Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. kein Versicherungsschutz bei Spaziergang zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit. vorstehende Bodenplatte keine besondere Betriebsgefahr

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann ein Spaziergang eines Beschäftigten während einer Arbeitspause unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung steht.

 

Orientierungssatz

1. Da eine arbeitsrechtliche (Neben-)Pflicht zu gesundheitsfördernden, der Aufrechterhaltung (oder Wiederherstellung) der Arbeitsfähigkeit dienenden Handlungen prinzipiell nicht besteht (vgl BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 5/15 R = BSGE 122, 1 = SozR 4-2700 § 2 Nr 35), scheidet eine Betriebsdienlichkeit des Spazierengehens aufgrund arbeitsvertraglicher Pflichten aus.

2. Ein Spaziergang während einer Arbeitspause steht mit der versicherten Tätigkeit nur dann in innerem Zusammenhang, wenn er aus besonderen Gründen (dh besonderer Belastungen durch die bisher verrichtete betriebliche Tätigkeit iS einer Ausnahmesituation) zur notwendigen Erholung für eine weitere betriebliche Betätigung erforderlich ist (vgl BSG vom 26.6.2001 - B 2 U 30/00 R = SozR 3-2200 § 548 Nr 43).

3. Die Grundsätze zum Unfallversicherungsschutz bei der Nahrungsaufnahme und beim Toilettengang während der Arbeitszeit sind nicht auf einen Spaziergang zu Erholungszwecken übertragbar.

4. Eine vorstehende Bodenplatte ist auch keine besondere Betriebsgefahr im Sinne des Unfallversicherungsrechts.

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Juli 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Der 1962 geborene Kläger war seit 1990 Fondsmanager bei der C. Investment GmbH, C-Stadt. Er betreute (in nicht leitender Position) drei international anlegende Aktienfonds, einen seit 1992, einen anderen seit 1994 und einen dritten seit dem Jahr 2010. Arbeitsbeginn und Arbeitsende sowie Dauer, Zeitpunkt und Häufigkeit von persönlich bedingten Arbeitsunterbrechungen/Pausen konnte er selbst bestimmen und innerhalb des Arbeitszeitrahmens von 6:00 Uhr bis 20:00 Uhr individuell gestalten, wobei die durchschnittliche Vertragsarbeitszeit 39 Stunden in der Woche betrug.

Am 1. April 2014 begab sich der Kläger mit seinem PKW gegen kurz nach 10:00 Uhr von seinem Wohnort in der A-Straße in A-Stadt auf den Weg zu seiner Arbeitsstelle in der D-Straße in D-Stadt, wo er gegen 11:15 Uhr ankam. Nachdem er dort zunächst einen Termin mit einem Unternehmensvorstand einer großen Werbeagentur wahrnahm, bearbeitete er an seinem Schreibtisch E-Mails und führte Gespräche mit Brokern. Gegen 13:25 Uhr verließ er sodann durch die Haupteingangstür das Firmengebäude, um spazieren zu gehen und “Luft zu schnappen„. Vor dem Gebäude standen andere Mitarbeiter der Firma in kleinen Gruppen auf dem Bürgersteig und unterhielten sich, wodurch der Blick des Klägers vom Boden abgelenkt wurde. Im Eingangsbereich des Gebäudes vor dem Bürgersteig stolperte er sodann über eine 2 cm vorstehende Bodenplatte, fiel zu Boden und stützte sich mit beiden Handgelenken ab.

Um 13:40 Uhr suchte er den Durchgangsarzt Dr. E. auf, bei dem er über Schmerzen im rechten Patellabereich mit Schürfwunde und Schmerzen im Rücken klagte. An den Handgelenken zeigten sich keine offenen Wunden. Festgestellt wurde eine schmerzeingeschränkte Beweglichkeit beim Beugen und Strecken der beiden Handgelenke, rechts mehr als links. Die Röntgenaufnahmen des rechten Handgelenkes zeigten keinen Hinweis auf frische knöcherne Verletzungen. Als Erstdiagnose gab Dr. E. multiple Prellungen der Handgelenke beidseits und des rechten Knies an.

Mit Bescheid vom 23. Juni 2014 lehnte die Beklagte “Ansprüche auf Entschädigungsleistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 1. April 2014„ ab, weil die Pause des Klägers ein eigenwirtschaftliches Gepräge gehabt habe, so dass sie nicht unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung stehe. Hiergegen legte der Kläger unter dem 27. Juni 2014 Widerspruch ein, den er nicht begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 19. November 2014 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass der Spaziergang nicht der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit in der Mittagspause gedient habe, sondern im Hinblick auf die an diesem Tag bereits angefallene Arbeitsbelastung ausschließlich zur unbedingt erforderlichen Regeneration erforderlich gewesen sei, um die Arbeit hiernach fortsetzen zu können. Er sei im Bankengewerbe als Angestellter mit sehr aufwändigen und geistig anstrengenden Arbeiten befasst. Am Unfalltag habe es sich nicht um eine standardisierte Pause gehandelt, sondern der betreffende Weg habe ausschließlich den Sinn gehabt, im Hinblick auf die zuvor getätigten anstrengenden Dienstgeschäfte ...

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