Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 08.08.1990)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. August 1990 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte oder der Beigeladene der für die Schüler der Klägerin zuständige Unfallversicherungsträger ist.

Die Klägerin betreibt in München eine – staatlich als Ersatzschule anerkannte – drei- und vierstufige private Wirtschaftsschule. Sie ist mit diesem Unternehmen im Unternehmerverzeichnis der Beklagten eingetragen. Durch Bescheid vom 26. November 1984 wurde die Klägerin ab 1. Januar 1984 neu veranlagt. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie betreibe eine private allgemeinbildende Schule, so daß für die Schülerunfallversicherung der Beigeladene gemäß § 655 Abs 2 Nr 5 Reichsversicherungsordnung (RVO) zuständig sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 22. August 1986). Der Beigeladene lehnte seine Zuständigkeit für die Schüler der Klägerin ab, da diese keine allgemeinbildende Schule betreibe. Vielmehr handele es sich bei den Wirtschaftsschulen nach Art 13 Abs 2 Satz 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG – Neufassung vom 29. Februar 1988, BayGVBl S 61) um Berufsfachschulen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage nach Beiladung des Freistaats Bayern als Träger der Unfallversicherung nach § 655 RVO abgewiesen (Urteil vom 23. Februar 1988). Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihr Begehren auf die Feststellung beschränkt, daß der Beigeladene der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die Schüler ihrer Wirtschaftsschule sei. Nachdem sich die Beklagte verpflichtet hatte, im Obsiegensfall der Klägerin die Beiträge ab dem Veranlagungsjahr 1983 neu zu berechnen, hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 8. August 1990). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die zulässige Feststellungsklage sei unbegründet, da es sich bei der von der Klägerin betriebenen drei- und vierstufigen Wirtschaftsschule nicht um eine private allgemeinbildende Schule iS des § 655 Abs 2 Nr 5 RVO handele. Zwar führe auch die Wirtschaftsschule zu einem mittleren Schulabschluß (früher: Mittlere Reife), der demjenigen der Realschule entspreche. Im Unterschied zur Realschule biete die von der Klägerin betriebene Wirtschaftsschule mit der allein angebotenen Wahlpflichtfächergruppe H (§ 2 der Schulordnung für die Wirtschaftsschulen in Bayern vom 25. August 1983 – WSO – BayGVBl S 971) neben einer Reihe allgemeinbildender Fächer spezifisch kaufmännisch-wirtschaftliche Fächer in einer Zahl und Intensität an, daß sie als „berufsbildende Schule” qualifiziert werden müsse. Das über entsprechende Fächerangebote der Realschulen und Gymnasien deutlich hinausgehende Angebot an kaufmännisch-wirtschaftlichen Pflichtfächern finde seinen Niederschlag in den Fächern Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Rechnungswesen, Wirtschaftsrechnen, Betriebsorganisation und Datenverarbeitung (§ 19 Abs 1 Satz 1 WSO iVm Anl 1). Das besondere Gewicht der kaufmännisch-wirtschaftlichen Fächer ergebe sich auch aus den Bestimmungen über die Aufnahmeprüfung für die Jahrgangsstufe 10 (§ 14 Abs 2 Satz 2 WSO) sowie aus der Zahl der kaufmännisch-wirtschaftlichen Fächer, in denen Schulaufgaben zu fertigen seien (§ 35 Abs 1 Satz 1 WSO). Insbesondere aber ergebe sich die speziell berufsbildende Funktion der drei- und vierstufigen Wirtschaftsschule daraus, daß der erfolgreiche Besuch der Wirtschaftsschule auf die der Richtung Wirtschaft zugeordneten Ausbildungsberufe als erstes Jahr der Berufsausbildung anzurechnen sei (Anl 6 zur WSO). Zwar bestünden in Bayern zwischen der Wirtschaftsschule und der Realschule nur graduelle Unterschiede. Das Gewicht der kaufmännisch-wirtschaftlichen Fächer sei jedoch bei der Wirtschaftsschule so erheblich, daß der Charakter der von der Klägerin betriebenen Schule durch das Angebot an berufbildenden kaufmännisch-wirtschaftlichen Fächern geprägt werde. Dem entspreche auch die Klassifizierung der Wirtschaftsschule in Art 13 Abs 2 Satz 1 BayEUG als Berufsfachschule. Eine verfassungswidrige Benachteiligung der Träger privater berufsbildender Schulen sei in dem Umstand, daß für deren Schüler keine dem § 655 Abs 2 Nrn 4 bis 6 RVO entsprechende Zuständigkeit des jeweiligen Bundeslandes begründet sei, nicht zu sehen. Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) sei nicht verletzt, weil der Gesetzgeber hinsichtlich der Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger zulässigerweise zwischen den Schülern allgemeinbildender Schulen und Hochschulen auf der einen und Schülern berufsbildender Schulen auf der anderen Seite unterschieden habe. Ein Verstoß gegen Art 7 Abs 4 GG liege ebenfalls nicht vor; denn das Fehlen einer dem § 655 Abs 2 Nrn 4 bis 6 RVO entsprechenden Beitragsregelung für die privaten berufsbildenden Schulen bedrohe diese nicht in ihrem Bestand.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das LSG sei unter Verstoß gegen § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne hinreichende Tatsachenfeststellungen davon ausgegangen, die Beiträge zur Beklagten gefährdeten die privaten berufsbildenden Schulen nicht in ihrem Bestand. Ihr sei darüber hinaus keine Gelegenheit gegeben worden, zu dieser unzutreffenden Annahme Stellung zu nehmen. Materiell-rechtlich sei § 655 Abs 2 Nr 5 RVO verletzt. Die von ihr betriebene Schule vermittele einen gesetzlichen Schulabschluß und durch den Besuch dieser Schule könne die allgemeine Schulpflicht erfüllt werden (Art 1 Abs 3 Satz 1 Nr 2 iVm Satz 2 Schulpflichtgesetz vom 3. September 1982 – BayGVBl S 771). Es handele sich schon deshalb entgegen der Ansicht des LSG um eine allgemeinbildende Schule iS von § 655 Abs 2 Nr 5 RVO. Allgemeinbildende Fächer würden im gleichen Umfang wie an öffentlichen Schulen angeboten, und dieses allgemeinbildende Angebot überwiege die berufsbezogenen bzw berufsbildenden Fächer, welche lediglich ein „Mehrangebot” im Vergleich zum Angebot der nur allgemeinbildenden Schulen seien. Für die Anwendbarkeit des § 655 Abs 2 Nr 5 RVO müsse es indes schon genügen, daß eine private Schule eine Allgemeinbildung vermittle, die sie als Ersatzschule qualifiziere. Ob daneben oder dazu als weitere Komponente eine berufsbezogene Bildung angeboten werde, sei unerheblich. Dies zeige sich auch deutlich beim Vergleich mit der Realschule. Der bayerische Gesetzgeber beschreibe die Angebote bei der Realschule (Art 7 Abs 1 Satz 1 BayEUG) und der Wirtschaftschule (Art 13 Abs 1 BayEUG) „als zwischen den Angeboten der Hauptschule und des Gymnasiums liegend”. Während die Realschule „den Grund für eine Berufsbildung und eine spätere qualifizierte Tätigkeit in einem weiten Bereich von Berufen mit vielfältigen theoretischen und praktischen Anforderungen” lege, vermittle die Wirtschaftsschule „eine berufliche Grundbildung im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung”. Diese Gegenüberstellung zeige, daß vom Ziel her gesehen die berufliche Bildung der Realschule weitergehe als diejenige der Wirtschaftsschule. Die Realschule zähle jedoch unangefochten zu den allgemeinbildenden Schulen. Das LSG habe bei seinem Hinweis auf das Anrechnungsjahr nach erfolgreichem Abschluß der Wirtschaftsschule unberücksichtigt gelassen, daß der erfolgreiche Abschluß der Realschule auf die Berufsausbildung mit einem halben Jahr angerechnet werde. Daß der bayerische Gesetzgeber die Wirtschaftsschule in Art 13 Abs 2 Satz 1 BayEUG als Berufsfachschule klassifiziere, sei angesichts der bundesrechtlichen Regelung des § 655 Abs 2 Nr 5 RVO unerheblich. Im übrigen verstoße die Rechtsansicht des LSG zu § 655 Abs 2 Nr 5 RVO gegen Art 7 Abs 4 Satz 1, Art 3 Abs 1 und Art 20 GG. Die privaten berufsbildenden Schulen seien hinsichtlich des Unfallversicherungsschutzes ihrer Schüler gegenüber den privaten allgemeinbildenden Schulen ungerechtfertigt benachteiligt. Art 7 Abs 4 GG garantiere die Privatschule als Institution, wobei dem Staat angesichts der Untersagung der Erhebung annähernd kostendeckender Schulgelder durch Art 7 Abs 4 Satz 3 Halbsatz 3 GG eine finanzielle Förderungspflicht auferlegt werde. Diesem Schutz des GG unterstünden die allgemeinbildenden und die berufsbildenden Schulen in gleicher Weise. Es bestehe daher gegenüber beiden Schulformen die gleiche Förderungspflicht des Staates, die verletzt sei, wenn nur den privaten berufsbildenden Schulen Beiträge für den Unfallversicherungsschutz ihrer Schüler abverlangt würden. Auch unter Beachtung des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG) sei daher eine verfassungskonforme Auslegung des § 655 Abs 2 Nr 5 RVO dahingehend geboten, daß allgemeinbildende Schule iS der Vorschrift auch die von der Klägerin betriebene Schule sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. August 1990 und des Urteils des Sozialgerichts München vom 23. Februar 1988 festzustellen, daß der Beigeladene zuständiger Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die Schüler der von ihr getragenen drei- und vierstufigen Wirtschaftsschule ist.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger für die Schüler der von der Klägerin betriebenen drei- und vierstufigen Wirtschaftsschule ist.

Die Zuständigkeit der Versicherungsträger für die Unfallversicherung der in § 539 Abs 1 Nr 14 RVO genannten Personen regelt sich grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften. Zuständig ist der Versicherungsträger, zu dessen Bereich der Unternehmer der Schule gehört (Lauterbach/ Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, Anm 88 zu § 539). Vorbehaltlich der in §§ 653 bis 657 RVO getroffenen besonderen Zuständigkeitsregelungen sind die in der Anl 1 zu § 646 RVO idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I S 241) aufgeführten Berufsgenossenschaften Träger der Unfallversicherung. Die in Nr 31 der Anl 1 zu § 646 RVO genannte Beklagte ist in Übereinstimmung mit dem Bundesrecht nach § 3 Abs 1 Nr 46 ihrer Satzung für Privatschulunternehmen und damit für die Klägerin der zuständige Versicherungsträger. Dies gilt nach Art 4 § 11 UVNG solange eine nach § 646 Abs 2 RVO erlassene Rechtsverordnung die Zuständigkeit nicht anders regelt. Unfälle von Schülern oder Lernenden an Privatschulunternehmen sind daher grundsätzlich von der Beklagten zu entschädigen (vgl BSGE 41, 214, 216), es sei denn, daß die Zuständigkeit des Beigeladenen nach § 655 Abs 2 Nr 5 RVO begründet ist. Danach ist das Land Träger der Versicherung für Schüler an privaten allgemeinbildenden Schulen.

Diese Vorschrift ist mit der Schülerunfallversicherung durch das Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (BGBl I S 237) in die RVO eingefügt worden. Wie sich aus der amtlichen Begründung zum Entwurf des Gesetzes (Begründung) ergibt, hat sich der Gesetzgeber von der Überlegung leiten lassen, daß der Versicherungsschutz für Schüler allgemeinbildender Schulen unbefriedigend geregelt sei, während Berufs- und Fachschüler nach geltendem Recht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert seien (BT-Drucks VI/1333, A. Allgemeiner Teil S 3). § 539 Abs 1 Nr 14 RVO in der bis zum 31. März 1971 geltenden Fassung des UVNG sah den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ua nur für Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Fachschulen, Berufsfach- und Berufsschulen, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen vor, wenn es sich um die Aus- und Fortbildung für eine Tätigkeit der nach § 539 Abs 1 Nrn 1 bis 3 und 5 bis 8 RVO versicherten Personen handelte (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 474qI). Durch das Gesetz vom 18. März 1971 wurde für die aufgeführten Schularten der zusammenfassende Begriff „berufsbildende Schulen” eingeführt (s § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO). Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen wurden durch das genannte Gesetz erstmals in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen (s § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO). Nach der Begründung sollte sich die Zuständigkeit der Versicherungsträger – mit Ausnahme der privaten allgemeinbildenden Schulen – wie schon bisher bei den Berufs- und Fachschulen danach richten, wer Sachkostenträger der Schule sei (BT-Drucks aaO, A. Allgemeiner Teil S 3 und zu § 1 Nr 3 S 5). Die privaten allgemeinbildenden Schulen wurden von dieser Regelung durch § 655 Abs 2 Nr 5 RVO idF des genannten Gesetzes vom 18. März 1971 ausgenommen, da es sich dabei nach der Begründung um Schulen handle, die öffentlichen Schulen entsprächen und auch von schulpflichtigen Kindern besucht würden. Es erscheine deshalb gerechtfertigt, mit den Kosten der Unfallversicherung dieser Schüler nicht die in den Berufsgenossenschaften zusammengeschlossenen Unternehmer, sondern die öffentliche Hand zu belasten (BT-Drucks aaO zu § 1 Nr 3 S 5).

Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin keine allgemeinbildende Schule betreibt. Was unter dem Begriff „allgemeinbildende Schule” iS von § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst b RVO zu verstehen ist, wird vom Gesetz nicht definiert oder beispielhaft aufgezählt. Nach der Begründung (BT-Drucks aaO zu § 1 Nr 1 Buchst a S 4) sind allgemeinbildende Schulen alle Schulen, an denen die Schulpflicht erfüllt werden kann oder die darüber hinaus zur mittleren Reife oder zum Abitur führen, also zB Grund-und Hauptschulen, Mittel- oder Realschulen, Gymnasien, Sonderschulen für körperlich oder geistig Behinderte, Aufbauschulen, Abendschulen und Kollegs. Da die berufsbildenden Schulen in § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO ausdrücklich aufgeführt sind, handelt es sich bei diesen Einrichtungen nicht um allgemeinbildende Schulen, und zwar auch dann nicht, wenn (auch) allgemeine Bildungsinhalte vermittelt werden. Dies ergibt sich im übrigen auch aus der Entstehung des Gesetzes. Wie oben dargelegt, ist durch das Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. März 1971 (BGBl aaO) an der bereits bestehenden Unfallversicherung für Schüler an berufsbildenden Schulen nichts Grundsätzliches geändert worden; lediglich für die Schüler allgemeinbildender Schulen wurde der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung neu eingeführt.

Für die Abgrenzung zwischen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen kommt es nicht auf die äußere Form oder den Status der Schule oder Bildungseinrichtung an, vielmehr ist das verfolgte Schul- bzw Bildungsziel entscheidend (BSGE 63, 14, 17), und inwieweit die pädagogische Zielsetzung der Intention der gesetzlichen Regelung entspricht (Lauterbach/ Watermann aaO Anm 86 Buchst c zu § 539).

Zur Feststellung des Schulziels hat das LSG in erster Linie auf das Fächerangebot der von der Klägerin betriebenen Wirtschaftsschule abgestellt. Dies ist nicht zu beanstanden, da die vermittelten Bildungsinhalte zusammen mit dem angebotenen Schulabschluß der Schule das Gepräge geben. Das LSG hat hierzu die Schulordnung für die Wirtschaftsschulen in Bayern (WSO aaO) zusammen mit den Stundentafeln der Wahlpflichtfächergruppe H herangezogen. Es hat festgestellt, die von der Klägerin betriebene Wirtschaftsschule unterrichte ihre Schüler nach diesen Stundentafeln und daraus ergebe sich, daß neben einer Reihe allgemeinbildender Fächer spezifisch kaufmännisch-wirtschaftliche Fächer (Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Rechnungswesen, Wirtschaftsrechnen, Betriebsorganisation, Datenverarbeitung) in einer Zahl und Intensität angeboten würden, daß die Schule als „berufsbildende Schule” qualifiziert werden müsse. Das besondere Gewicht der kaufmännisch-wirtschaftlichen Fächer ergebe sich auch aus den Bestimmungen über die Aufnahmeprüfung für die Jahrgangsstufe 10 (§ 14 Abs 2 Satz 2 WSO) sowie aus der Zahl der kaufmännisch-wirtschaftlichen Fächer, in denen Schulaufgaben zu fertigen seien (§ 35 Abs 1 Satz 1 WSO). Entsprechendes Gewicht käme den spezifisch kaufmännisch-wirtschaftlichen Fächern auch in ihrer Funktion als Vorrückungsfächer (§ 41 Abs 1 Satz 2 und 3 WSO) und bei der schriftlichen Abschlußprüfung zu (§ 54 Abs 2 Satz 1 WSO). Die berufsbildende Funktion der drei- und vierstufigen Wirtschaftsschule ergebe sich im übrigen auch daraus, daß der erfolgreiche Besuch der Wirtschaftsschule auf die der Richtung Wirtschaft zugeordneten Ausbildungsberufe als erstes Jahr der Berufsausbildung anzurechnen sei (Anl 6 zur WSO).

Das LSG hat seine Feststellung, bei der von der Klägerin betriebenen Wirtschaftsschule überwiege das berufsbildende Element, auf Vorschriften des bayerischen Landesrechts gestützt. Ob es sich dabei um tatsächliche Feststellungen (überwiegendes berufsbildendes Angebot) oder um die Anwendung von Rechtsvorschriften (§ 19 Abs 1 WSO iVm Art 24 und Art 70 BayEUG) handelt, kann dahinstehen. An die tatsächlichen Feststellungen des LSG ist der Senat gebunden, da bezüglich dieser Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind (§ 163 § 170 Abs 3 SGG). Hinsichtlich der Rechtsanwendung kann die Revision nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 SGG). Dies ist hinsichtlich der herangezogenen bayerischen Vorschriften nicht der Fall. Sind Rechtsnormen irrevisibel, so darf das Revisionsgericht nicht nachprüfen, ob sie bestehen und ob sie vom Berufungsgericht auf den Sachverhalt richtig angewandt worden sind (BSGE 39, 252, 254; Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialrechtlichen Verfahrens, 1991, IX RdNr 301; Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl, § 162 RdNr 7). Durch die Anwendung der irrevisiblen Normen werden revisible Normen des Bundesrechts nicht verletzt. Die Anwendung der für die Wirtschaftsschulen in Bayern geltenden Vorschriften verstößt nicht gegen § 655 Abs 2 Nr 5 RVO, da das LSG zutreffend davon ausgeht, daß sich allgemeinbildende und berufsbildende Schulen nach dem jeweiligen Schul- und Bildungsziel unterscheiden und sich diese Zielsetzung in erster Linie aus der jeweils geltenden Schulordnung zusammen mit den Stundentafeln ergibt. Ob die drei- und vierstufige Wirtschaftsschule in Bayern durch die kaufmännisch-wirtschaftlichen Fächer ihr Gepräge erhält und ob der erfolgreiche Besuch der Wirtschaftsschule auf die der Richtung Wirtschaft zugeordneten Ausbildungsberufe als erstes Jahr der Berufsausbildung anzurechnen ist, richtet sich hingegen nach irrevisiblen Vorschriften. Eine Kollision zwischen ihnen und § 655 Abs 2 Nr 5 RVO besteht nicht.

Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der von der Revision angeführten Entscheidung des erkennenden Senats vom 26. Januar 1988 (BSGE 63, 14). Danach sind allgemeinbildende Schulen zumindest solche, die nach ihrem Schulziel den Schülern eine auf den Haupt- oder Realschulabschluß oder die Reifeprüfung vorbereitende Bildung vermitteln. Der Revision ist nicht zu folgen, wenn sie meint, es komme insoweit nur auf den erzielbaren Schulabschluß (hier: Mittlere Reife) an. Schulziel in diesem Sinne ist die Vermittlung der Bildungsinhalte, die mit den genannten Schulabschlüssen verbunden sind. Das sind in den genannten Fällen jeweils allgemeine Bildungsinhalte. Mit dem erfolgreichen Besuch der Wirtschaftsschule wird zwar ein mittlerer Schulabschluß nachgewiesen (Art 19 Abs 2 Nr 2 BayEUG), nicht jedoch der erfolgreiche Besuch einer Realschule mit der Vermittlung entsprechender Bildungsinhalte.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, daß Wirtschaftsschulen auch öffentlich betrieben werden und an der Schule der Klägerin die Schulpflicht erfüllt werden kann (Art 1 Abs 3 Satz 1 Nr 2 iVm Satz 2 Bayerisches Schulpflichtgesetz). Aus diesen Umständen läßt sich nichts dafür gewinnen, ob die Schule nach ihrem Schulziel allgemeinbildenden oder berufsbildenden Charakter hat.

Die Beschränkung der Zuständigkeit des Beigeladenen auf Schüler an privaten allgemeinbildenden Schulen verstößt nicht gegen Art 7 Abs 4 GG. Dabei kann dahinstehen, ob aus der verfassungsrechtlichen Einrichtungsgarantie der Privatschulen (Art 7 Abs 4 Satz 1 GG) ein Leistungsanspruch auf staatliche Subventionierung zumindest für private Ersatzschulträger folgt, weil ohne staatliche Hilfe das Ersatzschulwesen entgegen dem Willen des GG zum Erliegen käme (vgl Maunz in Maunz/ Dürig/ Herzog, Komm zum GG, Art 7 RdNr 86a mwN). Jedenfalls ergibt sich daraus kein Anspruch auf eine konkrete Art der Subventionierung (beitragsfreie Schülerunfallversicherung). Vielmehr erfolgt die staatliche Förderung der anerkannten Ersatzschule (Berufsfachschule) nach § 24 iVm § 34 Abs 2 des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes vom 24. Juli 1986 (BayGVBl S 169).

Eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG liegt ebenso nicht vor. Danach ist zwar auch der Gesetzgeber gehalten, vergleichbare Sachverhalte grundsätzlich mit den gleichen Rechtsfolgen auszustatten. Auch bei vergleichbaren Sachverhalten verbietet der allgemeine Gleichheitssatz jedoch nicht jegliche Differenzierung; er ist vielmehr erst dann verletzt, wenn für die gesetzliche Unterscheidung keine sachlich einleuchtenden Gründe vorliegen, die Regelung also willkürlich ist (st Rspr des Bundesverfassungsgerichts, vgl aus der jüngeren Rspr: BVerfGE 79, 87, 98 ff mwN). Vorliegend hat der Gesetzgeber durch das Gesetz vom 18. März 1971 (BGBl aaO) lediglich für die Schüler privater allgemeinbildender Schulen die unfallversicherungsrechtliche Zuständigkeit der Länder eingeführt. Er hat sich dabei – wie bereits dargestellt – von der Überlegung leiten lassen, daß es nicht gerechtfertigt sei, mit den Kosten der Unfallversicherung von Schülern an privaten allgemeinbildenden Schulen die in den Berufsgenossenschaften zusammengeschlossenen Unternehmer zu belasten (BT-Drucks aaO zu § 1 Nr 3 S 5). Da die berufliche Aus-und Fortbildung in erheblich größerem Maße als die allgemeine Schulausbildung mit der späteren beruflichen Tätigkeit verbunden ist, hat der Gesetzgeber jedenfalls nicht willkürlich die privaten berufsbildenden Schulen von der Regelung des § 655 Abs 2 Nr 5 RVO ausgenommen und es insoweit bei der Zuständigkeit nach den allgemeinen Vorschriften belassen.

Soweit die Revision geltend macht, das LSG habe unter Verletzung von § 103 SGG ohne hinreichende Tatsachenfeststellung angenommen, die Kosten der Schülerunfallversicherung bedrohe die private Wirtschaftsschule der Klägerin nicht in ihrem Bestand, entspricht diese Rüge nicht den gesetzlichen Erfordernissen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Bei der Rüge mangelnder Sachaufklärung ist darzulegen, aufgrund welcher Umstände das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen, in welcher Richtung Ermittlungen im einzelnen hätten vorgenommen werden müssen und durch welche Maßnahmen des Gerichts der angebliche Mangel in der Sachaufklärung hätte behoben werden können (BSG SozR Nr 64 zu § 162 SGG; BSGE 41, 229, 236; Peters/Sautter/ Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 164 RdNr 216). Die Revisionsbegründung enthält dazu keinerlei Angaben. Soweit die Revision vorbringt, die Belastung mit den Kosten der Schülerunfallversicherung sei bei der Schülerzahl der Wirtschaftsschule geeignet, den Bestand der Schule zu gefährden, rügt sie damit sinngemäß eine Verletzung von § 128 Abs 1 SGG. Auch mit dieser Rüge hat sie keinen Erfolg. Sowohl die Höhe der jährlichen Beitragsbelastung als auch die Anzahl der Schüler ergeben sich aus den beigezogenen Akten. Im Rahmen des § 128 Abs 1 SGG ist das Gericht in seiner Beweiswürdigung frei. Die ihm dabei gesetzten Grenzen überschreitet das Gericht nur dann, wenn es zwingend zu einem anderen als zu dem gefundenen Ergebnis hätte gelangen müssen (BSGE aaO). Dies hat die Klägerin weder behauptet noch hat sie dies substantiiert dargetan, wie dies für eine wirksame Rüge eines Verfahrensverstoßes nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich wäre (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 31 mwN).

Auch die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ist nicht begründet. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll zwar verhindern, daß die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der die Beteiligten keine Veranlassung hatten sich zu äußern (vgl Urteil des Senats vom 19. März 1991 – 2 RU 33/90 – SozR 3-2200 § 667 Nr 1 – mwN). Dies gilt insbesondere, wenn ein Rechtsmittelgericht dem Rechtsstreit eine Wendung geben will, mit der die Beteiligten nicht zu rechnen brauchten (Meyer-Ladewig aaO § 62 RdNr 8 mwN). So verhält es sich vorliegend angesichts der die Klage abweisenden Entscheidung des SG nicht. Davon abgesehen gibt es keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, alle die richterliche Überzeugungsbildung bestimmenden Überlegungen zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl Beschluß des Senats vom 6. Dezember 1989 – 2 BU 159/89 –).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173600

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