Kündigung: Unterschrift vor Massentlassungsanzeige?

Vor Massenentlassungen hat der Arbeitgeber die Agentur für Arbeit zu informieren. Diese Massenentlassungsanzeige muss erfolgen, bevor die Kündigungen den betroffenen Arbeitnehmern zugehen. Das hat das BAG nun entschieden und damit Fragen beantwortet, die drei unterschiedliche LAG-Urteile aufgeworfen haben.

Möchte oder muss ein Arbeitgeber innerhalb von kurzer Zeit (30 Tage) eine größere Anzahl von Mitarbeitern entlassen, muss er die Vorgaben der §§ 17 ff. Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zur Massenentlassung beachten. So haben Arbeitgeber beispielsweise neben der Besonderheit eines eigenen Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat darauf zu achten, die Massenentlassung rechtzeitig bei der örtlichen Agentur für Arbeit anzuzeigen.

Aufgrund des fehleranfälligen Verfahrens besteht die Gefahr, dass etwaige Kündigungen im Zusammenhang mit der Massenentlassung unwirksam sind. Auch deshalb mussten sich in den vergangenen Jahren wohl immer wieder Arbeitsgerichte mit Fragen zur Massenentlassung befassen, zum Beispiel zu Besonderheiten in der Elternzeit (BAG: Auch während Elternzeit besteht Schutz vor Massenentlassung), bei Schwangeren (EuGH: Schwangere bei Massenentlassung nicht vor Kündigung geschützt) oder zu einzelnen Verfahrensfragen (BA: Massenentlassungsanzeige: Wieder neues Formular für Kündigungen).

LAG-Entscheidungen zur Massenentlassungsanzeige: Drei Urteile, drei Meinungen

Zuletzt hatten sich drei Senate zweier Landesarbeitsgerichte (LAG) mit dem korrekten Zeitpunkt einer Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit befasst – und kamen zu drei unterschiedlichen Ergebnissen. Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) für mehr Klarheit in dieser Frage gesorgt.

Prinzipiell ist der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 1 KSchG dazu "verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er" – je nach Betriebsgröße unterschiedlich – eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern entlässt. Die Frage für die Arbeitsrichter war dabei: Ist eine Kündigung schon dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber dieses Schreiben bereits unterzeichnet, bevor er die Massenentlassung anzeigt? Oder genügt die Meldung an die Agentur noch vor dem Absenden zum oder gar erst vor dem Zugang des Kündigungsschreibens beim Mitarbeiter?

Massenentlassungsanzeige: Der Zugang der Kündigung ist entscheidend

Das BAG hat nun klargemacht: Der Zugang beim Arbeitnehmer ist entscheidend. Oder anders formuliert: Im Massenentlassungsverfahren sind Kündigungen – vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen – wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist.

Der Fall: Kündigung unterschrieben – noch vor der Massenentlassungsanzeige?

Die Ausgangslage im konkreten Fall war ein bereits eröffnetes Insolvenzverfahren nebst bereits bestelltem Insolvenzverwalter. Dieser verfasste eine Massenentlassungsanzeige, die Ende Juni zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur für Arbeit einging. Mit Schreiben desselben Tages kündigte der Insolvenzverwalter die Arbeitsverhältnisse der 45 zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich und betriebsbedingt. Dem im konkreten Fall klagenden Mitarbeiter ging das Kündigungsschreiben sodann einen Tag später zu.

Daraufhin erhob er eine Kündigungsschutzklage und bezog sich in seiner Argumentation auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Der Mitarbeiter machte geltend, dass der Arbeitgeber seiner Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit noch vor einer Entscheidung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachkommen müsse. Da mit der Unterschrift unter das Schreiben die Kündigungserklärung konstitutiv geschaffen werde, dürfe die Signatur auch erst dann erfolgen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei.

LAG: Unterschrift manifestiert bereits den Entschluss zur Kündigung 

Das LAG Baden-Württemberg gab dem Kläger in der Vorinstanz recht und hat der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts stattgegeben. Die Begründung: Die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe. Diese Entscheidung manifestiere sich jedoch bereits in der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens.

Ende April und Anfang Mai 2019 entschieden zudem zwei unterschiedliche Senate des LAG Berlin-Brandenburg zur Frage des richtigen Zeitpunkts der Massenentlassungsanzeige. Während für den 21. Senat (Urteil vom 25.4.2019, Az. 21 Sa 1534/18) die Anzeige noch vor dem Absenden des Kündigungsschreibens bei der Agentur für Arbeit eingehen soll, stellte der 18. Senat (Urteil vom 9.5.2019, Az. 18 Sa 1449/18) auf den Zugang der Kündigung beim Mitarbeiter ab. Die letztgenannte Ansicht hat nun auch das BAG vertreten.

BAG: Massenentlassungsanzeige dient beschäftigungspolitischen Zwecken

Die Auslegung des LAG Baden-Württemberg, dass Arbeitgeber vor dem Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit die Kündigungen noch nicht einmal unterschreiben dürfen, ging dem BAG zu weit. Vielmehr korrigierten die Bundesrichter das LAG-Urteil und entschieden: Die erforderliche Massenentlassungsanzeige kann auch dann wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist.

Bei der Begründung stellten die Bundesrichter auf den Sinn der Vorschriften ab: Das in §17 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG geregelte Anzeigeverfahren stehe selbstständig neben dem Konsultationsverfahren (§ 17 Abs. 2 KSchG) und diene beschäftigungspolitischen Zwecken. Die Agentur für Arbeit solle rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden. So könne sich die Behörde auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen.

BAG: Agentur für Arbeit soll keinen Einfluss auf Entschluss zur Kündigung nehmen  

Voraussetzung dafür ist wiederum, dass die Anzahl und die konkret von Entlassungen betroffenen Arbeitnehmer bereits feststehen. Auf den Willensentschluss des Arbeitgebers zur Kündigung kann, soll und will die Agentur für Arbeit keinen Einfluss nehmen, entschied das BAG. Genau Gegenteiliges gilt beispielsweise gerade für den Betriebsrat im Zusammenhang mit dem Konsultationsverfahren.

Für das Verhältnis Massenentlassungsanzeige zu Kündigung gilt also: Die Kündigung darf erst dann erfolgen, und das bedeutet laut BAG nun eben dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Das BAG hielt es in diesem Zusammenhang auch nicht mehr für nötig, den EuGH einzubinden. Vielmehr seien die getroffenen Feststellungen des BAG durch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) geklärt. Von einer Vorlage des Falls an den EuGH (Art. 267 Abs. 3 AEUV) könne der BAG-Senat daher absehen.

Zurückverweisung: Finale Entscheidung vertagt

Im konkreten Fall hatte das BAG eine abschließende Entscheidung dennoch nicht vorgenommen. Vielmehr konnten die Richter anhand der bis zum Zeitpunkt der Entscheidung getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob die Kündigung wirksam war oder nicht.

Daher hat das BAG den Fall an das LAG Baden-Württemberg zurückverwiesen – und gleich einen Arbeitsauftrag hinzugefügt. Das LAG müsse aufklären, ob die Massenentlassungsanzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und ob das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde.

Hinweis: BAG, Urteil vom 13.6.2019, Az. 6 AZR 459/18, Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.8.2018, Az. 12 Sa 17/18


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