Diskriminierung: Starkes Übergewicht als Behinderung

Das EU-Recht enthält kein eigenständiges Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas. Allerdings kann starkes Übergewicht eine Behinderung nach der EU-Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sein, entschied nun der EuGH. Die Richtlinie ist auch Grundlage des AGG.

Nicht selten streiten sich die Parteien vor dem Arbeitsgericht, ob Arbeitgeber übergewichtige Mitarbeiter aufgrund ihrer Statur benachteiligen. In Deutschland musste beispielsweise das Arbeitsgericht Darmstadt entscheiden, ob ein gemeinnütziger Verein aus dem Gesundheitsbereich eine Bewerberin wegen angeblichen Übergewichts ablehnen durfte. Auch ein dänisches Gericht hatte sich zuletzt damit zu beschäftigen, ob die Kündigung eines Tagesvaters gerechtfertigt sei. Im konkreten Fall hatte dieser 15 Jahre lang für die dänische Gemeinde Billund in deren Heim fremde Kinder betreut. Im November 2010 beendete die Gemeinde das Beschäftigungsverhältnis. Die Kündigung begründete die Kommune damit, dass die Anzahl der zu betreuenden Kinder rückläufig sei. Weshalb jedoch gerade der entlassene Tagesvater gehen musste und nicht etwa ein anderer Mitarbeiter, blieb unklar.

Schadensersatz wegen Adipositas

Der Gekündigte klagte auf Schadensersatz, da nach seiner Ansicht die Entlassung auf einer rechtswidrigen Diskriminierung wegen seines Gewichts beruhe – was die Gemeinde jedoch bestreitet. In den gesamten 15 Jahren brachte der Tagesvater regelmäßig 160 Kilogramm oder mehr auf die Waage. Mit einem BMI von 54 war er daher als adipös einzustufen, im Sinne der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Seine Adipositas soll beim Kündigungsgespräch zwar angesprochen worden sein, beide Seiten sind sich jedoch uneinig darüber, wie diese Frage erörtert wurde.

Innerhalb des Verfahrens fragte nun das dänische Gericht beim EuGH an, ob Adipositas, also Fettleibigkeit, unter den Begriff der Behinderung in der EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fällt. Darüber hinaus sollen die Luxemburger Richter klarstellen, ob das Unionsrecht, insbesondere der EU-Vertrag und die Charta, ein eigenständiges Verbot von Diskriminierungen wegen Adipositas enthält.

EuGH: Kein allgemeines Diskriminierungsverbot

Ein allgemeines Verbot der Diskriminierung wegen Adipositas enthalte das Unionsrecht im Bereich Beschäftigung und Beruf nicht, entschied nun der Europäische Gerichtshof. Insbesondere führe die Richtlinie über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf Adipositas nicht als Diskriminierungsgrund an. Auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union findet keine Anwendung auf einen solchen Sachverhalt.

Im konkreten Fall würde dies bedeuten, dass eine Kündigung wegen starken Übergewichts an sich nicht gegen EU-Recht verstößt. Allerdings könnte eine solche Kündigung eine Diskriminierung wegen einer Behinderung darstellen.

EuGH: Diskriminierung wegen Behinderung möglich

Denn der EuGH stellte fest, dass Adipositas eine Behinderung im Sinne der Richtlinie darstellen könne. Der Begriff "Behinderung" im Sinne der Richtlinie sei so zu verstehen, dass er "eine Einschränkung erfasst, die unter anderem auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen von Dauer zurückzuführen ist, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können. Er ist also dahin zu verstehen, dass er nicht nur die Unmöglichkeit erfasst, eine berufliche Tätigkeit auszuüben, sondern auch eine Beeinträchtigung der Ausübung einer solchen Tätigkeit. Eine andere Auslegung wäre nämlich mit dem Ziel dieser Richtlinie unvereinbar, die insbesondere Menschen mit Behinderung Zugang zur Beschäftigung oder die Ausübung eines Berufs ermöglichen soll", entschied der EuGH.

Generalanwalt noch mit BMI-Grenze

Zwar folgte das Gericht damit zum Teil den Schlussanträgen des zuständigen Generalanwalts Niilo Jääskinen. Auch dieser meinte, dass Adipositas unter den Begriff "Behinderung" fallen könne. Der Generalanwalt zog jedoch eine klare Grenze bei einem BMI von 40, die das Gericht nicht übernahm. Alles was bei einem BMI über 40 liege könne zu Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen. Diese Einschränkungen stellten eine Behinderung im Sinne der Richtlinie dar, führte Jääskinen aus.

Der EuGH beließ es bei der genannten, eher vagen Definition. Adipositas als Behinderung läge also nach dem Urteil des EuGH insbesondere dann vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Adipositas an dieser Teilhabe gehindert wäre, und zwar aufgrund eingeschränkter Mobilität oder dem Auftreten von Krankheitsbildern, die ihn an der Verrichtung seiner Arbeit hindern oder zu einer Beeinträchtigung der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit führen.

Ob dies im konkreten Fall für auf den klagenden Tagesvater zutrifft, ob also dessen Adipositas unter den Begriff der Behinderung fällt und er daher durch die Kündigung in unzulässiger Weise diskriminiert wurde, muss nun das dänische Gericht prüfen. Allerdings könnte der Umstand die Chancen des Tagesvaters verringern, dass  er seine Arbeit bereits 15 Jahre ohne größere Einschränkungen verrichtet hat.