Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlöschen des Jahresurlaubs mit Ablauf des Kalenderjahres. Initiativlast des Arbeitgebers zur Urlaubnahme seiner Beschäftigten sowohl für das laufende Urlaubsjahr als auch für Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG kann der Verfall von Urlaub in der Regel nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt.

2. Diese Initiativlast des Arbeitgebers ist nicht auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 3-4; GRCh Art. 31 Abs. 2; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Entscheidung vom 11.01.2018; Aktenzeichen 7 Ca 2314/17)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 11.01.2018 - 7 Ca 2314/17 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst:

    1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 378,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2017 zu zahlen.
    2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 3.600,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2017 zu zahlen.
    3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Die Kosten der ersten Instanz haben der Beklagte zu 80 Prozent und der Kläger zu 20 Prozent zu tragen.

  • III.

    Die Kosten der Berufung haben der Beklagte zu 93 Prozent und der Kläger zu sieben Prozent zu tragen.

  • IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche im Hinblick auf Urlaub aus den Jahren 2014 bis 2016.

Der Beklagte war Inhaber einer Apotheke in M .

Der Kläger war in der Zeit vom 01.09.2012 bis zum 31.03.2017 bei dem Beklagten als Bote/Helfer auf Grundlage des Arbeitsvertrags vom 29.08.2012 (Anlage ZHS 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 16.10.2017, Blatt 32 ff. der Akte) gegen Zahlung eines Bruttomonatsgehalts in Höhe von 1.300,00 EUR bei einer durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. In dieser Funktion fuhr der Kläger für den Beklagten Medikamente aus. Diese Tätigkeit hatte der Kläger bereits jahrelang für die vormaligen Inhaber der Apotheke ausgeübt. An Samstagen lieferte die Apotheke des Beklagten keine Medikamente aus.

§ 4 des Arbeitsvertrags des Klägers lautet wie folgt:

"§ 4 Urlaub

1. Der/die Mitarbeiter/in erhält einen Jahresurlaub Ausnahme: Auf Wunsch des Mitarbeiters, Arbeitszeitverkürzung.

2. Der Urlaub ist im jeweiligen Kalenderjahr zu nehmen. Ist dies aus betrieblichen bzw. persönlichen Gründen nicht möglich, kann der Urlaubsanspruch auf das nächstfolgende Kalenderjahr übertragen werden und ist dann bis spätestens zum 31. März zu nehmen. Ist der Urlaub bis dahin, gleich aus welchen Gründen, nicht genommen, verfällt der Anspruch. Die Übertragung bedarf einer schriftlichen Vereinbarung bis zum Ende des Kalenderjahres."

§ 9 des Arbeitsvertrags lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 9 Besondere Vereinbarungen

1. [...]

2. Auf eigenem Wunsch nimmt Herr S sein Jahres Urlaub in Form vom wöchentlichen Arbeitsverkürzung. Er Arbeitet statt der bezahlten 30St/Wo 27,5St/Wo."

Gemäß § 11 des Arbeitsvertrags mit der Überschrift "Verfallfristen" sind alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Falle ihrer Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von zwei Monaten einzuklagen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Arbeitsvertrag vom 29.08.2012 Bezug genommen.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 27.09.2016 (Anlage ZHS 2 zum Schriftsatz des Beklagten vom 16.10.2017, Blatt 35 der Akte) zum 31.03.2017. Mit Schreiben vom 13.12.2016 (Anlage ZHS 3 zum Schriftsatz des Beklagten vom 16.10.2017, Blatt 36 der Akte) stellte der Beklagte den Kläger "bis zum 31.03.2017 von der Arbeit in der Apotheke bedingt frei".

Mit Schreiben vom 04.05.2017 (Anlage zur Klageschrift, Blatt 8 f. der Akte) forderte der Kläger den Beklagten unter anderem auf, den Urlaubsanspruch für die Jahre 2014 bis 2017 bis zum 15.05.2017 abzugelten. Der Beklagte lehnte dies ab.

Mit seiner am 20.07.2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger Schadensersatz für jeweils 22 Urlaubstage für die Jahre 2014, 2015 und 2016 in Höhe von 1.386,00 EUR pro Jahr sowie Abgeltung von sechs Urlaubstagen für das Jahr 2017 in Höhe von 378,00 EUR beansprucht sowie die Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses. Hinsichtlich des Zeugnisses hat der Kläger seine Klage im Rahmen des Kammertermins vom 1...

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