Rz. 15

Grundsätzlich bewirkt die wirksame Anfechtung die Nichtigkeit des Vertrags von Anfang an.[1] Bereits erbrachte Leistungen werden nach den Regeln des Bereicherungsrechts rückabgewickelt. Im Gegensatz zur allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regelung gibt es beim Arbeitsvertrag hinsichtlich der Rechtsfolgen einer wirksamen Anfechtung eine Sonderentwicklung. Diese beruht insbesondere auf der Tatsache, dass eine Rückabwicklung nach den Regeln des Bereicherungsrechts nicht den zwingend festgelegten Sozialschutz infrage stellen darf.[2] Erbrachte Arbeitsleistungen können nur schwer zurückerstattet werden, sodass im Arbeitsrecht hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Anfechtung danach unterschieden werden muss, ob das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt war, ob also bereits ein Leistungsaustausch stattgefunden hat.[3] Ein Arbeitsverhältnis ist dann in Vollzug gesetzt, wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber erschienen ist, seinen Arbeitsplatz zugewiesen bekommen und die Arbeit aufgenommen hat. Es soll sogar bereits der Erhalt von Informationen über seine künftige Tätigkeit ausreichen.[4] Ist das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Anfechtung noch nicht in Vollzug gesetzt, gilt die gesetzliche Regelung des § 142 Abs. 1 BGB[5] ohne Modifikation. Nach Beschäftigungsbeginn wird das fehlerhaft begründete Arbeitsverhältnis so behandelt, als läge ein fehlerfrei begründetes vor. Das Vertragsverhältnis kann allerdings jederzeit beendet werden. Daher kann in diesem Fall bei einer Anfechtung durch den Arbeitgeber die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags nicht mehr mit rückwirkender Kraft geltend gemacht werden. Die Anfechtung entfaltet regelmäßig nur für die Zukunft (ex nunc) Wirkung.[6] Die erbrachten Leistungen sind so abzuwickeln, als sei das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit gültig gewesen. Jede Vertragspartei kann sich jedoch für die Zukunft jederzeit einseitig vom Vertrag lossagen.[7] Das Arbeitsverhältnis bei fehlerhaftem Arbeitsvertrag wird häufig als faktisches Arbeitsverhältnis bezeichnet.[8]

 

Rz. 16

Die allgemeinen Regeln greifen auch, wenn das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich wieder außer Funktion gesetzt wurde und der Arbeitnehmer ab diesem Zeitpunkt keine Arbeitsleistung mehr erbringt. Die Anfechtung wirkt hier auf den Zeitpunkt der Außerfunktionssetzung zurück.[9] Ein Arbeitsverhältnis wird z. B dadurch außer Funktion gesetzt, dass der Arbeitgeber zunächst eine Kündigung ausspricht und hierdurch eine Suspendierung der vertraglichen Hauptleistungspflichten (Dienstleistung und Lohnzahlung) bewirkt wurde. Zum Zeitpunkt der Anfechtung bestehen dann keine bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsprobleme mehr. Ob Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes bei einer Irrtumsanfechtung die Rückabwicklung des Arbeitsverhältnisses bis zum Zeitpunkt der Außerfunktionssetzung des Arbeitsverhältnisses erfordern, ist noch nicht entschieden. Eine Beschränkung auf die Fälle der Täuschungsanfechtung könnte nur mit der geringeren Schutzwürdigkeit des Anfechtungsgegners begründet werden.[10]

 

Rz. 17

Ist ein Arbeitnehmer schon vor der Anfechtung krank geworden, wird das Arbeitsverhältnis nicht außer Funktion gesetzt. Dies zeigen schon die gesetzlichen Regeln über die Lohnfortzahlung. Somit wirkt die Anfechtung auch hier lediglich für die Zukunft (ex nunc).[11]

[2] Richardi/Fischinger in Staudinger, § 611a BGB, Rz. 687 insb. Rz. 301.
[4] BAG, Urteil v. 18.4.1968, 2 AZR 145/67, AP HGB § 63 Nr. 32.
[5] Leinemann in KassHdb, 1.1, Rz. 603.
[6] BAG, Urteil v.15.11.1995, 1 AZR 189/57, NJW 1958, 397; Hueck/Nipperdey, I 123 ff., 183 ff.; Nikisch, I 173 f., 215 ff.; a. A. Beuthien, RdA 1969, S. 161 ff. mit der Begründung, dass diese Auffassung nicht gesetzestreu sei. Vielmehr müsse im Grundsatz auch für die Vergangenheit von der Nichtigkeit des Vertrages ausgegangen und daher das fehlerhafte Arbeitsverhältnis als bürgerlich-rechtliches Abwicklungsproblem behandelt werden. S. auch Ramm, ArbuR 1963, S. 97, 106 f.; Picker, ZfA 1981, S. 1, 61, die diese Ausführungen zumindest für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gelten lassen wollen; einschr. BAG, Urteil v. 3.12.1998, 2 AZR 754/97, NZA 1999, 584.
[8] BAG, Urteil v. 7.10.2015, 7 AZR 40/14, NZA 2016 S. 358; Lehmann NJW 1958 S. 1; Lorenz in Staudinger, § 812 BGB, Rz. 90; a. A. Richardi/Fischinger in Staudinger, § 611a BGB, Rz. 692 ff.
[10] Walker, JA 1985, S. 164, 165.
[11] BAG, Urteil v. 18.4.1968, 2 AZR 145/67, Betrieb 68 S. 1073; BAG, Urteil v. 20.2.1986, 2 AZR 244/85, NZA 1986, 739; krit. Dörner, AR-Blattei SD 60, Rz. 98.

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