4.1 Vorbemerkung

 

Rz. 17

Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 sind Arbeitgeber und Betriebsrat alle Betätigungen untersagt, die den geordneten Arbeitsablauf oder den Betriebsfrieden beeinträchtigen. Diese Regelung ergänzt das Verbot des Arbeitskampfs gem. Abs. 2 Satz 1 und hat zur Folge, dass innerhalb der Betriebsverfassung eine absolute Friedenspflicht gilt. Dieses umfassende Gebot der Zurückhaltung im betrieblichen Kontext ist im Licht des Rechts auf freie Meinungsäußerung, Art. 5 GG, zu sehen. Die Vorschrift des § 74 Abs. 2 BetrVG ist eine das Grundrecht der freien Meinungsäußerung beschränkende allgemeine Norm i. S. d. Art. 5 Abs. 2 GG. Zweck der Regelung ist es, den innerbetrieblichen Frieden zu wahren. Dabei geht es nicht nur darum, eine ungestörte Produktion oder einen ungehinderten Betriebsablauf zu ermöglichen, sondern auch die im Betrieb eingebundenen Personen vor ungewünschter Beeinflussung zu schützen.

4.2 Inhalt der Friedenspflicht

 

Rz. 18

Die in Abs. 2 Satz 2 normierte Friedenspflicht schützt den von Störungen des Betriebsrats oder des Arbeitsgebers freien Arbeitsablauf sowie den Betriebsfrieden.

 

Rz. 19

Unter Arbeitsablauf ist die organisatorische, räumliche und zeitliche Gestaltung des Arbeitsprozesses im Zusammenwirken von Menschen und Betriebsmitteln zu verstehen.[1] Untersagt sind alle Betätigungen, die in den vom Arbeitgeber organisierten Arbeitsprozess unmittelbar eingreifen

 
Praxis-Beispiel

Der Betriebsrat organisiert eine an sich zulässige Fragebogenaktion unter den Arbeitnehmern. Bei der Durchführung dieser Aktion hat der Betriebsrat darauf zu achten, dass die Arbeitnehmer den Fragebogen nicht während der Arbeitszeit ausfüllen, weil ansonsten der Arbeitsablauf gestört würde.

Einen unzulässigen Eingriff in die Gestaltung des Arbeitsprozesses und damit eine Störung des Arbeitsablaufs stellen auch Aufforderungen des Betriebsrats dar, bestimmte Weisungen des Arbeitgebers nicht mehr zu befolgen oder bestimmte Arbeiten nicht mehr zu verrichten. Dies gilt auch dann, wenn die vom Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern erteilten Weisungen oder die ihnen übertragenen Arbeiten rechtswidrig sind. Der Betriebsrat hat jedoch kein Weisungsrecht gegenüber den Arbeitnehmern (vgl. § 77 Abs. 1 BetrVG). Er darf daher in derartigen Fällen nur darauf hinweisen, dass bestimmte Weisungen oder die Übertragung von Arbeiten rechtswidrig ist.[2]

 
Praxis-Beispiel

Der Betriebsrat fordert die Arbeitnehmer in der Montage auf, die Beladung von Transportfahrzeugen manuell nicht mehr durchzuführen, weil dabei die Arbeitsschutzbestimmungen der Berufsgenossenschaft nicht eingehalten würden.

Die Aufforderung des Betriebsrats stellt einen unzulässigen Eingriff in den Arbeitsablauf dar. Der Betriebsrat kann im konkreten Fall die Arbeitnehmer allenfalls darüber informieren, dass bei der Durchführung der Anweisungen des Arbeitgebers Arbeitsschutzvorschriften verletzt werden und die Arbeitnehmer deshalb berechtigt sind, ihre Arbeitsleistung zurückzuhalten. Ein über diese reine Information hinausgehendes Eingriffsrecht steht dem Betriebsrat dagegen nicht zu

 

Rz. 20

Unter "Betriebsfrieden" wird das störungsfreie Zusammenleben sowohl zwischen den Arbeitnehmern des Betriebs als auch zwischen den Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber sowie zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verstanden.[3] Dieses störungsfreie Zusammenleben kann durch unterschiedlichste Maßnahmen beeinträchtigt werden. Eine Beeinträchtigung liegt etwa dann vor, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat sich nicht der gesetzlichen Formen bedienen, um einen Interessenkonflikt zu lösen, sie in die Kompetenz des jeweils anderen eingreifen oder sie ihre gegenseitigen Rechte und Befugnisse nicht anerkennen

 
Praxis-Beispiel

Der Arbeitgeber missachtet ständig die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach dem BetrVG, insbesondere seine Mitbestimmungsrechte. Darin liegt eine Beeinträchtigung des Betriebsfriedens.

Darüber hinaus kommt eine Beeinträchtigung des Betriebsfriedens auch dann in Betracht, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat in einer Weise miteinander umgehen, die trotz Anerkennung bestehender Interessengegensätze schlechterdings mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht zu vereinbaren ist.[4] Dies ist etwa der Fall, wenn ein Betriebspartner über den anderen wahrheitswidrige, insbesondere ehrverletzende Behauptungen im Betrieb, z. B. durch Aushang am Schwarzen Brett, Verteilung von Flugblättern oder Publikation in der Werkzeitung, verbreitet. Auch die gezielte Verlagerung von Auseinandersetzungen in die Medien, um auf die andere Seite zusätzlichen Druck auszuüben, ist mit dem Gebot, Konflikte möglichst betriebsintern zu lösen, nicht vereinbar und kann eine unzulässige Beeinträchtigung des Betriebsfriedens darstellen (BAG, Beschluss v. 22.7.1980, AP Nr. 3 zu § 74 BetrVG 1972). Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Betriebsrat nur berechtigt, bestehende Meinungsverschiedenheiten mit dem Arbeitgeber in den Medien, z. B. in Interviews, darzulegen, wenn der Arbeitgeber hierzu Veranlassung gegeben hat, etwa durch entsprechende Verlautbarungen se...

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