Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen: 6 AZR 633/01

 

Leitsatz (amtlich)

Eine mittelbare Diskriminierung: wegen des Geschlechts folgt nicht bereits daraus, dass unter den von einer Rechtsnorm nachteilig Betroffenen erheblich mehr Angehörige eines Geschlechts sind. Hinzu kommen muss, dass zugleich das zahlenmäßige Verhältnis der Geschlechter unter den von dieser Rechtsnorm Begünstigten wesentlich anders ist. Abzustellen ist darauf, wie hoch die statistische Wahrscheinlichkeit für Frauen einerseits sowie für Männer anderseits ist, zu der benachteiligten Gruppe zu gehören.

Eine signifikante Abweichung kann erst dann angenommen werden, wenn die Wahrscheinlichkeit, zu der benachteiligten Gruppe zu gehören, jedenfalls nicht weniger als doppelt so hoch ist wie bei dem jeweils anderen Geschlecht.

 

Normenkette

EGVtr Art. 141; BAT § 29

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Entscheidung vom 16.03.2000; Aktenzeichen 3 Ca 338/99 Ö)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 03.04.2003; Aktenzeichen 6 AZR 633/01)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 16.03.2000 – 3 Ca 338/99 Ö – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Feststellung, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihm aufgrund eines aus Artikel 141 EG-Vertrag resultierenden Anspruchs auf Gleichbehandlung gegenüber entsprechenden Beamten einen erhöhten monatlichen Ortszuschlag zu gewähren.

Der im Jahr 1953 geborene Kläger ist seit dem 31.08.1989 bei dem beklagten Land als Lehrkraft im Angestellten Verhältnis an den Berufsbildenden Schulen in H. beschäftigt. Eine Aufnahme in das Beamtenverhältnis scheiterte, weil der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllte. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme sowie aufgrund beiderseitiger Tarifbindung die Bestimmungen des BAT Anwendung. Der Kläger, dessen Ehefrau nicht im öffentlichen Dienst tätig ist, erhält für seine drei unterhaltsberechtigten Kinder einen kinderbezogenen Anteil am Ortszuschlag in Höhe von jeweils 162,36 DM pro Kind. Beamte nach Besoldungsgruppe A 13 BBesO erhalten, wenn sie für drei Kinder unterhaltsverpflichtet sind, für das 3. Kind einen Familienzuschlag in Höhe von 214,96 DM.

Mit Schreiben vom 13.04.1999 beantragte der Kläger gegenüber dem beklagten Land die Erhöhung des Ortszuschlages gemäß den Regelungen für Beamte mit drei oder mehr Kindern. Das beklagte Land wies dieses Begehren mit Schreiben des Niedersächsischen Landesamtes für Bezüge und Versorgung vom 21.04.1999 zurück.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten: Die derzeitige Regelung im Bundesangestelltentarifvertrag verstoße gegen Artikel 141 des EG-Vertrages, sie enthalte im Hinblick auf die Berücksichtigung des 3. Kindes beim Ortszuschlag eine mittelbare Frauendiskriminierung. Nach der Rechtsprechung des EuGH seien Beamte genauso wie BAT-Angestellte als Arbeitnehmer anzusehen. Angestellte, die die gleiche Arbeit verrichteten wie Beamte, seien mit diesen vergleichbar. Insoweit sei die isolierte Betrachtung des Orts-/Familienzuschlages geboten, und zwar deshalb, weil die Tarifvertragsparteien ganz bewusst das Orts zuschlagsrecht im übrigen unverändert aus dem Beamtenrecht übernommen hätten. In der benachteiligten Gruppe der Angestellten sei der Frauenanteil signifikant hoch. Bei den Beamten habe der Frauenanteil im niedersächsischen Landesdienst 40,05 % betragen, bei den Angestellten dagegen 58,4 %.

Der Kläger hat beantragt,

es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger, beginnend ab dem 01.04.1999, einen zusätzlichen monatlichen Ortszuschlag in Höhe von 252,60 DM brutto zu gewähren.

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land die Ansicht vertreten, es sei kein Rechtsgrundsatz ersichtlich, der es den Tarifvertragsparteien gebiete, eine Gleichstellung aller Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes vorzunehmen. Ein derartiger Automatismus würde auch dem grundrechtlichen geschützten Bereich der Tarifautonomie nicht gerecht. Die Ungleichbehandlung von Beamten und Angestellten geschehe nicht willkürlich, sondern sei durch einen sachbezogenen und vertretbar erscheinenden Differenzierungsgrund gerechtfertigt. Unterschiede ergäben sich aufgrund der verschieden gestalteten Bindung der Angestellten sowie der Beamten an Staat und Kommunen.

Durch Urteil vom 16.03.2000 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 9.093,60 DM festgesetzt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 39 bis 62 d.A.) Bezug genommen.

Das Urteil ist dem Kläger am 26.05.2000 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 31.05.2000 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 31.07.2000 am 19.07.2000 begründet.

Der Kläger ist der Ansicht, bei der Bildung von Vergleichsgruppen seien insgesamt die bei dem beklagten Land beschäftigte...

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