Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat bei der Stufenzuordnung im Entgeltsystem des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L)

 

Leitsatz (amtlich)

Art. 45 AEUV erfasst grundsätzlich nur die Fälle, die tatsächlich und nicht nur hypothetisch einen relevanten Auslandsbezug aufweisen. Es verstößt nicht gegen die unionsrechtlichen Freizügigkeitsvorschriften in Art. 45 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) 492/2011, dass § 16 Abs. 2 TV L die beim selben Arbeitgeber erworbene einschlägige Berufserfahrung gegenüber entsprechenden Zeiten bei anderen Arbeitgebern auch in anderen Mitgliedstaaten privilegiert.

 

Normenkette

AEUV Art. 45 Abs. 2; EUV 492/2011 Art. 7; GG Art. 3; TV L § 16 Abs. 2 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Lüneburg (Entscheidung vom 03.12.2015; Aktenzeichen 4 Ca 150/15 E)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 29.04.2021; Aktenzeichen 6 AZR 232/17)

BAG (EuGH-Vorlage vom 18.10.2018; Aktenzeichen 6 AZR 232/17 (A))

 

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 3. Dezember 2015 - 4 Ca 150/15 E - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat bei der Stufenzuordnung im Entgeltsystem des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

Die am 00.00.1969 geborene Klägerin legte im Jahr 1988 in Deutschland die Reifeprüfung ab und begann im selben Jahr an der Universität A. ein Studium auf Lehramt Gymnasium mit den Fächern Germanistik, Französisch und Philosophie. Sie schloss ihre Ausbildung im Jahr 2000 in Frankreich mit den CAER/CAPES d‚Allemand sowie der Professeur Stagiaire ab. Diese Abschlüsse entsprechen dem deutschen ersten und zweiten Staatsexamen. Seit 1997 bis Juni 2014 war die Klägerin in Frankreich an verschiedenen Collèges-Lycée tätig und dort bis in den Klassen 6 bis 12 eingesetzt.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2012 teilte die Klägerin dem Niedersächsischen Kultusministerium mit, dass sie eine Rückkehr nach Niedersachsen plane und um Anerkennung ihres in Frankreich erworbenen Abschlusses bitte. Das Niedersächsische Kultusministerium erkannte durch Bescheid vom 8. April 2013 die in Frankreich abgeschlossene Ausbildung an und stellte fest, dass die Ausbildung einer Lehrbefähigung für das Lehramt an Realschulen in den Unterrichtsfächern Deutsch und Französisch entspreche.

Auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages trat die Klägerin mit Wirkung vom 8. September 2014 als vollbeschäftigte Lehrkraft auf unbestimmte Zeit in den niedersächsischen Schuldienst. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit dem beklagten Land findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Die Klägerin ist in Entgeltgruppe 11 eingruppiert und der Entgeltstufe 3 zugeordnet.

§ 16 TV-L regelt die Stufenzuordnung wie folgt:

Stufen der Entgelttabelle

(1) Die Entgeltgruppen 9 bis 15 umfassen fünf Stufen und die Entgeltgruppen 2 bis 8 sechs Stufen.

(2) Bei der Einstellung werden die Beschäftigten der Stufe 1 zugeordnet, sofern keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. Verfügen Beschäftigte über eine einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr aus einem vorherigen befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber, erfolgt die Stufenzuordnung unter Anrechnung der Zeiten der einschlägigen Berufserfahrung aus diesem vorherigen Arbeitsverhältnis. Ist die einschlägige Berufserfahrung von mindestens einem Jahr in einem Arbeitsverhältnis zu einem anderen Arbeitgeber erworben worden, erfolgt die Einstellung in die Stufe 2, beziehungsweise - bei Einstellung nach dem 31. Januar 2010 und Vorliegen einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens drei Jahren - in Stufe 3. Unabhängig davon kann der Arbeitgeber bei Neueinstellungen zur Deckung des Personalbedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen, wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist.

Protokollerklärungen zu § 16 Absatz 2:

1. Einschlägige Berufserfahrung ist eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit.

...

3. Ein vorheriges Arbeitsverhältnis im Sinne des Satzes 2 besteht, wenn zwischen dem Ende des vorherigen und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses ein Zeitraum von längstens sechs Monaten liegt; ...

Unter dem 20. Oktober 2014 bat die Klägerin um Überprüfung ihrer Einstufung und machte eine solche in Stufe 5 der Entgelttabelle geltend. Die niedersächsische Landesschulbehörde lehnte eine Einstufung der Klägerin in Stufe 5 mit Schreiben vom 20. November 2014 ab.

Die Klägerin hält die Privilegierung einschlägiger Berufserfahrung beim selben Arbeitgeber durch § 16 Abs. 2 TV-L unter anderem wegen der...

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