Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsrechtliche Prüfung des Zulassungsausschlusses bei Vollendung des 55. Lebensjahres

 

Orientierungssatz

Ist Art 19 Nr 12 des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20.12.1988, der den § 25 der Zulassungsverordnung für Kassenzahnärzte (Zahnärzte-ZV) einfügt, nach dem die Zulassung eines Zahnarztes ausgeschlossen ist, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, iVm § 98 Abs 2 Nr 12 SGB 5, ebenfalls in der Fassung durch das GRG, der für die Zahnärzte-ZV eine solche Regelung verbindlich vorschreibt, hinsichtlich der festgelegten Altersgrenze verfassungswidrig? (Vorlagebeschluß aufgehoben durch Beschluß vom 8.5.1996 - S 6 (Ka) 1/94)

 

Normenkette

SGB 5 § 98 Abs 2 Nr 12 Fassung: 1988-12-20; GRG Art 19 Nr 12 Fassung: 1988-12-20; Zahnärzte-ZV § 25 Fassung: 1988-12-20; GG Art 12 Abs 1 Fassung: 1968-06-24

 

Tatbestand

Der 1924 geborene Kläger ist britischer Staatsangehöriger. Nach Ablegung des zahnmedizinischen Staatsexamens in Großbritannien war er von 1953 bis 1954 bei verschiedenen Zahnärzten in Großbritannien angestellt. Anschließend arbeitete er bis zum Jahre 1979 als Militärzahnarzt. Danach war er nacheinander bei zwei Gesundheitsämtern in Großbritannien tätig. Aus der letzten Beschäftigung schied er 1988 kurz vor Vollendung des 64. Lebensjahres vorzeitig gegen seinen Willen mit einer Abfindung aus. Seitdem bezieht er eine Altersversorgung. Im Mai 1988 erhielt der Kläger die deutsche Approbation als Zahnarzt, im Mai 1989 wurde er in das Zahnarztregister eingetragen. Den Antrag des Klägers auf Zulassung zur kassenzahnärztlichen Versorgung lehnten die Zulassungsinstanzen mit der Begründung ab, daß er das 55. Lebensjahr überschritten habe und eine unbillige Härte im Hinblick auf seine vorhandene Altersversorgung nicht gegeben sei (Bescheid des Zulassungsausschusses vom 7. Juni 1989; Bescheid des beklagten Berufungsausschusses vom 12. Oktober 1989). Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, daß die im Gesetz vorgesehene Altersgrenze gegen europäisches Gemeinschaftsrecht und gegen Art 12 Abs 1 GG verstoße. Klage (Urteil des Sozialgerichts <SG> vom 26. März 1991) und Berufung (Urteil des Landessozialgerichts <LSG> vom 20. Mai 1992) blieben erfolglos. Nach Auffassung der Vorinstanzen verstoßen die gesetzlichen Regelungen weder gegen EG-Recht noch gegen das GG. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger könne sich nicht auf Art 52 des EWG-Vertrages (EWGVtr) berufen, da dieser iVm Art 7 EWGVtr bei der Niederlassung lediglich ein Diskriminierungsverbot von EG-Ausländern gegenüber Inländern begründe. Der Kläger werde aber im Vergleich zu deutschen Staatsangehörigen nicht benachteiligt, weil diese von der Altersgrenze in gleicher Weise betroffen seien. Selbst wenn man Art 52 EWGVtr über seinen Wortlaut hinaus nicht nur als Diskriminierungsverbot, sondern als grundrechtsähnliches Recht verstehe, sei die gesetzlich geregelte Altersgrenze eine auch nach Gemeinschaftsrecht zulässige Zulassungsbeschränkung, weil sie öffentlichen Interessen diene und verhältnismäßig sei. Die Niederlassungsfreiheit könne dem EG-Bürger keine stärkere Rechtsposition geben, als sie einem Deutschen aus Art 12 Abs 1 GG erwachse. Gemessen an dieser Grundrechtsnorm sei die Zulassungsbeschränkung ebenfalls nicht zu beanstanden, weil sie dem Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung vor einer Gefährdung durch unwirtschaftlich handelnde Ärzte diene. Bei erstmaliger Zulassung eines Arztes jenseits des 55. Lebensjahres bestehe die Gefahr, daß er versucht sei, seine Praxisinvestitionen binnen der ihm verbleibenden Zeit der Berufsausübung nach Möglichkeit zu amortisieren, was nur durch eine unnötige Leistungsausweitung zu erreichen sei. Es entspreche auch gerichtlicher Erfahrung, daß solche Ärzte zu unwirtschaftlicher Behandlungsweise und sogar zu nicht korrekter Abrechnung erbrachter oder nicht erbrachter Leistungen neigten. Dieser Gefahr könne nicht mit anderen Mitteln als einer Zulassungsbeschränkung begegnet werden; eine Kontrolle der Abrechnung und die üblichen Wirtschaftlichkeitsprüfungen reichten dazu nicht aus. Die festgesetzte Altersgrenze sei auch verhältnismäßig, weil sie nur solche Ärzte betreffe, die den größten Teil des normalen Berufslebens bereits hinter sich hätten. Ein Härtefall sei der Kläger nicht, weil er bislang nicht als niedergelassener Arzt tätig gewesen sei und über eine ausreichende Altersversorgung verfüge.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der Art 52 und 53 EWGVtr iVm Art 20 der EG-Richtlinie Nr 78/686 vom 25. Juli 1978 (ABl Nr L 233/1) sowie der Art 12 und 3 GG. Nach seiner Auffassung ergibt sich aus der genannten Richtlinie iVm dem EWGVtr, daß nach Ablauf der Übergangszeit Zulassungsbeschränkungen für EG-Ausländer selbst dann nicht mehr zulässig seien, wenn sie für deutsche Staatsangehörige gelten würden. Von EG-Ausländern dürfe zB nicht die Ableistung einer Vorbereitungszeit als Voraussetzung für die Kassenzulassung verlangt werden, selbst wenn dies bei Inländern der Fall wäre. Die Altersbegrenzung verstoße aber auch, soweit sie deutsche Staatsangehörige betreffe, gegen Art 12 und 3 GG. Sie sei zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter weder geeignet noch erforderlich. Die vom Gesetzgeber angeführte Begründung, daß Ärzte jenseits des 55. Lebensjahres versucht sein könnten, die Amortisation ihrer Praxisinvestitionen durch gesteigerte und unwirtschaftliche Tätigkeit zu erreichen, sei durch keine gesicherten Erkenntnisse zu belegen. Auch das LSG habe eine diesbezügliche richterliche Erfahrung nicht näher dargelegt. Der grundsätzliche Ausschluß von Zahnärzten nach Vollendung des 55. Lebensjahres könne selbst dann nicht als geeignetes Mittel zum Schutz der Krankenversicherung vor unnötigen Kostenbelastungen angesehen werden, wenn die Befürchtung des Gesetzgebers zuträfe. Dafür seien die auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren vorgesehen und auch tauglich. Die Einführung einer Altersgrenze von 55 Jahren stelle eine willkürliche Benachteiligung von älteren gegenüber jüngeren Ärzten dar.

Der Kläger beantragt,

die angefochtenen Urteile zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, ihn, den Kläger, als Vertragszahnarzt in Marsberg zuzulassen.

Der Beklagte und die Beigeladenen beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Rechtsstreit ist gemäß Art 100 Abs 1 GG auszusetzen, und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist die Rechtsfrage zur Entscheidung vorzulegen, ob die in Art 19 Nr 12 GRG (iVm § 25 Zahnärzte-ZV und § 98 Abs 2 Nr 12 SGB V) vorgesehene Altersgrenze für die erstmalige Kassenzulassung gegen das GG verstößt. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die Verfassungsmäßigkeit der genannten Normen an. Wenn diese vom BVerfG entsprechend der Rechtsauffassung des Senats für verfassungswidrig erklärt werden, ist der Kläger als Kassen- bzw Vertragszahnarzt (vgl die terminologische Änderung des § 98 SGB V durch das Gesundheitsstrukturgesetz <GSG> vom 29. Dezember 1992 - BGBl I, 2266) zuzulassen. Erklärt das BVerfG die Regelung für verfassungsgemäß, hängt die Zulassung des Klägers allein noch davon ab, ob die Altersgrenze mit EG-Recht vereinbar ist. Dazu wäre zum Zeitpunkt des jetzigen Verfahrensstandes gemäß Art 177 Abs 3 EWGVtr noch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) einzuholen. Eine bestimmte Reihenfolge der Vorlagen ist gesetzlich nicht vorgeschrieben und wird - soweit ersichtlich - auch in der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG, 2. Senat, 2. Kammer vom 22. Dezember 1992 - 2 BvR 557/88 -) nicht verlangt (vgl dazu Feige, AÖR Bd 100, S 530, 558 f; Reiter, ZfSH/SGB, 1990, S 10, 19 f). In der Entscheidung BVerfGE 85, 191 (Leitsatz 1) hat das BVerfG die Zulässigkeit einer Richtervorlage nur für den Fall verneint, daß die Nichtanwendbarkeit einer Norm wegen Verstoßes gegen EG-Recht bereits feststeht. Hier ist dies aber zweifelhaft. Der EuGH stellt die Reihenfolge der Vorlagen dem vorlegenden Gericht frei (Urteil vom 28. Juni 1991 - RsC 348/89, NwVZ 1993, 461). Der Senat hält die Klärung der innerstaatlichen Rechtslage für vorrangig und holt deshalb zunächst die Entscheidung des BVerfG zu der eingangs formulierten Rechtsfrage ein.

Als EG-Ausländer hätte der Kläger wie ein deutscher Staatsangehöriger einen Rechtsanspruch auf die Kassenzulassung, wenn der grundsätzliche Ausschluß von Ärzten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, gegen das GG verstößt. Als Ausländer kann der Kläger sich zwar nicht unmittelbar auf Art 12 Abs 1 GG berufen, weil dieses Grundrecht nach dem Wortlaut der Norm nur Deutsche schützt. Art 52 EWGVtr gibt ihm aber das Recht, nach dem inzwischen längst erfolgten Ablauf der Übergangszeit (Art 8 EWGVtr) eine selbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen und auszuüben "nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen". Die für Inländer geltenden Zulassungsvoraussetzungen erfüllt der Kläger nach den Feststellungen der Tatsacheninstanz im übrigen. Er ist als Zahnarzt im Zahnarztregister eingetragen (§ 95 Abs 2 Satz 1 SGB V), hat an einem Einführungslehrgang teilgenommen (§ 17 Zahnärzte-ZV) und hat den erforderlichen Antrag gestellt (§ 18 Zahnärzte-ZV). Seine fachliche Eignung ist durch die Erteilung der deutschen Approbation nachgewiesen. Sonstige Umstände, die seine Eignung in Frage stellen könnten, sind bis zum Abschluß der Tatsacheninstanz nicht bekanntgeworden.

Gemäß § 25 Satz 1 Zahnärzte-ZV, der durch das GRG eingeführt worden ist (Art 19 Nr 12 des Gesetzes), ist die Zulassung eines Zahnarztes, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, ausgeschlossen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann der Zulassungsausschuß von Satz 1 in Ausnahmefällen abweichen, wenn dies zur Vermeidung von unbilligen Härten erforderlich ist. Von dieser Ausnahmeregelung haben die Zulassungsinstanzen zu Recht keinen Gebrauch gemacht. Es ist nicht zu erkennen, daß sie den unbestimmten Rechtsbegriff der "unbilligen Härte" (zu ähnlichen Vorschriften vgl BSGE 36, 143 = SozR Nr 9 zu § 89 BVG; BVerwGE 41, 26, 30; BSGE 43, 153, 157 = SozR 4100 § 16 Nr 2; BSGE 47, 123, 124 ff = BSG SozR 3100 § 89 Nr 7; BVerfG vom 9. Februar 1982 - 2 BvL 6/78 und 8/79 - BVerfGE 60, 16 = SozR 3100 § 89 Nr 10) zu eng ausgelegt haben. Auch bei verfassungskonformer, zu Gunsten der Berufsfreiheit weiter Auslegung fällt der Kläger nicht unter die Härteklausel, wie sich aus Wortlaut und Sinn der Norm ergibt.

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs, identisch mit dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum GRG (BT-Drucks 11/2237 S 195 zu § 106 Abs 2) dient die Altersgrenze dazu, den "Zustrom" von Ärzten, die das 55. Lebensjahr bereits vollendet haben, wegen der Gefährdung der Wirtschaftlichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterbinden. Es sei zu befürchten, daß Ärzte, die die kassenärztliche Tätigkeit nur während einer relativ kurzen Zeit ausüben können, die Amortisation ihrer Praxisinvestitionen durch gesteigerte und unwirtschaftliche Tätigkeit zu erreichen versuchen. Der angesprochene Personenkreis habe ein abgeschlossenes vollständiges Berufsleben hinter sich, so daß ein Bedürfnis für die Kassenzulassung in diesem Alter, von Ausnahmen abgesehen, nicht bestehe. Der Rechtsausschuß des Bundestages hat dagegen - einstimmig - verfassungsrechtliche Bedenken erhoben (BT-Drucks 11/3480 S 14, Antrag Nr 5). Der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) ist diesen Bedenken nicht gefolgt (BT-Drucks 11/3480 S 39): "Wo ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse an der Teilnahme besteht (bei Aussiedlern und Ärzten aus der DDR, aber auch, wenn Ärzte aus dem Krankenhaus ausscheiden müssen) bleibt die Möglichkeit der Zulassung aufgrund einer Härteklausel erhalten." Der Regierungsentwurf ist danach unverändert als Gesetz verkündet worden.

Selbst im Hinblick auf die vom Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung erwähnten Ärzte, die aus dem Krankenhaus ausscheiden müssen, ist der Kläger, der ebenfalls gegen seinen Willen aus dem englischen Gesundheitsdienst ausgeschieden ist, nicht unter die Härteklausel einzuordnen. Dies könnte nicht geschehen, ohne gegen den Wortsinn der Vorschrift und den gesetzgeberischen Willen zu verstoßen, nur in "Ausnahmefällen" eine Zulassung jenseits des 55. Lebensjahres zu ermöglichen. In der Bandbreite denkbarer Lebenssachverhalte ist der Fall des Klägers zwar - insbesondere wegen seines Auslandsbezugs - ein Sonderfall; bei wertender Betrachtungsweise ist er aber dem Fall gleichzustellen, daß ein kurz vor der Vollendung des 64. Lebensjahres stehender Arzt aus dem deutschen öffentlichen Dienst oder dem Krankenhaus mit einer ausreichenden Altersversorgung ausscheidet. Dies wäre kein Fall, den der 11. Ausschuß bei der Erwähnung der Ärzte, die aus dem Krankenhaus ausscheiden müssen, für die Anwendung der Härteklausel im Auge gehabt haben kann. Denn daß Ärzte spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Krankenhaus oder dem öffentlichen Dienst ausscheiden müssen und anschließend Ruhestandsbezüge erhalten, entspricht der Regel. Im Hinblick auf die im Gesetzesentwurf begründete Annahme, daß bereits nach dem 55. Lebensjahr von einem im wesentlichen abgeschlossenen Berufsleben auszugehen sei, so daß kein Bedürfnis für eine Kassenzulassung mehr bestehe, können mit den aus dem Krankenhaus ausscheidenden Ärzten nur solche gemeint sein, die aus wirtschaftlichen Gründen weiterhin auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen sind. Der Kläger ist wie ein deutscher Arzt, der aus dem Krankenhaus oder dem öffentlichen Dienst aus Altersgründen ausscheidet, aus wirtschaftlichen Gründen auf die weitere Ausübung seines Arztberufes nicht angewiesen. Er kann für seine Zulassung als Vertragsarzt nur seinen Wunsch anführen, anstelle des Ruhestandes weiterhin freiberuflich als Arzt mit Kassenzulassung tätig zu sein. Dieser Wunsch allein kann nicht schon deshalb beachtlich sein, weil der Kläger noch vor Erreichen der in Deutschland gültigen gesetzlichen Altersgrenze von 65 Jahren ausscheiden mußte. Mit der Festlegung der Zulassungsgrenze bei Vollendung des 55. Lebensjahres hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß er bereits von diesem Alter an den bloßen Wunsch, als freiberuflicher Arzt mit Kassenzulassung tätig zu werden, für eine Zulassung nicht ausreichen lassen wollte.

Wegen der unterhalb des 60. Lebensjahres wohl häufiger nicht vorhandenen hinreichenden wirtschaftlichen Absicherung wird in der Praxis möglicherweise öfter ein Härtefall angenommen werden müssen, als es der Gesetzgeber vorausgesehen hat. Das hindert eine weite Auslegung nicht. Die Grenzen möglicher Auslegung wären aber überschritten, wenn aus dem Ausnahmetatbestand die Regel würde; das wäre schon der Fall, wenn alle vor Vollendung des 65. Lebensjahres aus einer unselbständigen Beschäftigung ausgeschiedenen Ärzte ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage noch zugelassen werden müßten. Vom Ausschluß wären dann nur noch Ärzte jenseits des 65. Lebensjahres betroffen, bei denen mit zunehmendem Alter ohnehin ein abnehmendes Interesse an einer Kassenpraxis unterstellt werden kann. Hätte der Gesetzgeber nur diesen Personenkreis ausschließen wollen, hätte er die Altersgrenze nicht schon bei 55 Jahren festgelegt (zum Sinngehalt der Norm als Grenze verfassungskonformer Auslegung vgl BVerfGE 8, 28, 34; 72, 278, 295). Der Fall, daß sich das Regel-Ausnahme-Verhältnis durch Änderung der tatsächlichen Verhältnisse seit dem Inkrafttreten des Gesetzes geändert hat (vgl hierzu BVerfGE 85, 329, 335) liegt hier nicht vor.

Der vorlegende Senat hält die Einführung einer Altersgrenze von 55 Jahren für die erstmalige Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung mit Art 12 GG nicht für vereinbar. Er kann aber § 25 Satz 1 Zahnärzte-ZV wegen dieses Verstoßes nicht für nichtig erklären und den Beklagten zur Zulassung verurteilen, ohne gegen das Verwerfungsmonopol des BVerfG zu verstoßen. Dem Standort nach handelt es sich bei der genannten Vorschrift zwar um Verordnungsrecht, das die Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG grundsätzlich nicht auslöst (BVerfGE 52, 1, 17). Entscheidend ist aber nicht der Ort der Vorschrift, sondern die Rechtsquelle (Herzog in Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art 100 RdNr 9; Schmidt-Bleibtreu in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, 7. Aufl 1990 Art 100 RdNr 4). Die hier streitige Vorschrift ist durch förmliches Gesetz in die Verordnung eingefügt worden. Die Vorlagepflicht entfällt auch nicht dadurch, daß der Gesetzgeber in Art 55 GRG unter der Überschrift "Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang" die Ermächtigung erteilt hat, die gesetzlich geregelten Vorschriften durch Verordnung wieder zu ändern. Solche Änderungen sind bislang nicht erfolgt. Davon abgesehen könnte auch der Verordnungsgeber den in § 25 Satz 1 Zahnärzte-ZV enthaltenen Grundsatz, daß eine Kassenzulassung nach dem 55. Lebensjahr ausgeschlossen ist, aufgrund der zwingenden Vorgabe durch § 98 Abs 2 Nr 12 SGB V, der die Ermächtigungsgrundlage enthält, nicht antasten. Nach dieser Vorschrift müssen die Zulassungsverordnungen Vorschriften enthalten "über den Ausschluß einer Zulassung oder Ermächtigung von Ärzten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, sowie die Voraussetzungen für Ausnahmen von diesem Grundsatz, soweit die Ermächtigung zur Sicherstellung erforderlich ist, und in Härtefällen". Nach § 72 Abs 1 Satz 2 SGB V gilt dies sinngemäß auch für Zahnärzte.

Die Altersgrenze von 55 Jahren verletzt das Grundrecht der Berufsfreiheit. Nach Art 12 Abs 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Gemäß Satz 2 dieses Verfassungsartikels kann die "Berufsausübung" durch Gesetz geregelt werden. Die Freiheit der Berufswahl und die der Berufsausübung sind Elemente des einen, von Art 12 Abs 1 GG gewährleisteten Grundrechts der Berufsfreiheit. Der Regelungsvorbehalt des Art 12 Abs 1 Satz 2 GG bezieht sich dem Grunde nach auf beide Elemente dieser Berufsfreiheit (BVerfGE 7, 377, 400). Nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit als einer allgemeinen rechtsstaatlichen Eingriffsschranke ist aber der Regelungsspielraum des einfachen Gesetzgebers unterschiedlich weit. Der Gesetzgeber ist um so freier, je mehr er sich auf reine Berufsausübungsregelungen beschränkt und um so begrenzter, je mehr er die Berufswahl, also den freien Zugang zu einem Beruf, berührt (BVerfGE 7, 377, 405). Die Berufswahlfreiheit gilt auch für denjenigen, der einen Beruf bereits ausübt oder ausgeübt hat. Sie wird nicht durch ein- oder mehrmalige Inanspruchnahme "verbraucht". In seinem Urteil vom 23. März 1960 (BVerfGE 11, 30 f = SozR Nr 15 zu § 368a RVO) hat das BVerfG festgestellt, daß grundsätzlich jeder zulassungsfähige Arzt zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung zugelassen werden müsse. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Tätigkeit als Kassenarzt nicht dem öffentlichen Dienst iS des Art 33 Abs 5 GG zuzurechnen sei und auch keinen eigenen Beruf iS des Art 12 Abs 1 GG darstelle. Es handele sich vielmehr um eine Ausübungsform des Berufs des freipraktizierenden Arztes (aA H. Bogs, Festschrift für Wannagat, S 51, 67, 71 = DOK 1983, 722, 731: Eigenständiger Beruf). Weil zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits ca 80 % der Bevölkerung gesetzlich krankenversichert waren, hat das BVerfG für einen freipraktizierenden Arzt ohne Kassenzulassung schon damals keine hinreichende wirtschaftliche Grundlage gesehen, so daß die seinerzeit zur Prüfung anstehende Zulassungsbeschränkung nach festgelegten Bedarfszahlen einer Beschränkung der Berufswahl nahekomme, die nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig sei. Eine solche Gefahr für besonders wichtige Gemeinschaftsgüter durch unbeschränkte Kassenzulassung von Ärzten hat das BVerfG seinerzeit nicht gesehen und deshalb die Zulassungsbeschränkung für verfassungswidrig erklärt. In gleicher Weise wie für die Ärzte hat es in einer späteren Entscheidung für die Zulassung von Zahnärzten entschieden (BVerfGE 12, 144 f = SozR Nr 7 zu Art 12 GG).

Gemessen an den in diesen Entscheidungen aufgestellten Kriterien hält die durch § 25 Satz 1 Zahnärzte-ZV iVm § 98 Abs 2 Nr 12 SGB V aufgestellte Höchstaltersgrenze für die erstmalige Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Seitdem ist die Entwicklung dahin gegangen, daß freipraktizierende Ärzte stärker denn je auf die Kassenzulassung angewiesen sind, weil inzwischen nach übereinstimmenden Schätzungen (BR-Drucks 232/86 vom 16. Mai 1986; BVerfGE 68, 193, 194 = SozR 5495 Art 5 Nr 1) mehr als 90 % der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Der Vertragsarzt ist andererseits durch die häufigen, vor allem zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen erfolgten gesetzlichen Regelungen zunehmend in eine öffentlich-rechtliche Pflichtenstellung geraten, ohne daß dies aber an der freiberuflich ausgeübten Tätigkeit grundsätzlich etwas geändert hat. Es besteht deshalb nach wie vor Einigkeit darin, daß Zulassungsbeschränkungsregelungen in erster Linie an Art 12 Abs 1 GG zu messen sind, selbst wenn Art 33 Abs 2 und 5 GG dabei zunehmend Bedeutung beigelegt wird (vgl Bürck, OKK 1988, 362; Wigge, SGb 1993, 158, 161). Bei formaler Betrachtung stellt die Höchstaltersgrenze für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ebenso wie eine Zulassung nach Bedarf unter dem Blickwinkel der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG nur eine Ausübungsregelung für den einheitlichen Beruf des freipraktizierenden Arztes dar. Ihrer Wirkung nach greift sie jedoch wie eine Bedürfnisprüfung in die Berufswahlfreiheit eines betroffenen zulassungswilligen Arztes ein. Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel läßt einen solchen Eingriff zwar grundsätzlich zu; das gewählte Mittel der Zulassungsbeschränkung ist dafür aber ungeeignet, zumindest jedenfalls unverhältnismäßig.

Der Gesetzgeber hat als Begründung für die Einführung der Altersgrenze die Sicherung der finanziellen Grundlagen der Krankenkassen genannt, die durch unwirtschaftlich handelnde Kassenärzte gefährdet werde. Die Erhaltung der finanziellen Grundlagen der Krankenkassen ist ein besonders wichtiges Interesse der Allgemeinheit, das nach der Rechtsprechung des BVerfG dem Interesse von Ärzten an der Ausübung eines hinlänglich einträglichen Berufs vorgeht und Eingriffe in die Berufsfreiheit rechtfertigen kann. Der Eingriff muß aber notwendig und verhältnismäßig sein, dh die Gefahr für die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung muß durch die erstmalige Zulassung von über 55jährigen Ärzten tatsächlich bestehen und es darf kein weniger eingreifendes Mittel zur Verfügung stehen als die Anordnung einer generellen Zulassungsschranke für über 55 Jahre alte Ärzte. Es ist nicht erkennbar, daß bei Zahnärzten auch nur eine dieser Voraussetzungen tatsächlich vorliegt.

Das gilt schon für die allgemeine Annahme, über 55jährige Kassenärzte gefährdeten bei erstmaliger Zulassung durch unwirtschaftliches Verhalten die Finanzlage der Krankenkassen. Die Revision rügt zu Recht die in diesem Zusammenhang getroffene Feststellung des Berufungsgerichts, dies entspreche seiner richterlichen Erfahrung. Die Formulierung im angegriffenen Urteil erweckt den Anschein, als seien dem Berufungsgericht in amtlicher Eigenschaft zumindest einige Fälle bekanntgeworden, in denen erstmalig nach dem 55. Lebensjahr zugelassene Kassenärzte durch unwirtschaftliches Verhalten aufgefallen sind, wobei ein wesentlicher Grund für die Unwirtschaftlichkeit in der relativ kurzen, noch zur Verfügung stehenden Zeit der Berufsausübung gesehen werden müßte. Tatsächlich belegt das Berufungsgericht aber seine Schlußfolgerung nicht einmal mit einem ihm bekanntgewordenen Einzelfall. Allein dies würde auf die Verfahrensrüge hin eine Aufhebung des angefochtenen Urteils rechtfertigen. Der Senat sieht davon und von einer Zurückverweisung zu erneuter Tatsachenfeststellung ab, weil er unterstellen kann, daß dem Berufungsgericht tatsächlich einige solcher Fälle bekanntgeworden sind. Denn auch das reichte nicht aus, um einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts aufzustellen, daß erstmalig nach Vollendung des 55. Lebensjahres zugelassene Kassenärzte erhöhte Kassenausgaben verursachten. Dazu bedürfte es einer nicht nur vereinzelt im Bereich einer bestimmten kassenärztlichen Vereinigung aufgetretenen Zahl von Fällen, sondern einer bundesweit und statistisch relevanten Fallzahl. Erhebungen des Senats bei den Verfahrensbeteiligten wie bei dem Bundesminister für Gesundheit haben indessen ergeben, daß weder statistische Erhebungen über die Zahl der erstmalig nach dem 55. Lebensjahr zugelassenen und davon auffällig gewordenen Ärzte noch repräsentative Einzelfälle angeführt werden können. Der Bundesminister für Gesundheit hat auf die gesetzgeberischen Erwägungen im Regierungsentwurf und die Ausschußberatungen Bezug genommen.

Dem Gesetzgeber ist zwar grundsätzlich sowohl bei der Festlegung seiner Ziele als auch der Mittel zu ihrer Verwirklichung ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen, der verfassungsrechtlich nur in seinen Grenzen zu überprüfen ist. Dazu zählen auch die Einschätzung möglicher Gefahren und die erforderlichen Maßnahmen zur Vorbeugung oder Beseitigung solcher Gefahren. Vom Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht zu verlangen, daß er in allen Fällen die Notwendigkeit gesetzlicher Maßnahmen nachweist. Das gilt aber nicht, wenn es sich um Eingriffe in absolut wirkende Freiheitsrechte wie das der Berufsfreiheit handelt. Bei schweren Eingriffen, wie sie objektive Zulassungsbeschränkungen darstellen, trägt hier der Gesetzgeber die "Beweislast" dafür, daß die getroffene Maßnahme notwendig ist, dh die angenommene Gefahrenlage nachweislich oder zumindest höchstwahrscheinlich (vgl BVerfGE 7, 377, 408; 40, 196, 218) besteht und nicht durch weniger eingreifende Maßnahmen behoben werden kann (vgl Stockhausen, Ärztliche Berufsfreiheit und Kostendämpfung, Dissertation 1989, S 93). Bei der Festsetzung einer Altersgrenze für die Zulassung handelt es sich zwar um eine subjektive Zulassungsbeschränkung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG, weil sie an die Person des Bewerbers gebunden ist (vgl BVerfGE 9, 338, 344; 64, 72, 83). Sie läßt sich aber ebensowenig wie eine objektive Zulassungsbeschränkung von ihm beeinflussen (zur Problematik dieser Unterscheidung vgl Papier, Zulassungsbeschränkung für Ärzte aus verfassungsrechtlicher Sicht, S 10, 22; Stockhausen aaO, S 169 f). Hinsichtlich der Schwere des Eingriffs ist allerdings einzuräumen, daß er von geringerem Gewicht ist als eine objektive Zulassungsbeschränkung für Berufsanfänger. Wenn Härtefälle von vornherein ausgeklammert werden, trifft die Altersgrenze in der Regel nur noch solche Ärzte, die zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts nicht mehr auf die Kassenzulassung angewiesen sind. Sie werden in der Berufsfreiheit nur in der Weise betroffen, daß es ihnen verwehrt wird, einen Beruf ihrer Wahl zur Erfüllung ihres "Existenzsinns" (BVerfGE 16, 286, 297 = SozR Nr 8 zu Art 12 GG) auszuüben (vgl Schulin, SGb, 1989, 94). Der weniger schwerwiegende Eingriff in die Berufsfreiheit mag es rechtfertigen, vom Gesetzgeber nicht den vollen Nachweis für seine Notwendigkeit zu verlangen (vgl Stockhausen aaO, S 171). Die gesetzgeberische Einschätzung muß aber vertretbar sein, dh aufgrund feststehender Tatsachen nachvollziehbar sein.

Die vom Gesetzgeber geäußerte "Befürchtung" unwirtschaftlicher Tätigkeit der älteren Kassenärzte ist mit der gegebenen Begründung nicht nachvollziehbar. Durch konkretes Tatsachenmaterial wird sie nicht untermauert. Selbst die angeführte Zwangslage der Ärzte, die Amortisation ihrer Praxisinvestitionen durch gesteigerte und unwirtschaftliche Tätigkeit zu erreichen, ist nicht so plausibel, daß es einleuchtet, geschweige denn so naheliegend, daß auf jede weitere Darlegung von Tatsachen verzichtet werden könnte. Der genannten Erwägung ist schon entgegenzuhalten, daß ein Kassenarzt, der seine Zulassung erst mit dem 55. Lebensjahr erhält, als lebenserfahrener Mensch schon im eigenen Interesse nur solche Praxisinvestitionen vornehmen und so lange als Kassenarzt tätig sein wird, daß sich die Aufwendungen für Abschreibungen und Kapitaleinsatz in vertretbaren Grenzen halten (vgl Boerner, ZfSH/SGB 1992, 449, 458). Auch für Zahnärzte gilt, daß die erforderliche Praxiseinrichtung nicht notwendig solche Geldsummen kosten muß, daß sie nicht in etwa zehn Jahren unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots amortisiert werden kann. Insbesondere durch Übernahme einer gebrauchten Praxiseinrichtung dürften sich die Kosten in Grenzen halten lassen. Mit der getroffenen Regelung stellt der Gesetzgeber sein Ziel auch selbst in Frage. Von der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung sollen gerade diejenigen Ärzte ausgeschlossen werden, die aus wirtschaftlichen Gründen auf eine berufliche Tätigkeit nicht mehr angewiesen sind, während diejenigen, bei denen das nicht der Fall ist, im Wege der Härteklausel zugelassen werden können, obwohl von ihnen die größere Gefahr für das Kassensystem ausgehen dürfte.

Der Senat folgt auch nicht der vom Berufungsgericht geteilten Einschätzung des Gesetzgebers, die Zulassungsschranke für ältere Ärzte sei die einzige Möglichkeit, unwirtschaftlichem Verhalten vorzubeugen. Wenn unwirtschaftliches Verhalten solcher Ärzte unterstellt wird, ist die Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 106 SGB V ein wirksames Mittel, dem zu begegnen. Dazu bedarf es keiner aufwendigen Einzelfallprüfung. Vielmehr ist hier die statistische Wirtschaftlichkeitsprüfung ein geeignetes Mittel, Unwirtschaftlichkeiten zu erkennen und mit Honorarkürzungen oder Regressen zu ahnden (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl zB BSGE 62, 18 = SozR 2200 § 368n Nr 54; BSGE 71, 90 = SozR 3-2500 § 106 Nr 13). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen dagegen nicht (BVerfG SozR 2200 § 368e Nr 3). Da es sich um Unwirtschaftlichkeiten einer kleinen Arztgruppe oder nur einzelner Ärzte handeln würde, fällt hier der systemimmanente Mangel einer statistischen Wirtschaftlichkeitsprüfung bei allgemeinem unwirtschaftlichen Verhalten nicht ins Gewicht. Der Senat ist auch nicht der Auffassung der Berufungsinstanz, daß die Wirtschaftlichkeitsprüfung im Regelfall nicht ausreicht, die Krankenkassen vor Schaden zu bewahren. Zutreffend ist allerdings, daß bei statistischer Wirtschaftlichkeitsprüfung die Honorarkürzung bzw der Regreß sich häufig mit dem offensichtlich unwirtschaftlichen Anteil der Behandlungsweise begnügen muß, ein weitergehender Regreß wegen Unwirtschaftlichkeit dagegen an Beweisschwierigkeiten scheitert. Das bedeutet aber nicht, daß die Kassen auf Dauer einen unbestimmten, nicht nachzuweisenden Anteil unwirtschaftlichen Verhaltens in Kauf nehmen müßten. Denn Regresse wegen Unwirtschaftlichkeit haben regelmäßig schon dann eine verhaltenssteuernde Wirkung, wenn sie im Einzelfall recht milde ausfallen. Im übrigen steht den Kassen bei fortdauerndem unwirtschaftlichen Verhalten eines Kassenarztes als äußerstes Mittel zur Verfügung, die Entziehung der Zulassung des Kassenarztes zu beantragen. Im Vergleich zu diesen vorhandenen Möglichkeiten ist der generelle Ausschluß einer ganzen Altersgruppe unverhältnismäßig.

Ungeachtet der gesetzgeberischen Erwägungen läßt sich die mit dem GRG eingeführte Zulassungsbeschränkung in Form einer Altersgrenze für die erstmalige Kassenzulassung auch nicht damit rechtfertigen, daß der Gesetzgeber wegen der Gefährdung der Finanzgrundlagen der Krankenkassen inzwischen mit dem GSG weitere Zulassungsbeschränkungen in Form einer Bedarfszulassung und einer allgemeinen Höchstaltersgrenze für die kassenärztliche Tätigkeit eingeführt hat (vgl §§ 102, 95 Abs 7 SGB V idF durch das GSG). Die hier zur Prüfung anstehende Altersgrenze ist nicht lediglich der Einstieg in ein gesetzgeberisches Gesamtkonzept, das unter gebotener Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen zu einer dauerhaften Sicherung der Finanzgrundlagen der Kassen durch Beschränkung der Arztzahlen führen soll. Die Altersgrenze für die erstmalige Zulassung führt zwar ebenfalls - in nicht bekanntem Umfang - zu einer Reduzierung der Arztzahlen. Daß dies allgemein erforderlich ist, ist aber zumindest bei Zahnärzten zweifelhaft. Selbst im Zusammenhang mit dem GSG wird - soweit erkennbar - nicht die Auffassung vertreten, daß wie bei Ärzten auch bei Zahnärzten eine allgemeine Überversorgung zu verzeichnen ist, die zu Kostenausweitungen geführt hat (vgl Begründung des Gesetzesentwurfs BT-Drucks 12/3608 S 72 und 96 f). Die hier streitige Altersgrenze bleibt aber verfassungswidrig, selbst wenn die späteren Zulassungsbeschränkungen einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten sollten (vgl Tiemann/Muschallik, ZM 1993, Nr 2, S 22, 24; Wigge, SGb 1993, 158, 161). Als gesetzgeberische Maßnahme gegen eine Gruppe von Zahnärzten verstößt sie auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, weil sie ältere Ärzte gegenüber jüngeren Ärzten allein wegen des Alters benachteiligt. Die Sicherung eines ausreichenden Einkommens jüngerer Ärzte ist kein sachlicher Grund, sie vor der Konkurrenz durch ältere Ärzte zu schützen (aA Hess in KassKomm § 95 SGB V RdNr 48). Ein solcher Schutz kann insbesondere nicht damit gerechtfertigt werden, daß die Erstzulassung älterer Zahnärzte verhindert werden müsse, um einer konkret drohenden existenzgefährdenden Konkurrenz im Zahnarztberuf vorzubeugen. Die finanzielle Lage der Kassenzahnärzte wird vielmehr vom Gesetzgeber nicht als bedrohlich angesehen.

Der Eingriff ist auch nicht zur Sicherung einer gesunden Altersstruktur der Vertragszahnärzteschaft - einem weiteren denkbaren Interesse des Gemeinwohls - geboten. Zum einen fehlen Einschätzungen des Gesetzgebers zur gegenwärtigen Altersstruktur und zur mutmaßlichen Entwicklung. Zum anderen besteht die Gefahr, daß ältere Berufsangehörige "Stellen" blockieren und so den Hinzutritt junger Berufsanfänger verhindern, nur in Berufsbereichen mit zulässiger Bedarfsprüfung, wie etwa bei den Notaren. Solange die Zulassung junger Zahnärzte - abgesehen von Ballungsräumen - unbeschränkt war, war die Altersstruktur objektiv nicht gefährdet.

Die Altersgrenze von 55 Jahren kann auch nicht mit der Überlegung als verfassungsgemäß angesehen werden, daß die Berufsfreiheit ein Grundrecht vorrangig für die mittlere Lebensphase sei und die Berufsausübung im höheren Alter zumindest nicht in gleichem Maße schütze. Das BVerfG hat zwar schon mehrfach Altersgrenzen über 65 Jahren als verfassungsmäßig angesehen, und zwar die gesetzliche Altersgrenze von 70 Jahren für die Ausübung des Notarberufs (BVerfG 1. Senat, 2. Kammer vom 29. Oktober 1992 - 1 BvR 1581/91 - ZAP EN-Nr 136/93 = DNotZ 1993, 260), die Altersgrenze mit Vollendung des 70. Lebensjahres für Prüfingenieure in Schleswig-Holstein (BVerfGE 64, 72) und die gesetzliche Altersgrenze für öffentlich bestellte Sachverständige bei Vollendung des 68. Lebensjahres (BVerfG 1. Senat, 2. Kammer vom 16. November 1990 - 1 BvR 1280/90 - GewArch 1991, 103 = NVwZ 1991, 358). Die Altersgrenze für Notare wurde wegen des Zusammenhangs zwischen der dort zulässigerweise erfolgenden Bedarfsprüfung und dem Altersaufbau zugelassen, die für Sachverständige, weil durch einen Sachverständigen, der infolge des Alters nicht mehr über hinreichende Leistungsfähigkeit verfügt, erhebliche Gefahren für Auftraggeber und Allgemeinheit entstehen. Beide Gesichtspunkte können mit der hier zu prüfenden Altersgrenze von 55 Jahren nicht in Verbindung gebracht werden. In den Entscheidungen deutet nichts darauf hin, daß die Berufsfreiheit in einem Alter von unter 68 Jahren einen minderen Schutz genieße, etwa nur wenn sie zum Broterwerb wegen fehlender Alterssicherung ausgeübt werden soll.

Altersaufbau und Verkehrsschutz können eine Altersgrenze für den Zugang nur rechtfertigen, wenn sie mit einer allgemeinen Altersgrenze für die Berufsausübung verbunden werden, wie dies beim Kassenzahnarzt erst mit dem GSG geschehen ist. Denn es wäre im Hinblick auf Altersaufbau und Verkehrsschutz widersprüchlich, dem Alter beim Neuzugang zu wehren, wenn es bei Berufsangehörigen ohne jede Begrenzung in Kauf genommen wird. Dem steht nicht entgegen, daß das BVerfG die Einführung einer Höchstaltersgrenze für die erst künftig zu bestellenden Notare als schonendere Maßnahme in Betracht gezogen hat, weil sich dies auf die durch die Zulässigkeit einer Bedarfsprüfung gekennzeichnete besondere Situation im Notarberuf bezieht.

Werden die eingangs genannten Vorschriften, die der Zulassung des Klägers entgegenstehen, vom BVerfG wegen Verstoßes gegen das GG für nichtig erklärt, ist der Beklagte zur Zulassung zu verurteilen, ohne daß es der Anrufung des EuGH bedarf, weil die Auslegung des EWGVtr insoweit nicht zweifelhaft ist. Anders verhält es sich aber, wenn das BVerfG die Zulassungsbeschränkung in Form der Altersgrenze für verfassungsgemäß erklärt. Dann wäre der Senat gemäß Art 177 Abs 3 EWGV verpflichtet, dem EuGH die Rechtsfrage zur Entscheidung vorzulegen, ob die Altersgrenze mit dem EWGVtr vereinbar ist. Das ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht eindeutig, sondern zweifelhaft. Zur Zulässigkeit von Altersgrenzen bei der Niederlassung hat sich der EuGH noch nicht geäußert. Zwar gibt Art 52 Abs 2 EWGV das Recht der freien Niederlassung lediglich nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen. Daraus folgert die wohl noch überwiegende Meinung in der Literatur, daß sich diese Vorschrift mit einem Verbot der Benachteiligung von EG-Ausländern begnüge (vgl Randelzhofer in: Grabitz, EWGV, Stand: Mai 1986, Art 52 RdNrn 36 und 93; Troberg in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWGV, 1991, 4. Aufl, Art 52 RdNrn 37, 38). Eine zunehmende Literaturmeinung erkennt in dieser Vertragsvorschrift inzwischen ein über das bloße Diskriminierungsverbot hinausgehendes grundrechtsähnliches Freiheitsrecht, das einen Rechtsanspruch Niederlassung unabhängig von den innerstaatlichen Regelungen geben kann (vgl Blumenwitz, NJW 1989, 621, 622 f; Bleckmann, Europarecht, S 342; Pescatore, EUGRZ 1978, 441 f; Schwartze, EUGRZ 1986, 293, 296 f; Steindorff, EUR 1988, 19). Diese Auffassung stützt sich auf die in Art 3 EWGVtr aufgelisteten Vertragsziele, die die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten umfassen, und die dazu ergangene, sich ständig weiterentwickelnde Rechtsprechung des EuGH (zuletzt EuGHE 1977, 765 = NJW 1977, 1582 <Thieffry>; EuGHE 1984, 2971 = NJW 1985, 1275 <Klopp>; EuGH, AnwBl 1991, 406). Soweit EG-Richtlinien bestehen, zeigt sich ebenfalls, daß EG-Ausländer formal im Vergleich zu Inländern bessergestellt werden (vgl Art 20 Richtlinie Nr 78/686 über den Wegfall einer Vorbereitungszeit). Aus der in Art 5 EWGVtr statuierten Rechtspflicht, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtung, die sich aus dem Vertrag oder aus den Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben, zu treffen und alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden können, hat der EuGH ua die Verpflichtung zur Zulassung von Rechtsanwälten zur Berufsausübung hergeleitet, obwohl Koordinierungsrichtlinien noch nicht erlassen sind und die Rechtsanwälte formal Inländern gleichbehandelt worden sind (vgl Rechtssachen Thieffry und Klopp aaO). Auch die in Richtlinien nicht geregelte Zulassung von Zweigpraxen für Ärzte und Zahnärzte aus dem EG-Ausland hat der EuGH unmittelbar aus dem Vertrag begründet (EuGHE 1986, 1475). Der EuGH erkennt allerdings Schranken der EG-Freiheitsrechte an, soweit sie unter Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geboten sind (EuGHE 1974, 491 = NJW 1975, 518 <Nold>; EuGHE 1979, 3727 = NJW 1980, 505 <Hauer>). Das muß aber nicht zwangsläufig bedeuten, daß der EuGH nach innerstaatlichem Recht gebilligte Zulassungsbeschränkungen auch nach EG-Recht billigt. Diese Unsicherheit der europarechtlichen Rechtslage würde eine Vorlagepflicht des BSG nach § 177 Abs 3 EWGVtr begründen (vgl auch Vorlagebeschluß des Senats vom 20. Mai 1992 - 14a/6 RKa 42/90 -). Bei der Feststellung eines Verstoßes der streitigen Zulassungsbeschränkung gegen Europarecht durch den EuGH wäre der Senat zwar nicht gehindert, den beklagten Berufungsausschuß zur Zulassung des Klägers zu verurteilen, ohne noch das BVerfG anzurufen. Gleichwohl sieht es der Senat für zweckmäßig an, zunächst die innerstaatliche Rechtslage abschließend zu klären, selbst wenn anschließend noch eine Vorlage an den EuGH geboten sein könnte. Für die Entscheidung des EuGH dürfte die abschließende Klärung der innerstaatlichen Rechtslage von wesentlicher Bedeutung sein.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1667157

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