zwingt, schon vorher vorliegen, wenn einzelne Handlungen bereits die Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 1 BGB verlangt es, Arbeitnehmende "vor Belästigungen durch Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Dritte, auf die er Einfluss hat, zu schützen und ihnen einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen".

Verletzt der Arbeitgeber diese Verpflichtung, kann er dadurch Leistungsklagen, z. B. auf vertragsgemäße Beschäftigung oder Schadensersatz, ausgesetzt sein. Handelt es sich um Handlungen des Vorgesetzten, also insbesondere im Falle des Bossing, so muss sich der Arbeitgeber das Verhalten der Vorgesetzten insbesondere dann zurechnen lassen, wenn die Handlungen in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit der Ausübung des Weisungsrechts stehen. Ein Hinweis darauf, sämtliche Organisationspflichten erfüllt zu haben, ist dann nicht ausreichend. Abzugrenzen ist ein rechtlich erhebliches Verhalten hingegen bei unvermeidbaren, üblichen "Reibungspunkten", die als sozialadäquat zu qualifizieren sind. Hierfür ist ein objektiver Maßstab unter Berücksichtigung der Art des Betriebes und des üblichen Umgangs der Beschäftigten untereinander im Betrieb.

Ansprüche von Mobbingopfern gegen den Arbeitgeber

Ansprüche von Mobbingopfern gegen Arbeitgeber können bei Bezug zu einem Merkmal gemäß § 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus § 3 Abs. 3 AGG (Belästigung) entstehen. Dass eine vertragswidrige Behandlung eine Benachteiligung im Sinne des Gesetzes darstellt, wird gemäß § 22 AGG vermutet, wenn das Opfer hinreichende Indizien vorgetragen hat und beweisen kann. Sodann muss sich der Arbeitgeber unter Anwendung des Vollbeweises entlasten. Hinzu kommt eine Haftung für Organisationsverschulden für Arbeitgeber gemäß § 12 AGG, der die soeben beschriebene Fürsorgepflicht des Arbeitgebers näher konkretisiert. Neben Schadensersatzansprüchen beinhaltet das AGG in § 15 auch die sogenannte Entschädigung, bei der Arbeitnehmenden eine Geldzahlung zugesprochen werden kann, ohne dass ein kausaler Schaden nachgewiesen werden muss. Bei den oben genannten Fällen kommen entsprechende Ansprüche im vierten Beispiel in Betracht.

Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des AGG können Ansprüche z. B. auf Unterlassung, Schadensersatz oder Schmerzensgeld von Mobbingopfern gegen den Arbeitgeber aus den §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 und 826 bestehen. Dabei kommt es darauf an, ob ein Schutzgut (z. B. die körperliche oder psychische Unversehrtheit bzw. ein Verstoß gegen ein den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetzes (z. B. die Fürsorgepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB) verstößt. Regelmäßig wird auf eine mögliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz abgestellt. Von den oben genannten Fällen könnten derartige Ansprüche insbesondere in Fall 1 (Gaslighting) aufgrund der psychischen Beeinträchtigung des Opfers in Betracht kommen. Auch in Fall 2 (Bossing) bejahte das Bundesarbeitsgericht Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmenden und entschied, dass auch eine gewisse Anfälligkeit des Arbeitnehmers für psychische Erkrankungen nicht zu einer Haftungseinschränkung führt. Vielmehr kommt es auf die tatsächlich eingetreten Verletzung des Arbeitnehmers an.

Maßnahmen gegen Mobbing am Arbeitsplatz

Im Zweifelsfall ist es ratsam, Mobbingvorwürfe ernst zu nehmen, Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten und angemessen zu reagieren, um etwaige Klagen gegen das Unternehmen abzuwenden. In Betracht kommen insbesondere die folgenden Maßnahmen:

  • Offene Gespräche unter Beisein einer Vertrauensperson und eines Arbeitgebervertreters/einer Arbeitgebervertreterin
  • Mediation unter Heranziehung eines Externen
  • Schulungen und Workshops für betroffene Abteilungen oder das ganze Unternehmen
  • Prüfung disziplinarischer Maßnahmen gegen Täter (Ermahnung, Abmahnung, Versetzungen, eventuell sogar eine Kündigung)

Zu ergreifen sind jeweils die Maßnahmen, die im Einzelfall verhältnismäßig sind. Im zweiten Fall oben hat das Bundesarbeitsgericht eine Kündigung des Chefarztes z. B. abgelehnt, da zunächst eine Abmahnung erfolgen müsste (ultima-ratio-Prinzip des Kündigungsrechts). Eine Versetzung kam ebenfalls nicht in Betracht, da der Oberarzt nun mal auf dem Gebiet der Abteilung spezialisiert war.

Schutz unter dem Hinweisgeberschutzgesetz

Ob Opfer und sonstige Hinweisgeber im Falle von Mobbing unter den Schutz des § 36 Hinweisgeberschutzgesetz fallen, der ein besonderes Maßregelungsverbot sowie eine Beweislastumkehr zugunsten des Hinweisgebers regelt, ist im Falle von Mobbing kein Selbstläufer. Geschützt sind nur solche Hinweisgeber, die einen Hinweis innerhalb des sachlichen Anwendungsbereiches des Gesetzes abgeben, § 33 Abs. 3 Nr. 3 iVm. § 2 Hinweisgeberschutzgesetz.

Da die Belästigung gemäß § 3 Abs. 3 AGG und auch sonstige allgemeine Verletzungen des Persönlichkeitsrechts nicht in der enumerativen Liste gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Hinweisgeberschutzgesetz genannt sind, kommt es für den Schutz des Hinweisgebers darauf an, ob das konkret gerügte Verhalten einen Straftatbestand darstellt  (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Hinweisgeberschutzgesetz) oder bußgeldbewehrt ist und der Bußgeldtatbestand dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Hinweisgeberschutzgesetz). Im Falle von Mobbing kann hier gegebenenfalls auf Ordnungswidrigkeiten des Arbeitsschutzes zurückzugreifen sein.


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Schlagworte zum Thema:  Mobbing, Whistleblowing