Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungsansprüche der freiwillig versicherten Ersatzkassenmitglieder. satzungsmäßiger Ausschluß des Anspruchs auf ärztliche Behandlung bei gleichzeitiger Zubilligung der Kostenerstattung. Kostenerstattung bei Inanspruchnahme eines Nicht-Vertragsarztes

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat eine Ersatzkasse in ihren Versicherungsbedingungen für freiwillig weiterversicherte Mitglieder den Anspruch auf ärztliche Behandlung ausgeschlossen und statt dessen einen Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten in Höhe der Vertragssätze nach Maßgabe der E-AdgO zugebilligt, dann scheidet eine Kostenerstattung für solche ärztlichen Maßnahmen aus, für die die E-AdgO keine Gebührenregelung enthält.

 

Orientierungssatz

Die Kosten der Diagnose mittels Elektro-Akupunktur können einem weiterversicherten Ersatzkassenmitglied nicht erstattet werden, weil die E-AdgO für eine derartige Leistung keine Gebührenregelung enthält.

 

Normenkette

SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Abs. 2 Fassung: 1937-04-01; E-AdgO

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 02.11.1977; Aktenzeichen L 4 Kr 7/74)

SG Nürnberg (Entscheidung vom 11.12.1973; Aktenzeichen S 9 Kr 32/72)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. November 1977 wurde zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer ärztlichen Diagnose mittels Elektro-Akupunktur.

Die Kläger sind die Rechtsnachfolger des am 11. Dezember 1974 verstorbenen G K, der bei der Beklagten freiwillig gegen Krankheit weiterversichert war. Nach den mit der Revision nicht angefochtenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) wurde der Versicherte durch die Ärzte Dr. H und Dr. H-H behandelt, die Nicht-Vertragsarzte der Beklagten sind. Bei der Behandlung bediente sich Dr. H zu Diagnosezwecken der Methode der Elektro-Akupunktur nach Dr. V.

Im März 1971 reichte der Versicherte Rechnungen für Arztbehandlungen und Arzneimittel bei der Beklagten ein und forderte, ihm die aufgewandten Kosten zu erstatten. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 22. April 1971 ab. Einen weiteren Antrag auf Kostenerstattung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10. Februar 1972 ab, weil sie für Nicht-Vertragsleistungen nicht aufzukommen habe. Mit seinem Widerspruch vom 24. Februar 1972 wandte sich der Versicherte gegen die ablehnende Stellungnahme und forderte, ihm die von Dr. H in Rechnung gestellten Kosten zu erstatten. Durch den Bescheid vom 4. April 1972 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Behandlungsmethode des Dr. H sei wissenschaftlich nicht anerkannt und könne daher nicht als notwendige Behandlung iS des § 11 Abs 2 der Versicherungsbedingungen und § 182 Abs 1 sowie § 368 e der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewertet werden. Damit entfalle die Möglichkeit der Kostenerstattung.

Gegen diesen Bescheid hat der Versicherte Klage erhoben und gefordert, die Beklagte zu verurteilen, ihm die durch die Behandlung des Dr. H entstandenen Kosten in Höhe von 2.527,20 DM zu erstatten. Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat mit Urteil vom 11. Dezember 1973 die Beklagte verurteilt, die Kosten der Behandlungen des Versicherten durch Dr. H in der Zeit vom 23. Juni bis zum 3. Oktober 1969, vom 5. Februar bis zum 14. Juli 1970 und vom 14. Mai bis zum 28. Juli 1971 in der vom Versicherten geforderten Höhe zu erstatten. Es hat die Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer vom 28. Oktober 1967 zur Frage der Akupunkturbehandlung als unerheblich angesehen und die Auffassung vertreten, die Beklagte habe nicht nachweisen können, daß die ärztliche Behandlung des Versicherten durch Dr. H nicht notwendig gewesen sei; nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast gehe das zu Lasten der Beklagten.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie hat ihren bisherigen Standpunkt weiter vertreten. Das LSG hat eine Auskunft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eingeholt; diese besagt, daß die Elektro-Akupunktur nach wie vor als ein wissenschaftlich nicht anerkanntes Verfahren anzusehen sei. Weiter hat es ein Gutachten des Prof. Dr. F eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, die Elektro-Akupunktur-Diagnose stelle derzeit keine kritisch geprüfte ärztliche Diagnosemethode dar. Die von Dr. H angewandte Therapie sei im wesentlichen als eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichende und zweckmäßige Versorgung anzusehen. Das LSG hat mit Urteil vom 2. November 1977 die angefochtene Entscheidung des SG zum Teil abgeändert. Es hat die Klage insoweit abgewiesen (Urteilstenor Ziffer Ia) als die Beklagte verurteilt worden war, Kosten für die Behandlung durch Dr. H-H sowie für die von diesem Arzt verordneten Arzneimittel zu erstatten. Der Versicherte habe die Bescheide der Beklagten mit seinem Widerspruch nur insoweit angegriffen, als sie die Kostenerstattung für die Behandlung durch Dr. H abgelehnt hätte. Wegen der Behandlungen und Verordnungen durch Dr. H-H habe der Versicherte keine Rechtsbehelfe eingelegt, die Bescheide der Beklagten seien somit im Umfang dieser Ansprüche bindend geworden. Die Geltendmachung im sozialgerichtlichen Verfahren habe die Bindungswirkung nicht mehr beseitigen können. Das LSG hat weiterhin die Klage insoweit abgewiesen (Urteilstenor Ziffer Ib), als der Versicherte Erstattung von Kosten des Dr. H für dessen Diagnose mittels Elektro-Akupunktur begehrt hat. Es handele sich dabei um eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Heilmethode, wie der Sachverständige in seinem Gutachten klargestellt habe. Eine solche Methode sei als nicht notwendige Behandlung zu bewerten und daher von der Krankenkasse nicht als Leistung zu erbringen. Das LSG hat im übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteilstenor Ziffer II), jedoch mit der Maßgabe, daß die Beklagte für die Behandlung durch Dr. H nur den Betrag zu erstatten habe, den sie bei der Behandlung durch einen Vertragsarzt aufzuwenden gehabt hätte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision der Kläger, die den Rechtsstreit nach dem Tod des Versicherten fortgesetzt haben. Sie greifen die Entscheidung insoweit an, als das LSG die Klage abgewiesen hat, und halten § 11 Abs 4 der Versicherungsbedingungen der Beklagten iVm § 182 Abs 2 RVO für verletzt. Sie lehnen die Ansicht des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, daß die Elektro-Akupunktur keine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode sei, als unrichtig ab. Es komme nicht darauf an, welche Methode die Schulmedizin anerkenne, sondern darauf, ob die Diagnose und Behandlung wirksam sei. Die Methode der Elektro-Akupunktur zur Diagnosestellung sei übrigens billiger als die zeitraubende und kostenaufwendige Labor- und klinische Untersuchungsmethode. Davon hätte sich das Berufungsgericht durch Einholung eines Gutachtens von Vertretern der Elektro-Akupunktur überzeugen müssen. Diese Methode werde seit über 25 Jahren von zahlreichen Ärzten mit Erfolg angewendet, es gebe darüber umfangreiches Literaturmaterial und sie müßte deshalb als wissenschaftlich anerkannt bewertet werden. Im übrigen komme es nicht auf eine allgemein-wissenschaftliche Anerkennung an, sondern nur darauf, ob die Methode von den Vertretern der speziellen Therapierichtungen allgemein anerkannt werde.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. November 1977 insoweit aufzuheben, als die Klage abgewiesen worden ist und soweit die Klägerinnen mit Kosten belastet wurden,

vorsorglich,

unter Aufhebung des Urteils die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Dem Versicherten habe zwar ein Anspruch auf Kostenerstattung für privatärztliche Behandlung zugestanden, es handele sich dabei nach § 12 Abs 4 der Versicherungsbedingungen jedoch um eine Kann-Leistung, bei der die von der Kasse aufgestellten Richtlinien zu beachten seien. Danach seien nur solche Kosten zu erstatten, die die Kasse bei Inanspruchnahme eines Vertragsarztes auf Krankenschein aufzuwenden gehabt hätte. Die mittels Elektro-Akupunktur durchgeführte Diagnose gehöre nicht zu diesen Leistungen.

II

Die Revision der Kläger ist unbegründet.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Kosten der Diagnose mittels Elektro-Akupunktur zu erstatten.

1.

Die Kläger erstreben mit ihrer Revision die volle Wiederherstellung der Entscheidung des SG. Dieses hat den Klägern die Erstattung aller geltend gemachten Kosten zuerkannt, ohne im einzelnen zu prüfen, auf welche Behandlungen die Forderungen zurückgegangen sind. Zutreffend hat das LSG im Berufungsurteil dargelegt, daß der Versicherte sich mit seinem der Klage vorangehenden Widerspruch nur gegen die Ablehnung der Kostenerstattung gewandt hat, soweit sie die Tätigkeit des Dr. H betrifft, und daß deshalb die Bescheide der Beklagten, soweit sie die Erstattung von Kosten der Behandlungen des Dr. H-H betreffen, in Bindungswirkung erwachsen sind (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das LSG hat deshalb die Klage insoweit (Ziffer Ia des Urteilstenors) zu Recht abgewiesen. Gegen diesen Teil des Berufungsurteils haben die Kläger innerhalb der Revisionsfrist keine Revisionsrügen vorgebracht. Da ihr Revisionsantrag dennoch diese Ansprüche mitumfaßt, ist insoweit ihre Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 164 Abs 2, § 170 Abs 1 Satz 1 SGG), ohne daß es weiterer Erörterungen bedarf.

2.

Die Ansprüche der Kläger auf Erstattung der Behandlungskosten durch Dr. H hat das SG in vollem Umfang zugesprochen; das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, jedoch mit der Maßgabe, daß nur der Betrag erstattungsfähig sei, den die Beklagte bei einer Behandlung durch einen Vertragsarzt aufzuwenden gehabt hätte. Da die Beklagte keine Revision gegen das Urteil des LSG eingelegt hat, ist es in diesem Umfang (Urteilstenor Ziffer II) rechtskräftig geworden. Der erkennende Senat vermag nicht zu ermitteln - Feststellungen des LSG dazu fehlen -, ob die von Dr. H in Rechnung gestellten Behandlungskosten sich in Höhe der vertragsärztlichen Kosten halten oder ob sie diese überschreiten. Im zweiten Falle enthielte das Berufungsurteil gegenüber dem voll zusprechenden erstinstanzlichen Urteil eine teilweise Klageabweisung. Der Senat kann diese Frage jedoch dahinstehen lassen, denn selbst wenn das LSG-Urteil in diesem Teil die Klage abgewiesen hätte und nach dem umfassenden Revisionsantrag diesbezüglich mit der Revision angegriffen wäre, fehlte es doch wiederum an einer Revisionsbegründung. Auch insoweit müßte deshalb die Revision zurückgewiesen werden.

3.

Im wesentlichen wenden sich die Kläger mit ihrem Rechtsmittel gegen die Versagung der Kosten, die Dr. H für die Diagnose mittels Elektro-Akupunktur in Rechnung gestellt und der Versicherte dafür aufgewandt hat. Der Versicherte war freiwillig weiterversichertes Mitglied der Beklagten. Nach Art 2 § 4 Abs 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) in der Fassung der 15. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 1. April 1937 (RGBl I 439) gelten für die Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht die Bestimmungen der Satzung. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl BSGE 25, 195, 197), ist es deshalb grundsätzlich dem Ermessen der einzelnen Ersatzkassen überlassen geblieben, die Weiterversicherung zuzulassen, ihre Bedingungen zu regeln sowie die Voraussetzungen und den Umfang der Leistungen festzusetzen. Das gilt jedenfalls für den hier streitigen Leistungszeitraum vor 1972, es bedarf im vorliegenden Rechtsstreit keiner Erörterung, ob und inwieweit durch spätere gesetzliche Regelungen diese Rechtslage geändert worden ist (vgl dazu Urteil des Senats vom 28. März 1979 - 3 RK 63/77 - in Die Beiträge 1979, 217).

Das Satzungsrecht der Beklagten regelte in der streitigen Zeit die Gewährung ärztlicher Behandlungen durch § 12 der Versicherungsbedingungen. Der Versicherte hatte nach § 12 Abs 3 der Versicherungsbedingungen iVm § 4 Ziffer 2 des Arzt/Ersatzkassen-Vertrages vom 20. Juni 1963 (AEV 1963) keinen Anspruch auf Aushändigung eines Krankenscheines, ihm stand vielmehr ein Anspruch auf Kostenerstattung auf die vom Vertragsarzt ausgestellten Rechnungen zu. Diese Vorschrift konnte die Beklagte indes nicht zur Anwendung bringen, weil Dr. H Nicht-Vertragsarzt der Beklagten war. Für die Kostenerstattungen auf Rechnungen von Nicht-Vertragsärzten bestimmte § 12 Abs 4 der Versicherungsbedingungen, daß die Rückerstattung auf die Kosten beschränkt werden konnte, welche die Kasse zu zahlen gehabt hätte, wenn ein Vertragsarzt in Anspruch genommen worden wäre. Diese Satzungsregelung ist nicht zu beanstanden, sie hält sich im Rahmen der der Beklagten kraft Satzungsautonomie zustehenden rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und trägt vor allem dem Grundsatz der Gleichbehandlung mit den versicherungspflichtigen Mitgliedern bei der Gewährung von Kassenleistungen Rechnung. Es ist weiterhin nicht zu beanstanden, wenn die Kasse Richtlinien erlassen hat, die dazu dienen sollen, dieses Prinzip der Gleichbehandlung für den Einzelfall zu konkretisieren. Die Richtlinien besagen in Wiederholung der Versicherungsbedingungen, daß sich der Leistungsanspruch auf die Kosten beschränkt, die die Krankenkasse bei vertragsärztlicher Behandlung nach den Sätzen der Ersatzkassen-Adgo aufzubringen gehabt hätte und daß bezüglich der Leistungen die gleichen Grundsätze gelten, wie für die Behandlung auf Krankenschein. Zur Vergütung der ambulanten vertragsärztlichen Tätigkeit schreibt § 9 Ziffer 1 AEV 1963 vor, daß die Einzelleistungen nach Maßgabe der E-Adgo zu vergüten sind. Die E-Adgo enthält jedoch keine Gebührenregelungen für eine Leistung "Diagnose durch Elektro-Akupunktur". Die Beklagte hat somit zutreffend die Kostenerstattung für eine derartige Leistung abgelehnt. Hätte sie dem Begehren der Kläger nachgeben wollen, so hätte sie das nur unter Verstoß gegen die von ihr selbst aufgestellten Regelungen tun können.

Es bedarf im vorliegenden Rechtsstreit keiner Erörterung der Frage, ob die Diagnose mittels Elektro-Akupunktur als wissenschaftlich anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anzusehen ist und welches Gremium und in welcher Zusammensetzung über eine derartige Bewertung maßgebend entscheiden soll, weil Grundlage der von den Klägern begehrten Kostenerstattungen nicht eine gesetzliche Leistungspflicht ist, sondern eine den Rahmen der RVO übersteigende, im Ermessen der Beklagten stehende, durch Satzungsrecht geregelte Verpflichtung. Die Beklagte hat sich bei ihrer Entscheidung für die Leistungsgestaltung im Rahmen des Art 2 § 4 Abs 2 der 12. Aufbauverordnung gehalten. Das LSG hat somit zu Recht die Klage insoweit abgewiesen, als die Kläger die Erstattung der Kosten für die Diagnose mittels Elektro-Akupunktur fordern.

Da die Revision der Kläger ohne Erfolg bleiben muß, war sie in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657055

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