Interview: Ist eine Homeoffice-Pflicht rechtlich möglich?

Die Zahl der in Deutschland mit dem Coronavirus Infizierten geht nicht in dem Maße zurück, wie es sich die Politik durch den Lockdown seit Anfang November erhofft hatte. Könnten die Unternehmen verpflichtet werden, ihre Mitarbeiter konsequenter als bisher ins Homeoffice zu schicken? Wie sich die Rechtslage darstellt, erläutert Professor Dr. Gregor Thüsing.

Haufe Online-Redaktion: Herr Professor Thüsing, die Politik erwägt eine Homeoffice-Pflicht zur Bekämpfung der Pandemie. Ist das sinnvoll, ist das möglich?

Gregor Thüsing: Ob das sinnvoll ist, das müssen Virologen entscheiden, nicht Juristen. Alles, was Kontakte minimiert, kann zur Eindämmung des Infektionsrisikos beitragen. Die Fachleute müssen ermessen, wie groß der epidemiologische Vorteil ist, den man dadurch erreichen kann. Der kann nur geschätzt und prognostiziert werden, aber der müsste schon erheblich sein, will man diesen Schritt gehen.

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Haufe Online-Redaktion: Wieso? Reicht nicht jeder kleine Schritt?

Thüsing: Eine Pflicht zum Homeoffice würde ja erst da greifen, wo Arbeitgeber nicht von sich aus Arbeitnehmer von zu Hause arbeiten lassen. Dafür werden sie oft gute Gründe haben. Das kann zum einen schlicht der Wille des Arbeitnehmers sein, lieber im gut ausgestatteten Büro als vom heimischen Küchentisch aus zu arbeiten. Eine Pflicht zum Homeoffice würde ja auch da greifen, wo der Arbeitnehmer das gar nicht will. Aber auch der Arbeitgeber kann gute Gründe haben. Es gibt Arbeiten, die gehen nicht von zu Hause, und bei einigen Tätigkeiten ist das klar, bei anderen ist da ein Graubereich, wo es der Arbeitgeber vielleicht besser einschätzen kann als der Staat, der den Einzelfall nicht kennt. Die Betriebsabläufe müssten trotz der Homeoffice-Pflicht gewährleistet sein und die Unternehmen in der Lage sein, ihr Angebot aufrechtzuerhalten. Da kippt dann ganz leicht die Verhältnismäßigkeit.

Verfassungsmäßigkeit einer Homeoffice-Pflicht

Haufe Online-Redaktion: Stichwort Verhältnismäßigkeit: Ginge denn ein solche Regelung überhaupt verfassungskonform?

Thüsing: Da hüte man sich vor allzu leichtfertigen Vermutungen. Wir haben in der Coronapandemie allzu oft erlebt, dass Vorschläge damit kaputt gemacht werden sollten, dass man sie als verfassungswidrig brandmarkte. Das fing mit der Corona-App an, die nicht verpflichtend gemacht wurde. Da wäre ich vorsichtig. Nicht alles, was man rechtspolitisch ablehnt – aus guten oder schlechten Gründen – kann mit der Keule der Verfassungswidrigkeit erschlagen werden. Der Gesetzgeber hat eine Einschätzungsprärogative. Das ist im Zweifel daher eher eine Frage kluger Gesetzgebung. Aber auch die muss verhältnismäßig sein. Wenn am Arbeitsplatz Abstand gehalten werden kann, wenn Masken getragen werden können und das Fenster geöffnet werden kann – dann muss es schon gute Gründe geben, warum hier nicht gearbeitet werden soll. Auch der Weg zum Arbeitsplatz kann oftmals risikominimiert ausgestaltet werden.

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Haufe Online-Redaktion: Also ginge es oder ginge es nicht?

Thüsing: Ganz klar: Die Pflicht zum Homeoffice wäre ein erheblicher Eingriff in die Vertragsfreiheit. Denn grundsätzlich bestimmt nach der Konzeption des Gesetzes der Arbeitgeber den Arbeitsort. Nimmt ihm der Gesetzgeber dieses Recht für Zeiten der Pandemie, dann muss er Folgefragen beantworten: Wie ist es mit dem Arbeitsschutz? Hat der Arbeitnehmer überhaupt geeignetes Equipment zu Hause? Wie ist es mit dem Datenschutz, wenn der Arbeitnehmer von zu Hause auf sensible Informationen zugreifen muss? Wer entscheidet, ob eine Tätigkeit geeignet für das Homeoffice ist? Und vielleicht auch: Können wir eine solche Pflicht administrativ überhaupt durchsetzen? Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, wie schwer das ist. Das stellt das Konzept in Frage.

Anreize schaffen statt Pflicht verordnen

Haufe Online-Redaktion: Welche Erfahrungen meinen Sie?

Thüsing: In Belgien und in Frankreich gibt es aktuell eine entsprechende Regelung zum Homeoffice. In Frankreich gab es schon vor Corona eine Vorschrift gerade für den Fall von Epidemien, an die man anknüpfen konnte; für die nähere Ausgestaltung setzt man auf den Dialog mit den Arbeitnehmervertretern. Und seit dem 19. Oktober 2020 ist Telearbeit wieder Pflicht in Belgien. Dort gilt: Wer trotzdem im Betrieb ist, muss eine Bescheinigung vorlegen können, dass er dort wirklich gebraucht wird. Die meisten Verstöße gegen die Homeoffice-Pflicht wurden dabei im Baugewerbe, im Hotel- und Gaststättengewerbe und im Dienstleistungssektor festgestellt – das sind alles Branchen, wo Homeoffice eben von der Natur der Sache schwierig ist.

Haufe Online-Redaktion: Also soll der Staat weiterhin bloß an den guten Willen appellieren?

Thüsing: Eindringlich zum Homeoffice mahnen kann und soll er ohnehin. Aber er könnte auch unterhalb einer Pflicht zum Homeoffice die Schrauben stärker anziehen. Es könnte einfacher sein, statt einer Pflicht Anreize zu schaffen - und zwar im Guten wie im Schlechten: Ein Arbeitgeber muss deutlich machen, dass er trotz Verzicht auf Homeoffice effektive Maßnahmen zum Schutz getroffen hat, und diese Hürde darf nicht zu niedrig liegen. Und der Staat mag die Realisierung von Homeoffice dadurch erleichtern, dass er hier Hilfsangebote zur Umsetzung schafft. Viele Arbeitgeber haben schlicht auch keine Vorstellung, welche Regelung sie hier beachten müssen. Es wäre gut, wenn man zum Beispiel das Haftungsrisiko für ungewollte Verstöße gegen die Vorgaben zur Ausgestaltung des Homeoffice-Arbeitsplatzes minimiert oder die Vorgaben selbst hier temporär lockert. Das könnte dann vielen Arbeitgebern einen Stups geben.


Zur Person: Professor Dr. Gregor Thüsing ist seit dem Wintersemester 2004/2005 Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. In den vergangenen Jahren war Thüsing mehr als dreißig Mal Sachverständiger bei Anhörungen verschiedener Ausschüsse des Bundestages.


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Schlagworte zum Thema:  Homeoffice, Coronavirus, Politik