Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundessozialgericht-Deutschland. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Persönlicher Geltungsbereich. Begriff des Arbeitnehmers. Familienleistungen. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und -selbständigen. Arbeitnehmer im unbezahlten Urlaub, der den deutschen Rechtsvorschriften unterliegt. Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Begriff des Arbeitnehmers für die Zwecke der Gewährung von Familienleistungen. Anwendung der Kriterien in Artikel 1 Buchstabe a und in Anhang I der Verordnung Nr. 1408/71. Wirkungen. Ablehnung der Gewährung von Leistungen nach den nationalen Rechtsvorschriften. Zulässigkeit. Anhang I. Keine Vertragsverletzung. Freizuegigkeit. Arbeitnehmer. Gleichbehandlung. Soziale Vergünstigungen. Familienbeihilfen. Wohnortvoraussetzungen für unterhaltsberechtigte Kinder. Unzulässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Person, die in Deutschland wohnt und arbeitet, während ihre Kinder in einem anderen Mitgliedstaaten wohnen, und die im Einverständnis mit ihrem Arbeitgeber unbezahlten Urlaub genommen hat, fällt unter den Begriff „Arbeitnehmer” im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71, soweit sie gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

Jedoch ist Arbeitnehmer für die Zwecke der Gewährung von Familienleistungen nach deutschem Recht gemäß Artikel 73 der Verordnung nur, wer der Definition des Artikels 1 Buchstabe a Ziffer ii in Verbindung mit Anhang I Abschnitt I Unterabschnitt C der Verordnung entspricht, d. h., wer in einem der in diesem Anhang genannten Systeme pflichtversichert ist. Könnte sich nämlich ein Erwerbstätiger in einer Lage, wie sie oben beschrieben wurde, auf eine der anderen Definitionen des „Arbeitnehmers” in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung berufen, um deutsche Familienleistungen zu erhalten, so hätte diese Bestimmung des Anhangs im Ergebnis keine praktische Wirksamkeit.

Anhang I Abschnitt I Unterabschnitt C der Verordnung verstösst bei dieser Auslegung gegen keine Bestimmung des Vertrages. Entspricht nämlich ein Arbeitnehmer, der sich in der beschriebenen Lage befindet, nicht der Definition der erwähnten Bestimmungen in Verbindung miteinander, und wird er insbesondere nicht vom Anhang erfasst, so hängt die Frage der Gewährung der Familienleistungen von der Anwendung der nationalen Regelung und nicht von derjenigen des Anhangs ab.

Im übrigen verleiht Artikel 73 der Verordnung nicht selbst einen Anspruch auf solche Leistungen, sondern er soll insbesondere verhindern, daß ein Mitgliedstaat die Gewährung oder die Höhe von Familienleistungen davon abhängig macht, daß die Familienangehörigen des Erwerbstätigen im Mitgliedstaat der Leistung wohnen, und damit Erwerbstätige davon abhält, von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch zu machen.

Die Anwendung einer nationalen Regelung, nach der Arbeitnehmer, deren Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, für volle Kalendermonate im Rahmen eines längeren unbezahlten Urlaubs anders als Arbeitnehmer, deren Kinder im betreffenden Staat wohnen, keinen Anspruch auf Familienleistungen haben, verstösst gegen Artikel 48 Absatz 2 des Vertrages.

Da sich nämlich eine solche Regelung auf nichts stützen kann, was sie objektiv rechtfertigen könnte, diskriminiert sie Wanderarbeitnehmer, da meistens deren Kinder im Ausland wohnen.

 

Normenkette

EGVtr Art. 48 Abs. 2

 

Beteiligte

Pascual Merino García

Bundesanstalt für Arbeit

 

Tenor

Für die Zwecke der Gewährung von Familienleistungen nach deutschem Recht gemäß Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung Nr. 3427/89 des Rates vom 30. Oktober 1989, ist Arbeitnehmer nur, wer der Definition gemäß Artikel 1 Buchstabe a Ziffer ii in Verbindung mit Anhang I Abschnitt I Unterabschnitt C der Verordnung entspricht. Ferner hat die Prüfung der Vorlagefragen nichts ergeben, was gegen die Gültigkeit der genannten Bestimmung des Anhangs spräche. Jedoch verstösst die Anwendung einer nationalen Regelung, nach der Arbeitnehmer, deren Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, für volle Kalendermonate im Rahmen eines längeren unbezahlten Urlaubs anders als Arbeitnehmer, deren Kinder im betreffenden Staat wohnen, keinen Anspruch auf Familienleistungen haben, gegen Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag.

 

Gründe

1 Das Bundessozialgericht hat mit Beschluß vom 20. Juni 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 8. August 1995, Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit des Anhangs I Abschnitt I Unterabschnitt C der Verordnung (EWG) Nr...

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