Können sich Arbeitnehmende für eine Coronaimpfung freistellen lassen?
Zig Millionen Impfungen soll es bis Weihnachten geben. Das ist das erklärte Ziel der neuen Bundesregierung. Also so viele Booster-Impfungen und Erstimpfungen gegen Corona wie möglich und das innerhalb kürzester Zeit. Das bedeutet erneut, dass Termine nicht immer leicht zu bekommen sind. Wenn Beschäftigte eine Coronaimpfung wahrnehmen wollen, sei es im Impfzentrum, beim Hausarzt oder im Betrieb, bleibt ihnen kein großer Spielraum, an welchem Tag oder zu welcher Uhrzeit der Termin stattfindet. Auch bei anderer Gelegenheit kann ein Arzttermin während der Arbeitszeit unumgänglich sein.
Wie ist dies arbeitsrechtlich geregelt? Wann dürfen Arbeitnehmende während der Arbeitszeit zum Arzt gehen? Und muss der Arbeitgeber den Lohn trotz ausgefallener Arbeitszeit zahlen?
Freistellung für Coronaimpfung während der Arbeitszeit
Arbeitnehmende müssen ihre persönlichen Termine außerhalb der Arbeitszeit vereinbaren. Dazu zählen grundsätzlich auch Arztbesuche, die der Gesundheitsvorsorge dienen und keinen akuten Anlass haben. Wenn der Arzttermin aufgrund der Umstände im Einzelfall zwingend innerhalb der Arbeitszeit erfolgen muss, kann der Arbeitgeber unter Umständen gemäß § 616 BGB zu einer bezahlten Freistellung verpflichtet sein. Zumindest solange es Arbeitnehmenden - wie momentan der Fall - fast unmöglich ist, auf den Impftermin Einfluss zu nehmen. Da dieser offiziell zugewiesen wird, kann ein Anspruch auf eine bezahlte Freistellung für einen Impftermin während der Arbeitszeit entsprechend angenommen werden.
Unabhängig von der rechtlichen Beurteilung ist es für Unternehmen seit der Einführung der 3-G-Regelung am Arbeitsplatz sinnvoller denn je, die Impfung ihrer Mitarbeitenden zu unterstützen, um den Betriebsablauf zu vereinfachen, sowie generell das Infektionsrisiko und coronabedingte Ausfälle im Betrieb möglichst gering zu halten. (Lesen Sie dazu unsere Serie "Coronaimpfung in Unternehmen").
Freistellung für Arztbesuch während der Arbeitszeit bei Erkrankung
Grundsätzlich gilt für Arztbesuche während der Arbeitszeit, dass Arbeitnehmende Lohn für die ausgefallenen Arbeitszeit unproblematisch beanspruchen können, wenn der Arztbesuch wirklich notwendig war. Im Fall, dass ein Arbeitnehmender sich krank fühlt oder verletzt und daher sofort zum Arzt muss, ist das nach allgemeiner Auffassung ein notwendiger Anlass. Wird der Mitarbeitende dann arbeitsunfähig krankgeschrieben, hat er Anspruch auf Lohnfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz. Dies fällt unter die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit.
Arztbesuche während der Arbeitszeit ohne akute Erkrankung
Wenn der Arbeitnehmende nicht akut erkrankt ist, sind Arztbesuche grundsätzlich private Angelegenheiten. Daher sind Arzttermine zur Gesundheitsvorsorge, die keine sofortige Behandlung erfordern, grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit wahrzunehmen. Dazu gehören Routine-Checks, Vorsorgetermine oder Nachbehandlungen. In solchen Fällen sind Arbeitnehmende grundsätzlich verpflichtet, den Arbeitsausfall für den Arbeitgeber möglichst gering zu halten. Zumutbar ist daher, dass sie bei medizinisch nicht notwendigen Terminen notfalls auch länger auf einen freien Termin warten, Urlaub nehmen oder die Möglichkeiten flexibler Zeiteinteilung wahrnehmen.
Freistellung für Arztbesuch ohne Terminfreiheit
Wenn es dem Arbeitnehmenden tatsächlich nicht möglich ist, den Termin außerhalb der Arbeitszeit zu nehmen, kann er gemäß § 616 BGB einen Anspruch darauf haben, dass der Arbeitgeber ihn freistellt. Der Arbeitgeber muss die ausgefallene Arbeitszeit dann vergüten. Wenn es zum Streit über die Lohnfortzahlung oder das Arbeitszeitkonto kommt, müssen Gerichte im Einzelfall klären, ob der Arbeitnehmende die Arbeitszeit unverschuldet versäumt hat. Dies wurde beispielsweise angenommen, wenn der Arzt auf terminliche Wünsche keine Rücksicht nehmen will oder kann, beispielsweise bei Arztterminen, die zwingende Zeiten erfordern wie eine Blutabnahme in nüchternem Zustand.
Arztbesuche während der Gleitzeit
Nimmt ein Arbeitnehmender an einer im Betrieb geltenden Gleitzeitregelung teil, so kann er ‐ wenn einzelvertraglich oder tarifvertraglich keine Regelung besteht - für Arztbesuche während der Gleitzeit keine Zeitgutschrift verlangen.
Tarifverträge können Freistellung für Arztbesuche regeln
Auch Tarifverträge oder Arbeitsverträge enthalten oftmals Regelungen zur bezahlten Freistellung von Arbeitnehmenden zu Arztbesuchen, aber auch zur Freistellung für Ehrenämter oder Behördengänge oder aus familiären Gründen.
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Wie verhält es sich hier mit § 5 Corona-ArbSchV? Demnach muss ich als Arbeitgeber meinen Beschäftigten ermöglichen, sich während der Arbeitszeit impfen zu lassen. Ergibt sich daraus auch eine bezahlte Freistellung und besteht dieser Anspruch nur, wenn § 616 BGB nicht ausgeschlossen ist?
Frank Bollinger
Mon Dec 13 15:43:24 CET 2021 Mon Dec 13 15:43:24 CET 2021
Das BMAS sagt dazu in seinen FAQs: "für die Beschäftigten gilt: Grundsätzlich behalten sie ihren Vergütungsanspruch, wenn sie für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in der Person liegenden Grund ohne Verschulden an der Dienstleistung verhindert sind. Die Wahrnehmung des Impftermins kann als persönlicher Hinderungsgrund angesehen werden, sofern die Beschäftigten den Impftermin während der Arbeitszeit angeboten bekommen und auf die Termingestaltung selbst keinen Einfluss haben. Solche Hinderungsgründe liegen z.B. oft bei Beschäftigten in Schichtarbeit, im Außendienst und mit Bau- und Montagetätigkeiten vor, wenn betriebliche Impfangebote oder sonstige Impfangebote außerhalb der Arbeitszeit nicht wahrgenommen werden können." Das ist in der Tat die Freistellung nach § 616 BGB, die nicht erfolgen müsste, wenn § 616 BGB wirksam ausgeschlossen wäre. In der Gesetzesbegründung zu § 5 Corona-ArbSchV geht der Gesetzgeber davon aus, dass den Arbeitgebern ein Lohnfortzahlungsaufwand von 171 Mio EUR durch diese Vorschrift entsteht. Der Gesetzgeber ist also von einer Lohnfortzahlungspflicht ausgegangen. Explizit geregelt hat er sie jedoch nicht. Im Zweifel empfiehlt es sich, zugunsten der guten Sache in diesen Fällen den Ausschluss des § 616 BGB nicht zur Anwendung zu bringen.
Mit freundlichem Gruß
Ihre Haufe-Online-Redaktion