Rz. 6

Die Rechtsfolgen des § 125 InsO entsprechen weitgehend den gesetzlichen Vermutungen und Beweiserleichterungen, die auch § 1 Abs. 5 KSchG vorsieht:

 

Rz. 7

Kommt ein Interessenausgleich mit Namensliste zwischen dem Insolvenzverwalter und dem zuständigen Betriebsrat zustande, so wird zunächst im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses vermutet, dass die Kündigung der namentlich identifizierten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb oder einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen entgegenstehen (§ 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO).[1] Umstritten ist, ob sich die gesetzliche Vermutung auch auf das Fehlen sonstiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des betroffenen Unternehmens erstreckt.[2] Nach Ansicht des BAG wird die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO jedenfalls dann auf das Fehlen von anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben des Unternehmens erstreckt, wenn sich die Betriebspartner bei den Verhandlungen über den Interessenausgleich mit Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Betrieben befasst haben, wovon auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Interessenausgleich regelmäßig auszugehen sei.[3]

 
Hinweis

Nach Ansicht des ArbG Mönchengladbach kann im Einzelfall eine Kündigung, die auf einen Interessenausgleich mit Namensliste gestützt wird, trotz der Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO sozial ungerechtfertigt sein:

Wenn sich weder die Betriebsänderung noch die Sozialauswahl, welche die Betriebsparteien vorgenommen haben, aus dem prozessualen Vorbringen des Arbeitgebers oder aus dem Interessenausgleich selbst ergibt, hat der gekündigte Arbeitnehmer nicht die Chance, die Vermutungswirkung zu widerlegen und die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauwahl darzustellen.[4]

Ob die (geplante) Beschäftigung von Leiharbeitnehmern die Annahme rechtfertigt, im Betrieb oder Unternehmen des Arbeitgebers seien freie Arbeitsplätze vorhanden, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Will der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer nur als "externe Personalreserve" zur Abdeckung von Vertretungsbedarf einsetzen, besteht im Allgemeinen keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit, da in diesem Fall Leiharbeitnehmer nicht dauerhaft, sondern nur zur Vertretung anderer Arbeitnehmer auf von diesen besetzten Arbeitsplätzen beschäftigt werden. I. d. R. widerlegt ein in einem Interessenausgleich mit Namensliste in der Insolvenz zugelassener Einsatz von Leiharbeitnehmern bis zu einer Grenze von 10 % der Belegschaft für einen Personalmehrbedarf aufgrund von Krankheits- und Urlaubsfehlzeiten die Vermutung des § 125 Abs. 1. Nr. 1 InsO jedenfalls noch nicht.[5]

 

Rz. 8

Die ausgesprochenen Kündigungen selbst sind – wie auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens – anhand des § 1 Abs. 3 KSchG zu überprüfen. Allerdings wird die Sozialauswahl, die der Namensliste zugrunde liegt, nur hinsichtlich der Berücksichtigung von Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten überprüft; anders als bei § 1 KSchG fehlt die Schwerbehinderung als relevantes Kriterium. Prüfungsmaßstab ist die grobe Fehlerhaftigkeit (§ 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Dies bedeutet, dass auch andere Faktoren in die Sozialauswahl einfließen dürfen, solange die 3 Hauptkriterien nicht unvertretbar in den Hintergrund gedrängt werden. Grob fehlerhaft ist daher auch im Rahmen von § 125 InsO eine Sozialauswahl nur dann, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt.[6]

Innerhalb der Sozialauswahl darf bei der Gewichtung des Kriteriums "Lebensalter" – auch zu Lasten des Arbeitnehmers – die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass der Arbeitnehmer spätestens innerhalb der nächsten zwei Jahre die Regelaltersrente nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses entsprechend der jeweiligen rentenversicherungsrechtlichen Vorgaben der Regelaltersrente abschlagsfrei bezieht. Auch eine andere Rente wegen des Alters kann dabei berücksichtigt werden. Dies gilt allerdings nicht für die Altersrente schwerbehinderter Menschen; ansonsten würde sich die hier bezweckte Privilegierung in einen Nachteil für die betroffenen Personen verwandeln.[7]

Mit Blick auf eine ausgewogene Personalstruktur bewegt sich der Insolvenzverwalter gleichwohl auf einem schmalen Grad. Einerseits ist die Sozialauswahl gerade nicht grob fehlerhaft, wenn sie so angelegt ist, dass eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird.[8] Andererseits dürfen auch in einer Insolvenz die betrieblichen Interessen nicht "augenfällig überdehnt" werden, wenn man sich auf den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG beruft.[9]

Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit gilt nicht nur für die Auswahlkriterien, sondern auch die Bildung der auswahlrelevanten Arbeitnehmergruppe kann gerichtlich nur auf grobe Fehler überprüft werden.[10] Die Sozialauswahl ist auch dann grob fehlerhaft, wenn bei de...

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