Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Mehrarbeitszuschlägen
Vor Kurzem entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass tarifvertragliche Regelungen, die bei Überstundenzuschlägen nicht auf die individuelle Arbeitszeit abstellen, Teilzeitkräfte und damit in vielen Bereichen Frauen diskriminieren.
Das LAG Berlin entschied im vorliegenden Fall, dass eine tarifvertragliche Regelung, nach der sämtliche Beschäftigte einschließlich der Teilzeitbeschäftigten Mehrarbeitszuschläge erst ab der Überschreitung der Wochenarbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte erhalten, eine gesetzlich verbotene Diskriminierung der Teilzeitbeschäftigten darstelle. Rechtsfolge sei die gerichtliche "Anpassung nach oben": Somit müsse die Überschreitung ihrer individuellen Wochenarbeitszeit auch bei Teilzeitbeschäftigten die tarifvertragliche Zuschlagspflicht auslösen.
Dabei setzte es sich auch mit der kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auseinander. Das BverfG hatte darin deutlich gemacht, dass im Hinblick auf die Tarifautonomie vor einer gerichtlich festgesetzten Anpassung nach oben grundsätzlich den Tarifvertragsparteien vorrangig eine Korrektur ermöglicht werden soll.
Der Fall: Teilzeitmitarbeiterin verlangt Überstundenzuschläge
Die Mitarbeiterin arbeitete in Teilzeit im Verkauf für ein Einzelhandelsunternehmen. In einem Zeitraum von sechs Monaten leistete sie über ihre vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit hinausgehend 62 Arbeitsstunden, jedoch in keiner Woche mehr als 38 Arbeitsstunden.
Erst wenn die tarifliche Wochenarbeitszeit, die bei 38 Stunden liegt, überschritten wird, also ab der 39. Wochenstunde, erhalten Beschäftigte einen Mehrarbeitszuschlag von 25 Prozent. Diese Grenze sieht der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten im Einzelhandel im Land Brandenburg (MTV) für die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen vor.
Diskriminierend gegenüber Teilzeitbeschäftigten sei diese Regelung, fand die Arbeitnehmerin und verlangte mit ihrer Klage die Zahlung von Überstundenzuschlägen für 62 Stunden. Der Arbeitgeber verweigerte dies und verwies dabei auf die tarifvertragliche Regelung und den grundgesetzlichen Schutz der Tarifautonomie.
LAG Berlin: Regelung diskriminiert Teilzeitbeschäftigte
Das LAG Berlin stellte fest, dass die Regelung im Manteltarifvertrag (MTV) Teilzeitbeschäftigte benachteiligt. Dies folge daraus, dass der MTV eine einheitliche Untergrenze für Mehrarbeitszuschläge aufstelle, ohne die verringerte Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten durch angepasste Auslösegrenzen zu berücksichtigen. Diese Benachteiligung sei nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt, entschied das LAG Berlin. Insbesondere ergebe sich keine Rechtfertigung aufgrund der arbeitsschutzrechtlichen Begrenzungen der Arbeitszeit, die das Einzelhandelsunternehmen herangezogen hatte. Denn die tarifvertragliche Regelung zu Mehrarbeitszuschlägen stelle auf die Überschreitung der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit ab und damit gerade nicht auf die Überschreitung der regelmäßigen werktäglichen Arbeitszeit von acht Arbeitsstunden oder der gesetzlichen Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden.
Individuelle Auslösegrenzen für Teilzeitbeschäftigte
Rechtsfolge sei die gerichtliche "Anpassung nach oben", was bedeute, dass auch bei Teilzeitbeschäftigten die Überschreitung ihrer individuellen Wochenarbeitszeit die tarifvertragliche Zuschlagspflicht auslösen müsse.
Das LAG Berlin nahm in seiner Urteilsbegründung Bezug auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Dezember 2024, Az. 1 BvR 1109/21. Danach sei zwar im Falle eines Verstoßes gegen den grundgesetzlich verankerten allgemeinen Gleichheitssatz grundsätzlich eine tarifvertragliche Korrektur durch die Tarifvertragsparteien vorrangig vor einer gerichtlich festgesetzten Anpassung nach oben zu ermöglichen - gegebenenfalls durch die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens. Für den Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zulasten von Teilzeitbeschäftigten aus § 4 Absatz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) begründet dies nach Meinung des Gerichts aber nicht die Aussetzung des Verfahrens.
Eine solche Verfahrensaussetzung, um den Tarifvertragsparteien die Korrektur des Tarifvertrags zu ermöglichen, sei jedenfalls dann nicht geboten, wenn – wie hier – ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung zulässig sei.
Das LAG Berlin hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Hinweis: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Mai 2025, Az. 12 Sa 1016/24
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