Entscheidungsstichwort (Thema)

Form einer Zustimmungserklärung bezüglich Sprungrevision. ein Arbeitsunfall bei Verbrennungen während Operation. technischer Defekt. ärztliche Behandlung

 

Orientierungssatz

1. Für eine Übergangszeit kann auch eine einfache Abschrift der Zustimmungserklärung iS von § 161 Abs 1 S 3 Alt 2 SGG hingenommen werden (Vergleiche BSG vom 2.12.1992 - 6 RKa 5/91 = SozR 3-1500 § 161 Nr 3 = DÖV 1993, 1013).

2. Der Verbrennungsunfall eines Krankenhauspatienten infolge eines Isolationsdefektes des Operationstisches ist kein Arbeitsunfall, da Risiken, die in Zusammenhang mit der Lagerung eines Patienten auf einem Operationstisch während einer Operation entstehen, sei es wegen menschlichen oder wegen technischen Versagens, nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO sind .

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. a, § 548 Abs. 1 S. 1; SGG § 161 Abs. 1 S. 3 Alt. 2; RVO § 559

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.05.1993; Aktenzeichen S 16 U 97/91)

 

Tatbestand

In dem Rechtsstreit um die Erstattung der Kosten für stationäre Heilbehandlung streiten die beteiligten Sozialversicherungsträger, ob ein Mitglied der klagenden Krankenkasse bei einer Operation unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung iS des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden hat.

Die Klägerin gewährte der Verletzten, ihrem Mitglied, stationäre Behandlung in einem Krankenhaus wegen einer Dünndarmeinklemmung infolge eines indirekten Leistenbruchs. Nach Wiederherstellung einer normalen Dünndarmfunktion mußte sich die Verletzte am 27. Februar 1989 einer zweiten Operation zum Verschluß des Leistenbruchs unterziehen. Im Verlauf dieser Operation baute sich unbemerkt eine elektrische Stromleitung zwischen der Körperoberfläche der Verletzten und dem Operationstisch auf. Dadurch erlitt die Verletzte handtellergroße Verbrennungen beider Gesäßhälften. Ihr stationärer Aufenthalt vom 11. März bis 21. April 1989 war ausschließlich wegen dieser Verbrennungsfolgen erforderlich.

Die Forderung der Klägerin vom 24. Oktober 1989, ihr die Krankenhauskosten für die stationäre Heilbehandlung vom 11. März bis zum 21. April 1989 nach § 105 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), zu erstatten, lehnte die beklagte Berufsgenossenschaft ab, weil die Verletzte keinen Arbeitsunfall iS von § 548 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO erlitten habe. Sie sei einem Risiko der ärztlichen Behandlung erlegen, das von dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht umfaßt sei.

Die Klägerin ist auch vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf ohne Erfolg geblieben. Das SG hat festgestellt, die Verletzte habe die Verbrennungsfolgen durch "den Isolationsdefekt des Operationstisches erlitten". Dazu hat das SG ausgeführt, auch für Operationen gelte, daß das Risiko der ärztlichen Behandlung nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO sei. Die Operation umfasse als Einheit die ärztliche Tätigkeit und den Einsatz des Operationstisches. Dabei sei unerheblich, ob der Körperschaden auf menschliches oder technisches Versagen zurückzuführen sei. Das gelte jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Falle - bei dem Einsatz des defekten Gerätes (Operationstisch) die Behandlung des Einweisungsleidens ausschlaggebend gewesen sei.

Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten die vom SG zugelassene Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz eingelegt. Sie behauptet, Anhaltspunkte für einen ärztlichen Fehler seien in bezug auf die Verursachung der Verbrennungen nicht ersichtlich. Daher sei davon auszugehen, daß die Verbrennungen allein auf technisches Versagen des Gerätes zurückzuführen seien. Trete ein solcher Fall bei einer Operation während einer stationären Behandlung in einem Krankenhaus auf, dann liege ein Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO vor. Das Bundessozialgericht (BSG) habe das noch nicht ausgeschlossen. Wollte man hier einen Arbeitsunfall verneinen, würde das zu einer unerträglichen Aushöhlung des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO führen. Auch aus § 555 RVO sei zu entnehmen, daß Unfälle, die sich im Zuge einer Heilbehandlung ereigneten, grundsätzlich versichert seien, und zwar auch für den Personenkreis, den § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO erfasse.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 11.200,56 DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist zulässig.

Zwar hat die Revisionsklägerin die Zustimmungserklärung der Beklagten, die hier der Revisionsschrift beizufügen war (§ 161 Abs 1 Satz 3 Alternative 2 SGG), weder im Original noch als Telefax oder in beglaubigter Abschrift, sondern nur in einfacher, nicht beglaubigter Fotokopie des betreffenden Telefaxes der Beklagten an die Klägerin vorgelegt. Das ist nach der Meinung des 6. Senats des BSG grundsätzlich nicht formgerecht (BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 3). Trotzdem kann nach Ansicht des 6. Senats des BSG für eine Übergangszeit auch eine einfache Abschrift der Zustimmungserklärung noch hingenommen werden. Die Übergangsfrist bis zur Veröffentlichung des betreffenden Urteils des 6. Senats in der Entscheidungssammlung "Sozialrecht" (SozR) hat die Klägerin am 23. August 1993 (Ablauf der Revisionsfrist) gewahrt, denn die entsprechende Lieferung (SozR 3-406. Lfg August 1993) ist zB bei der Bibliothek des BSG erst am 27. September 1993 eingegangen.

Die Sprungrevision ist jedoch unbegründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 105 Abs 1 SGB X nicht zu, weil die Klägerin und nicht die Beklagte die zuständige Leistungsträgerin auch für die streitige stationäre Heilbehandlung in der Zeit vom 11. März bis zum 21. April 1989 gewesen ist.

Der Verbrennungsunfall der Verletzten am 27. Februar 1989 ist kein Arbeitsunfall gewesen, der eine Leistungspflicht der Beklagten als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung begründet hätte. Die Verletzte gehörte zwar zur Zeit des Unfalls zu dem versicherten Personenkreis nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO. Die klagende Krankenkasse hatte ihr vom 12. Februar bis zum 21. April 1989 stationäre Behandlung iS von § 559 RVO gewährt, einen Zeitraum, in den auch die betreffende Operation in dem Krankenhaus mit dem Verbrennungsunfall fiel. Die Verletzte hat trotzdem keinen Arbeitsunfall erlitten, weil sich der Unfall wesentlich allein bei ihrer ärztlichen Behandlung ereignet hat.

§ 548 Abs 1 Satz 1 RVO setzt voraus, daß sich ein Arbeitsunfall bei der versicherten Tätigkeit ereignet. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist (Wertung) und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (haftungsbegründende Kausalität). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang (früher auch ursächlicher Zusammenhang genannt), der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSG SozR 2200 § 548 Nr 97 mwN).

Versichert ist nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO alles aktive Handeln und passive Erdulden der wesentlich durch die Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus geprägten Vorgänge. Der Senat hat dazu seit seiner Entscheidung vom 27. Juni 1978 (BSGE 46, 283) in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß in den Versicherungsschutz alle Risiken einbezogen sind, denen der Versicherte bei dem stationären Aufenthalt ausgesetzt ist, aber in Abgrenzung dazu das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes ist (BSGE 46, 283, 284; BSG SozR 2200 § 539 Nrn 48, 56, 71, 72; SozR 3-2200 § 539 Nr 2; Urteile des Senats vom 12. Mai 1981 - 2 RU 7/80 - in USK 81106, vom 15. Dezember 1981 - 2 RU 79/80 - in HVGBG RdSchr VB 56/82; Gitter, SGb 1982, 221). Daran hält der Senat weiterhin fest. Der Senat hat zudem in weiterer Abgrenzung dazu entschieden, daß im Krankenhaus zB auch das Risiko einer Wundinfektion bei einer Operation, die eine sterile Durchführung erfordert, zu den vom Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm § 548 RVO nicht erfaßten Risiken der ärztlichen Behandlung gehört. Sie hängt - sowohl hinsichtlich der erforderlichen keimarmen Luft in dem Operationssaal als auch ua der Verwendung steriler für die Durchführung der Operation notwendiger Geräte - unmittelbar mit der ärztlichen Behandlung zusammen (Urteil vom 31. Oktober 1978 - 2 RU 70/78 - in USK 78132).

Danach ergibt sich aus den Feststellungen des SG, daß auch die Operation der Verletzten mit den dabei aufgetretenen Verbrennungen nicht wesentlich mit ihrer stationären Unterkunft und Verpflegung, sondern wesentlich allein mit der ärztlichen Behandlung im inneren Zusammenhang gestanden hat. Der Verbrennungsunfall hat sich also nicht bei einer nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherten Tätigkeit ereignet.

Das SG hat sich in dem angefochtenen Urteil auf die Feststellungen beschränkt, an der Verletzten sei eine Leistenbruchoperation auf einem Operationstisch durchgeführt worden. Dabei habe sie handtellergroße Verbrennungen beider Gesäßhälften infolge einer akzidentiellen Stromleitung zwischen ihr und dem Operationstisch erlitten. Wegen der durch den Isolationsdefekt des Operationstisches erlittenen Verbrennungsfolgen sei der streitige Zeitraum stationärer Behandlung ausschließlich erforderlich gewesen. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden (§ 163 SGG). Alle neuen Tatsachen, die die Beteiligten in der Revisionsinstanz vortragen, dürfen vom Senat nicht berücksichtigt werden (s zusätzlich für das Verfahren der Sprungrevision § 161 Abs 4 SGG).

Bei der Operation hat sich offenbar unbemerkt eine elektrische Stromleitung zwischen der Körperoberfläche der Verletzten und dem Operationstisch aufgebaut, die unmittelbar die betreffenden Verbrennungen hervorgerufen hat.

Auf der Grundlage dieses Sachverhalts kann im vorliegenden Fall weiterhin ungeklärt bleiben, welches die wesentlichen Bedingungen der Verbrennungen gewesen sind. Möglich ist, daß der zur Operation verwendete Operationstisch von vornherein unter elektrischem Strom stand und daß er außerdem einen Isolationsdefekt hatte, den die Ärzte und ihr Hilfspersonal bei der erforderlichen Kontrolle vor der Operation nicht wahrgenommen hatten. Dann führten diese Bedingungen, aber auch die Lagerung der Verletzten auf den Operationstisch, die Art und Weise der Isolierung ihrer Körperoberfläche gegen die Auflage des Operationstisches und das spezielle Ausmaß der Kontrollmaßnahmen der Ärzte zu den konkreten Verbrennungen. Möglich ist - entgegen dem Vorbringen der Revision - andererseits auch, daß die Operation unter Zuhilfenahme von Hochfrequenz-Chirurgiegeräten durchgeführt wurde, die Verbrennungsgefahren für die Patienten hervorrufen können (s Sichere Medizin in der Technik, ein Ratgeber für die Sicherheit medizinisch-technischer Geräte - Die Medizingeräteverordnung - Nachdruck der Hessischen Krankenhausgesellschaft eV, Dezember 1992, S 32).

Dann hätten diese elektrisch betriebenen Schneide- oder Einschrumpfungsmaßnahmen bei der Operation zusammen mit dem vom SG festgestellten Isolationsdefekt des Operationstisches zu den Verbrennungen geführt.

In jedem Falle veranschaulichen beide möglichen Alternativen die auch vom SG seiner Rechtsauffassung zugrunde gelegte allgemeinkundige Tatsache, daß die Verwendung eines Operationstisches bei einer Operation und die Lagerung des Patienten darauf wesentliche Bestandteile jeder Operation von dem Schwierigkeitsgrad einer Leistenbruchoperation darstellen, von denen nur im Notfall abgesehen wird. Die sachgerechte Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch und seine (des Patienten) individuelle Isolierung gegen elektrisch leitende Teile des Operationstisches ist in jedem Einzelfall notwendig, um Verbrennungen zu vermeiden, die oft unbemerkt und an Körperstellen abseits des Operationsgebietes auftreten (s Sichere Medizin in der Technik, aaO). Diese Maßnahmen sind in vergleichbarer Weise unmittelbare Bestandteile der ärztlichen Behandlung im Gesamtablauf einer Operation wie die sterile Durchführung der Operation zur Vermeidung von Wundinfektionen. Risiken, die im Zusammenhang mit der Lagerung eines Patienten auf einem Operationstisch während einer Operation entstehen, sei es wegen menschlichen oder wegen technischen Versagens, sind somit nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO.

Die Revision folgert daraus, damit entfiele der Versicherungsschutz bei jedem Unfall durch technische Geräte im Krankenhaus. Dies trifft nur zu, soweit die Geräte Teil der ärztlichen Behandlung sind. Im übrigen kann Versicherungsschutz - wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen - bei Unfällen durch andere, nicht Bestandteile der ärztlichen Behandlung bildenden Geräte oder durch sonstige örtliche Gegebenheiten bestehen. Daß somit der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO über den in den angeführten Entscheidungen des BSG näher begründeten Umfang hinaus durch die Rechtsprechung nicht - wie die Revision meint - ausgehöhlt wird, zeigen auch andere den bisherigen Urteilen des Senats zugrundeliegenden Sachverhalte (s auch Gitter, aaO).

Unfallversicherungsschutz für die Verletzte läßt sich auch nicht aus § 555 RVO herleiten. Diese Vorschrift setzt vor allem primär einen Arbeitsunfall voraus und regelt im Speziellen, unter welchen Voraussetzungen ein weiterer Unfall als zusätzliche Folge dieses primären Arbeitsunfalls gilt. Der Senat hat bereits in in seinem Urteil vom 27. Juni 1978 (BSGE aaO S 284) grundsätzlich entschieden, daß auch der Gesetzgeber des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1984 (BGBl I 1881) nicht abweichend von § 555 RVO den Versicherungsschutz der nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO Versicherten auf mittelbare Folgen von Unfällen erstrecken wollte, die nicht Arbeitsunfälle sind.

Die Revision war somit zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173520

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