Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 10.03.1992)

SG Lüneburg (Urteil vom 21.03.1991)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. März 1992 und des Sozialgerichts Lüneburg vom 21. März 1991 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für die Zeit vom 9. November bis zum 31. Dezember 1989 höheres Arbeitslosengeld (Alg) zu beanspruchen hat.

Der verheiratete Kläger war bis zum 30. Juni 1988 versicherungspflichtig beschäftigt. Nach einem Arbeitsplatzwechsel erzielte er von April bis Juni 1988 ein Arbeitsentgelt von monatlich 15.833,– DM, zuvor etwa die Hälfte dieses Betrages. Im Anschluß daran versuchte er erfolglos, sich selbständig zu machen. Steuerpflichtige Einkünfte erzielte er nicht.

Die Ehefrau des Klägers war als Arbeitnehmerin versicherungspflichtig beschäftigt. 1989/90 betrug ihr Arbeitsentgelt zuletzt 1.910,24 DM monatlich. Auf der Lohnsteuerkarte der Ehegatten waren 1988 und 1989 jeweils für den Kläger die Steuerklasse III/2, für die Ehefrau V/0 eingetragen. Am 10. Januar 1989 ließen die Eheleute die Lohnsteuerkarten mit Wirkung vom 1. Februar 1989 dahingehend ändern, daß für den Kläger nunmehr Steuerklasse V/0 und für die Ehefrau III/1 galt.

Am 9. November 1989 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 12. Dezember 1989, geändert durch Bescheid vom 21. Dezember 1989, bewilligte die Bundesanstalt für Arbeit (BA) dem Kläger Alg nach einem gerundeten Arbeitsentgelt von wöchentlich 1.420,– DM, der Nettolohnersatzquote von 68 vH (§ 111 Abs 1 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫) und der Leistungsgruppe D in Höhe von 322,20 DM wöchentlich. Ab 1. Januar 1990 legte sie für die Bemessung die Leistungsgruppe C zugrunde. Ab 1. Februar 1990 ging der Kläger wieder einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach.

Der Widerspruch des Klägers, mit dem er sich lediglich gegen die Bemessung nach Leistungsgruppe D wandte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1990). Seine dagegen gerichtete Klage hatte hingegen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Lüneburg vom 21. März 1991). Die – vom SG zugelassene – Berufung der BA wies das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 10. März 1992 als unbegründet zurück.

In den Entscheidungsgründen führte das LSG im wesentlichen aus: Dem Kläger gebühre Alg unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C. Würde man hier allerdings lediglich auf das Verhältnis der beiderseitigen Arbeitsentgelte der Eheleute zum Zeitpunkt des Steuerklassenwechsels abstellen, wäre der Wechsel zweckmäßig gewesen, weil der Kläger keine Einkünfte erzielte, wohl aber seine Ehefrau. Der Sinn und Zweck des § 113 Abs 2 Sätze 2 und 3 AFG verlange aber eine andere Betrachtungsweise. Um die Frage der objektiven Zweckmäßigkeit des Steuerklassenwechsels beurteilen zu können, dürften nur „Arbeitslöhne” einander gegenübergestellt werden. Fehle es bei einem Ehepartner – wie hier beim Kläger – an einem Entgelt aus abhängiger Arbeit, müsse auf sein zuletzt erzieltes beitragspflichtiges Arbeitsentgelt abgestellt werden. Denn nach dem Rechtsgedanken des § 113 Abs 2 Satz 3 AFG habe gerade der Ausfall dieses Arbeitslohnes bei der Beurteilung der Verhältnisse der monatlichen Arbeitslöhne der Ehegatten außer Betracht zu bleiben. In Fällen eines Steuerklassenwechsels zwischen Eheleuten während einer selbständigen Tätigkeit des Arbeitslosen nach früherer anwartschaftserfüllender beitragspflichtiger Beschäftigung sei der in dieser Vorschrift enthaltene Rechtsgedanke bei der Interpretation des § 113 Abs 2 Satz 2 AFG zu berücksichtigen, und zwar entweder durch die Behandlung des Einkommens oder Nichteinkommens aus selbständiger Tätigkeit im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Steuerklassenwechsels als lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung oder durch Verlegung der Prüfung nach § 113 Abs 2 Satz 2 AFG auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Alg. In beiden Fällen sei das zuletzt vom Kläger erzielte Arbeitsentgelt dem Arbeitsentgelt seiner Ehefrau mit der Folge gegenüberzustellen, daß die gewählte Steuerklassenkombination objektiv nicht geboten gewesen sei. Auch wenn man dieser Auslegung des § 113 Abs 2 Satz 2 AFG nicht folge, führe eine direkte Anwendung des § 113 Abs 2 Satz 3 AFG zum gleichen Ergebnis, denn es sei nicht erforderlich, daß sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Alg im Zeitpunkt des Steuerklassenwechsels erfüllt sein müßten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die beklagte BA eine Verletzung des § 113 Abs 2 AFG. Im Fall von Ehegatten, die die Steuerklassen gewechselt hätten, sei davon auszugehen, daß sich das Alg nicht unbedingt am bisherigen Nettoentgelt, sondern möglichst an der richtigen Lohnsteuerklasse orientieren solle, dh an der Steuerklasse, die dem Verhältnis der Arbeitslöhne beider Ehegatten im Zeitpunkt der Änderung entspreche. Ob beide Ehegatten tatsächlich zu diesem Zeitpunkt Einkünfte erzielt hätten, sei unerheblich. § 113 Abs 2 AFG solle sicherstellen, daß ein Steuerklassenwechsel bei Lohnausfall eines Ehegatten, der einen Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründe, nur Auswirkungen auf die Höhe des Alg habe, wenn er – im Gegensatz zur steuerrechtlichen Zweckmäßigkeit – ohne den Lohnausfall tunlich gewesen wäre. Allein die Lohnersatzfunktion, aus der sich auch erkläre, daß der Gesetzgeber vom Bezug der Leistungen oder zumindest von den hierfür erfüllten Anspruchsvoraussetzungen ausgehe, unterscheide steuerfreie Lohnersatzleistungen von der selbständigen Tätigkeit, denn die hieraus erzielten Einkünfte seien der Höhe nach unbestimmt und nicht an das vorherige Entgelt aus einer abhängigen Beschäftigung geknüpft.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. März 1992 und des Sozialgerichts Lüneburg vom 21. März 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil in jeder Hinsicht für zutreffend, die mit der Revisionsbegründung vorgetragene Rechtsansicht der BA hingegen für verfehlt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet, denn die BA hat das Alg des Klägers für die hier streitbefangene Zeit vom 9. November bis 31. Dezember 1989 zutreffend mit 322,20 DM wöchentlich bemessen.

Für Arbeitslose, die selbst oder deren Ehegatte mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 1, 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haben, falls beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, wie das hier der Fall ist, beträgt das Alg 68 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 111 Abs 1 Nr 1 AFG). Mehr als die 322,20 DM wöchentlich, die die Anlage 2 der aufgrund der Ermächtigung des § 111 Abs 2 AFG erlassene Leistungsverordnung 1989 (vom 30. November 1988, BGBl I 2166) für das Alg nach § 111 Abs 1 Nr 1 AFG bei einem Arbeitsentgelt von 1.420,– DM in der Leistungsgruppe D ausweist, stünde dem Kläger nur zu, wenn das Alg nach einem höheren Arbeitsentgelt oder einer günstigeren Leistungsgruppe zu bemessen wäre. Weder das eine noch das andere ist jedoch der Fall. Mit dem Arbeitsentgelt von 1.420,– DM ist angesichts der Leistungsbemessungsgrenze (§ 111 Abs 2 Satz 2 Nr 5, § 175 Abs 1 Nr 1 AFG) schon das höchste auf den nächsten durch zehn teilbaren DM-Betrag gerundete wöchentliche Arbeitsentgelt (§ 112 Abs 10 AFG) dem Alg des Klägers zugrunde gelegt worden; denn die Leistungsbemessungsgrenze betrug 1989 73.200,– DM, dh auf die Woche umgerechnet 1.423,33 DM. Dem Kläger steht auch keine günstigere Leistungsgruppe als D zu, insbesondere nicht die – günstigste – Leistungsgruppe C, in der das Alg 614,40 DM wöchentlich betrüge.

Die Leistungssätze der Leistungsgruppe C, bei deren Bildung als Lohnsteuerabzug die Steuer nach der allgemeinen Lohnsteuertabelle für die Lohnsteuerklasse III ohne Kinderfreibetrag zugrunde zu legen ist, stehen nur Arbeitnehmern zu, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist. Das ergibt sich aus § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 Buchstabe c AFG. Die Lohnsteuerklasse III, die zu Beginn des Kalenderjahres 1989 auf der Steuerkarte des Klägers eingetragen war, ist indes nicht maßgebend; maßgebend ist vielmehr die Steuerklasse V, die seit dem 1. Februar 1989 eingetragen war und in der streitbefangenen Zeit für den Steuerabzug maßgebend gewesen wäre, wenn der Kläger Arbeitsentgelt erzielt hätte. Das folgt aus § 113 AFG.

Nach § 113 Abs 1 Satz 1 AFG ist allerdings grundsätzlich die Lohnsteuerklasse maßgebend, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist. Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse sind jedoch zu berücksichtigen. Das sieht § 113 Abs 1 Sätze 2 und 3 AFG im allgemeinen und für einen Steuerklassenwechsel unter Ehegatten die vorrangige Spezialvorschrift des § 113 Abs 2 AFG vor. Nach § 113 Abs 2 Satz 1 AFG werden bei einem Steuerklassenwechsel die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem die Änderungen wirksam werden. Ein solcher Steuerklassenwechsel hat hier stattgefunden.

Steuerklassenwechsel ist jedes Auswechseln der für verheiratete Arbeitnehmer, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, gemäß § 38b Satz 2 Nrn 3 bis 5 EStG 1987 vorgesehenen Steuerklassen (BSGE 61, 45, 49 = SozR 4100 § 113 Nr 5). Mit Wirkung vom 1. Februar 1989 sind der Kläger und seine Ehefrau nach den Feststellungen des LSG entsprechend verfahren, indem sie auf ihren Steuerkarten nunmehr die Steuerklassen V für den Kläger und III für seine Ehefrau eintragen ließen. Ob der Wechsel der Steuerklassen steuerrechtlich zulässig war, bedarf hierbei keiner Prüfung; denn für § 113 Abs 2 AFG maßgebend ist allein die Tatsache der Eintragung der Steuerklasse auf den Steuerkarten der Ehegatten, solange diese Bestandskraft besitzt (vgl Senatsurteil vom 27. September 1989, SozR 4100 § 113 Nr 11; BSGE 61, 45, 50 = SozR 4100 § 113 Nr 5). Unerheblich ist, ob der Kläger sowohl zu Beginn des Jahres 1989 als auch am 1. Februar 1989 als „Selbständiger” keine Lohnsteuerkarte benötigt hat; denn die §§ 111, 113 AFG gehen von der Situation aus, wie sie tatsächlich durch Eintragung auf den Lohnsteuerkarten bescheinigt worden ist (vgl BSG Urteil vom 22. Februar 1984 – 7 RAr 52/82 – DBlR der BA Nr 2955 AFG § 113). Deshalb kommt es weder darauf an, warum der Kläger für 1989 eine Lohnsteuerkarte erhalten hat, noch, weshalb er diese anläßlich der Eintragung der Lohnsteuerklasse III für seine Ehefrau nicht zurückgegeben hat.

Allerdings wirkt sich nicht jeder Steuerklassenwechsel auf die Höhe des Alg aus. Entsprechen die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen an dem Tage, an dem die Änderung wirksam wird, offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten, so sind nach § 113 Abs 2 Satz 2 AFG die diesem Verhältnis entsprechenden Lohnsteuerklassen für die Höhe des Alg maßgebend. Ein Wechsel der Steuerklassen ist hiernach nur beachtlich, wenn er zum genannten Zeitpunkt objektiv geboten ist (vgl Senatsurteil SozR 4100 § 113 Nr 11; BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1). Wie insbesondere den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, ist der Steuerklassenwechsel objektiv geboten, wenn die bisherige Lohnsteuerklassenkombination nach den erzielten Arbeitslöhnen beider Ehegatten insgesamt zu einem zu hohen Lohnsteuerabzug führen würde (BSG SozR 4100 § 113 Nr 3; vgl Begründung zu § 113 AFG, BT-Drucks 7/4127 S 53 sowie Begründung zu Art 10 des Entwurfs eines Steuerentlastungsgesetzes 1981, BT-Drucks 8/3701 und 3901, jeweils S 77) oder – mit anderen Worten –, wenn die neu eingetragenen Steuerklassen den geringsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug zur Folge haben (BSG SozR 4100 § 113 Nr 7). Das läßt sich am einfachsten an Hand der jährlich vom Bundesministerium der Finanzen und den obersten Finanzbehörden der Länder neu herausgegebenen Tabellen zur Lohnsteuerklassenwahl beurteilen.

Die am 1. Februar 1989 neu eingetragenen Lohnsteuerklassen haben dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprochen. Maßgebend ist der Tag des Wirksamwerdens des Steuerklassenwechsels, dh der Beginn des auf die Antragstellung folgenden Kalendermonats (§ 39 Abs 5 Satz 3 EStG 1987 idF des Gesetzes vom 25. Juli 1988, BGBl I 1093), hier der 1. Februar 1989. Zu diesem Zeitpunkt ist der Arbeitslohn der Ehefrau des Klägers mit 1.910,24 DM anzusetzen, der Arbeitslohn des Klägers dagegen mit Null. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß die Ehegatten erst durch den Steuerklassenwechsel gemeinsam den geringsten Lohnsteuerabzug erreichten; denn der Lohnsteuerabzug für das allein von der Ehefrau des Klägers erzielte monatliche Arbeitsentgelt läge nach Lohnsteuerklasse V wesentlich höher, als es nach der Lohnsteuerklasse III der Fall ist, wie die hier einschlägige Tabelle des EStG belegt.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 113 Abs 2 Satz 3 AFG. Allerdings bleibt bei der Beurteilung der Verhältnisse der monatlichen Arbeitslöhne nach dieser Vorschrift ein Ausfall des Arbeitslohnes außer Betracht, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründet. Diese Vorschrift, auf die sich das LSG ua gestützt hat, findet im vorliegenden Fall jedoch keine Anwendung. Die Prüfung, ob die neu eingetragenen Steuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten gerecht werden, ist nach § 113 Abs 2 Satz 2 AFG für den Tag vorzunehmen, an dem die Steuerklassenänderungen wirksam werden. Das aber ist, wie schon erwähnt, der auf der jeweiligen Lohnsteuerkarte bescheinigte Tag des Eintritts der Steuerklassenänderung, und zwar selbst dann, wenn zu diesem Zeitpunkt von keinem Ehegatten dem Lohnsteuerabzug unterliegendes Arbeitsentgelt erzielt wird (BSGE 61, 45 = SozR 4100 § 113 Nr 5; SozR 4100 § 113 Nr 7). Infolgedessen ist allein entscheidend, ob der Ausfall des Arbeitslohns eines Ehegatten zu diesem Zeitpunkt, hier also zum 1. Februar 1989, einen Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründet. Das ist hier zu verneinen. Wortlaut und Sinn der Vorschrift verlangen, daß der Ausfall des Arbeitslohns den Anspruch auf die Lohnersatzleistung begründet. Für die Gewährung von Alg heißt dies, daß zum genannten Zeitpunkt sämtliche Voraussetzungen nach § 100 Abs 1 AFG erfüllt sein müssen (BSG SozR 4100 § 113 Nr 7). Da der Kläger sich erst am 9. November 1989 arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat, ist das hier bereits deshalb nicht der Fall. Offen kann bleiben, ob der Kläger am 1. Februar 1989 im Hinblick auf seine angestrebte Selbständigkeit überhaupt als Arbeitsloser iS des § 101 Abs 1 AFG angesehen werden könnte. Erforderlich dafür wäre nämlich, daß er zu dem Zeitpunkt noch dem Kreis der Arbeitnehmer zuzurechnen wäre, dh, noch eine abhängige Beschäftigung anstrebte (vgl Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Februar 1993, § 101 Anm 3).

Der Auffassung des LSG, es genüge für § 113 Abs 2 Satz 3 AFG, daß Alg hätte in Anspruch genommen werden können, kann nicht gefolgt werden. Die Vorschrift ermöglicht, Alg nach Maßgabe der Steuerklasse zu gewähren, die der Arbeitnehmer haben würde, wenn er in Arbeit wäre. Der § 113 Abs 2 Satz 3 AFG vermeidet damit, daß ein nach Maßgabe des Steuerrechts sinnvoller Steuerklassenwechsel nach Verlust von Einkommen stets zu einer für den Arbeitslosen ungünstigeren Leistungsgruppe führt. Ein Arbeitnehmer soll hinsichtlich der Höhe seines Alg nicht dadurch einen Nachteil erleiden, daß er während des Bezugs einer lohnsteuerfreien Lohnersatzleistung die Steuerklasse im Hinblick auf den Verdienst seines Ehegatten ändert und den tatsächlichen Einkommensverhältnissen anpaßt (BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1). Die Vorschrift kommt indes nicht in jedem Fall, sondern nur dann zur Anwendung, wenn zum Vergleichszeitpunkt jedenfalls Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung vorhanden ist oder eine solche Leistung bereits bezogen wird. Etwaige Nachteile in bezug auf die Höhe von Alg nach Lohnsteuerklassenwechsel zwischen Ehegatten sollen also nicht in jedem Fall vermieden werden. Folge davon ist, daß dann, wenn ein Ehegatte zum Vergleichszeitpunkt kein Arbeitsentgelt erzielt und auch kein Fall des § 113 Abs 2 Satz 3 AFG vorliegt, dieses für den Vergleich der beiderseits erzielten Arbeitsentgelte mit Null anzusetzen ist, wie es der Wirklichkeit entspricht. Zwar weist das LSG zutreffend darauf hin, daß nach dem Wortlaut des § 113 Abs 2 Satz 2 AFG grundsätzlich die beiderseits von den Ehegatten erzielten Arbeitslöhne einander für die Bestimmung der dem Verhältnis der Arbeitslöhne entsprechenden Lohnsteuerklassen gegenüberzustellen sind. Erzielt jedoch wenigstens ein Ehegatte zu dem für den Vergleich der beiderseits erzielten Arbeitslöhne maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Steuerklassenwechsels keinen Arbeitslohn, muß dennoch ein Vergleich erfolgen. Wie dieser vorzunehmen ist, ergibt sich aus der Verbindung des Abs 2 Satz 2 der Vorschrift mit Satz 3 AFG (vgl dazu BSG SozR 4100 § 113 Nr 3). Gäbe es nämlich § 113 Abs 2 Satz 3 AFG nicht, müßte bereits nach Abs 2 Satz 2 der Vorschrift für den Vergleich der beiderseits erzielten Arbeitslöhne jede Summe, auch wenn sie nur ganz geringfügig wäre, berücksichtigt werden und Null, wenn kein Arbeitslohn erzielt wird.

Entgegen der Auffassung des LSG kann für den Vergleich der von den Ehegatten beiderseits erzielten Arbeitslöhne auch nicht von dem im Gesetz genannten Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Steuerklassenwechsels abgewichen werden. Die Auffassung des LSG widerspricht nicht nur dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, sondern auch ihrer systematischen Anbindung an die insoweit einschlägigen Vorschriften des Steuerrechts sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die nach § 39 Abs 5 Sätze 3 und 4 EStG 1987 vorgenommene Steuerklassenänderung wird für Ehegatten notwendigerweise einheitlich und zugleich mit Beginn des auf die Antragstellung folgenden Monats wirksam. Hiervon weicht § 113 Abs 2 Satz 2 AFG ebensowenig ab wie von den steuerrechtlichen begrifflichen Voraussetzungen für den Steuerklassenwechsel (vgl näher BSGE 52, 227, 232 = SozR 4100 § 113 Nr 2; BSGE 61, 45, 50 = SozR 4100 § 113 Nr 5). Sinn und Zweck der Vorschrift bestärken die hier vertretene Auffassung. Dieser besteht nämlich nicht nur darin, daß der mißbräuchliche Steuerklassenwechsel unter Ehegatten, die auf solche Weise höhere Lohnersatzleistungen erzielen wollen, verhindert werden soll, sondern er zielt darauf, daß ein Steuerklassenwechsel nur dann berücksichtigt wird, wenn er auch ohne eine eingetretene Arbeitslosigkeit objektiv geboten wäre, dh zu einem für die Ehegatten insgesamt niedrigeren Steuerabzug führen würde (vgl BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1). Alg soll sich nämlich in solchen Fällen vornehmlich an der „richtigen” Steuerklasse orientieren (Senatsurteil SozR 4100 § 113 Nr 11). Dies war zum 1. Februar 1989 die Steuerklasse V, weil der Kläger auf dem Wege war, sich selbständig zu machen. Denn um für den laufenden Arbeitslohn seiner Ehefrau den niedrigsten Lohnsteuerabzug zu erhalten, war es bei dieser Sachlage sinnvoll, daß sie die Steuerklasse III übernimmt. Auch wenn der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits selbständig gewesen wäre und eigentlich keine Lohnsteuerkarte mehr benötigt hätte, würde nichts anderes gelten, denn dann wäre die Lohnsteuerklasse seiner Ehefrau mit dem Wechsel nur an die für solche Fälle nach § 38b Satz 2 Nr 3 Buchstabe a EStG 1987 gesetzlich vorgesehene Steuerklasse angeglichen worden.

Für die hier vertretene Auffassung spricht weiter, daß die im Rahmen des § 113 Abs 2 AFG angewandten Maßstäbe für beide Ehegatten einheitlich sein müssen. Denn die nach § 39 Abs 5 Sätze 4 und 5 EStG 1987 vorgenommene Steuerklassenänderung wird für beide Ehegatten notwendigerweise einheitlich mit Beginn des auf die Antragstellung folgenden Monats wirksam. Stellte man nicht auf diesen Zeitpunkt, sondern wie das LSG auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Alg ab, könnte der Steuerklassenwechsel nicht mehr für beide Ehegatten einheitlich als objektiv geboten oder nicht geboten beurteilt werden. Je nach dem Zeitpunkt des Eintritts von Arbeitslosigkeit bei dem einen oder anderen Ehegatten müßte sich der maßgebliche Zeitpunkt für den Vergleich der beiderseits erzielten Arbeitsentgelte jeweils nach dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Alg bei dem betreffenden Ehegatten richten. Da diese Zeitpunkte regelmäßig nicht übereinstimmen werden, wären unbefriedigende Ergebnisse nicht auszuschließen, zB dann, wenn sich – wie hier – die beiderseitigen Arbeitsentgelte wesentlich verändert hätten.

Die Rechtsauffassung des LSG läßt sich aber auch nicht mit den in § 113 Abs 2 AFG ebenfalls enthaltenen Gedanken der Verwaltungsvereinfachung (vgl Senatsurteil vom 26. September 1989, SozR 4100 § 113 Nr 10), insbesondere nicht mit den praktischen Bedürfnissen einer Massenverwaltung, wie die BA sie betreibt, vereinbaren. Auszugehen ist nämlich davon, daß der Gesetzgeber bei den hier leistungsrechtlich relevanten Tatbeständen der §§ 113, 111 AFG, um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, im Rahmen seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit an die steuerrechtlichen Vorschriften (§§ 38b Nrn 3 bis 5, 39 Abs 5 EStG 1987) und damit auch die steuerrechtliche Wirksamkeit von eingetragenen Änderungen auf den Lohnsteuerkarten typisierend und pauschalierend angeknüpft hat. Denn damit läßt sich eine Verwaltungsvereinfachung, zugleich aber auch eine der Rechtssicherheit dienende Gleichbehandlung aller Leistungsbezieher in einschlägigen Fällen erreichen (vgl BSG Urteil vom 22. Februar 1984 – 7 RAr 52/82 –, DBlR der BA Nr 2955 AFG § 113). Dadurch können zwar möglicherweise bei einzelnen Sachverhaltsvarianten Nachteile für betroffene Arbeitslose auftreten. Diese sind jedoch als notwendige Begleitumstände von derart typisierenden gesetzlichen Regelungen regelmäßig hinzunehmen, es sei denn, in nicht nur wenigen besonders gelagerten Fällen entstünden deutliche Ungleichheiten iS des Art 3 Grundgesetz (BVerfGE 63, 119, 128). Dafür sind hier allerdings keine Anhaltspunkte erkennbar.

Schließlich darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Gesetzgeber für etwaige besondere Fälle eindeutig keine Härteklausel in die Vorschrift aufgenommen, sondern für den Vergleich der Arbeitsentgelte und für den Zeitpunkt der Wirksamkeit von Steuerklassenänderungen offenbar die typisierende Regelung für ausreichend erachtet hat. Das entspricht der Anknüpfung an das Steuerrecht und ist auch sonst systemgerecht, denn eine typisierende Vorschrift kann – wie bereits angedeutet – nicht sämtliche denkbaren Sachverhaltsvarianten aller einschlägigen Fälle berücksichtigen. Nach alledem kann von den bisher in der Rechtsprechung anerkannten Maßstäben für die Beurteilung von Steuerklassenwechseln nach § 113 Abs 2 AFG auch hier nicht abgewichen werden. Insbesondere geht es nicht an, wie das LSG ebenfalls für möglich hält, Einkünfte oder Nichteinkünfte aus selbständiger Tätigkeit als lohnsteuerfreie Lohnersatzleistungen iS des § 113 Abs 2 Satz 2 AFG anzusehen. Zum einen begründet der Ausfall von Arbeitsentgelt keinen Anspruch auf Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, zum anderen sind Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit grundsätzlich einkommensteuerpflichtig und damit nicht „lohnsteuerfrei”. Denn die Lohnsteuer ist nur ein Unterfall der Einkommensteuer, deren Abführung vom Arbeitslohn grundsätzlich bei Beschäftigungsverhältnissen durch den Arbeitgeber zu erfolgen hat (vgl §§ 38 ff EStG).

Die Revision der BA mußte danach Erfolg haben.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172829

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