Rz. 999

Kern des § 1 Abs. 5 KSchG ist die gesetzliche Vermutung, dass die Kündigung der namentlich aufgeführten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Gründe i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist.

 

Rz. 1000

Die Darlegungs- und Beweislast für die Grundlagen dieser Vermutung trägt der Arbeitgeber. Er muss nachweisen, dass es sich um eine Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG handelt und dass ein wirksamer Interessenausgleich samt Namensliste vorliegt (BAG, Urteil v. 3.4.2008, 2 AZR 879/96[1]).

 

Rz. 1001

Die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG ist durch den Arbeitnehmer widerlegbar. Allerdings genügt es nicht, die Vermutung im Prozess zu erschüttern; der Arbeitnehmer muss vielmehr den vollen Beweis des Gegenteils führen (§ 292 Abs. 1 ZPO). Er muss somit die Unwahrheit der vermuteten Tatsache beweisen, aus der sich ergibt, dass der vermutete Rechtszustand – also die Betriebsbedingtheit der Kündigung – nicht oder anders besteht; ein Anscheinsbeweis reicht nicht aus (BAG, Urteil v. 7.5.1998, 2 AZR 536/97[2]). Dabei können dem Arbeitnehmer aber nach den Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast gewisse Erleichterungen zugutekommen. Steht der Arbeitnehmer außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs und hat er keine nähere Kenntnis von den maßgebenden Tatsachen, so kann er solche Umstände unter Beweis stellen, die er aufgrund greifbarer Anhaltspunkte vermuten kann. Die sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers greift allerdings nur ein, wenn dem Arbeitnehmer tatsächlich die erforderlichen Kenntnismöglichkeiten fehlen (BAG, Urteil v. 27.9.2012, 2 AZR 516/11[3]).

Ein Arbeitnehmer, der auf einer Namensliste steht, kann daher im Verfahren gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i. V. m. § 292 ZPO vorbringen, dass tatsächlich weiterhin eine Möglichkeit besteht, ihn zu beschäftigen. Dazu ist allerdings ein substanziierter Tatsachenvortrag erforderlich, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt (BAG, Urteil v. 15.12.2011, 2 AZR 42/10). Der Arbeitnehmer muss darlegen, dass der Arbeitsplatz trotz der Betriebsänderung noch vorhanden ist oder er an anderer Stelle im Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann. Der Arbeitnehmer muss darlegen, dass der Arbeitsplatz trotz der Betriebsänderung noch vorhanden ist oder er an anderer Stelle im Betrieb oder Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann. Der Arbeitnehmer kann die Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG auch widerlegen, indem er darlegt, dass ein Dauerarbeitsplatz durch Leiharbeitnehmer besetzt ist und der Interessenausgleich keine Regelung zum Abbau der durch Leiharbeitnehmer besetzten Arbeitsplätze enthält (LAG Köln, Urteil v. 20.7.2015, 2 Sa 185/15[4]). Auch hier kann sich eine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers ergeben (§ 138 ZPO). Die Vermutung betriebsbedingter Gründe ist gleichwohl erst widerlegt, wenn der Arbeitnehmer substanziiert behauptet (und ggf. beweist), dass der nach dem Interessenausgleich in Betracht kommende betriebliche Grund in Wirklichkeit nicht vorliegt.

 

Rz. 1002

Rechtsfolge des § 1 Abs. 5 KSchG ist ferner, dass die von den Betriebspartnern getroffene Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden darf. Insoweit führt die Existenz einer Namensliste allerdings zu keinen Veränderungen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast (BAG, Urteil v. 12.4.2002, 2 AZR 706/00[5]). Der Arbeitnehmer muss – wie auch sonst im Rahmen von § 1 Abs. 3 KSchG – die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl nachweisen; nur gilt im Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 KSchG ein anderer Maßstab (grobe Fehlerhaftigkeit). Allerdings kann der Arbeitnehmer verlangen, dass der Arbeitgeber unverzüglich und substanziiert die Gründe mitteilt, auf der die getroffene Sozialauswahl beruht (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG). Die eingeschränkte Überprüfbarkeit der Sozialauswahl führt damit zu einer "abgestuften Darlegungslast". Erst nach Erfüllung der umfassenden Auskunftspflicht seitens des Arbeitgebers trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl (BAG, Urteil v. 22.1.2004, 2 AZR 111/02[6]).

 

Rz. 1003

Bei dem Vortrag, die Sachlage habe sich nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert, handelt es sich um eine Einwendung. Darlegungs- und beweispflichtig ist daher der Arbeitnehmer, der die günstigen Rechtsfolgen für sich in Anspruch nimmt.[7] Allerdings ist der Arbeitgeber bei erheblichem Sachvortrag zu substanziiertem Gegenvortrag verpflichtet; bloßes Bestreiten genügt insoweit nicht.

[1] NZA 2008 S. 1060.
[2] NJW 1998 S. 3586.
[3] NZA 2013 S. 559.
[4] ArbRAktuell 2015, S. 486.
[5] NZA 2003 S. 42.
[6] EzA § 1 KSchG, Interessenausgleich Nr. 11, S. 16.
[7] ErfK/Oetker, 18. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 367; HWK/Quecke, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2018, § 1 KSchG, Rz. 437.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge