Entscheidungsstichwort (Thema)

Risikoverteilung bei Urlaubsgewährung und Urlaubnahme. Grundsätze zur analogen Gesetzesanwendung. Quarantäneanordnung und Urlaubnahme

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts hat der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan. Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers.

2. Die analoge Anwendung einer Norm setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Anderenfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers als planwidrige Lücke aufgefasst und diese im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Analoge Gesetzesanwendung erfordert darüber hinaus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt.

3. Die Anordnung einer Quarantäne durch die zuständige Behörde hindert nicht die wirksame Urlaubnahme des Arbeitnehmers. Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG (Erkrankung während des Urlaubs) auf eine Quarantänezeit ist nicht zulässig. Eine typische Vergleichbarkeit zwischen Quarantänezeit einerseits und der nach § 9 BUrlG maßgeblichen Arbeitsunfähigkeit andererseits liegt nicht vor.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 1, §§ 8-9; BGB § 243 Abs. 2, § 275 Abs. 1, § 362

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 08.06.2021; Aktenzeichen 6 Ca 6035/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 08. Juni 2021 - 6 Ca 6035/21 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Folgen einer Quarantäneanordnung für bewilligten Urlaub.

Der Kläger ist seit dem 02. Mai 1984 bei der Beklagten als Kfz-Schlosser mit einem Monatsgehalt in Höhe von EUR 4.214,76 brutto und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt.

Auf der Jahresurlaubskarte des Klägers für 2020 war für den Zeitraum vom 28. Dezember 2020 bis zum 31. Dezember 2020 Urlaub eingetragen. Dies Karte ist vom Kläger und seinem Vorgesetzten unterzeichnet; der Urlaub wurde dem Kläger am 04. November 2020 genehmigt.

In der Zeit vom 21. Dezember 2020 bis zum 04. Januar 2021 unterlag der Kläger wegen des Kontakts zu einer Person mit einer COVlD-19-Infektion einer Quarantäne-Anordnung des zuständigen Gesundheitsamts Bremen (Bl. 50 f. der Akte des Arbeitsgerichts).

Mit E-Mail vom 15. Januar 2021 forderte der Kläger wegen der Quarantäne eine Gutschrift von vier Urlaubstagen. Die Beklagte lehnte dies ab.

Mit seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, dass er infolge der Quarantäne-Anordnung seinen Urlaub nicht zur Erholung habe nutzen können. Der für diese Zeit bewilligte Urlaub sei entsprechend § 9 BUrlG gutzuschreiben. Eine Analogie sei angezeigt, weil die angeordnete Quarantäne mit der Krankheit im Sinne von § 9 BUrlG vergleichbar sei.

Der Kläger hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers 4 Tage Resturlaub gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass § 9 BUrlG auf den vorliegenden Fall nicht entsprechend angewendet werden könne. Urlaub bedeute Freistellung von der Arbeit. Sinn und Zweck des Urlaubs sei die Erholung. Diese könne grundsätzlich auch dadurch erreicht werden, dass die arbeitsfreie Zeit zu Hause verbracht werde. Die Möglichkeit, Fernreisen oder sonstige Aktivitäten außerhalb der Wohnung entfalten zu können, sei nicht Voraussetzung für eine wirksame Urlaubsgewährung. Bei § 9 BUrlG handele es sich um eine abschließende Sonderregelung, die nicht analogiefähig sei.

Mit Urteil vom 08. Juni 2021 - 6 Ca 6035/21 - (Bl. 69 bis 78 der Akte des Arbeitsgerichts) hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Urlaubsanspruch des Klägers sei durch entsprechende Gewährung des Urlaubs für die Tage vom 28. bis 31. Dezember 2020 erfüllt worden und damit erloschen. Die Urlaubstage seien dem Kläger nicht gemäß § 9 BUrlG gutzuschreiben. Der Kläger sei im streitgegenständlichen Zeitraum nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, so dass eine unmittelbare Anwendung von § 9 BUrlG ausscheide. Die Urlaubstage seien dem Kläger auch nicht in entsprechender Anwendung von § 9 BUrlG anzurechnen. Eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG auf die behördlich angeordnete Quarantäne nach § 30 IfSG sei abzulehnen. Gegen einen Analogieschluss spreche bereits, dass es sich bei der Regelung um eine nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift handelt....

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge