Schwerbehinderte Menschen sind Personen mit einem anerkannten Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50, sofern sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i. S. v. § 156 SGB IX rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland haben. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX ist unter Behinderung die Auswirkung einer mehr als 6-monatigen Funktionsbeeinträchtigung zu verstehen, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensjahr typischen abweicht (§ 2 Abs. 1 SGB IX).

 
Praxis-Beispiel

Eine symptomlose HIV-Infektion hat eine Behinderung zur Folge. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten sowie die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern.[1]

Der Europäische Gerichtshof[2] geht von einem etwas abweichenden Behinderungsbegriff aus. In seinen Entscheidungen vom 11.4.2013 und vom 4.7.2013 hat er seine Auslegung des Begriffs der "Behinderung" i. S. d. RL 2000/78/EG in Anpassung an Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK modifiziert. Erfasst sind Einschränkungen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sind, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, sofern die körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinträchtigungen langfristig sind. Das schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt. Von praktischer Bedeutung ist auch die Abgrenzung von (chronischer) Krankheit und Behinderung, insbesondere im Hinblick auf das Benachteiligungsverbot wegen einer Behinderung und damit auch im Bereich der personenbedingten/krankheitsbedingten Kündigung. Hierzu hat der EuGH in seinem Urteil vom 11.7.2006[3] die Auffassung vertreten, dass Krankheit als solche nicht als ein weiterer Grund neben denen angesehen werden kann, derentwegen Personen zu diskriminieren nach der Rahmenrichtlinie (2000/78/EG) verboten ist.[4] Eine Krankheit kann nicht generell mit einer Behinderung gleichgesetzt werden[5]; einige – insbesondere chronische – Krankheiten können aber gleichzeitig eine Behinderung i. S. d. AGG sein.[6] Eine krankheitsbedingte Kündigung als solche knüpft nicht an ein Diskriminierungsmerkmal an. Allerdings können die Kündigungsmotivation oder die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Erklärung und einer Behinderung sein. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber die Fehlzeiten des Arbeitnehmers als Anlass für eine Kündigung genommen hat, lässt nicht die Vermutung zu, er hätte bei nicht behinderten Arbeitnehmern von einer Kündigung abgesehen.

Den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind nach § 2 Abs. 3 SGB IX Personen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30. Sie sollen auf ihren Antrag hin von der Agentur für Arbeit den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne diese Hilfe einen geeigneten Arbeitsplatz i. S. d. § 156 Abs. 1 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können (materielle Schutzbedürftigkeit). Die Bewilligung der Gleichstellung erfolgt nach § 151 Abs. 2 SGB IX rückwirkend mit dem Tag des Eingangs des Antrags. Sie kann zeitlich befristet werden. Die rechtskräftige Gleichstellung führt nach § 151 Abs. 3 SGB IX dazu, dass den Behinderten weitgehend die gleichen Rechte zustehen wie schwerbehinderten Menschen. Insbesondere genießt der Gleichgestellte den Sonderkündigungsschutz, wenn die rechtskräftige Gleichstellung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorgelegen hat oder er rechtzeitig vor dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung einen Gleichstellungsantrag gestellt hatte und diesem später durch das Arbeitsamt rückwirkend stattgegeben wurde. Der Gleichgestellte hat allerdings keinen Anspruch auf den zusätzlichen Urlaub nach § 208 SGB IX oder auf die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr (§ 228 SGB IX und ff.).

Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden nach § 151 Abs. 4 SGB IX[7] auch behinderte Jugendliche und junge Erwachsene während ihrer Zeit der Berufsausbildung. Dies gilt auch, wenn der GdB weniger als 30 beträgt oder gar nicht festgestellt wurde. Der Nachweis der Behinderung erfolgt durch eine Stellungnahme der Agentur für Arbeit. Die besonderen Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen sind aber nicht abzuwenden, insbesondere nicht die arbeitsrechtlichen Vorschriften. Die Bedeutung der Änderung liegt darin, dass nun auch dieser Personenkreis besonders gefördert werden kann.

[2] EuGH, Urteil v. 11.4.2013, C-335/11 u. a. – (Ring); EuGH, Urteil v. 4.7.2...

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