Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 20.12.1989; Aktenzeichen L 5 Ka 39/89)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Dezember 1989 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger und seine während des Berufungsverfahrens verstorbene frühere Ehefrau waren als Frauenärzte an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt und betrieben seit 1976 eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis. Mit Schreiben vom 30. Januar 1985 teilte die frühere Ehefrau des Klägers der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) mit, sie wolle zum nächstmöglichen Termin die Gemeinschaftspraxis mit ihrem Ehemann auflösen und mit ihm eine Praxisgemeinschaft weiterführen. Die Beteiligungskommission stellte daraufhin mit Bescheid vom 28. Februar 1985 fest, daß die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit dem 31. März 1985 ende. Den Widerspruch des Klägers wies die beklagte Berufungskommission mit Bescheid vom 9. April 1986 zurück.

Klage und Berufung, mit denen der Kläger geltend gemacht hat, eine Gemeinschaftspraxis könne nicht durch eine einseitige Erklärung eines der beteiligten Ärzte aufgelöst werden, hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Hannover vom 12. August 1987 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Niedersachsen vom 20. Dezember 1989). Das LSG hat ausgeführt, die Beteiligungsgremien seien gehalten, die Beendigung einer genehmigten Gemeinschaftspraxis förmlich festzustellen, wenn die Voraussetzungen der Genehmigung nicht mehr vorlägen. Zu diesen Voraussetzungen gehöre die Bereitschaft der beteiligten Ärzte, ihre Tätigkeit unter den Besonderheiten gemeinschaftlicher Praxisführung auszuüben. Bei der früheren Ehefrau des Klägers habe diese Bereitschaft nicht mehr bestanden. Sie habe spätestens seit dem Ende des ersten Quartals 1985 ihren Willen, die gemeinsame Praxisführung nicht fortzusetzen, in die Tat umgesetzt und zB ihre Patientinnen nur noch selbst behandelt, eigenes Hilfspersonal angestellt und ihre Leistungen getrennt gegenüber der KÄV abgerechnet. Dieses tatsächliche Verhalten sei allein maßgebend, so daß es nicht darauf ankomme, ob die frühere Ehefrau des Klägers etwa aufgrund zivilrechtlicher Bindungen gegenüber ihrem Ehemann zu einem anderen Verhalten verpflichtet gewesen wäre.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 368a Abs 8 und des § 368b Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der §§ 709, 722 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Eine Gemeinschaftspraxis, die in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts betrieben werde, könne nicht durch einseitige Erklärung eines der beteiligten Ärzte gegenüber der KÄV aufgelöst werden. § 709 BGB verlange vielmehr, daß jede die Gesellschaft (Gemeinschaftspraxis) rechtlich berührende Handlung nach außen von sämtlichen Gesellschaftern (Ärzten) gemeinschaftlich, dh mit Zustimmung aller Gesellschafter, vorgenommen werde. An einer in diesem Sinne von beiden Ärzten abgegebenen Willenserklärung fehle es. Für die Annahme, seine frühere Ehefrau habe gleichzeitig in Vollmacht für ihn gehandelt, bleibe kein Raum. Eine Kündigung durch sie sei nicht erfolgt; insbesondere könne ihr Schreiben vom 30. Januar 1985 nicht in eine solche Kündigung umgedeutet werden.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Dezember 1989 und des Sozialgerichts Hannover vom 12. August 1987 sowie den Bescheid der Beteiligungskommission für Ersatzkassen vom 28. Februar 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 9. April 1986 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

Einer Sachentscheidung des Senats steht nicht entgegen, daß das LSG nicht den oder die Rechtsnachfolger der während des Berufungsverfahrens verstorbenen früheren Ehefrau des Klägers beigeladen hat. Es kann dahinstehen, ob insoweit ein Fall der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorgelegen hat. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, folgte daraus nicht zwingend, daß das angefochtene Urteil allein wegen der Unterlassung der Beiladung aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden müßte. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 1. Oktober 1990 (BSGE 67, 251, 253 = SozR 3-2500 § 92 Nr 2) im Anschluß an die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (BSGE 66, 144, 146 f = SozR 3-5795 § 6 Nr 1) entschieden, daß das Unterlassen einer notwendigen Beiladung eine Zurückverweisung an die Vorinstanz dann nicht nach sich zieht, wenn aus der Sicht des Revisionsgerichts die Klage in jedem Fall abgewiesen werden muß. Das aber ist hier der Fall; denn die von den Beteiligungsgremien getroffene Feststellung der Beendigung der Gemeinschaftspraxis zum 31. März 1985 ist rechtmäßig.

Allerdings geben die Rechtsvorschriften, welche die Teilnahme als Vertragsarzt an der ärztlichen Versorgung der Ersatzkassenpatienten regeln, für die Zulässigkeit oder gar Notwendigkeit einer solchen Feststellung unmittelbar nichts her. Der für die streitige Zeit maßgebende Arzt/Ersatzkassen-Vertrag vom 20. Juli 1963 (EKV-Ärzte aF) verweist in seinem § 5 Nr 9 bezüglich der Voraussetzungen für die Führung einer Gemeinschaftspraxis auf das ärztliche Berufsrecht und die Bestimmungen der zuständigen KÄV und verpflichtet den Vertragsarzt darüber hinaus lediglich, die Ausübung der Gemeinschaftspraxis der für den Praxissitz zuständigen Beteiligungskommission anzuzeigen. Ein Genehmigungserfordernis, wie es § 33 Abs 2 der Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte) für die gemeinsame kassenärztliche Tätigkeit vorsah und wie es der seit 1. Oktober 1990 geltende EKV-Ärzte nunmehr auch für die gemeinsame Ausübung der Ersatzkassenpraxis festgelegt hat (vgl § 7 Abs 9 EKV-Ärzte nF), bestand dagegen nicht. Gleichwohl muß den Beteiligungsgremien in gleicher Weise wie den Zulassungsgremien im kassenärztlichen Bereich (siehe dazu das Urteil des Senats vom 19. August 1992 in dem Parallelverfahren 6 RKa 36/90) die Befugnis zugestanden werden, den aufgrund der Erklärung der früheren Ehefrau des Klägers eingetretenen Rechtszustand – das Ende der Gemeinschaftspraxis – formell festzustellen.

Die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis begründet besondere Rechte und Pflichten und beeinflußt damit den Zulassungsstatus des Kassen- bzw Vertragsarztes. Im Unterschied zur bloßen Praxisgemeinschaft, bei der sich mehrere Ärzte zur gemeinsamen Nutzung von Räumen und Geräten sowie zur gemeinsamen Beschäftigung nichtärztlicher Mitarbeiter bei ansonsten jedoch selbständiger Praxisführung mit verschiedenem Patientenstamm, jeweils eigener Kartei und selbständiger privat- und kassenärztlicher Abrechnung zusammenschließen, ist die Gemeinschaftspraxis durch eine gemeinsame Praxisführung und Behandlung in der Weise gekennzeichnet, daß bei gemeinschaftlicher Organisation und Abrechnung jeder der beteiligten Ärzte innerhalb der Grenzen seines Fachgebiets zur Behandlung aller gemeinsamen Patienten berechtigt ist (zur Abgrenzung im einzelnen vgl Narr, Ärztliches Berufsrecht, 2. Aufl, Stand 1988, RdNrn 1141 und 1144). Der KÄV gegenüber tritt die Gemeinschaftspraxis als eine Einheit auf. Sie verfügt über eine gemeinschaftliche Patientenkartei und rechnet die erbrachten Leistungen unter einem Namen ab. Die Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise wird nicht bezogen auf den einzelnen Arzt, sondern bezogen auf die Gemeinschaftspraxis als Ganzes geprüft; etwaige Honorarkürzungen oder Regresse haben die beteiligten Ärzte gemeinsam zu tragen. Auch die für Kassen- und Vertragsärzte geltenden Vertretungsregelungen (§ 32 ZO-Ärzte; § 5 Nr 8 EKV-Ärzte aF) beziehen sich auf die Praxis als Ganzes; der Vertretungsfall tritt nicht ein, solange nur ein Arzt der Gemeinschaftspraxis weiterhin tätig ist. All dies macht deutlich, daß es für die Gestaltung der vertragsärztlichen Tätigkeit und die Rechtsstellung der betroffenen Ärzte im Verhältnis zur KÄV und zu den Krankenkassen auf die Frage des Fortbestehens oder der Beendigung der Gemeinschaftspraxis wesentlich ankommt und deshalb insoweit ein Bedürfnis nach rechtsverbindlicher Klärung besteht. Nachdem die Möglichkeit, Veränderungen im Beteiligungsstatus des Vertragsarztes von Amts wegen durch Verwaltungsakt festzustellen, in anderem Zusammenhang ausdrücklich vorgesehen ist (vgl zB § 7 Nr 3 EKV-Ärzte aF; § 10 Abs 2 EKV-Ärzte nF), bestehen keine Bedenken, ein entsprechendes Vorgehen auch im Fall der Beendigung der Gemeinschaftspraxis zuzulassen. Daß die Entscheidung in die Zuständigkeit der Beteiligungskommission fällt, ergibt sich aus dem Sachzusammenhang mit den Zuständigkeitsregelungen in § 5 Nr 9 Sätze 2 und 3 EKV-Ärzte aF.

Auch die Erwägungen, mit denen das LSG die Verwaltungsentscheidung in der Sache gebilligt hat, lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Für die Beurteilung, ob eine vertragsärztliche Gemeinschaftspraxis erloschen ist oder weiterhin existiert, kommt es nicht auf den Inhalt und die Wirksamkeit der darüber geschlossenen privatrechtlichen Vereinbarungen, sondern auf die tatsächlichen Umstände und das Verhalten der beteiligten Ärzte an. Die gegenteilige Auffassung, die als Voraussetzung für ein Tätigwerden der Beteiligungskommission die vorherige rechtswirksame Auflösung des zwischen den Praxispartnern bestehenden Gesellschaftsvertrages verlangt (so insbesondere Narr, aaO, RdNr 1141 aE), übersieht, daß eine derartige Anbindung an das privatrechtliche Gesellschaftsverhältnis den Besonderheiten der Gemeinschaftspraxis als einer spezifischen Rechtsfigur des öffentlich-rechtlichen Kassenarztrechts nicht gerecht wird. Der Senat hat schon früher darauf hingewiesen, daß vertragliche Vereinbarungen über die gemeinsame Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im Kassenarztrecht nur nach Maßgabe der besonderen Vorschriften und Grundsätze dieses Rechtsgebietes berücksichtigt werden können (BSGE 55, 97, 103 ff = SozR 5520 § 33 Nr 1 S 6 ff). Mit den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen kassen- und vertragsärztlichen Versorgung aber wäre es nicht vereinbar, wenn die Feststellung der Beendigung einer Gemeinschaftspraxis von der Aufhebung des zugrundeliegenden Gesellschaftsverhältnisses privatrechtlicher Prägung (vgl dazu OLG Köln MedR 1992, 219, 220 f) abhängig gemacht würde. Die für die Gemeinschaftspraxis im kassenarztrechtlichen Sinne charakteristischen Besonderheiten, namentlich die Möglichkeit der Patientenbehandlung und Leistungsabrechnung unter einheitlichem Namen und die Einschränkung des Gebots der persönlichen Leistungserbringung, knüpfen nicht an die bestehende Rechtslage, sondern an die realen Verhältnisse an. Stellt einer der Partner die Zusammenarbeit ein und beendet die gemeinschaftliche Praxisführung und Patientenbehandlung, so entzieht er damit der bisher praktizierten besonderen Ausübungsform vertragsärztlicher Tätigkeit die Grundlage. Ob der andere Arzt seinerseits an der Gemeinschaftspraxis festhalten will, ist dann unerheblich.

Nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des LSG hat sich die frühere Ehefrau des Klägers mit der Erklärung vom 30. Januar 1985 von der Gemeinschaftspraxis losgesagt und ihren Willen, die gemeinsame Praxisführung nicht fortzusetzen, auch in die Tat umgesetzt, indem sie ihre Patientinnen ab dem Ende des ersten Quartals 1985 nur noch selbst behandelt, eigenes Hilfspersonal angestellt und ihre Leistungen getrennt gegenüber der KÄV abgerechnet hat. Damit hat ab diesem bzw dem von den Beteiligungsgremien festgelegten Zeitpunkt eine Gemeinschaftspraxis im kassenarztrechtlichen Sinne nicht mehr vorgelegen. Der angefochtene Bescheid hat dies zu Recht festgestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174357

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