Mit dem Urteil vom 11.7.2017[1] hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschieden, dass die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar sind.[2] Die Auslegung und Handhabung des Gesetzes müsse allerdings der in Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Tarifautonomie Rechnung tragen. Über im Einzelnen noch offene Fragen haben die Fachgerichte zu entscheiden.

Unvereinbar sei das Gesetz mit der Verfassung insoweit, als Vorkehrungen dagegen fehlen, dass die Belange der Angehörigen einzelner Berufsgruppen oder Branchen bei der Verdrängung bestehender Tarifverträge einseitig vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber müsse insofern Abhilfe schaffen. Bis zu einer Neuregelung dürfe ein Tarifvertrag im Fall einer Kollision im Betrieb nur verdrängt werden, wenn plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Belange der Angehörigen der Minderheitsgewerkschaft ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat. Das Gesetz bleibe mit dieser Maßgabe ansonsten weiterhin anwendbar. Die Neuregelung sei bis zum 31.12.2018 zu treffen.

Mit seinem Urteil vom 11.7.2017 hat das BVerfG über 5 der insgesamt 11 beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden entschieden. Geklagt hatten u. a. der Marburger Bund, der dbb beamtenbund und tarifunion (dbb), die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die Nahverkehrsgewerkschaft (NahVG), die Vereinigung Cockpit e. V. sowie die Unabhängige Flugbegleiter Organisation e. V. (UFO).

Das BVerfG hat das Tarifeinheitsgesetz in weiten Teilen mit dem Grundrecht der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder aus Art. 9 Abs. 3 GG als vereinbar angesehen. Durch die Regelungen werde zwar der Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG beeinträchtigt, dies sei aber weitgehend gerechtfertigt.

Das BVerfG betont: Das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG vermittle kein Recht auf absolute tarifpolitische Verwertbarkeit von Schlüsselpositionen und Blockademacht zum eigenen Nutzen (Rn. 131[3]). Staatliche Maßnahmen, die darauf zielten, bestimmte Gewerkschaften aus dem Tarifgeschehen herauszudrängen oder bestimmten Gewerkschaftstypen, wie etwa Berufsgewerkschaften, generell die Existenzgrundlage zu entziehen, seien aber mit Art. 9 Abs. 3 GG unvereinbar (Rn. 132).

Die Regelungen des Tarifeinheitsgesetzes seien geeignet, das Ziel zu erreichen, auf der Arbeitnehmerseite ein koordiniertes und kooperatives Vorgehen in Tarifverhandlungen zu bewirken, auch wenn nicht gewiss ist, dass dieser Effekt tatsächlich erzielt wird – so das BVerfG wörtlich in Rn. 158 seiner Entscheidung. Insbesondere der Einwand, das Gesetz knüpfe an den Betrieb an – und nicht an das für die Tarifpolitik zentrale Unternehmen –, stelle die verfassungsrechtliche Eignung nicht infrage. Eine Lösung von Tarifkollisionen im Betrieb könne einen Beitrag dazu leisten, in Teilbereichen eine destruktive Entwicklung im Tarifvertragssystem zu verhindern und dessen Funktionsfähigkeit zu stärken (Rn. 161).

Allerdings hat das BVerfG klare Vorgaben für die gebotene Auslegung und Handhabung des Tarifeinheitsgesetzes aufgestellt, die nachfolgend näher erläutert werden.

Soweit das Gesetz nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hat das BVerfG die Unvereinbarkeit mit der Verfassung festgestellt, jedoch gleichzeitig die Fortgeltung der Regelungen bis zu einer vom Gesetzgeber zu schaffenden Nachbesserung erklärt. Dies insbesondere, weil die verfassungswidrigen Vorschriften nicht den Kern der Regelung beträfen (Rn. 217).

Der Gesetzgeber hat eine Neuregelung des Tarifeinheitsgesetzes, die die verfassungsrechtliche Beanstandung beseitigt, bis spätestens 31.12.2018 zu schaffen (Rn. 218).

Das Urteil war innerhalb des Senats nicht einheitlich getroffen worden. Die Entscheidung ist im Ergebnis mit 6 : 2 Stimmen und hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Übergangsregelung mit einer weiteren Gegenstimme ergangen (Rn. 221). 2 Richter haben ein abweichendes Votum abgegeben und veröffentlicht.

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung von 11.7.2017, Leitsatz Nr. 3, zur grundsätzlichen Vereinbarkeit des Tarifeinheitsgesetzes mit dem Grundgesetz betont:

Gesetzliche Regelungen, die in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fallen, und die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie herstellen und sichern sollen, verfolgen einen legitimen Zweck. Dazu kann der Gesetzgeber nicht nur zwischen den sich gegenüberstehenden Tarifvertragsparteien Parität herstellen, sondern auch Regelungen zum Verhältnis der Tarifvertragsparteien auf derselben Seite treffen, um strukturelle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Tarifverhandlungen auch insofern einen fairen Ausgleich ermöglichen und in Tarifverträgen mit der ihnen innewohnenden Richtigkeitsvermutung angemessene Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen hervorbringen können.

[1] BVerfG, Urteil v. 11.7.2017, 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1042/16, 1 BvR 1477/16.
[2] Pressemitteilung des BVerfG Nr. 57/2017 vom 11.7.2017.
[3] Soweit im vorliegenden Beitrag Randnummern (Rn.) zitiert...

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