Tarifnorm diskriminiert befristet Beschäftigte
Gerichte dürfen Tarifverträge überprüfen, aber nicht anpassen, stellte das Bundesverfassungsgericht kürzlich klar. Zunächst müssten die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit haben, eine tarifliche Norm anzupassen. Dabei ging es um eine Tarifnorm, die gegen den Allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstieß. Im vorliegenden Fall ging es um eine tarifliche Norm, die gegen das Diskriminierungsverbot nach § 4 Abs. 2 TzBfG verstieß. Hier liegt die Sache nach Auffassung des BAG anders. Im Anwendungsbereich unionsrechtlich überformter Diskriminierungsverbote hätten die Tarifvertragsparteien keine primäre Korrekturkompetenz.
Der Fall: Tarifnorm benachteiligt befristet Beschäftigte
Im vorliegenden Verfahren klagte ein Arbeitnehmer, der seit Juni 2019 als Zusteller bei einem bundesweit agierenden Logistikunternehmen tätig ist. Zunächst hatte er ein befristetes Arbeitsverhältnis, seit Juni 2020 ist er unbefristet beschäftigt. Entsprechend der geltenden Haustarifverträge richtet sich die Höhe der Vergütung unter anderem nach der jeweiligen Entgeltgruppe sowie einer Gruppenstufe, die abhängig von der Beschäftigungsdauer ist.
Im Rahmen einer umfassenden Reorganisation im Jahr 2019 vereinbarten die Tarifvertragsparteien unter anderem eine Verlängerung der Gruppenstufenlaufzeiten für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse nach dem 30. Juni 2019 neu begründet wurden.
Der Arbeitnehmer beanspruchte für sich, auch die kürzeren Gruppenstufenlaufzeiten zu behalten. Vor Gericht ging es somit um die Frage, ob von der Regelung auch Wiedereinstellungen von Beschäftigten erfasst werden, die – wie der Arbeitnehmer – vor diesem Stichtag befristet tätig waren, und ob in diesem Fall die dann auch für jene Arbeitnehmergruppe erfolgte Verlängerung der Stufenlaufzeiten im Einklang mit § 4 Abs. 2 TzBfG steht.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Der Arbeitgeber hatte auch vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg.
BAG: Tarifnorm verstößt gegen Diskriminierungsverbot
Der entscheidende Senat kam zu dem Ergebnis, dass die streitige Tarifnorm auch Arbeitnehmer erfasst, deren befristete Arbeitsverhältnisse nach dem 30. Juni 2019 erneut begründet wurden, wie im konkreten Fall das Arbeitsverhältnis des klagenden Zustellers.
Das oberste Arbeitsgericht stellte fest: Die Regelung verstößt gegen den Unionsrecht umsetzenden § 4 Abs. 2 TzBfG, wonach eine Benachteiligung von befristet Beschäftigten ohne Sachgrund verboten ist.
Das BAG befand, dass die vom Arbeitgeber dargelegten Gründe die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen und deshalb den Personenkreis der zuvor befristet Beschäftigten diskriminieren. Die Tarifbestimmung sei insoweit teilnichtig.
Gleichbehandlung mit unbefristet Beschäftigten bei Gruppenstufenlaufzeiten
Daraus folgte für das BAG ebenso wie die vergleichbaren am Stichtag unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer einen Anspruch darauf hat, die kürzeren Gruppenstufenlaufzeiten beizubehalten. Diese Entscheidung sei möglich, ohne den Tarifvertragsparteien zuvor Gelegenheit zur Beseitigung der Diskriminierung zu gewähren.
Das BAG begründete dies damit, dass im Unterschied zu Verletzungen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG im Anwendungsbereich unionsrechtlich überformter Diskriminierungsverbote den Tarifvertragsparteien keine primäre Korrekturmöglichkeit eingeräumt werden müsse. Art. 3 Abs. 1 GG entfalte im Unterschied zu unionsrechtlich überformten Diskriminierungsverboten keine Abschreckungsfunktion, argumentierte das Gericht.
Das BAG hatte kürzlich Beschäftigten eine Anpassung nach oben ihres tariflich vorgesehenen Zuschlags für regelmäßige Nachtarbeit zugestanden. Zuvor hatte es festgestellt, dass eine tarifliche Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstieß. Diese Rechtsprechung muss das BAG aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts korrigieren. Das BVerfG sah die Tarifautonomie verletzt und entschied, dass zunächst die Tarifparteien verhandeln müssten.
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