Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.04.1993)

SG Düsseldorf (Urteil vom 06.11.1991; Aktenzeichen S 2 Ka 79/91)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1993 und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 6. November 1991 geändert.

Der Beklagte wird entsprechend seinem Anerkenntnis vom 10. Mai 1995 verurteilt, die Honorarkürzungen in den Quartalen IV/88 und I/89 auf der Grundlage der Fallwerte der Vergleichsgruppe B 1 vorzunehmen und die Kürzungsbeträge unter Beibehaltung der bisher belassenen Überschreitungsquote entsprechend zu ermäßigen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin 1/10 der Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Die Klägerin hat dem Beklagten 9/10 von dessen Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig sind Honorarkürzungen im Primärkassenbereich in den Quartalen IV/88 und I/89.

Die 1932 in Polen geborene Klägerin erhielt dort 1960 die Approbation als Zahnärztin. Bis 1979 war sie in Polen und zeitweise auch in Österreich und in der früheren DDR als Zahnärztin tätig. 1981 siedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland über. Nach mehreren Beschäftigungsverhältnissen als Assistentin wurde die Klägerin im Jahr 1984 als Kassenzahnärztin zugelassen. Seit 1985 unterliegt sie fortlaufend Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Im Quartal IV/88 behandelte die Klägerin 125, im Quartal I/89 130 Kassenpatienten. Der Fallwert betrug im Quartal IV/88 220,42 DM, im Quartal I/89 143,59 DM. Damit überschritt sie den Fallwert der Vergleichsgruppe A 4 (IV/88: 99,63 DM; I/89: 106,73 DM) um 121,23 bzw 34,53 %.

Der zuständige Prüfungsausschuß kürzte die Honoraranforderung für das Quartal IV/88 bei verschiedenen Einzelleistungen um insgesamt 6.247,67 DM. Im Quartal I/89 kürzte er die Honoraranforderung der Klägerin bis auf den Fallwert der Vergleichsgruppe (Kürzung: 4.033,91 DM). Der beklagte Beschwerdeausschuß wies für das Quartal IV/88 den Widerspruch der Klägerin zurück und nahm auf den Widerspruch des zu 3) beigeladenen Krankenkassen-Landesverbandes eine Kürzung der Honoraranforderung auf eine Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnittes um 50 % vor. Die Kürzung betrug danach 8.871,25 DM. Für das Quartal I/89 gab der Beklagte dem Widerspruch der Klägerin teilweise statt. Er nahm eine Kürzung bei Einzelleistungen vor, die zu einer Kürzungssumme von 2.104,01 DM führte (Bescheid vom 10. Dezember 1990). Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, die Klägerin sei mit der Gruppe A 4 der Anlage 1 zur Verfahrensordnung verglichen worden, in der alle Zahnärzte erfaßt seien, bei denen das Examensjahr vor 23 bis 27 Jahren gelegen habe. Die Honoraranforderung im Quartal IV/88 liege beim Gesamtfallwert weit über der Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis, die bei einer Überschreitung des Gesamtfallwertes von 50 % anzunehmen sei. Praxisbesonderheiten seien nicht festzustellen gewesen. Zwar habe die Klägerin geltend gemacht, eine erhöhte Anzahl von Aussiedlern/Ausländern behandelt zu haben. Sie habe hierzu auch eine Auflistung von besonders sanierungsbedürftigen Patienten, getrennt nach Aussiedlern/Ausländern und deutschen Patienten, vorgelegt. Die Auflistung sei aber ungenau und in sich widersprüchlich, so daß damit eine Praxisbesonderheit nicht habe belegt werden können. Im Quartal I/89 befinde sich zwar der Gesamtfallwert nicht im offensichtlichen Mißverhältnis. Eine unwirtschaftliche Behandlungsweise sei aber bei einzelnen Leistungen festzustellen gewesen, die in weit höherem Umfang als von der Vergleichsgruppe abgerechnet worden seien. Auch bei diesen Einzelleistungen sei das offensichtliche Mißverhältnis bei einer Überschreitung der Vergleichswerte um 50 % anzunehmen. Da die Klägerin 15 % weniger Füllungen abgerechnet habe als der Durchschnitt der Vergleichsgruppe, sei ihr bei füllungsbegleitenden Maßnahmen nur eine Überschreitung von 35 % zuzubilligen gewesen. Um einem vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf geschlossenen Vergleich mit der Klägerin Rechnung zu tragen, seien die von ihr vorgelegten Karteikarten und Röntgenaufnahmen durchgesehen und eine Reihe von Einzelfällen überprüft worden. Dabei sei in zahlreichen Fällen die unwirtschaftliche Behandlungsweise der Klägerin zusätzlich belegt worden.

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des SG Düsseldorf vom 6. November 1991 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1993). Zur Begründung hat das LSG dargelegt, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Es sei zunächst nicht zu beanstanden, daß der Beklagte in beiden Quartalen die Honoraranforderungen der Klägerin mit den Abrechnungswerten der Gruppe A 4 der Anlage 1 der maßgeblichen Verfahrensordnung verglichen habe. Zwar hätte aufgrund der Homogenität der zahnärztlichen Behandlungsweise eine Vergleichsprüfung allein anhand der Gesamtfallwerte aller Zahnärzte durchgeführt werden können. Es halte sich allerdings noch innerhalb des dem Beklagten zustehenden Beurteilungsspielsraums, wenn er davon ausgehe, daß Ärzte mit zunehmender Berufserfahrung wirtschaftlicher behandelten als berufsunerfahrene Ärzte. Eine Bildung von Vergleichsgruppen wie bei der Gruppe A unter Berücksichtigung des Zeitpunktes des zahnärztlichen Examens erweise sich daher als sachgerecht. Eine Differenzierung nach dem in der Anlage 1 der Verfahrensordnung ebenfalls vorgesehenen Zeitpunkt der Kassenzulassung sei nicht geboten gewesen, weil nach dem Kriterium A (Examenszeitpunkt) auch vor der Zulassung gesammelte Berufserfahrungen berücksichtigt werden könnten. Aus der Verfahrensordnung ergebe sich keine Verpflichtung, die weiteren in der Anlage 1 genannten insgesamt sieben Klassifikationskriterien einer Prüfung zugrunde zu legen. Diese dienten allein der Auswahl der zu prüfenden Zahnärzte. Im übrigen sei aus den Verwaltungsakten ersichtlich, daß die Vergleichswerte der einzelnen Gruppen nur geringfügig differierten. Bezüglich des Quartals IV/88 sei der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, daß aufgrund der Überschreitung des Gesamtfallwertes der Vergleichsgruppe um 121,23 % der Nachweis der Unwirtschaftlichkeit geführt sei. Praxisbesonderheiten und/oder kompensierende Einsparungen in anderen Bereichen habe die Klägerin nicht in der gebotenen Form schlüssig dargelegt. Das gelte zunächst für die Behauptung, überproportional viele Aussiedler/Ausländer mit erhöhtem Sanierungsbedarf behandelt zu haben. Die von ihr hierzu vorgelegten Patientenlisten reichten zur Darlegung einer Praxisbesonderheit nicht aus. Unklar sei schon, welcher Patient überhaupt als Aussiedler/Ausländer angesehen werden könne. Darüber hinaus könnten die Listen die Behauptung über das Vorliegen einer Praxisbesonderheit nicht stützen, weil dabei die von ihr angegebenen Leistungen als wirtschaftlich erbracht unterstellt werden müßten. Das sei jedoch gerade ausgeschlossen. Soweit die Klägerin Einsparungen im Bereich des Zahnersatzes und der systematischen Parodontosebehandlung geltend mache, hätte sie dies zB anhand von repräsentativen Einzelfällen darlegen können und müssen. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, möglicherweise bei einzelnen Krankenkassen vorliegende Statistiken heranzuziehen. Die Kürzung einzelner Leistungen im Quartal I/89 erweise sich ebenfalls als rechtmäßig. Da keine Umstände ersichtlich seien, die den Beklagten hätten veranlassen müssen, die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis beim Vergleich der einzelnen Leistungspositionen höher als bei einer 50%igen Überschreitung anzunehmen, sei diese Festlegung nicht zu beanstanden. Bei den gekürzten Leistungen handele es sich um solche, die für jede Zahnarztpraxis typisch seien, so daß sich auch die Problematik der sog Nullfälle nicht stelle. Im übrigen habe der Beklagte anhand der Prüfung einzelner Fälle einen Katalog von Verstößen der Klägerin gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot aufgezeigt.

Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Vergleichsgruppe A 4, der sie zugeordnet worden sei, erweise sich als nicht geeignet, weil sie ihre zahnärztlichen Tätigkeit überwiegend, nämlich 21 Jahre, im Ausland ausgeübt habe, so daß sie von anderen zahnmedizinischen Voraussetzungen ausgehe und sich erst langsam die deutschen Grundsätze aneignen müsse. Maßgebend für die Bildung von Vergleichsgruppen könne nur das Datum ihrer Zulassung in Deutschland sein, wobei eine Schonfrist wegen der in ihrer Person liegenden Anfangsschwierigkeiten zu berücksichtigen sei. Die Prüfgremien hätten im Rahmen der Amtsermittlungspflicht aufklären müssen, inwieweit durch den hohen Anteil von Aussiedlern/Ausländern unter ihren Patienten mit überproportional hohem Sanierungsbedarf höhere Behandlungskosten entstanden seien. Zudem sei zu klären gewesen, inwieweit sie, die Klägerin, durch überdurchschnittlich viele Parodontosebehandlungen und aufgrund endodontischer Behandlungen Einsparungen beim Zahnersatz erzielt habe. Dies sei durch Beiziehung von Statistiken, die bei Krankenkassen geführt würden, möglich gewesen. Einen Verstoß gegen die Grundsätze der statistischen Vergleichsprüfung stelle es dar, daß der Beklagte die Prüfmethode von Quartal zu Quartal gewechselt habe. Schließlich sei ihr im Quartal I/89 aufgrund der Kürzung bei Einzelleistungen nur eine Überschreitung des Gesamtfallwertes von 19,38 % belassen worden. Damit sei zu Unrecht in den Bereich der normalen Streuung gekürzt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1993 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 6. November 1991 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. Dezember 1990 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1), 3) und 5) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beklagte hat sich im Wege eines Teilanerkenntnisses verpflichtet, die Honorarkürzungen in den Quartalen IV/88 und I/89 auf der Grundlage der Fallwerte der Vergleichsgruppe B 1 vorzunehmen und die Kürzungsbeträge unter Beibehaltung der bisher belassenen Überschreitungsquote zu ermäßigen.

Die Beigeladenen zu 2), 4) und 6) haben keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist zum Teil begründet.

Maßgebend für die rechtliche Beurteilung der Honorarkürzung im Quartal IV/88 sind die am 31. Dezember 1988 außer Kraft getretenen Bestimmungen der §§ 368e, 368n Abs 5 RVO und die dazu von der Rechtsprechung des BSG zur Wirtschaftlichkeitsprüfung entwickelten Grundsätze. Für das Quartal I/89 richtet sich die rechtliche Beurteilung nach § 72 Abs 2 iVm § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in der hier noch maßgebenden Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung durch eine arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten geprüft. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die in der Praxis der Prüfgremien entwickelte und durch die Rechtsprechung bestätigte Methode des statistischen Kostenvergleichs als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit anerkannt und als Regelprüfmethode übernommen (vgl die Begründung des Gesetzentwurfs zum GRG, BT-Drucks 11/2237, S 196 zu § 114). Die hierzu unter der Geltung des früheren Rechtszustandes vom BSG entwickelten Grundsätze haben somit auch für die jetzige Regelung in § 106 SGB V ihre Bedeutung behalten (vgl BSGE 69, 138, 141 = SozR 3-2500 § 106 Nr 6 S 24; BSGE 71, 194, 195 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 87).

Die arztbezogene Prüfung ärztlicher Leistungen nach Durchschnittswerten, die unter der Voraussetzung ausreichender Vergleichbarkeit auch zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Ansatzes einzelner Leistungspositionen herangezogen werden kann (BSGE 71, 194, 196 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 88), basiert auf einer Gegenüberstellung der durchschnittlichen Fallkosten einerseits des geprüften Arztes und andererseits der Gruppe vergleichbarer Ärzte. Eine Unwirtschaftlichkeit ist anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem Vergleichsgruppendurchschnitt liegt, daß sich die Mehrkosten nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lassen und deshalb zuverlässig auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise als Ursache der erhöhten Aufwendungen geschlossen werden kann. Wann dieser mit dem Begriff des offensichtlichen Mißverhältnisses gekennzeichnete Überschreitungsgrad erreicht ist, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsgegenstandes und den Umständen des konkreten Falles ab und entzieht sich einer allgemeinverbindlichen Festlegung. Bei einem Einzelleistungsvergleich kann der Beweis der Unwirtschaftlichkeit regelmäßig nicht allein mit der Feststellung und Angabe von Überschreitungsprozentsätzen geführt werden; vielmehr bedarf es einer genaueren Untersuchung der Strukturen und des Behandlungsverhaltens innerhalb des speziellen engeren Leistungsbereichs sowie der Praxisumstände des geprüften Arztes, um die Eignung der Vergleichsgruppe und den Aussagewert der gefundenen Vergleichszahlen beurteilen zu können. Die dazu angestellten Erwägungen müssen, damit sie auf ihre sachliche Richtigkeit und auf ihre Plausibilität und Vertretbarkeit hin überprüft werden können, im Bescheid genannt werden oder jedenfalls für die Beteiligten und das Gericht erkennbar sein. Im Hinblick darauf, daß die Festlegung des Grenzwertes für das offensichtliche Mißverhältnis von der Beurteilung zahlreicher mehr oder weniger unbestimmter und in ihren wechselseitigen Auswirkungen aller relevanten Umstände letztlich eine wertende Entscheidung erfordert, verbleibt den Prüfungsorganen insoweit ein Beurteilungsspielraum (BSGE 71, 194, 197 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15; BSGE 74, 70, 71 = SozR 3-2500 § 106 Nr 23).

In dem angefochtenen Bescheid waren die Fallwerte der Klägerin ursprünglich mit denen der Gruppe der Zahnärzte verglichen worden, deren Examen im Zeitpunkt der Prüfung zwischen 23 bis 27 Jahre zurücklag (Gruppe A 4 der Anlage 1 zur Verfahrensordnung). Die Aufteilung der Gruppe A in Untergruppen, je nachdem, ob der Examenszeitpunkt bis zu 7, 8 bis 17, 18 bis 22, 23 bis 27 oder 28 bis 37 Jahre zurückliegt, ist mit den Rechtsgrundsätzen der Wirtschaftlichkeitsprüfung bezüglich der Bildung geeigneter Vergleichsgruppen nicht vereinbar; denn sachliche Gründe für die Aufgliederung der Vergleichsgruppen gerade nach diesen Zeitabschnitten sind nicht ersichtlich, die danach gebildeten Gruppen mithin ungeeignet. Da der Beklagte an ihnen nicht festgehalten hat, brauchte nicht entschieden zu werden, ob sich generell eine Gruppenbildung, die an den Examenszeitpunkt anknüpft, im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung als zulässig erweisen würde.

Hingegen ist nicht zu beanstanden, daß der Beklagte nunmehr die Fallwerte der Klägerin mit denen der Gruppe B 1 der Anlage 1 zur Verfahrensordnung vergleicht. Durch die Zuordnung zu dieser Gruppe, bei der auf den Zeitpunkt der Zulassung zur Kassenpraxis abgestellt wird, ist die Klägerin nicht beschwert. Sie ist der ersten Untergruppe (Zulassung bis 5 Jahre vor dem Zeitpunkt der Wirtschaftlichkeitsprüfung) und damit der Untergruppe mit dem höchsten Fallwert zugeordnet worden. Die Einstufung in diese Gruppe hat die Klägerin im Verfahren erstrebt. Der Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verpflichtet, die Honorarkürzungen bei der Klägerin auf der Grundlage der Fallwerte der Vergleichsgruppe B 1 vorzunehmen und die Kürzungsbeträge unter Beibehaltung der bisher überlassenen Überschreitungsquote entsprechend zu ermäßigen. Der Senat hat den Beklagten entsprechend seinem Teilanerkenntnis, das die Klägerin nicht angenommen hat, verurteilt.

Die weitergehende Revision der Klägerin war zurückzuweisen. Die auf der Grundlage der Vergleichswerte der Gruppe B 1 vorgenommenen Honorarkürzungen sind rechtmäßig. Keinen Bedenken begegnet es zunächst, daß der Beklagte im Quartal IV/88 die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis bei einer Überschreitung des Fallwertes der Vergleichsgruppe B 1 um 50 % gezogen hat mit der Folge, daß für die darüber hinausgehenden Honoraranforderungen der Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise gegeben ist. Rechtsfehlerfrei sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß Praxisbesonderheiten, die einen höheren Behandlungsbedarf der Klägerin begründen könnten, nicht vorliegen. Das gilt zunächst für die von ihr wegen der Gewöhnung an die deutschen zahnmedizinischen Grundsätze geforderte „Schonfrist”. Nach der Rechtsprechung des Senats stellen Anfangsschwierigkeiten keine Praxisbesonderheit dar; denn auch der Praxisanfänger hat seine Behandlung wirtschaftlich durchzuführen. Anfangsschwierigkeiten können allerdings uU bei der (Ermessens-)Entscheidung über die Höhe des Kürzungsbetrages berücksichtigt werden (vgl BSGE 62, 24, 31 = SozR 2200 § 368n Nr 48; BSGE 63, 6, 8 f = SozR 2200 § 368n Nr 52). Auch diese Möglichkeit besteht aber nur in den ersten Quartalen nach Aufnahme der Kassenpraxis, nicht jedoch nach einer kassen(zahn)ärztlichen Tätigkeit von mehreren Jahren. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Kassenzulassung kann auch dem Vorbringen der Klägerin nicht gefolgt werden, bei ihrer anlaufenden Praxis habe wegen überwiegend neuer Patienten ein erhöhter Behandlungsbedarf bestanden. Der Anerkennung der Praxisbesonderheit „Anfängerpraxis” steht entgegen, daß mehr als vier Jahre nach der Zulassung und Aufnahme der kassenzahnärztlichen Tätigkeit keine „Anfängerpraxis” im aufgezeigten Sinne mehr vorliegt, aufgrund derer dem Arzt ein erhöhter Behandlungsaufwand zuzubilligen wäre.

Des weiteren ist nicht zu beanstanden, daß die Vorinstanzen es in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Bescheid abgelehnt haben, den von der Klägerin behaupteten hohen Anteil von Aussiedlern/Ausländern unter ihren Patienten, der einen erhöhten Behandlungsaufwand nach sich gezogen habe, als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen; anhand des eigenen Vorbringens der Klägerin hat sich nämlich weder der eine noch der andere Umstand bestätigen lassen. Nach den Feststellungen des LSG ist den von der Klägerin überreichten Patientenlisten schon nicht zu entnehmen, daß alle als Aussiedler/Ausländer angeführten Patienten diesem Personenkreis angehören. Das LSG bezieht sich insoweit auf den Hinweis des Beklagten, im Quartal IV/88 seien von den 67 als Aussiedler/Ausländer bezeichneten Patienten 23 nicht diesem Personenkreis zuzurechnen. Soweit sich die Klägerin auf einen erhöhten Behandlungsbedarf bezüglich des Personenkreises der Aussiedler/Ausländer beruft, hat sich dafür ebenfalls kein Anhaltspunkt ergeben. Der Beklagte hat entgegen dem Vortrag der Klägerin das Bestehen eines Erfahrungssatzes, nach dem bei Aussiedlern/Ausländern generell ein erhöhter zahnmedizinischer Behandlungsbedarf gegeben sei, verneint (in diesem Sinne allgemein auch Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht nach dem GSG, 1994, RdNr 678). Dies gelte insbesondere, wenn sich die Angehörigen dieses Personenkreises bereits seit mehreren Jahren in der Bundesrepublik aufhielten, weil in diesen Fällen regelmäßig eine Gebißsanierung stattgefunden habe. Dementsprechend war aufgrund der Angaben der Klägerin über die von ihr durchgeführten Behandlungen auch im konkreten Fall ein erhöhter Behandlungsbedarf nicht festzustellen. Ihre diesbezüglichen Angaben sind schon in sich zum Teil widersprüchlich, wie das LSG unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Beklagten festgestellt hat. Danach hat bei einer Reihe von Patienten, bei denen ein erhöhter Behandlungsbedarf im Quartal IV/88 angegeben worden ist, der Behandlungsschwerpunkt im Quartal I/89 gelegen. Diese Fälle haben sich somit für das Quartal IV/88 als sog „Verdünner” erwiesen. Trotzdem lag die Klägerin in diesem Quartal mit ihrem durchschnittlichem Fallwert weit im Bereich des offensichtlichen Mißverhältnisses. Die Überprüfung der für das Vorhandensein einer Praxisbesonderheit gemachten Angaben der Klägerin hat somit nicht bestätigt, daß besondere Umstände vorliegen, die sich als Praxisbesonderheit darstellen können. Nachdem weitere Anhaltspunkte hierfür weder vorgetragen noch ersichtlich waren, hat es der Beklagte zu Recht abgelehnt, die behauptete Praxisbesonderheit eines erhöhten Aussiedler-/Ausländeranteils anzuerkennen.

Bei der Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Einzelleistungen im Quartal I/89 hat sich der Beklagte ebenfalls im Rahmen der aufgezeigten Grundsätze der Rechtsprechung des Senats gehalten. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es rechtlich unbedenklich, daß im Quartal IV/88 der Prüfung der Gesamtfallwert zugrunde gelegt, dagegen im Quartal I/89, in dem die Klägerin den Gesamtfallwert der Vergleichsgruppe unterhalb der von dem Beklagten angenommenen Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis von 50 % überschritten hatte, die Wirtschaftlichkeit von Einzelleistungen geprüft worden ist. Zwar dürfen die für die Wirtschaftlichkeitsprüfung in Betracht kommenden Beweismethoden nicht miteinander vermengt werden, weil jede von ihnen nur dann zu rechtlich tragfähigen Ergebnissen führt, wenn die ihr eigenen Gesetzmäßigkeiten beachtet werden. Eine derartige Vermengung liegt hier indessen nicht vor, weil in beiden Quartalen nach der statistischen Vergleichsmethode geprüft worden ist. Allerdings bedarf es bei der Prüfung von Einzelleistungen einer genaueren Untersuchung der Vergleichsgrundlage bezüglich der Aussagefähigkeit des statistischen Vergleichs (vgl BSGE 71, 194, 198 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 90), die im vorliegenden Verfahren erfolgt ist. Nach den Feststellungen des LSG handelt es sich bei den im Quartal I/89 gekürzten Leistungen Nr 8 Bema (Klägerin: 59 Ansätze auf 100 Fälle; Vergleichsgruppe: 19 Ansätze auf 100 Fälle), der Nr 12 Bema (Klägerin: 26 mal auf 100 Fälle, Vergleichsgruppe 8 mal auf 100 Fälle), der Leistung Nr 40 Bema (Klägerin: 154 mal auf 100 Fälle, Vergleichsgruppe 42 mal auf 100 Fälle) und der Leistung Nr 41a Bema (Klägerin 46 mal auf 100 Fälle, Vergleichsgruppe 22 mal auf 100 Fälle) um fachgruppentypische Leistungen, die in jeder Praxis anfallen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die gekürzten Leistungen streng indikationsgebunden sind, sie also nicht durch andere Leistungen ersetzt werden können, bestehen keine Bedenken dagegen, bei solchen Einzelleistungen die Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis bei einer Überschreitung von 50 % des Vergleichswertes bzw bei den füllungsbegleitenden Maßnahmen wegen des niedrigeren Füllungsdurchschnitts der Klägerin auf 35 % Überschreitung des Vergleichswertes festzusetzen.

Schließlich wird die aufgrund der Überschreitung der Grenze zum offensichtlichen Mißverhältnis bewiesene Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise in den Quartalen IV/88 und I/89 durch die Ergebnisse der vom Beklagten bei einer Reihe von Patienten durchgeführten Einzelfallprüfungen bestätigt, die er entsprechend eines mit der Klägerin getroffenen sozialgerichtlichen Vergleichs vorgenommen hat (zur Berücksichtigung zusätzlicher Erkenntnisquellen BSGE 71, 194, 196 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 87). Dabei haben sich vielfältige Beanstandungen ergeben, die die unwirtschaftliche Behandlungsweise der Klägerin in zahlreichen Einzelfällen zusätzlich bewiesen haben. Sie beruhen auf einer unwirtschaftlichen Vorgehensweise der Klägerin, die der Beklagte in einem 12-Punkte-Katalog zusammengefaßt hat. Zwar sind hierbei möglicherweise auch Gebührenfehlansätze erfaßt, dh Leistungen abgerechnet worden, deren Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. Ob und in welchem Umfang solche Fehlabrechnungen vorgekommen sind, kann, worauf der Senat schon hingewiesen hat (BSGE aaO, 200 = SozR aaO S 92), oftmals im nachhinein nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand festgestellt werden, so daß die Prüfungseinrichtungen berechtigt sind, diese Leistungen bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise zugrunde zu legen. Den im Rahmen der Einzelfallprüfung festgestellten Nachweisen einer unwirtschaftlichen Behandlung ist die Klägerin nicht entgegengetreten.

Der Zulässigkeit der Kürzung für das Quartal I/89 steht auch nicht entgegen, daß nach der ursprünglichen Kürzungsmaßnahme lediglich eine Überschreitung des Gesamtfallwertes in Höhe von damals 19,38 % belassen worden war. Bei einem teilweise unterdurchschnittlichen Leistungsspektrum, wie es in diesem Quartal bei der Klägerin schon deshalb gegeben war, weil sie im Bereich der Füllungen 15 %

unter dem Durchschnitt der Vergleichsgruppe lag, ist es nicht zu beanstanden, wenn aufgrund von Kürzungen bei Einzelleistungen der Gesamtfallwert in den Bereich der normalen Streuung hinein oder darüber hinaus gekürzt wird (zu diesem Gesichtspunkt siehe bereits BSGE 71, 194, 201 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 93).

Nach allem war die über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinausgehende Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174346

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge