Kommentar zum Entgelttransparenzgesetz: Schieflage bleibt

Im Entgelttransparenzgesetz steckt viel Hoffung auf gerechte Gehälter für Männer und Frauen. Doch Professor Gregor Thüsing sieht das kritisch. In seinem Kommentar zeigt er, warum das Gesetz weder die gesteckten Ziele erfüllt noch Klarheit bringt - und dazu noch juristisch teils mangelhaft umgesetzt ist.

Das am 6. Juli 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz soll den „Gender Pay Gap“ – die Differenz zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenverdiensten von Männern und Frauen – verringern. Zudem hat das Gesetz zum Ziel, die Transparenz von betrieblichen Entgeltstrukturen, Kriterien und Maßstäben der Arbeitsbewertung zu stärken.

Entgeltbenachteiligung soll verhindert werden-soweit die Theorie

Dies soll zum einen durch die gesetzliche Definition von „gleicher Arbeit“ und „gleichwertiger Arbeit“ gelingen. Zum anderen hat der Gesetzgeber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Arbeitgebern mit in der Regel mindestens 200 Beschäftigten einen Auskunftsanspruch an die Hand gegeben. Dadurch sollen sie Entgeltbenachteiligungen erkennen und gegebenenfalls im Klagewege dagegen vorgehen. Private Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten sind künftig aufgefordert, ihre Entgeltregelung auf die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots zu prüfen und – soweit sie nach dem HGB lageberichtspflichtig sind – verpflichtet, einen Bericht zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern zu erstellen.

Entgelttransparenz: Erreicht das Gesetz sein Ziel?

Ein klares „Nein“, was am Inhalt des Auskunftsanspruchs liegt. Die Arbeitnehmerin und der Arbeitnehmer sollen nach § 11 Abs. 3 einen Anspruch da­rauf haben, den statischen Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts der Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts, die gleiche oder gleichwertige Tätigkeit verrichten, zu erfahren. Diese Information ist aber zur Darlegung einer Entgeltdiskriminierung gänzlich ungeeignet. Denn zum einen bleibt der Median der Vergütung der Beschäftigten des eigenen Geschlechts unbekannt und zum anderen wird gerade nicht der Durchschnitt erfragt.

Auskunftsanspruch: Ungeeignet um Entgeltdiskriminierung aufzuzeigen

Schon eine vereinfachte Skizze zeigt die Schwierigkeit: Selbst dort, wo Männer und Frauen die exakt gleiche Vergütung bekommen, Männer aber unterschiedlich gegenüber Männern und Frauen unterschiedlich gegenüber Frauen verdienen, würde die Beantwortung des Auskunftsverlangen immer auf eine Diskriminierung hinweisen – sei es des einen oder anderen Geschlechts, obwohl diese gerade nicht indiziert ist. Fragt eine Frau am unteren Vergütungsniveau weiblicher Beschäftigter der gleichen Tätigkeit nach dem männlichen Median, wird sie auch unter dem Median der Männer liegen. Fragt eine Frau am oberen Ende des Vergütungsspektrums, wird sie darüber liegen. Und selbst in einem Vergütungsschema, das Frauen diskriminiert, kann eine Frau über dem Median der Männer verdienen.

Es wird schnell deutlich: Die Information hat keinerlei Aussagekraft, zumal der Durchschnitt der Vergütung ganz anders sein kann. Der Median der Vergütung weiblicher oder männlicher Beschäftigter kann identisch sein, auch wenn männliche Beschäftigte durchschnittlich mehr verdienen – und mehr noch: Der Median weiblicher Beschäftigter kann über dem Median männlicher Beschäftigter liegen, obwohl diese durchschnittlich weniger als Männer verdienen.

Entgeltprüfungsverfahren: Unternehmen können nur verlieren 

So wie das Entgeltprüfungsverfahren normiert ist, wird es „dead letter law“ sein. Denn das Verfahren soll ausdrücklich nur freiwillig erfolgen – so wird es ein Unternehmen jedoch nicht durchführen (können). Dies liegt vor allem an § 20 Abs. 2 Satz 1: „Die Beschäftigten sind über die Ergebnisse des betrieblichen Prüfverfahrens zu informieren“.

Wenn das Prüfverfahren keinerlei Diskriminierung ergibt, ist es letztlich entbehrlich; offenbart es aber eine Diskriminierung, dann sind zwingend die Beschäftigten zu informieren und so wird eine Klagewelle hinsichtlich möglicher Nachforderungsansprüche bis zu den Grenzen der Verjährung ausgelöst. Ein Personaler könnte eine solche Einladung zur Klage nicht aussprechen, wenn er sie nicht aussprechen muss – schlicht weil er sich haftbar machen würde. Das Unternehmen kann also nur verlieren.

Auskunftsanspruch: Betriebsrat und Arbeitgeber gefordert

Zu den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats gehört die Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern (§ 80 Abs. 1 Nr. 2a BetrVG). Ergänzt wird dies nun durch §§ 13, 14 Abs. 1, 15 Abs. 2 EntgTranspG: Der Betriebsrat, ist grundsätzlich für die Beantwortung des Auskunftsverlangens zuständig. Ausnahmen gelten für leitende Angestellte und sofern kein Betriebsrat existiert.

Der Arbeitgeber ist im Rahmen der Anwendbarkeit des Gesetzes verpflichtet, dem Betriebsausschuss die Entgelt­listen so aufzubereiten, dass dieser in die Lage versetzt wird, die Auskunft erteilen zu können. Dies erfordert insbesondere die Ermittlung des Vergleichsentgelts nach § 11 Absatz 2 EntgTranspG. Dazu wird eine auf Vollzeitäquivalente hochgerechnete und nach Gehaltshöhe sortierte Auflistung benötigt. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsausschuss dabei lediglich Einsicht gewähren und Notizen ermöglichen, nicht aber die Erstellung von Fotokopien. Der Betriebsrat muss den Arbeitgeber in anonymisierter Form über das Auskunftsverlangen eines Arbeitnehmers informieren.

Welche Folgen haben Fehler des Betriebsrats?

Kommt der Betriebsrat seiner Pflicht nur fehlerhaft nach, werden etwaige Regressforderungen nach § 23 BetrVG regelmäßig mangels Vorsatz scheitern. Der Betriebsrat kann verlangen, dass der Arbeitgeber die Auskunftsverpflichtung übernimmt, wenn dem Betriebsrat dies aufgrund der Umstände des Einzelfalls geboten erscheint. Andererseits kann auch der Arbeitgeber selbst die Auskunftspflicht generell oder nur in Einzelfällen an sich ziehen (§ 14 Abs. 2 EntgTranspG). Dann hat er den Betriebsrat rechtzeitig über eingehende Auskunftsverlangen und die entsprechende Antwort in Kenntnis zu setzen. Auch das Einsichtsrecht des Betriebsrats wird dadurch grundsätzlich nicht berührt.

Problematische Beweislast: Falsche oder verweigerte Auskunft

Nach § 15 Abs. 5 soll der Arbeitgeber in tarifanwendenden Betrieben die Beweislast dafür tragen, dass kein Verstoß gegen das Gebot der Entgeltgleichheit vorliegt – wenn er seine Auskunftspflicht nicht erfüllt. Laut Gesetzesbegründung „orientiert“ sich die Norm an § 22 AGG.

Das ist Unfug. Sie hat nichts mit der europarechtlich gebotenen und ihrer Struktur nach sinnvollen Regelung des § 22 AGG zu tun, sondern trifft eine davon gänzlich unabhängige Sanktionsregelung. Die Beweislastregelung des § 22 AGG bezieht sich allein auf die Frage der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung. Beim EntgTranspG geht es aber um die Feststellung, ob überhaupt eine Ungleichbehandlung vorliegt. Das ist etwas ganz anderes und es bleibt offen, in welchem Ausmaß durch die unterlassene Auskunft die Beweislast erfüllt ist. Geht danach der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin mit einer beliebigen Summe angeblicher Gehaltsdifferenz in das gerichtliche Verfahren, soll der Arbeitgeber auch gegenüber einer frei behaupteten Differenz die Beweislast tragen? Er müsste damit eine negative Tatsache vortragen, was prozessual möglich ist, aber nach allgemeinen Regeln nicht ohne qualifizierten Vortrag der Gegenseite verlangt werden kann.

Unklare Sanktionen bei verweigerter Antwort

Zudem ist unklar, wie lange diese Sanktion wirken soll und ob sie auch bei bloß falscher, nicht aber verweigerter Antwort gilt. Hat etwa eine Arbeitnehmerin vor einigen Jahren ein unbeantwortetes Auskunftsverlangen gestellt, kann sie sich dann bis zur Verjährungsgrenze des Auskunftsanspruchs auf eine Beweislastverlagerung berufen?

§ 22 AGG trifft eine prozessuale Regelung, die den Vortrag im Prozess verlangt. § 15 Abs. 5 ist eine reine Sanktionsregelung, die materielle Wirkung hat. Das ist etwas ganz anderes.

Entgeltranzparenzgesetz: Zweifel an Verfassungsmäßigkeit

Bei welchem Gesetz kann man solche Zweifel ausschließen? Irgendwelche Anknüpfungspunkte mag man immer finden, beim EntTranspG aber sind diese deutlich: So ist etwa fraglich, ob nicht-tarifgebundene Arbeitgeber in ihrer negativen Koalitionsfreiheit ohne hinreichende Rechtfertigung beeinträchtigt werden. Denn Tarifanwender werden vom Gesetz in vielerlei Hinsicht bevorzugt, um schlicht die Tarifbindung attraktiver zu machen. Gesetzesprivilege als Anreiz zur Organisation? Das ist zweckwidrig. Es gibt auch keine Steuer­erleichterung für Tarifanwender.            

 

​​​​​​​Hinweis: Dieser Artikel ist im Personalmagazin, Ausgabe 10/2017 erschienen.  Hier können Sie die Personalmagazin-App herunterladen und die Ausgabe lesen.