Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 06.09.1994; Aktenzeichen L 9 J 362/94)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. September 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger anstelle der ihm bereits zugesprochenen Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU) eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zu gewähren hat.

Der 1943 geborene Kläger war zunächst im ehemaligen Jugoslawien als Bauarbeiter tätig und sodann vom 26. Juni 1970 bis 15. März 1990 in der Bundesrepublik Deutschland als Maurer beschäftigt. Anschließend war er arbeitsunfähig krank und arbeitslos.

Im Mai 1991 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von EU/BU-Rente. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 30. März 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1992 abgelehnt, weil der Kläger noch vollschichtig leichte Tätigkeiten mit gewissen Einschränkungen ausüben könne. Da er nur Bauhilfsarbeiten verrichtet habe, sei er auf alle ungelernten Tätigkeiten im Bereich des allgemeinen Arbeitsfeldes verweisbar. Das vom Kläger angerufene Sozialgericht Stuttgart (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 14. Dezember 1993 verurteilt, dem Kläger ab Antragstellung BU-Rente zu gewähren. Im übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Die auf Gewährung von EU-Rente gerichtete Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat sein Urteil vom 6. September 1994 im wesentlichen wie folgt begründet:

Trotz vorhandener Gesundheitsstörungen bestehe bei dem Kläger noch keine EU. Alle seit der Rentenantragstellung gehörten Ärzte hätten nämlich das Leistungsvermögen des Klägers als vollschichtig für leichte körperliche Arbeiten bezeichnet. Die daneben bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen schlössen lediglich Arbeiten in Wechselschicht, Nachtschicht sowie unter besonderem Zeitdruck aus; zu vermeiden seien auch häufiges Bücken, starke Feuchtbelastung der Haut, Umgang mit hautreizenden Stoffen und Tätigkeiten, bei denen Lesen und Schreiben nötig seien.

Soweit der Kläger geltend mache, in seinem Fall sei im Hinblick auf sein Lebensalter, wegen der bei ihm bestehenden vielfältigen Leistungseinschränkungen, seiner Schwerbehinderteneigenschaft und seiner Arbeitslosigkeit von länger als einem Jahr eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen, die er mit seinem Restleistungsvermögen noch zu verrichten vermöge, sei dem nicht zu folgen. Nur eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung zwängen zur konkreten Benennung. Solche Einschränkungen könnten nach dem Bundessozialgericht (BSG) bei Fällen der Einarmigkeit und Einäugigkeit, besonderer Schwierigkeit hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz, stärkerer Konzentrationsmängel bzw der Notwendigkeit häufiger Pausen vorliegen. Andererseits bedürfe es der konkreten Benennung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit nach dieser Rechtsprechung nicht schon dann, wenn ein Versicherter noch leichte Arbeiten ohne überwiegendes Stehen, ständiges Sitzen, ohne Einwirkung von Nässe oder Kälte, ohne häufiges Bücken, ohne die Notwendigkeit einer besonderen Fingerfertigkeit und ohne Unfallgefahren verrichten könne (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1246 Nr 90), wenn die Einsatzmöglichkeit im Akkord, Schichtdienst und an laufenden Maschinen nicht gegeben sei und keine besonderen Anforderungen an das Seh-, Hör- oder Konzentrationsvermögen gestellt werden dürften (Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1246 Nr 117), desgleichen nicht, wenn der Versicherte nur noch leichte Arbeiten fast ausschließlich im Sitzen, in trockenen und zugfreien Räumen verrichten könne und Arbeiten in Kopfhöhe und darüber sowie Akkord und Schichtarbeit ausgenommen seien (Hinweis auf BSG, Urteil vom 22. Februar 1989 – 5/5b RJ 66/87 –). Der Grad der qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers sei nicht stärker als die Leistungseinschränkungen in diesen vom BSG entschiedenen Fällen.

Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 1247 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dazu trägt er ua vor: Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG wäre es im vorliegenden Falle erforderlich gewesen, ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG habe er besondere gesundheitliche Einschränkungen. Bei ihm liege eine Hauterkrankung in Form eines chronischen Handekzems an beiden Handrücken vor. Dieses könne sich bei einer Beschäftigung als Bauarbeiter oder bei Tätigkeiten, die den Umgang mit hautreizenden Stoffen, Feuchtigkeit oder Schmutz bedingten, verschlechtern. Hierbei handele es sich um spezifische Leistungseinschränkungen, die nicht bereits in der Formulierung „leichte Tätigkeiten” enthalten seien. Hätte das LSG in berufskundlicher Hinsicht geprüft, ob er mit dem ihm noch zur Verfügung stehenden Restleistungsvermögen einen Verweisungsberuf ausüben könne, hätte es zu der Erkenntnis kommen müssen, daß ihm keine körperlich leichte Arbeit hätte benannt werden können, die seinen Leistungseinschränkungen Rechnung trage.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. September 1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Dezember 1993, soweit es die Versagung von EU-Rente betrifft, und ferner den Bescheid der Beklagten vom 30. März 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm anstelle der bereits zugesprochenen BU-Rente ab 1. Mai 1991 EU-Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie macht insbesondere geltend: Eine konkrete Benennung von Verweisungsmöglichkeiten sei nach der Rechtsprechung des BSG nur erforderlich, wenn eine Einschränkung der Wegefähigkeit vorliege, die Notwendigkeit bestehe, zusätzliche Arbeitspausen einzulegen, oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung dazu zwinge. Die qualitativen Leistungseinschränkungen, die in den Tatsacheninstanzen beim Kläger festgestellt worden seien, ließen solche Ausnahmetatbestände nicht erkennen. Insbesondere handele es sich bei der Kontaktallergie nicht um eine Erkrankung, die eine schwere spezifische Leistungseinschränkung zur Folge habe, weil allein das Meiden hautreizender Stoffe zu einer Verbesserung der Krankheitssymptome führe. Auch die mangelnde Fähigkeit des Klägers, der in Jugoslawien vier Jahre die Schule besucht habe, die deutsche Sprache zu lesen und zu schreiben, könne nicht zu einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung führen. Die Schwierigkeiten des Klägers resultierten aus einer ungenügenden Beherrschung der deutschen Sprache, worauf er sich nicht berufen könne, weil ansonsten der gesetzlichen Rentenversicherung ein ihr systematisch nicht zugewiesenes Risiko aufgebürdet würde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Wegen fehlender Tatsachenfeststellungen kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob das LSG zu Unrecht das Urteil des SG insoweit bestätigt hat, als dieses die auf Versichertenrente wegen EU gerichtete Klage abgewiesen hat.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen EU richtet sich noch nach § 1247 RVO, da der Rentenantrag bereits im Jahre 1991 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden ist und er sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1991 bezieht (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫; dazu auch BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).

Gemäß § 1247 Abs 1 RVO erhält Rente wegen EU der Versicherte, der erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der EU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeführt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Aus den Feststellungen des LSG zur Dauer der versicherungspflichtigen Beschäftigung des Klägers in der Bundesrepublik ergibt sich, daß die Wartezeit von 60 Kalendermonaten mit anrechenbaren Versicherungszeiten erfüllt ist (vgl § 1246 Abs 3, § 1247 Abs 3 Satz 1 Buchst a, §§ 1249, 1250 RVO). Da die Vorinstanz den Eintritt von EU verneint hat, konnte sie es auf sich beruhen lassen, ob der Kläger davor zuletzt in ausreichendem Umfang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. Der Umstand, daß die Beklagte das Urteil des SG, soweit es eine Verpflichtung zur Gewährung von BU-Rente enthält, nicht angegriffen hat, deutet allerdings darauf hin, daß die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1247 Abs 2a iVm § 1246 Abs 2a RVO hier erfüllt sind.

Nach § 1247 Abs 2 RVO ist ein Versicherter erwerbsunfähig, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann. Zwar ist der Kläger im Rahmen der Prüfung von EU ohne subjektive Zumutbarkeitsbeschränkungen (iS eines Berufsschutzes) auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Der vorliegende Fall gibt jedoch Anlaß, der Frage nachzugehen, ob er mit seinen Leistungseinschränkungen – gemessen an den tatsächlichen Anforderungen der Arbeitswelt – noch in erforderlichem Umfang erwerbstätig sein kann (vgl dazu BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8). Dies vermag der erkennende Senat auf der Grundlage der berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht sicher zu beurteilen, zumal das LSG keine für den Kläger geeigneten Tätigkeitsfelder aufgezeigt hat.

Nach der jetzt vom Großen Senat des BSG (vgl zB den Beschluß vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 10 ff mwN) bestätigten Rechtsprechung des BSG ist einem Versicherten, der aus gesundheitlichen Gründen seine bisherige Erwerbstätigkeit nicht mehr verrichten kann, bei Verweisung auf das übrige Arbeitsfeld grundsätzlich zumindest eine Tätigkeit konkret zu benennen, die er noch auszuüben vermag. Eine derartige Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit ist hingegen nicht erforderlich, wenn der Versicherte zwar nicht mehr zu körperlich schweren, aber doch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage ist und – wie der Kläger im Rahmen des § 1247 Abs 2 RVO – auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ungelernter Tätigkeiten verweisbar ist.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dann zu machen, wenn bei dem Versicherten eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. In diesem Falle kann nämlich nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für die an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist. Es kommen vielmehr ernste Zweifel daran auf, ob der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist.

Im Hinblick darauf, daß der Große Senat des BSG die vom erkennenden Senat angestrebte Fortentwicklung der Rechtsprechung zur Benennung von ungelernten Verweisungstätigkeiten für erheblich leistungsgeminderte, aber noch vollschichtig einsetzbare Versicherte (vgl die Vorlagebeschlüsse vom 23. November 1994 – 13 RJ 19/93 – ua) auch mit Rücksicht auf zwischenzeitliche gesetzgeberische Maßnahmen (vgl §§ 43, 44 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) abgelehnt hat, kommt den Merkmalen „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” eine besondere Bedeutung zu.

Der dargestellten Systematik entsprechend liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung nur dann vor, wenn die Fähigkeit der Versicherten, zumindest körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten, zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist. Dazu hat nach Auffassung des erkennenden Senats der Große Senat des BSG in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 hinreichend deutlich gemacht, daß die Frage, ob im konkreten Fall eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung anzunehmen ist, nur unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitswelt, insbesondere auch der dort an Arbeitnehmer gestellten Anforderungen, zutreffend beantwortet werden kann (vgl bereits BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81).

Unter dem Begriff „schwere spezifische Leistungsbehinderung” werden vom BSG diejenigen Fälle erfaßt, wo bereits eine schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hingegen trägt das Merkmal „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” dem Umstand Rechnung, daß auch eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. Jede qualitative Leistungseinschränkung, zB der Ausschluß von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, versperrt der Versicherten eine bestimmte Gruppe von Arbeitsplätzen, dh alle Tätigkeiten, bei denen – und sei es auch nur gelegentlich – die nicht mehr mögliche Leistungserbringung gefordert wird. Jede weitere Leistungseinschränkung schließt ihrerseits einen anderen Bereich des Arbeitsmarktes aus, wobei sich diese Bereiche überschneiden, aber auch zu einer größeren Einengung des Arbeitsmarktes addieren können. Mit jeder zusätzlichen Einengung steigt die Unsicherheit, ob in dem verbliebenen Feld noch ohne weiteres Beschäftigungsmöglichkeiten unterstellt werden können. In diesem Sinne kann letztlich auch eine größere Summierung „gewöhnlicher” Leistungseinschränkungen zur Benennungspflicht führen.

„Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Konkretisierung nur schwer zugänglich sind. Denn zum einen sind die verschiedenen Leistungsanforderungen der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht kommenden Arbeitsplätze kaum überschaubar und zudem ständigen Veränderungen unterworfen. Zum anderen können sich qualitative Leistungseinschränkungen je nach ihrer bei einem Versicherten vorliegenden Anzahl, Art und Schwere ganz unterschiedlich auf dessen betriebliche Einsetzbarkeit auswirken. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff „leichte Arbeiten”, auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten. Nur so erscheint eine „vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe” gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 (vgl GS 2/95, Umdr S 19) vorausgesetzt hat.

Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Die vom BSG jeweils vorgenommenen Beurteilungen mögen zwar – auch wenn sie weder näher begründet noch berufskundlich oder arbeitswissenschaftlich belegt worden sind – im allgemeinen nachvollziehbar sein, ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen; allenfalls können sie – soweit sie auf aktuellen Erkenntnissen zu den Verhältnissen der Arbeitswelt beruhen – Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen liefern.

Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden. Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, um so eingehender und konkreter muß das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen.

Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des (noch) unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muß aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben. Zwar wird der Richter in vielen Fällen anhand allgemeinkundiger Tatsachen, seiner Berufserfahrung oder durch Beiziehung von Beweisergebnissen aus anderen Verfahren über eine Beurteilungsgrundlage verfügen, die eine Beweisaufnahme im Einzelfall erübrigt. Wegen der großen Beurteilungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten ist dann regelmäßig eine eingehende Erörterung der Einschätzungen mit den Beteiligten erforderlich. Dort, wo dies nicht ausreicht – was vor allem in Grenzfällen so sein wird –, ist jedoch eine Beweisaufnahme erforderlich, zB durch Anhörung eines Sachverständigen der Arbeitsverwaltung, um aufzuklären, ob noch ein ausreichendes Verweisungsfeld vorliegt oder, falls dies nicht der Fall ist, eine geeignete Tätigkeit konkret benannt werden kann.

Nach diesen Grundsätzen reichen die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht aus, um im vorliegenden Fall eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit ausschließen zu können. Den Feststellungen des LSG, das hinsichtlich der Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers gemäß § 153 Abs 2 SGG auch auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen hat, ist zu entnehmen, daß der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen zwar nicht mehr die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maurer, aber noch vollschichtig leichte Arbeiten verrichten kann. Ausgeschlossen sind dabei allerdings Arbeiten in Wechselschicht, Nachtschicht sowie unter besonderem Zeitdruck, ferner Tätigkeiten, bei denen Lesen und Schreiben notwendig sind; zu vermeiden sind häufiges Bücken, starke Feuchtbelastung der Haut sowie Umgang mit hautreizenden Stoffen.

Angesichts dieser qualitativen Leistungseinschränkungen hat sich das LSG mit der allgemeinen Aussage begnügt, daß deren Grad nicht stärker sei als die Leistungseinschränkungen in einzelnen vom BSG (in SozR 2200 § 1246 Nrn 90, 117; Urteil vom 22. Februar 1989 – 5/5b RJ 66/87 –) entschiedenen Fällen. Eine derart pauschale Einschätzung wird nach Auffassung des erkennenden Senats unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht den Anforderungen gerecht, die an die Prüfung der Merkmale „Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen” und „schwere spezifische Leistungsbehinderung” zu stellen sind. Insbesondere hat es das LSG unterlassen, diejenigen qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers, die auch einer Verrichtung körperlich leichter Arbeiten entgegenstehen, daraufhin zu untersuchen, inwiefern sie dessen betriebliche Einsatzfähigkeit weiter einengen. Hier hätte Veranlassung bestanden, die durch das Hautekzem bedingten Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abzuschätzen. Entsprechendes gilt für die unzureichende Fähigkeit des Lesens und Schreibens, soweit diese nicht auf einer mangelnden Beherrschung der deutschen Sprache beruht (vgl BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11).

Da der erkennende Senat die somit noch erforderlichen Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht selbst nachholen kann (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Kommt das LSG nach weiterer Sachaufklärung zu dem Ergebnis, daß eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, bleibt zu prüfen, ob für die dann zu benennende Verweisungstätigkeit der Arbeitsmarkt verschlossen ist (vgl dazu jetzt auch den Beschluß des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 – Umdr S 14). Dabei ist insbesondere in Betracht zu ziehen, daß es sich um Schonarbeitsplätze handeln könnte.

Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173155

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