Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 25.02.1993)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 1993 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse dem Kläger Krankengeld zu gewähren hat.

Der Kläger war bis zum 30. September 1981 Berufssoldat und bezieht seitdem Ruhegehalt. Nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr hat er eine Tätigkeit als selbständiger Vermögensberater aufgenommen. Er gehört der Beklagten seitdem als freiwilliges Mitglied an. Zunächst wurde er in der Beitragsklasse 621 mit Anspruch auf ein erhöhtes Krankengeld geführt. Aufgrund der am 1. Januar 1989 eingetretenen Rechtsänderungen stufte die Beklagte ihn in die Beitragsklasse 611 um. In dieser Klasse haben die Versicherten einen Krankengeldanspruch ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit in Höhe von einem Dreißigstel der Beitragsbemessungsgrenze. Ab 17. März 1989 lag beim Kläger Arbeitsunfähigkeit wegen einer Knieverletzung vor. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Krankengeld jedoch mit der Begründung ab, der Kläger beziehe als ehemaliger Berufssoldat ein Ruhegehalt und sei deshalb ab 1. Januar 1989 nicht mehr krankengeldberechtigt (Bescheid vom 2. Mai 1989). Gleichzeitig stufte sie den Kläger – unter Verrechnung der zuviel gezahlten Beiträge – rückwirkend zu dem genannten Zeitpunkt in die Beitragsklasse 501 (ohne Krankengeldanspruch) um. In weiteren Bescheiden vom 31. Mai und 28. Juni 1989 blieb sie bei ihrer Weigerung, das Krankengeld zu zahlen, und erläuterte die inzwischen vorgenommene Beitragsverrechnung. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wies sie mit Bescheiden vom 30. August 1989 (betrifft Krankengeld) und 22. Februar 1990 (betrifft Umstufung) zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichteten Klagen (S 3 Kr 315/89 und S 3 Kr 88/90) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und durch Urteil vom 17. Oktober 1990 die angefochtenen Bescheide aufgehoben sowie die Beklagte zur Krankengeldzahlung verpflichtet. Die – vom SG zugelassene – Berufung hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ua ausgeführt: Der Ausschluß des Klägers aus der Beitragsklasse 611 sei zu Unrecht erfolgt. Nach Wegfall der bisherigen Ermächtigungsgrundlage habe die Beklagte zum 1. April 1989 die Mitgliedschaft ihrer Versicherten neu geregelt. Nach § 20 Abs 13 der Satzung sei ein Versicherter dann aus der Beitragsklasse 611 in die Beitragsklasse 501 umzustufen, wenn eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld zugebilligt werde. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger jedoch nicht vor. Die Beklagte habe ihn zum 1. Januar 1989 auch nicht ohne entsprechende Satzungsbestimmung allein aufgrund der gesetzlichen Regelungen umstufen dürfen. Weder § 243 noch § 50 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB V) biete hierfür eine rechtliche Handhabe. Als freiwillig versichertem Mitglied sei dem Kläger nicht schon aufgrund seiner Pensionsbezüge der Anspruch auf Krankengeld verwehrt. § 50 SGB V schließe diese Leistung nur dann aus, wenn bei einem bereits bestehenden Krankengeldanspruch eine der in § 50 Abs 1 SGB V genannten Leistungen hinzutrete. Hierfür sprächen die Gesetzesmaterialien. Sei der Kläger somit zu Unrecht aus der Beitragsklasse mit Anspruch auf Krankengeld in eine Beitragsklasse ohne Krankengeldanspruch umgestuft worden, so könne die Beklagte § 50 SGB V auch nicht auf den hier geltend gemachten Krankengeldanspruch anwenden. Da der Kläger ab 17. März 1989 arbeitsunfähig sei und dies zum Verlust seines Arbeitseinkommens als selbständiger Vermögensberater geführt habe, stehe ihm gemäß § 44 SGB V das verlangte Krankengeld zu.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision macht die Beklagte geltend, § 50 Abs 1 SGB V schließe vom Beginn des Bezuges der dort aufgeführten Leistungen einen Krankengeldanspruch aus. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn dieser Leistungen oder erst während ihres Bezuges eingetreten sei. Auch derjenige, der bereits Leistungen zur Altersversorgung beziehe und dann arbeitsunfähig werde, habe keinen Anspruch auf Krankengeld. Da sich dies eindeutig aus dem Gesetz ergebe, bestehe kein Grund, in die Satzung hierzu gesonderte Bestimmungen aufzunehmen. Selbständige ohne Anspruch auf Krankengeld seien vielmehr gemäß § 20 der Satzung in der Beitragsklasse 501 zu führen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Februar 1993 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Oktober 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die vorinstanzlichen Entscheidungen für zutreffend und macht ua geltend: § 50 SGB V solle den vollen Doppelbezug von Leistungen verhindern, die dem gleichen Zweck dienten, nämlich dem Ersatz von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen. Hier liege jedoch ein Doppelbezug von Entgeltersatzleistungen nicht vor. Wenn er – wegen Arbeitsunfähigkeit – seine Tätigkeit als Vermögensberater nicht ausüben könne, trete eine Einkommenseinbuße ein. Das Krankengeld solle diese Einbuße ausgleichen. Dagegen habe das Ruhegehalt den Zweck, den durch das Ausscheiden aus der Bundeswehr bedingten Ausfall der Bezüge als aktiver Berufssoldat zu ersetzen. Im übrigen ergebe sich – entgegen der Auffassung der Beklagten – schon aus dem Wortlaut des § 50 Abs 1 SGB V, daß diese Vorschrift hier nicht angewendet werden könne. Denn in ihr sei von dem „Wegfall” des Krankengeldes die Rede. Dies setze aber seine vorherige Gewährung voraus.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat die zusprechende Entscheidung des SG zu Recht bestätigt.

Der geltend gemachte Anspruch auf Krankengeld ist nicht durch § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V idF des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I, 2477) ausgeschlossen. Nach der genannten Vorschrift haben Versicherte vom Beginn des Ruhegehalts, das nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen gezahlt wird, keinen Anspruch auf Krankengeld. Die Norm ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – nur in den Fällen anwendbar, in denen das Ruhegehalt nach Entstehung des Krankengeldanspruchs beginnt. Für diese Auslegung sprechen der Wortlaut der Vorschrift, ihre Entstehungsgeschichte und ihr Zweck.

Zwar ließe der Gesetzestext „haben vom Beginn der nachstehenden Leistungen an keinen Anspruch auf Krankengeld”) auch die Auslegung zu, daß jedes Zusammentreffen von Ruhegehalt und Krankengeld den Anspruch auf die Sozialleistung beendet, daß also auch denjenigen kein Krankengeld zusteht, die als Ruhegehaltsempfänger arbeitsunfähig werden. Bei der Auslegung muß aber die Überschrift des § 50 SGB V beachtet werden (Höfler in Kass Komm, SGB V § 50 RdNr 5). Von einem „Wegfall” des Krankengeldes kann man nur sprechen, wenn dem Versicherten bei Beginn der in § 50 Abs 1 Nrn 1 bis 5 SGB V genannten Leistungen ein Krankengeldanspruch zugestanden hat.

Für diese Auslegung läßt sich auch die Entstehungsgeschichte des § 50 SGB V anführen. In der Begründung zu § 49 des Gesetzentwurfs – dem späteren § 50 SGB V – (BT-Drucks 11/2237, S 181 f) wird ausdrücklich hervorgehoben daß die Vorschriften weitgehend dem geltenden Recht und Satz 1 Nr 1 und Nr 3 mit redaktionellen Änderungen § 183 Abs 3 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entsprächen. Damit erfaßt § 50 Abs 1 SGB V – wie § 183 Abs 3 Satz 1 RVO – ebenfalls nur Personen, die erst während des Bezuges von Krankengeld eine der genannten Leistungen mit Entgeltersatzfunktion erhalten (so zu § 183 Abs 3 RVO BSG SozR Nrn 13 und 17 zu § 183 RVO; aA die frühere Entscheidung in BSGE 19, 28 = SozR Nr 6 zu § 183 RVO). In diesem Zusammenhang hat Bedeutung, daß der Gesetzgeber in das neue Recht keine der früheren Regelung des § 183 Abs 4 RVO entsprechende Vorschrift übernommen hat. Danach bestand, wenn während des Bezuges von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld Krankengeld gewährt wurde, Anspruch auf Krankengeld für höchstens sechs Wochen, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 183 Abs 4 RVO ergibt (BT-Drucks III/2748; vgl dazu auch BSGE 19, 28, 30 = SozR Nr 6 zu § 183 RVO; BSG SozR Nr 17 zu § 183 RVO), sollte die Vorschrift den „Empfänger von Altersruhegeld oder Erwerbsunfähigkeitsrente, der weiterarbeitet”, begünstigen. Die Nichtübernahme einer inhaltsgleichen Regelung in das neue Recht läßt aber nicht den Schluß zu, daß weiterarbeitende Rentner und Ruhegehaltsempfänger nach dem am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Recht vom Krankengeldbezug grundsätzlich ausgeschlossen sind. Im Gegenteil, die Gesetzesentwicklung spricht dafür, daß der Gesetzgeber die Krankengeldberechtigung dieser Personengruppe nicht mehr zeitlich beschränken wollte. Denn wenn die aus § 183 Abs 3 Satz 1 RVO übernommene Regelung im Grundsatz nur Personen erfaßt, die während des Bezugs von Krankengeld Rente oder Ruhegehalt erhalten, hätte eine – diese Vorschrift ergänzende – Regelung, die auch weiterarbeitende Rentner und Ruhegehaltsempfänger von Krankengeld ausschließen will, im Gesetz selbst, mindestens aber in den Motiven des Gesetzes einen Niederschlag finden müssen (so auch Höfler in KassKomm, SGB V § 50 RdNr 5; aA Schmatz/Fischwasser/Geyer/Knorr, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl, § 50 SGB V RdNr 7; im Ergebnis auch Lekon, Die Leistungen 1991, 121, 122; Rundschreiben der Leistungsreferenten der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 9. Dezember 1988, Ziff 1.1 und Ziff 1.5 zu § 50 SGB V).

Die vom Senat vertretene Ansicht wird vor allem durch den Sinn und Zweck des § 50 Abs 1 SGB V gestützt. Die Regelung soll den Doppelbezug von Leistungen verhindern, die dem gleichen Zweck dienen, nämlich dem Ersatz von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen (Höfler in Kass Komm, SGB V § 50 RdNr 2; Wagner in von Maydell, GK-SGB V § 50 RdNrn 2 und 3; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Komm, § 50 SGB V RdNr 3; Schmatz/Fischwasser/Geyer/Knorr, aaO, § 50 SGB V RdNr 2). Dabei wird man dem Sinn und Zweck der Regelung nur gerecht, wenn zwischen dem durch das Krankengeld ersetzten Arbeitsentgelt und dem Arbeitsentgelt, an dessen Stelle die in § 50 Abs 1 SGB V genannten Leistungen getreten sind, Identität besteht. Diese Voraussetzung ist jedoch dann nicht erfüllt, wenn – wie im vorliegenden Fall – und generell bei weiterarbeitenden Rentnern und Ruhegehaltsempfängern das Krankengeld allein dazu dient, das im Falle der Arbeitsunfähigkeit entfallende Arbeitsentgelt aus der „neuen” Tätigkeit zu ersetzen. Ist die Anwendung des § 50 Abs 1 SGB V somit auf die Fälle beschränkt, in denen der Versicherte während des Bezugs von Krankengeld von einem bestimmten Zeitpunkt an eine der in Abs 1 des § 50 SGB V genannten Leistungen erhält (so Wagner, aaO, § 50 RdNr 11; Krauskopf, aaO, § 50 SGB V RdNr 3, Höfler, aaO, § 50 SGB V RdNr 5), dann darf die Beklagte dem vom Kläger erhobenen Anspruch auf Krankengeld nicht § 50 SGB V entgegenhalten. Denn das Krankengeld soll das Arbeitseinkommen ersetzen, das der Kläger aus der nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr aufgenommenen Tätigkeit als selbständiger Vermögensberater erzielt, während die Versorgungsbezüge seine früheren Bezüge als Berufssoldat ersetzen.

Das SG hat danach auch zu Recht die Umstufung des Klägers von der Beitragsklasse 611 (mit Krankengeldberechtigung) in die Beitragsklasse 501 (ohne Krankengeldanspruch) aufgehoben. Die entsprechenden Bescheide sind schon deshalb rechtswidrig, weil sie vom grundsätzlichen Ausschluß eines Ruhegehaltsempfängers vom Krankengeldbezug ausgehen und ihnen damit eine rechtsfehlerhafte Auslegung des § 50 SGB V zugrunde liegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173374

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