Verfahrensgang

SG Ulm (Urteil vom 07.07.1983)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. Juli 1983 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die klagende Betriebskrankenkasse (BKK) wendet sich gegen die Versagung der Genehmigung eines die Kostenerstattung an freiwillige Mitglieder betreffenden Nachtrags zu ihrer Satzung.

Am 1. Dezember 1982 beschloß die Vertreterversammlung der Klägerin einen 6. Nachtrag zur Satzung, durch welchen mit Wirkung ab 1. Januar 1983 dem § 6 der Satzung die Ziffer 3 mit folgendem Wortlaut angefügt werden sollte:

„Die Kasse gewährt auf Antrag (§ 1545 Abs 1 Nr 2 RVO) den freiwilligen Mitgliedern, deren Einnahmen zum Lebensunterhalt die für die Krankenversicherung maßgebende Beitragsbemessungsgrenze überschreiten, Kostenerstattung für selbstbeschaffte ärztliche Behandlung, zahnärztliche Behandlung, Krankenhauspflege, Arznei-, Verband- und Heilmittel bis zur Höhe der Kosten, die der Kasse bei Gewährung als Sachleistung entstanden wären. Bei der Erstattung werden die Grundsätze über Umfang und Wirtschaftlichkeit der Behandlungs-, Verordnungs- und Abrechnungsweise berücksichtigt”.

Mit Bescheid vom 31. Januar 1983 versagte die durch das Bundesversicherungsamt (BVA) vertretene beklagte Bundesrepublik Deutschland die Genehmigung dieses Satzungsnachtrages. Zur Begründung führte sie ua aus, die Ermächtigung des § 321 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) alter Fassung (aF) umfasse lediglich Mehrleistungen (mit „aF” werden nachfolgend durchgängig diejenigen Vorschriften der RVO gekennzeichnet, die bis zum 31. Dezember 1988 gegolten haben und mit Wirkung vom 1. Januar 1989 durch Art 5 Nrn 1 und 2 des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen -Gesundheits-Reformgesetz- ≪GRG≫ vom 20. Dezember 1988, BGBl I S 2477, gestrichen worden sind; zum Inkrafttreten vgl Art 79 Abs 1 GRG). Die zur Genehmigung vorgelegte Satzungsbestimmung betreffe hingegen gesetzlich als Sachleistungen ausgestaltete Regelleistungen. Das Sachleistungsprinzip als Grundlage und tragendes Prinzip der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schließe abweichende autonome Regelungen aus. Die Ausrichtung der GKV auf Sachleistungen werde aus den Regelungen über die Leistungserbringung deutlich (§§ 368 bis 376d RVO; im wesentlichen ebenfalls mit Wirkung ab 1. Januar 1989 gestrichen; vgl Art 5 Nr 2, Art 79 Abs 1 GRG). Das dadurch geschaffene System der kassenärztlichen Versorgung, der Leistungserbringung und der Finanzierung unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes der GKV werde durch die Einführung einer Kostenerstattung in Frage gestellt und allen kostendämpfenden Einflüssen entzogen. Auch der freiwillig Versicherte unterwerfe sich dem System der GKV in seiner typischen Ausgestaltung und bedürfe ungeachtet der Höhe seines Einkommens und einer dadurch bedingten geringeren sozialen Schutzbedürftigkeit angesichts des hohen wirtschaftlichen Risikos einer Krankheit des vollen Schutzes der Versichertengemeinschaft. Deshalb habe der Gesetzgeber ohne Einräumung leistungsrechtlicher Besonderheiten die GKV auch für Personen mit höherem Einkommen geöffnet und ihre Schutzbedürftigkeit nicht geringer als diejenige der übrigen Versicherten eingeschätzt. Die Leistungsminderungen des § 215 RVO aF hätten keinen besonderen Bezug zu diesem Personenkreis. Eine Kostenerstattung verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Versicherten, weil für Versicherungspflichtige mit ebenso hohem oder höherem Einkommen das Sachleistungsprinzip uneingeschränkt gelte und die Gleichartigkeit der Verhältnisse eine vom Sachleistungsprinzip abweichende Kostenerstattungsregelung für freiwillig Versicherte ausschließe.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Ulm die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 31. Januar 1983 verurteilt, den 6. Nachtrag zur Satzung der Klägerin in dem am 1. Dezember 1982 beschlossenen Wortlaut zu genehmigen (Urteil vom 7. Juli 1983). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. September 1981 – 3 RK 58/79 – (BSG SozR 2200 § 182 Nr 74) sei das gesetzlich normierte Sachleistungsprinzip zwar der Grundsatz in der GKV. Es gelte jedoch nicht ausnahmslos. Sein Schutzgedanke treffe für nicht krankenversicherungspflichtige freiwillige Mitglieder, bei denen nach § 215 RVO aF auch Leistungsbeschränkungen möglich seien, nur bedingt zu. Nach der beschlossenen Satzungsänderung erfolge eine Kostenerstattung nicht obligatorisch, sondern nur wahlweise. Jeder Versicherte könne sich damit den vollen Schutz des Sachleistungsprinzips erhalten. Die Befürchtung der Beklagten, eine Kostenerstattung könne durch Manipulationen oder ungenügende Kontrollen unterlaufen werden und damit im Vergleich zur strikten Anwendung des Sachleistungsprinzips zu höheren Kosten für die Klägerin führen, sei eine Frage der Zweckmäßigkeit und nicht der von der Beklagten allein zu prüfenden Rechtmäßigkeit. Im übrigen entspreche nach dem Urteil des BSG vom 28. November 1979 – 3 RK 9/78 – (USK 79211) bei den Ersatzkassen, obgleich auch für sie grundsätzlich das Sachleistungsprinzip gelte, das wahlweise System der Kostenerstattung oder der Sachleistung für freiwillig Versicherte dem Gesetz.

Mit der vom SG zugelassenen und unter Beifügung der Zustimmungserklärung der Klägerin eingelegten Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 179, 182 Abs 1, §§ 215, 321 Nr 2 RVO aF. Die Ermächtigung des § 321 Nr 2 RVO aF umfasse lediglich die über die gesetzlichen Leistungen hinausgehenden Mehrleistungen. Sie seien nach § 179 Abs 3 RVO aF nur zulässig, soweit das Gesetz sie vorsehe. Durch den zur Genehmigung vorgelegten Satzungsnachtrag werde nicht eine zulässige Mehrleistung begründet oder näher geregelt. Vielmehr betreffe er gesetzlich als Sachleistungen ausgestaltete Regelleistungen. Für sie schließe das die GKV tragende Sachleistungsprinzip abweichende autonome Regelungen aus. Aus gesetzlichen Ausnahmebestimmungen könne nicht auf die Zulässigkeit von Kostenerstattungsregelungen in fundamentalen Leistungsbereichen wie der ambulanten und stationären Behandlung mit der begleitenden medikamentösen und Heilmittelversorgung geschlossen werden. Die Regelung einzelner Ausnahmen bedeute im Gegenteil, daß der Gesetzgeber im übrigen ausschließlich das Sachleistungsprinzip angewendet wissen wolle. Die Ausrichtung der GKV auf Sachleistungen werde auch durch die Regelungen über die Leistungserbringung deutlich. Das hierdurch geschaffene System stelle für alle Versicherten eine wirtschaftliche, finanziell tragbare, bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik sicher und halte die Leistungserbringer von dem Inkassorisiko ihrer Vergütung frei. Eine Kostenerstattung auch nur für einzelne Versichertengruppen würde dagegen die kassenärztliche Versorgung und Leistungserbringung durch die Vertragspartner gefährden, mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot der GKV in Konflikt geraten und das Finanzierungssystem der ärztlichen Versorgung und sonstigen Leistungserbringung in Frage stellen. Ärzte und Leistungserbringer könnten sich mehr der privaten Behandlung zuwenden, die kassenärztliche Versorgung vernachlässigen, die Wirtschaftlichkeit außer Acht lassen und Kosten verursachen, die den gesetzlichen Steuerungssystemen sowie allen kostendämpfenden Einflüssen entzogen seien. Diese Auswirkungen könnten durch eigene Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Kassen und Kürzungen der Erstattungsleistungen nicht hinreichend ausgeglichen werden. Die Prüfungen könnten weder qualitativ noch quantitativ die Effektivität der Steuerungsfunktion des gesetzlichen Systems erreichen und verursachten den Kassen zusätzliche Verwaltungskosten. Aus § 215 RVO aF sei eine nur bedingte Geltung des Schutzgedankens des Sachleistungsprinzips nicht herzuleiten. Nach dieser Vorschrift könne die Satzung nicht anstelle einer Regelleistung eine gesetzlich nicht vorgesehene Leistung einführen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. Juli 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie macht ua geltend, das angefochtene Urteil entspreche der im Urteil des BSG vom 9. September 1981 zutreffend dargelegten Rechtslage. § 321 Nr 2 RVO aF reiche als Rechtsgrundlage einer Satzungsregelung über Kostenerstattung aus. Das Sachleistungsprinzip und die seiner Durchführung dienende Regelung im Kassenarztrecht stünden einer Kostenerstattung nicht entgegen. Deren wahlweise Einräumung entspreche den Besonderheiten des Versicherungsverhältnisses der freiwillig Versicherten. Bei den Ersatzkassen werde entsprechend dem Urteil des BSG vom 28. November 1979 – 3 RK 9/78 – (USK 79211) die Kostenerstattung an freiwillig Versicherte und ihre Familienangehörigen sowie darüber hinaus aus den Gesichtspunkten der Besitzstandswahrung oder der Einheit der Familie auch an bestimmte Gruppen von Versicherungspflichtigen praktiziert. Damit sei, da auch die freiwillig Versicherten der Ersatzkassen Anspruch auf Krankenpflegeleistungen als Sachleistungen hätten und die ärztliche Behandlung durch Verträge zwischen Ersatzkassen und Ärzten in gleicher Weise sichergestellt sei wie die ärztliche Behandlung der Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen durch das Kassenarztrecht, anerkannt, daß eine Kostenerstattung durch das Sachleistungsprinzip nicht ausgeschlossen sei und die kassenärztliche Versorgung nicht beeinträchtige. Insoweit bestünden keine wesentlichen Unterschiede zwischen Ersatzkassen und gesetzlichen Krankenkassen. Soweit die Mitglieder der Ersatzkassen nicht als schutzbedürftig angesehen würden und ihnen deshalb die Wahl der Kostenerstattung zugestanden werde, könne für die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen nichts anderes gelten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision hat Erfolg. Die Beklagte ist – entgegen der Auffassung des SG – nicht verpflichtet, den 6. Nachtrag zur Satzung der Klägerin zu genehmigen.

Für die Zeit bis zum Inkrafttreten des GRG am 1. Januar 1989 bedurfte die Einführung einer – wenn auch lediglich wahlweisen -Kostenerstattung an die bei den Trägern der GKV (§ 225 Abs 1 RVO aF) freiwillig Versicherten und damit auch speziell an die beitrittsberechtigten Versicherten (§ 176a Abs 1 RVO aF) und die freiwillig Weiterversicherten (§ 313 Abs 1 RVO aF) durch die Satzung eines Trägers der GKV einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. Eine solche Ermächtigung ist jedoch nicht vorhanden gewesen. Sie hat insbesondere nicht aus § 321 Nr 2 RVO aF hergeleitet werden können.

Hiernach hat die für jede Krankenkasse zu errichtende Satzung (§ 320 Abs 1 RVO aF) ua über Art und Umfang der Leistungen zu bestimmen. Nach einhelliger Auffassung im sozialrechtlichen Schrifttum (vgl Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 18. Aufl, Band II/3, Stand 31. Januar 1988, § 321, Anm 3c, S 17/1238; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl, Stand Mai 1988, § 321, Anm 4.1.; Fischwasser BKK 1982, 74, 75; Wanner DOK 1982, 116) hat § 321 Nr 2 RVO aF zum Erlaß satzungsrechtlicher Vorschriften über Art und Umfang ausschließlich von Mehrleistungen iS des § 179 Abs 3 RVO aF ermächtigt, weil nur bezüglich dieser Leistungen die Satzung konstitutive Wirkung haben kann. In der Rechtsprechung des BSG findet sich – soweit ersichtlich – eine gleichlautend eindeutige Aussage nicht. Gleichwohl läßt sich zumindest inzidenter auch aus der Rechtsprechung herleiten, daß sich die gesetzliche Ermächtigung des § 321 Nr 2 RVO aF allein auf Mehrleistungen iS des § 179 Abs 3 RVO aF bezogen hat. Das BSG ist wiederholt auf den Unterschied zwischen Regelleistungen und „satzungsmäßigen” Mehrleistungen eingegangen und hat dabei erstere als Leistungen definiert, zu deren Erbringung die Krankenkassen unmittelbar kraft Gesetzes verpflichtet seien (BSGE 50, 44 = SozR 2200 § 187 Nr 7 S 19; BSG SozR 2200 § 194 Nr 5 S 12). Für die „rechtlich schwächere Form” der Mehrleistung sei hingegen wesentlich, daß es sich um satzungs- und damit aufsichtsrechtlich genehmigungspflichtige Leistungen handele, zu denen sich die Krankenkassen mit Rechtsanspruch der Versicherten oder nach pflichtgemäßem Ermessen verpflichten könnten (BSGE 51, 115, 116 = SozR 2200 § 187 Nr 9 S 24). Entscheidend für den Begriff der Mehrleistung sei ihre ausdrückliche Einführung durch entsprechende Satzungsvorschriften; im übrigen seien satzungsrechtliche Mehrleistungen der Krankenkassen nur insoweit zulässig, als sie im Zweiten Buch der RVO ausdrücklich vorgesehen seien (BSGE 3, 18, 19 f; 50, 44 = SozR 2200 § 187 Nr 7 S 19; BSG SozR 2200 § 194 Nr 5 S 13). Wenn aber die Krankenkassen zur Erbringung von Regelleistungen schon unmittelbar kraft Gesetzes verpflichtet gewesen sind und lediglich eine satzungsrechtliche „Mehrleistungs-” Autonomie besessen haben (vgl BSGE 51, 115, 118 f = SozR 2200 § 187 Nr 9 S 27), so folgt daraus zwangsläufig, daß sich auch unter Zugrundelegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung die gesetzliche Ermächtigung des § 321 Nr 2 RVO aF zur Bestimmung über Art und Umfang der Leistungen nur auf Mehrleistungen hat beziehen können.

Aber selbst wenn sich die gesetzliche Ermächtigung des § 321 Nr 2 RVO aF zur satzungsrechtlichen Bestimmung über Art und Umfang der Leistungen sowohl auf Mehrleistungen als auch auf Regelleistungen hätte beziehen sollen, so ist doch jedenfalls für letztere ebenso wie für Mehrleistungen zu fordern, daß sie ihre Rechtsgrundlage in der RVO haben (vgl BSGE 40, 20, 21 = SozR 2200 § 187 Nr 5 S 13; speziell für Mehrleistungen BSGE 3, 18, 19; BSG SozR 2200 § 194 Nr 5 S 13). Eine Kostenerstattung allgemein oder für bestimmte Gruppen von Versicherten der GKV hat jedoch in der Zeit bis zum 31. Dezember 1988 das zweite Buch der RVO nicht nur nicht vorgesehen, sondern nach Meinung des Senats sogar de lege lata ausgeschlossen. Dabei wird unter Kostenerstattung hier und im folgenden die Zahlung eines Geldbetrages seitens eines Trägers der GKV an den Versicherten zwecks (vollständigen oder teilweisen) Ersatzes der von diesem für eine selbstbeschaffte Leistung der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1, §§ 182b ff RVO aF) aufgewendeten finanziellen Mittel verstanden (zur Abgrenzung der Kostenerstattung in diesem Sinne von anderen Geldleistungen der gesetzlichen Krankenkassen an ihre Versicherten vgl Zacher/Friedrich-Marczyk ZfS 1980, 97, 99 f).

Der Ausschluß der Kostenerstattung ist die Konsequenz des das Leistungsrecht der GKV bis zum 31. Dezember 1988 beherrschenden Sachleistungsprinzips gewesen.

Seinen sachlichen Inhalt hat dieses Prinzip dadurch erhalten, daß in ihrer rechtlichen Beziehung zum Versicherten die GKV den Charakter einer Sachleistungen gewährenden Institution hat (vgl BSGE 19, 21, 23 = SozR Nr 14 zu § 184 RVO). Die Träger der GKV hatten ihren Versicherten die Leistungen der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO aF) bzw den „Leistungsgegenstand als solchen” in Form der Sachleistung „zur Verfügung zu stellen” bzw zu „beschaffen” (BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 Nr 4 S 10; BSGE 42, 229, 230 = SozR 2200 § 182b Nr 2 S 2). Das ist allerdings nicht gleichbedeutend damit gewesen, daß sie ihren Versicherten Leistungen der Krankenpflege als Eigenleistungen haben erbringen müssen. Für den Inhalt des Sachleistungsprinzips ist allein ausschlaggebend die „Verschaffungspflicht” der Träger der GKV des Inhalts, daß sie (wenn schon nicht durch Eigenleistung, so jedenfalls) durch Abschluß von Verträgen mit den Lieferanten von Gegenständen der Krankenpflege, mit Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) und mit Krankenhäusern die Erbringung von Leistungen der Krankenpflege zu gewährleisten und damit ihren Grundauftrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung ihrer Mitglieder zu erfüllen hatten (BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 61; vgl auch Vorlagebeschluß des 3. Senats in SGb 1986, 28, 29 ff). In diesem Sinne umfaßt – im Gegensatz zum zwischenstaatlichen Recht – im Krankenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland der Begriff der „Sachleistungen” nur „Naturalleistungen” und nicht auch Geldleistungen zur vollständigen oder teilweisen Erstattung der Aufwendungen des Versicherten für Leistungen oder Gegenstände der Krankenpflege (BSGE 57, 50, 55 = SozR 2200 § 198 Nr 2 S 7). Eine derartige Verschaffungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen gewährleistet, daß der Versicherte eine notwendige Leistung der Krankenpflege erhält, ohne sie sich selbst erst beschaffen und insbesondere ohne bei ihrer Inanspruchnahme eine unmittelbare finanzielle Gegenleistung erbringen zu müssen (Zacher/Friedrich-Marczyk, aaO, S 98; v. Maydell, Zur Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung, PKV-Dokumentation Heft 7, März 1982, S 25 und 31).

Mit diesem sachlichen Begriffsinhalt ist das Sachleistungsprinzip zwar bis zum 31. Dezember 1988 in der RVO – anders als in § 6 Abs 1 und § 29 Abs 1 des Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 (RGBl S 73) und des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) in der Neufassung vom 10. April 1892 (RGBl S 379) – nicht mehr ausdrücklich geregelt gewesen. Dennoch ist nicht nur seine Fortgeltung gleichsam als übernormatives Grundprinzip des Rechts der GKV auch für die Zeit seit Inkrafttreten der RVO vom 19. Juli 1911 (RGBl S 509) völlig unbestritten gewesen. Ihm sind darüber hinaus einhellig ein hervorragender Rang und eine fundamentale Bedeutung zugesprochen worden. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist das System der deutschen sozialen Krankenversicherung vom Sachleistungsprinzip geprägt oder getragen (BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 Nr 4 S 10; BSG USK 78160 S 678; BSG SozR 2200 § 184 Nr 13 S 19; BSG USK 79213 S 904 und USK 8002 S 4). Es ist ein wesentlicher Grundsatz der GKV (BSGE 46, 179, 181 = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 61; BSG SozR 2200 § 182 Nr 74 S 133) und unterscheidet diese dadurch von der PKV, die weitgehend auf dem Erstattungsprinzip beruht (vgl Beschluß des BSG vom 19. März 1986 – 8 RK 58/84 –). Auch im sozialrechtlichen Schrifttum ist das Sachleistungsprinzip als für die soziale Krankenversicherung seit ihrer Entstehung kennzeichnend (v. Maydell ZfS 1982, 221), als Zentralbegriff des Regelungssystems der GKV (Meydam SGb 1977, 92, 95) und als deren beherrschendes oder dominantes Strukturelement (Narr SGb 1986, 32, 33) gewertet worden.

Eine von dem die GKV beherrschenden Sachleistungsprinzip abweichende Kostenerstattung anläßlich der Inanspruchnahme von Regelleistungen der Krankenpflege (§ 179 Abs 1 Nr 2, Abs 2, § 182 Abs 1 Nr 1 RVO aF) generell oder zugunsten bestimmter Gruppen der Versicherten hat die RVO weder unmittelbar noch – durch eine gesetzliche Ermächtigung zur satzungsrechtlichen Einführung einer solchen Kostenerstattung – mittelbar vorgesehen. Zwar haben die Erstattungsvorschriften der § 185 Abs 3, § 185b Abs 2 Satz 2 und § 182c iVm § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst d) RVO aF verdeutlicht, daß das Kostenerstattungsprinzip der RVO nicht vollkommen fremd gewesen ist (vgl auch BSG SozR 2200 § 182 Nr 74, S 133). Daraus auf die Zulässigkeit einer umfassenden Kostenerstattung zumindest für bestimmte Gruppen von Versicherten der GKV zu schließen, hält der Senat jedoch aus zwei Gründen für nicht zulässig.

Einmal sind die genannten Vorschriften abschließend aufgezählte Ausnahmen von dem in der GKV grundsätzlich herrschenden Sachleistungsprinzip gewesen. Über diese hinaus hat die Rechtsprechung weitere Ausnahmen lediglich in zwei Sonderfällen für zulässig erachtet, in denen die Inanspruchnahme von Sachleistungen unmöglich gewesen ist (Erstattung der Kosten einer in dringenden Bedarfslagen – BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 Nr 4 S 10 -oder einer deshalb selbstbeschafften Leistung, weil die Krankenkasse zuvor rechtswidrig die Gewährung einer Sachleistung abgelehnt hat und der Versicherte deswegen gezwungen gewesen ist, sich die erforderliche Leistung auf eigene Kosten zu verschaffen – vgl ua BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 61; BSGE 48, 258, 260 = SozR aaO Nr 47 S 81; BSG USK 81179 S 742; BSG SozR 2200 § 182 Nr 86 S 179 sowie neuerdings zur Kostenerstattung nach rückwirkender „Aktivierung” des Versicherungsverhältnisses BSG SozR 2200 § 182 Nr 113 S 251 f; jeweils mit umfangreichen Hinweisen). Davon abgesehen ist es den Krankenkassen jedoch nicht gestattet gewesen, ihren Versicherten Barleistungen zu gewähren und ihre gesetzlich statuierte Sachleistungspflicht durch Satzungsrecht abzuändern (vgl BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 Nr 4 S 10; BSGE 46, 179, 183 = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 62; BSG SozR 2200 § 184 Nr 13 S 19; zum Ausnahmecharakter von Kostenerstattungsvorschriften auch v. Maydell aaO, S 26; Fischwasser BABl 1981 Heft 11 S 35, 36; ders BKK 1982, 74, 75). Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat für das bis zum 31. Dezember 1988 geltende Recht unter ausdrücklicher Billigung der Rechtsprechung des BSG festgestellt, daß eine Möglichkeit der Privatbehandlung auf eigene Kosten mit nachfolgender Kostenerstattung dem System der GKV fremd sei und etwas anderes nur dann gelten könne, wenn die Versicherung die Sachleistung zu Unrecht verweigert und den Versicherten dadurch gezwungen habe, sie sich auf eigene Kosten zu verschaffen (vgl BVerfGE 78, 165, 172 f = SozR 2200 § 122 Nr 10 S 8). Der somit einhellig bejahte Ausnahmecharakter der Möglichkeiten einer Kostenerstattung unterstreicht den Willen des Gesetzgebers der RVO zur grundsätzlichen Einführung und Beibehaltung des Sachleistungsprinzips (Wanner DOK 1982, 116, 118).

Zum anderen haben § 185 Abs 3, § 185b Abs 2 Satz 2 und § 182c iVm § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst d) RVO aF eine Kostenerstattung nur aufgrund und nach der Inanspruchnahme ganz bestimmter und enumerativ aufgezählter Regelleistungen der Krankenhilfe (häusliche Krankenpflege, Haushaltshilfe, zahntechnische Leistungen bei Zahnersatz und Zahnkronen) zugelassen. Sie haben damit allein auf bestimmte Leistungssituationen abgestellt, ohne dabei nach einzelnen Versichertengruppen differenziert zu haben. Dann aber muß es als rechtsmethodisch bedenklich und sachlich nicht gerechtfertigt angesehen werden, aus diesen Ausnahmevorschriften auf die Zulässigkeit einer (satzungsrechtlichen Einführung der) von bestimmten Leistungssituationen gelösten und an die Inanspruchnahme jeglicher Regelleistung der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO aF) geknüpften Kostenerstattung zugunsten bestimmter Gruppen der Versicherten der GKV zu schließen (vgl v. Maydell aaO, S 28 f; ders ZfS 1982, 221, 223 f; Wanner DOK 1982, 116, 118).

Speziell zugunsten der beitrittsberechtigten Versicherten und der freiwillig Weiterversicherten hat sich die Zulässigkeit (der satzungsrechtlichen Einführung) einer umfassenden Kostenerstattung auch nicht unter Hinweis auf Entstehungsgeschichte und Regelungszweck der einschlägigen Vorschriften mit einer geringeren sozialen Schutzbedürftigkeit dieser Versichertengruppen begründen lassen. Zwar trifft es zu, daß diese Versicherten insofern an der Durchführung und Aufrechterhaltung ihrer Versicherung eigenverantwortlich beteiligt gewesen sind, als sie zunächst – in diesem Zusammenhang kann allerdings auch die Regelung des § 405 RVO aF nicht unberücksichtigt bleiben – nach § 381 Abs 3 RVO aF die Beiträge allein haben tragen müssen und nach § 314 RVO aF die Folgen eines Zahlungsverzuges in Gestalt des Erlöschens der Mitgliedschaft allein sie getroffen haben. Indessen haben gerade diese Vorschriften wie auch die durch § 215 RVO aF eröffnete Möglichkeit einer Beschränkung der den freiwillig Versicherten zu gewährenden Regelleistungen (dazu Fischwasser BKK 1982, 74, 76) aufgezeigt, daß der Gesetzgeber selbst und ausdrücklich normiert hat, in welchen Bereichen und in welcher Weise einer geringeren sozialen Schutzbedürftigkeit der freiwillig Versicherten hat Rechnung getragen werden müssen oder können. Angesichts dessen hätte auch eine Kostenerstattung zugunsten dieser Versicherten im Hinblick auf eine etwaige geringere soziale Schutzbedürftigkeit (diese verneinend Fischwasser, aaO, S 75; vgl auch v. Maydell aaO, S 28 und 31) ausdrücklich vom Gesetzgeber geregelt werden können und müssen. Das ist nicht geschehen.

Der Argumentation im Urteil des 3. Senats vom 9. September 1981 (aaO), daß zugunsten der beitrittsberechtigten Versicherten und der freiwillig Weiterversicherten im Hinblick auf deren geringere soziale Schutzbedürftigkeit abweichend vom Sachleistungsprinzip eine Kostenerstattung zulässig sei, beruht im übrigen auf der Erwägung, daß gesetzgeberisches Motiv und Rechtfertigung für die Einführung und Beibehaltung des Sachleistungsprinzips die soziale Schutzbedürftigkeit der Versicherten gewesen sei. Dem kann in dieser Ausschließlichkeit nicht zugestimmt werden. Dabei kann auf sich beruhen, daß seit Bestehen der GKV der Begriff der „Schutzbedürftigkeit” niemals als normativer Regelungsbegriff verwendet worden ist (Fischwasser, aaO, S 75) und ob als wesentliche Grundlage des Sachleistungsprinzips von Anfang an die Steuerungsmöglichkeiten im Sinne der Wirtschaftlichkeit und der Sicherstellung der Versorgung im Vordergrund gestanden haben (so Fries/Trenk-Hinterberger SGb 1983, 94, 96). Jedenfalls kann das Sachleistungsprinzip nicht allein mit Blick auf die Versicherten und deren höhere oder geringere soziale Schutzbedürftigkeit gesehen und gewertet werden. Vielmehr hat es unter der Geltung der RVO zumindest gleichwertig auch im Zusammenhang mit dem Recht der Leistungserbringung und sonach insbesondere mit dem Kassenarztrecht gestanden. Dieser enge Zusammenhang ist in der Rechtsprechung des BSG wiederholt betont worden. Danach hat es zur Gewährleistung der ärztlichen Behandlung als Sachleistung eines umfassenden Systems ärztlicher Versorgung bedurft, welches Versicherte, Krankenkassen und KÄVen umspannt (BSGE 25, 195 = SozR Nr 7 zu § 4 der 12. AufbauVO vom 24. Dezember 1935). Ihre aus dem Sachleistungsprinzip resultierende Verpflichtung zur Verschaffung der vom Versicherten benötigten und ihm nach dem Gesetz zustehenden Dienste und Güter der Krankenpflege und damit ihren Grundauftrag zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung ihrer Mitglieder haben die Krankenkassen durch Abschluß von Verträgen mit den KÄVen, den Krankenhäusern und den Lieferanten von Leistungen und Gegenständen der Krankenpflege erfüllt (BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 Nr 4 S 10; BSGE 44, 41, 43 = SozR 2200 § 508 Nr 2 S 4; BSGE 46, 179, 181 f = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 61; BSG SozR 2200 § 184 Nr 13 S 19 f; BSG SGb 1986, 28, 29 f). Diese Verschaffungspflicht der Krankenkassen ist wesentlich gewesen, weil sie dadurch die Möglichkeit der Überwachung und Prüfung gehabt haben und auf diese Art in der Lage gewesen sind, ihren Versorgungsauftrag entsprechend dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 182 Abs 2 RVO aF) ordnungsgemäß zu erfüllen (BSGE 46, 179, 182 = SozR 2200 § 182 Nr 32 S 61). Die das Sachleistungsprinzip bestimmenden Grundsätze für die Tätigkeit sowohl der Kassenärzte als auch der Angehörigen der nichtärztlichen Heilberufe sind Ausdruck des öffentlichen Interesses an der Funktionsfähigkeit der kassenärztlichen Versorgung als einer Aufgabe von Verfassungsrang gewesen. Kassenärzte wie auch andere Leistungserbringer sind in das Sachleistungssystem einbezogen und den dafür geltenden Grundsätzen unterworfen worden (Beschluß des BSG vom 19. März 1986 – 8 RK 58/84 –). Auch im sozialrechtlichen Schrifttum ist nachdrücklich auf den engen Zusammenhang zwischen dem Sachleistungsprinzip einerseits und dem Recht der Leistungserbringung sowie speziell dem Kassenarztrecht andererseits hingewiesen worden (vgl ua Hässler SozSich 1965, 290, 291; Meydam SGb 1977, 92 f; Zacher/Friedrich-Marczyk ZfS 1980, 97; Fischwasser BKK 1982, 74, 76). Nach v. Maydell (aaO, S 32) bilden die Vereinbarungen, die die Krankenkassen mit den Lieferanten von Gegenständen der Krankenpflege, mit KÄVen und mit Krankenhäusern treffen, um damit die Versorgung der Versicherten sicherzustellen, die zweite Seite des Sachleistungsprinzips und dienen der Ausgestaltung der Verpflichtung der Krankenkassen aus § 182 Abs 2 RVO aF zur ausreichenden und zweckmäßigen, das Maß des Notwendigen aber nicht überschreitenden Versorgung der Versicherten. Narr (SGb 1986, 32, 33) hat das Kassenarztrecht als die Rechtsmaterie beschrieben, bei der die dominante Struktur des Natural- oder Sachleistungsprinzips am besten gesetzgeberisch ausgeformt worden sei; zwangsläufige Folge dieses Prinzips sei der gesetzliche Sicherstellungsauftrag der KÄVen.

Durch die Einführung einer Erstattung der zuvor dem Versicherten in Rechnung gestellten und von ihm verauslagten Kosten für die Inanspruchnahme von Regelleistungen der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO aF) wäre hinsichtlich der Gruppe der derart begünstigten Versicherten der vom Gesetzgeber ausdrücklich hergestellte enge Zusammenhang zwischen dem Sachleistungsprinzip und dem Recht der Leistungserbringung, insbesondere dem Kassenarztrecht, aufgehoben worden. Das hätte vor allem für die Kosten der Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Behandlung gegolten. Schon die Tatsache, daß diese Kosten dem erstattungsberechtigten Versicherten unmittelbar von dem behandelnden Arzt in Rechnung gestellt worden wären, hätte dem vom Sachleistungsprinzip geprägten Grundsatz des Kassenarztrechts widersprochen, daß dem Kassenarzt ein Vergütungsanspruch ausschließlich gegen die KÄV (§ 368f Abs 1 Satz 2 RVO aF) und somit weder unmittelbar gegenüber dem Versicherten noch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse zugestanden hat. Insbesondere aber hätte eine solche Kostenerstattung das kassenärztliche Gesamtvergütungssystem unterlaufen. Die Krankenkasse hat für die gesamte kassenärztliche Versorgung mit befreiender Wirkung an die KÄV eine Gesamtvergütung geleistet (§ 368f Abs 1 Satz 1 und 2 RVO aF). Deren Verteilung unter die Kassenärzte und damit die Einzelhonorierung der ärztlichen Leistungen mit der sich daraus ergebenden Verpflichtung zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung (§ 368n Abs 5 RVO aF) ist ausschließlich Angelegenheit der KÄV gewesen. Diese wäre im Falle einer Kostenerstattung aus dem Vergütungs- und Abrechnungsverfahren vollständig ausgeschaltet worden. Es kann dahinstehen, ob damit mangels eines dafür geeigneten Instrumentariums bei den gesetzlichen Krankenkassen eine Kontrolle der Leistungserbringung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr möglich gewesen wäre und eine unwirtschaftliche Behandlung und Verordnung nicht mehr hätte unterbunden werden können (vgl v. Maydell aaO, S 32; ders ZfS 1982, 221, 225; Fischwasser BKK 1982, 74, 77). Zumindest hätte eine Kostenerstattung einen derart einschneidenden Eingriff in das gesetzlich geregelte und zwingend vorgeschriebene Vergütungs-, Abrechnungs- und Prüfungssystem bedeutet, daß sie ihrerseits nur aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung hätte vorgenommen oder eingeführt werden können. Eine solche Regelung ist jedoch bis zum 31. Dezember 1988 nicht vorhanden gewesen.

Seine aus diesen Erwägungen resultierende Auffassung, daß in der Zeit bis zum 31. Dezember 1988 eine BKK als gesetzliche Krankenkasse eine Regelung über die Kostenerstattung an beitrittsberechtigte Versicherte und freiwillig Weiterversicherte nicht in die Satzung hat aufnehmen dürfen, sieht der Senat durch das im wesentlichen am 1. Januar 1989 in Kraft getretene SGB V bestätigt. Danach darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V vorsieht (§ 13 Abs 1 SGB V). Das ist der Fall bei nicht rechtzeitiger Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung oder zu Unrecht erfolgter Ablehnung einer Leistung (§ 13 Abs 2 SGB V), bei der Teilkostenerstattung an Dienstordnungs-Angestellte (§ 14 SGB V), bei kieferorthopädischer Behandlung und bei Zahnersatz (§§ 29, 30 SGB V) sowie im Rahmen einer durch Satzung eingeführten sogen Erprobungsregelung (§ 64 SGB V; speziell dazu Dalhoff BABl 1989, Heft 4, S 36, 38). § 13 SGB V ist mit demselben wie dem nunmehr geltenden Wortlaut bereits in dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz ≪GRG≫ (BR-Drucks 200/88 vom 29. April 1988) enthalten gewesen. Zur Begründung ist dort (aaO, S 164) ausgeführt worden, die Regelung verdeutliche das in der gesetzlichen Krankenversicherung geltende Sachleistungsprinzip, das für alle Kassen und Kassenarten eine Kostenerstattung grundsätzlich ausschließe; sie sei deshalb nur zulässig, wenn sie ausdrücklich im SGB V vorgesehen sei. Dieser Begründung und insbesondere dem darin verwendeten Begriff „verdeutlichen” entnimmt der Senat, daß nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch schon unter der Herrschaft der krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften der RVO das Sachleistungsprinzip essentielles Strukturelement der GKV gewesen ist und eine Kostenerstattung nur in ausdrücklich geregelten Ausnahmefällen zulässig war.

Nach alledem ist davon auszugehen, daß sich dem § 321 Nr 2 RVO aF eine Ermächtigung der gesetzlichen Krankenkassen zur satzungsrechtlichen Einführung einer Kostenerstattung an beitrittsberechtigte Versicherte und freiwillig Weiterversicherte nicht entnehmen läßt.

Auch daraus, daß die Ersatzkassen nach dem Vorbringen der Klägerin entsprechend dem Urteil des BSG vom 28. November 1979 (aaO) die Kostenerstattung an freiwillig Versicherte und ihre Familienangehörigen sowie darüber hinaus aus den Gesichtspunkten der Besitzstandswahrung oder der Einheit der Familie auch an bestimmte Gruppen von Versicherungspflichtigen praktizieren, läßt sich nicht die Pflicht der Beklagten zur Genehmigung des Satzungsnachtrags der Klägerin herleiten.

Der Senat hat erhebliche Bedenken, ob für die von der Klägerin beschriebene Praxis der Ersatzkassen bis zum 31. Dezember 1988 eine ausreichende Rechtsgrundlage bestand. Insoweit wird – um Wiederholungen zu vermeiden – auf die Ausführungen in dem (inzwischen aufgehobenen) Vorlagebeschluß vom 21. Juni 1989 – 1 RR 7/88 –, S 23 ff verwiesen. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Kostenerstattung durch die Ersatzkassen kann indessen unentschieden bleiben. Sollte eine entsprechende Rechtsvorschrift gefehlt haben, ist die Berufung auf die Praxis der Ersatzkassen schon deshalb ausgeschlossen, weil niemand mit Erfolg die Gleichbehandlung im Unrecht verlangen kann (BVerwGE 3, 88, 99; 34, 278, 283 f; 44, 82, 87; BSGE 15, 10, 14; Randelzhofer JZ 1973, 536 ff mwN). Aber selbst wenn die Ersatzkassen in dem genannten Umfang zur Kostenerstattung berechtigt gewesen sein sollten, folgt daraus nicht, daß auch die Klägerin in ihre Satzung eine Kostenerstattungsregelung aufnehmen darf. Es ist schon zweifelhaft, ob und inwieweit sich eine – an sich nicht grundrechtsfähige – Krankenkasse im Genehmigungsverfahren auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen kann (vgl dazu BVerfGE 21, 362, 372 ff; 75, 192, 200 f; 77, 340, 344). Ungeachtet dieser Zweifel stützt die Berufung der Klägerin auf den Gleichheitssatz nicht ihr Klagebegehren. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verbietet, wesentlich Gleiches ohne zureichende sachliche Gründe ungleich, wesentlich Ungleiches ohne solche Gründe gleich zu behandeln; damit enthält Art 3 Abs 1 GG über ein Willkürverbot hinaus die an Gesetzgebung und Rechtsprechung gerichtete Verpflichtung, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten nicht anders „ungleich”) zu behandeln, falls zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (vgl BVerfGE 55, 72, 88 f). Welche Elemente des zu regelnden Sachverhalts dabei so bedeutsam sind, daß ihrer Gleichheit oder Verschiedenheit bei der Ausgestaltung der Regelung Rechnung getragen werden muß, hat grundsätzlich der Gesetzgeber zu entscheiden, sofern nicht schon die Verfassung selbst Wertungen enthält, die dann auch den Gesetzgeber binden. Im übrigen kann nur die Einhaltung bestimmter äußerster Grenzen überprüft und ihre Überschreitung beanstandet werden. Der Gesetzgeber hat demnach eine weitgehende Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 49, 260, 271; 61, 138, 147; BSGE 58, 134, 142 = SozR 2200 § 385 Nr 14; 65, 214, 215 mwN = SozR 4100 § 111 Nr 10).

Die Grenzen des Gestaltungsspielraums wären nicht überschritten, wenn der Gesetzgeber den Ersatzkassen – anders als den RVO-Kassen – bis zum 31. Dezember 1988 das Recht eingeräumt haben sollte, für bestimmte Mitgliedergruppen eine Kostenerstattung zu praktizieren. Denn hierfür gäbe es zumindest einen sachlichen Grund: Die Ersatzkassen haben keine gesetzlich zugewiesenen Mitglieder und sind nach wie vor weitgehend darauf angewiesen, daß ihnen Versicherte beitreten (vgl dazu BSGE 56, 140, 143 = SozR 2200 § 516 Nr 1). Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage könnte es jedenfalls nicht als Ermessensfehlgebrauch oder Willkür angesehen werden, wenn die Legislative bei den Ersatzkassen eine Kostenerstattungsregelung für notwendig erachtet hätte, um durch eine solche Maßnahme – langfristig gesehen – zur Erhaltung eines ausreichenden Mitgliederbestandes der Ersatzkassen beizutragen.

Soweit die hier vertretene Rechtsansicht dem Urteil des 3. Senats des BSG vom 9. September 1981 (aaO) widerspricht, wird an der bisherigen Rechtsprechung nicht festgehalten. Der erkennende Senat ist zur Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung befugt, weil er nach der mit Wirkung vom 1. Januar 1991 vom Präsidium des BSG beschlossenen Änderung der Geschäftsverteilung nunmehr für das Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung – soweit es um die Neueingänge ab 1. Januar 1991 geht -allein zuständig ist und im Hinblick auf die beim 3. Senat des BSG noch anhängigen Revisionssachen aus der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr die Gefahr divergierender Entscheidungen hinsichtlich der Kostenerstattung besteht (vgl hierzu den Beschluß des erkennenden Senats vom 17. April 1991).

Der Senat hat ferner geprüft, ob die Beklagte den Satzungsnachtrag der Klägerin nach dem ab 1. Januar 1989 geltenden Recht zu genehmigen hat. Auch dies ist zu verneinen. Denn nach Art 61 GRG dürfen Krankenkassen die Kostenerstattung nur dann weiter praktizieren, wenn sie diese auf Grund ihrer Satzung und in zulässiger Weise bereits vor Inkrafttreten des GRG durchgeführt haben. Das war hier nicht der Fall. Selbst wenn man davon absieht, daß die Aufsichtsbehörde die Satzungsänderung am 31. Dezember 1988 noch nicht genehmigt hatte und die Klägerin schon deshalb die Kostenerstattung zu diesem Zeitpunkt noch nicht „auf Grund ihrer Satzung” durchgeführt haben konnte, fehlte nach altem Recht – wie oben dargelegt – eine entsprechende Rechtsgrundlage.

Im übrigen darf – von der hier nicht in Betracht kommenden Teilkostenerstattung des § 14 SGB V abgesehen – nach neuem Recht durch Satzung eine Kostenerstattung nur zur Erprobung (§ 64 SGB V) eingeführt werden. Ob eine solche Satzungsregelung der Klägerin genehmigt werden müßte, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

Auf die Revision der Beklagten war daher – unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung – die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173394

BSGE, 170

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