Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt in seiner Abwehrfunktion ein subjektiv-öffentliches Recht auf Gleichbehandlung, einen Abwehranspruch dagegen, durch eine hoheitliche Gewalt im Verhältnis zu anderen Grundrechtsträgern gleichheitswidrig behandelt zu werden. Gleichheitswidrig ist es, wenn vergleichbare Sachverhalte, Gruppen oder Personen in wesentlicher Hinsicht ungleich oder wesentlich unterschiedliche Sachverhalte, Gruppen oder Personen gleich behandelt werden. Der allgemeine Gleichheitssatz verteidigt anders als die Freiheitsrechte keinen speziellen Schutzbereich und ist ergebnisoffen. Er fordert lediglich als sog. "modales Abwehrrecht" den wertenden Vergleich zweier Sachverhalte, die sich hinsichtlich bestimmter Merkmale unterscheiden. Aussagen über Beachtung oder Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes setzen also konkrete zum Vergleich gestellte Sachverhalte voraus - bei personenbezogenen Differenzierungen ist der Begriff Vergleichsgruppenbildung gebräuchlich-, sodann die Identifizierung des Differenzierungsmerkmals und schließlich die Feststellung des mit der Ungleichbehandlung verfolgten Differenzierungszieles. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das Verhältnis von Differenzierungsmerkmal und -ziel nach Art. 3 Abs. 1 GG zu bewerten.[1] Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes liegt immer dann vor, wenn dieses Verhältnis nach einer objektiven Gesamtbetrachtung aller Umstände als nicht sachgerecht (oder "willkürlich") erscheint. Das ist weitaus schwieriger, als es zunächst den Anschein hat. In der Praxis zeigt sich, dass die (oft entscheidende Weichenstellung der) Vergleichsgruppenbildung ihrerseits wiederum das Ergebnis einer wertenden Beurteilung darstellt. Das zeigen praktische Beispiele, die sich im privaten Arbeitsrecht unter dem Stichwort "§ 242 BGB, arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz" finden lassen, sehr deutlich.

 
Praxis-Beispiel

(Nach BAG, Urt. v. 15.05.2001 - 1 AZR 672/00) Die Annahme eines Arbeitgebers, er sei auf Mitarbeiter angewiesen, die ihre berufliche Qualifikation in einem rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen System erlangt haben (Differenzierungsziel), konnte es jedenfalls im Jahr 1996 nicht mehr sachlich rechtfertigen, Arbeitnehmern, die am 2.10.1990 ihren Wohnsitz in der DDR hatten (Differenzierungsmerkmal), generell ein niedrigeres Gehalt zu zahlen als Arbeitnehmern, die in diesem Zeitpunkt in den alten Bundesländern ansässig waren. In diesem Beispiel hat das Bundesarbeitsgericht eine sachfremde Vergleichsgruppenbildung angenommen.

Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber und subsidiär auch die Rechtsprechung in seiner Schutzfunktion bei der Ausgestaltung der Privatrechtsordnung gleichheitswidrige Regelbildungen auszuschließen. In Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich aus dem allgemeinen. Gleichheitssatz die Pflicht des Staates, gravierende soziale Unterschiede soziologisch zutreffend zu erfassen und bei der Regelbildung zu berücksichtigen. Daraus allein lassen sich allerdings Individualansprüche bestimmten Inhalts nicht herleiten. Relevant wird diese Funktion von Art. 3 Abs. 1 GG erst mit Blick auf die Frage mittelbarer Diskriminierung (näher Diskriminierung von Frauen).

Seine im Arbeitsrecht wesentliche Bedeutung erlangt der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bei der privatautonomen Normsetzung. Der Gesetzgeber muss verhindern, dass zivilrechtliche Regeln gebildet und angewandt werden, die zu sachwidrigen Differenzierungen oder gar zu Diskriminierungen führen. Er darf ferner nicht zulassen, dass gleichheitswidrige Grundsätze und Vertragspraktiken mit staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Das gilt vor allem für die Ausgestaltung der Tarif- und Betriebsautonomie, aber auch bei der Ausformung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die Rechtsprechung.

[1] (ErfKo/Dietrich, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 10.

2.2.1 Art. 3 Abs. 1 GG und die Tarifvertragsparteien

Die Vereinbarung von Tarifverträgen kann nicht als Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3 GG angesehen werden.[1] Tarifverträge wirken zwar nach § 4 TVG normativ, sind jedoch nicht von staatlicher Gewalt gesetzte Normen. Die autonome Rechtssetzungsmacht der Tarifvertragsparteien ist unabhängig davon dennoch im Ergebnis an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden, obwohl eine § 75 BetrVG vergleichbare Vorschrift im TVG fehlt. Es handelt sich um eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie, die die Rechtsprechung aufgrund der Schutzfunktion des Art. 3 GG im Wege der praktischen Konkordanz der Art. 3 GG und 9 Abs. 3 GG entwickelt hat.[2] Den Tarifparteien gebührt allerdings ebenso wie dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsfreiraum und eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die sachlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Das folgt aus Art. 9 Abs. 3 GG, der Staatsferne gewährleistet und Tarifzensur verbietet. Entsprechende Zurückhaltung ist bei der gerichtlichen Kontrolle von Tarifverträgen am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Den Tarifvertragsparteien sind Differenzierungen erlaubt, die der arb...

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