Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagefrist. Schwangerschaft. Fristablauf. Nachträgliche Klagzulassung. Überlegungszeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erlangt eine Arbeitnehmerin erst nach Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung von ihrer Schwangerschaft Kenntnis, ist § 4 Satz 4 KSchG nicht anzuwenden.

2. Erfährt eine Arbeitnehmerin nach Erhalt einer Kündigung ohne von ihr zu vertretenden Grund erst kurz vor Ablauf der Klagefrist von ihrer Schwangerschaft, muss ihr eine Überlegungszeit von 3 Werktagen zugebilligt werden, um abzuwägen, ob sie angesichts der für sie neuen Situation und des nun entstandenen Sonderkündigungsschutzes Kündigungsschutzklage erheben will.

Sie ist nicht verpflichtet, innerhalb der verbleibenden Restzeit der noch laufenden Klagefrist von 1 bis 1½ Tagen sich ihre neue rechtliche Situation zu vergegenwärtigen und die Kündigungsschutzklage – ggf. auch nur vorsorglich zur Wahrung der Klagefrist – einzureichen.

Versäumt sie durch die Inanspruchnahme dieser Überlegungszeit die dreiwöchige Klagefrist des § 4 S.1 KSchG, ist die Klage auf ihren Antrag hin im Regelfall nachträglich zuzulassen, soweit Klage und Zulassungsantrag nach Ablauf von drei Werktagen eingereicht wurden.

 

Normenkette

KSchG § 4 Sätze 1, 4, § 5 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Beschluss vom 14.03.2008; Aktenzeichen 4 Ca 50/08)

ArbG Lübeck (Beschluss vom 14.02.2008; Aktenzeichen 4 Ca 50/08)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 14.3.2008 – 4 Ca 50/08 – aufgehoben.

Die Kündigungsschutzklage wird nachträglich zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien streiten über die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage der schwangeren Klägerin nach § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG.

Die Klägerin ist seit dem 16.10.2006 als Mitarbeiterin im …labor der Beklagten beschäftigt. Das KSchG findet aufgrund der Betriebsgröße auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 14.12.2007 betriebsbedingt fristgemäß zum 15.1.2008. Das Schreiben wurde der Klägerin an diesem Tage ausgehändigt. Die Klagefrist lief daher ab am Freitag, dem 4.1.2008.

Die Klägerin hatte zunächst nicht beabsichtigt, gegen die Kündigung zu klagen. Ausweislich einer zur Akte gereichten ärztlichen Bescheinigung wurde bei ihr dann am 3.1.2008 eine Schwangerschaft in der sechsten Schwangerschaftswoche festgestellt. Am Wochenende 5./6. Januar 2008 erfuhr die Klägerin nach eigenem Vorbringen vom möglichen Sonderkündigungsschutz infolge ihrer Schwangerschaft. Am Montag, dem 7.1.2008 suchte sie daraufhin Rechtsrat bei ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten. Dieser reichte noch am gleichen Tage Kündigungsschutzklage, einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG und einen Prozesskostenhilfeantrag ein. Ebenso informierte er mit Fax vom 7.1.2008 die Beklagte von der festgestellten Schwangerschaft.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe keinerlei Schwangerschaftssymptome gehabt und normalerweise ihre Regelblutung am 31.12.2007 bekommen müssen. Wegen akuter Bauchschmerzen habe sie am 3. Januar 2008 kurzfristig noch für den gleichen Tag einen Untersuchungstermin vereinbart, bei dem dann die Schwangerschaft festgestellt worden sei. Die Richtigkeit dieser Behauptung hat die Klägerin an Eides statt versichert (Bl. 7 d.A.). Die Beklagte hat beantragt, die Klage und den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage abzuweisen. Die Klägerin habe noch innerhalb der 3-Wochenfrist des § 4 KSchG von der Schwangerschaft erfahren und daher Klage erheben können. Sie habe ggf. unmittelbar am 3./4. Januar 2008 Rechtsrat einholen müssen. Dass dieses erst nach dem Wochenende geschehen sei, müsse sie sich als Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten in eigenen Angelegenheiten zurechnen lassen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage der schwangeren Klägerin zurückgewiesen. Das geschah im Wesentlichen mit der Begründung, die Klägerin habe auch nach Feststellung ihrer Schwangerschaft noch die Möglichkeit gehabt, die Kündigungsschutzklage innerhalb der Klagefrist zu erheben. Dass die Frist trotz Kenntnis der Schwangerschaft verstrichen sei, beruhe auf ihrer ursprünglich falschen Rechtseinschätzung und nicht darauf, dass eine Überlegungszeit erforderlich gewesen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 14.2.2008 verwiesen. Gegen diesen der Klägerin am 20.2.2008 zugestellten Beschluss legte die Klägerin am 4.3.2008 sofortige Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht jedoch nicht abgeholfen hat.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist statthaft und zulässig. Sie ist zudem begründet. Die Klage war nachträglich zuzulassen.

1. Die Klägerin hat die dreiwöchige Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG versäumt. Das Kündigungsschreiben vom 14.12.2007 ist ihr am gleichen Tag zugegangen. Die dreiwöchige Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG lief daher am Freitag, dem 4.1.2008 ab. Die Klägeri...

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