Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers mit der Festlegung und Gewährung des Urlaubszeitraums. Grundsätze zur analogen Gesetzesanwendung. Keine analoge Anwendung des § 9 BurlG auf angeordnete Quarantänezeiten im Urlaub

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts hat der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan. Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers.

2. Die analoge Anwendung einer Norm setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Anderenfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers als planwidrige Lücke aufgefasst und diese im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Analoge Gesetzesanwendung erfordert darüber hinaus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt.

3. Die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG sind keine verallgemeinerungsfähigen Ausnahmevorschriften. Deren entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Sachverhalte, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt danach grundsätzlich nicht in Betracht. Es liegt auch keine vergleichbare Interessenlage zwischen Arbeitsunfähigkeit und Quarantäne vor.

 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 2 S. 2; BUrlG §§ 8-10; IfSG § 30

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 05.10.2021; Aktenzeichen 6 Ca 6149/21)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 05.10.2021 - 6 Ca 6149/21 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Gutschrift von Urlaubstagen für einen Zeitraum, in dem die Klägerin sich in angeordneter Quarantäne befunden hat.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Facharbeiterin in der Endfertigung mit einem Bruttomonatsgehalt i.H.v. 1.782,89 € brutto und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 15 Stunden beschäftigt. Rechtsgrundlage der arbeitsrechtlichen Beziehungen der Parteien ist der Arbeitsvertrag vom 19.06.2019 (Anlage K1, Bl. 10 ff. d. ArbG-Akte), wonach der Klägerin ein Urlaubsanspruch von 30 Tagen zusteht.

Nach dem Auszug aus dem myHR Mitarbeiterportal war für die Zeit vom 01.04.2021 bis zum 09.04.2021 für die Klägerin Urlaub eingetragen (Anlage K2, Bl. 20 d. ArbG-Akte).

Da die Klägerin Kontakt zu einer Person mit einer COVlD-19-lnfektion hatte, musste sie sich aufgrund einer Anordnung des zuständigen Gesundheitsamtes für die Zeit vom 26.03.2021 bis zum 09.04.2021 in Quarantäne (Absonderung gemäß § 30 IfSG) begeben (Anlage K3, Bl 21 d. ArbG-Akte).

Die Klägerin hat ihre Ansprüche mit Schreiben vom 20.05.2021 der Gewerkschaft IG Metall, deren Mitglied die Klägerin ist, außergerichtlich geltend gemacht (Anlage K4, Bl. 22 d. ArbG-Akte).

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe infolge der Quarantäne-Anordnung ihren Urlaub nicht zur Erholung nutzen können. Sie hat die Auffassung vertreten, dass ihr der Urlaub entsprechend § 9 BUrlG gutgeschrieben werden müsse. Eine Analogie sei angezeigt, weil die angeordnete Quarantäne mit der Krankheit im Sinne von § 9 BUrlG vergleichbar sei. Die Klägerin hat sich insoweit insbesondere auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.11.1978 (Az.: III ZR 43/77) berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union solle der in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verankerte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglichen, sich von der Ausübung der ihnen nach dem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Urlaubskonto der Klägerin 5 Tage Resturlaub gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass § 9 BUrlG auf den vorliegenden Fall nicht entsprechend angewendet werden könne. Urlaub bedeute Freistellung von der Arbeit. Sinn und Zweck des Urlaubs sei die Erholung. Diese könne grundsätzlich auch dadurch erreicht werden, dass die arbeitsfreie Zeit zu Hause verbracht werde. Die Möglichkeit, Fernreisen oder sonstige Aktivitäten außerhalb der Wohnung entfalten zu können, sei nicht Voraussetzung für eine wirksame Urlaubsgewährung. Bei § 9 BUrlG handele es sich um eine abschließende Sonderregelung, die nicht analogiefähig sei. Die Beklagte hat sic...

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