Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch eines Doppelamputierten auf Pflegezulage ist für die Zeit vor dem 1953-08-01 (Inkrafttreten der Neufassung der VV BVG § 35 Nr 8 Abs 1 Fassung: 1951-03-01) nicht schon deshalb begründet, weil die Pflegezulage allein auf Grund der geänderten Verwaltungsvorschrift für die Zeit vom 1953-08-01 an bewilligt worden ist.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Entscheidung nach KOV-VfG § 40 Abs 1 ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur nach SGG § 54 Abs 2 S 2 nachgeprüft werden kann. Voraussetzung für einen neuen Bescheid nach KOV-VfG § 40 Abs 1 ist immer, daß das Gesetz die Gewährung der beantragten Leistung an sich gestattet.

Eine Entscheidung des BSG iS des KOV-VfG § 40 Abs 2 aF liegt nur vor, wenn es seine Rechtsauffassung in einem Urteil niedergelegt hat, dessen entscheidende Frage die strittige Rechtsfrage gewesen ist.

 

Normenkette

BVG § 35 Fassung: 1950-12-20, § 35 Abs. 1 Nr. 8 Fassung: 1951-03-01; KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27, Abs. 2 Fassung: 1955-05-02; SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. April 1960 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Landesversicherungsanstalt (LVA) R..., Außenstelle D..., bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 21. September 1948 nach den Vorschriften der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 wegen Verlustes beider Unterschenkel Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. Durch Umanerkennungsbescheid vom 7. März 1951 wurde die Rente nach dem gleichen Grad der MdE auch nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gewährt. Pflegezulage erhielt der Kläger nicht. Auf den Antrag vom 28. August 1953 bewilligte das Versorgungsamt Duisburg dem Kläger durch Bescheid vom 1. September 1953 die einfache Pflegezulage mit Wirkung vom 1. August 1953. Der Bescheid wurde bindend. Am 14. Juli 1957 beantragte der Kläger, ihm auch für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 310. Juli 1953 Pflegezulage zu gewähren; er bezog sich dabei auf das Urteil des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. August 1956 (BSG 3, 217). Durch Bescheid vom 1. August 1957 lehnte das Versorgungsamt den Antrag ab. Den Widerspruch wies das Landesversorgungsamt durch Bescheid vom 2. Oktober 1957 zurück: Das Urteil des BSG vom 24. August 1956 habe keine grundsätzliche Bedeutung; vor dem 1. August 1953 habe sich die Verwaltungsbehörde an die damals geltende Verwaltungsvorschrift halten müssen, wonach Doppelunterschenkelamputierten grundsätzlich keine Pflegezulage zu gewähren sei; die geänderte Verwaltungsvorschrift, nach welcher die Pflegezulage nunmehr gezahlt werde, gelte erst seit 1. August 1953. Der Kläger erhob Klage beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf. Das SG wies die Klage durch Urteil vom 26. Januar 1959 ab. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen wies die Berufung durch Urteil vom 1. April 1960 zurück: Das Versorgungsamt habe weder die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, wenn es die Erteilung eines "Zugunstenbescheides" (§ 40 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung -VerwVG-) abgelehnt habe; nach Nf. 8 Abs. 1 der Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG aF habe der einfache Verlust beider Unterschenkel die Gewährung einer Pflegezulage nicht gerechtfertigt, es sei denn, daß der Zustand der Hüft- und Kniegelenke eine schwere Bewegungseinschränkung bedingt habe; es treffe nicht zu, daß die Verwaltungsvorschrift neuer Fassung rückwirkend ab 1. Oktober 1950 angewendet werden müsse, der Kläger sei nicht hilflos im Sinne des Gesetzes; er bedürfe für die normalen Verrichtungen des täglichen Lebens keiner fremden Hilfe; die Stümpfe hätten eine normale Beschaffenheit, die Beweglichkeit beider Kniegelenke sei gut; mit Prothesen vermöge der Kläger sich gut fortzubewegen; dieser Befund habe sich seit 1946 nicht geändert; der Kläger habe selbst erklärt, daß er nur hin und wieder auf fremde Hilfe angewiesen sei, er könne sich sogar im Straßenverkehr normalerweise gut ohne fremde Hilfe bewegen; das Versorgungsamt habe dem Kläger auch keinen "Zugunstenbescheid" nach § 40 Abs. 2 VerwVG erteilen müssen; das Urteil des 10. Senats des BSG vom 24. August 1956 habe hinsichtlich der Frage der Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG keine grundsätzliche Bedeutung; das BSG habe in jenem Falle nicht etwa deshalb den Anspruch auf Pflegezulage für die Zeit vor dem 1. August 1953 bejaht, weil die Neufassung der Verwaltungsvorschrift rückwirkende Kraft habe; das BSG sei vielmehr zu seiner Entscheidung in jenem Falle deshalb gekommen, weil das LSG bindend festgestellt habe, daß der Kläger sowohl ab 1. August 1953 als auch vor diesem Zeitpunkt hilflos im Sinne des § 35 BVG gewesen sei. Die Revision ließ das LSG zu.

Das Urteil wurde dem Kläger am 24. Juni 1960 zugestellt. Am 29. Juni legte er Revision ein, am 22. Juli beantragte er,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 1. April 1960, das Urteil des SG. Düsseldorf vom 26. Januar 1959 sowie die Bescheide des Beklagten vom 1. August 1957 und 2. Oktober 1957 aufzuheben und den Beklagten zur Erteilung eines Bescheides zu verurteilen, durch den dem Kläger die einfache Pflegezulage auch für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. Juli 1953 bewilligt wird,

hilfsweise,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Am 16. September 1960 - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 24. September 1960-begründete er die Revision: Das LSG habe die §§ 35 BVG, 40 VerwVG, 54 Abs. 2 Satz 2, 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt; die Neufassung der Verwaltungsvorschrift Nr. 8 Abs. 1 zu § 35 BVG sei eine Auslegungsregel zu § 35 BVG; sie wirke auf den 1. Oktober 1950 zurück, denn die Auslegung des Gesetzes müsse für die gesamte Dauer seiner Geltung einheitlich sein. Wenn das LSG den Sachverhalt ausreichend aufgeklärt hätte, habe es feststellen müssen, daß der Gesundheitszustand des Klägers vor dem 1. August 1953 ebenso gewesen sei wie nach diesem Zeitpunkt, daraus habe denkgesetzlich allein der Schluß gezogen werden können, daß der Kläger auch vor dem 1. August 1953 hilflos gewesen sei; im Zweifelsfalle habe das LSG diese Frage noch durch ein ärztliches Gutachten klären müssen; es habe insoweit die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG), überschritten und seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 SGG) verletzt; die Versorgungsverwaltung habe das ihr im Rahmen des § 40 Abs. 1 VerwVG aF eingeräumte Ermessen pflichtwidrig gehandhabt, wenn sie den Erlaß eines "Zugunstenbescheides" abgelehnt habe.

Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft; der Kläger hat sie frist- und formgerecht eingelegt und begründet, sie ist daher zulässig. Die Revision ist aber nicht begründet. Angefochten ist der Bescheid vom 1. August 1957, in dem es der Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger einen neuen Bescheid über die Bewilligung der Pflegezulage für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 310 Juli 1953 zu erteilen. Der Beklagte hat dem Kläger durch den Bescheid vom 1. September 1953 Pflegezulage ab 1. August 1953 bewilligt. Dieser Bescheid ist, da ein Rechtsmittel gegen ihn nicht eingelegt worden ist, bindend geworden. Der Beklagte ist nicht verpflichtet gewesen, durch einen neuen Bescheid (§ 40 Abs. 2 oder Abs. 1 VerwVG) festzustellen, daß der Anspruch auf Pflegezulage schon vom 1. Oktober 1950 an gegeben ist. Nach § 40 Abs. 2 VerwVG idF vor dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (aF) "ist" auf Antrag des Berechtigten ein neuer Bescheid zu erteilen gewesen, wenn das BSG in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten hat als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat; anders als im Falle des § 40 Abs. 1 VerwVG ist die Versorgungsverwaltung, falls die Voraussetzungen des Abs. 2 (aF) vorliegen, verpflichtet, einen neuen, dem Kläger günstigeren Bescheid zu erteilen, die Erteilung eines solchen Bescheides ist nicht ihrem Ermessen überlassen. Zu der Präge, was unter einem Urteil von "grundsätzlicher Bedeutung" im Sinne von § 40 Abs. 2 VerwVG aF zu verstehen ist, hat sich der erkennende Senat in dem Urteil vom 16. August 1961-11 RV 96/61-geäußert. Im vorliegenden Falle kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das Urteil des BSG vom 24. August 1956 (BSG 3, 217) ein Urteil "von grundsätzlicher Bedeutung" ist. Denn selbst wenn dies der Fall ist, so kann der Kläger einen neuen, ihm günstigeren Bescheid nur dann beanspruchen, wenn in jenem Urteil auch über die Rechtsfrage entschieden worden ist, von deren Beurteilung die Entscheidung über den Antrag des Klägers in dem neuen Rechtsstreit abhängt; nur dann kann davon gesprochen werden, daß das BSG eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, "als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat". Das ist hier aber nicht der Fall. Der 10. Senat hat in dem Urteil BSG 3, 217 ff, entschieden, daß einem Doppelunterschenkelamputierten Pflegezulage auch für die Zeit vor dem 1. August 1953 zu gewähren ist, wenn ihm die Pflegezulage für die Zeit vom 1. August 1953 an bewilligt ist und nach den für das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG auch schon vor dem 1. August 1953 vorgelegen hat. Um diese Rechtsfrage handelt es sich im vorliegenden Falle nicht. In dem Fall des 10. Senats ist dem Kläger zunächst nach früherem Versorgungsrecht Pflegezulage bewilligt worden, in dem Umanerkennungsbescheid ist das Versorgungsleiden und der Grad der MdE wie bisher festgestellt und Rente gewährt, die Pflegezulage nach dem BVG jedoch abgelehnt worden, der Kläger hat den Umanerkennungsbescheid deshalb angefochten; der Anspruch auf Pflegezulage ist damit von vornherein auch für die Zeit vor dem 1. August 1953 rechtshängig gewesen; der Bescheid, durch den die Pflegezulage entzogen worden ist, ist nicht bindend geworden. Das LSG hat in jenem Falle deshalb prüfen müssen, ob die Hilflosigkeit, die es für die Zeit vom 1. August 1953 an als gegeben angesehen hat, auch vor dem 1. August 1953 bestanden hat; es hat die Frage auf Grund seiner tatsächlichen Feststellungen bejaht und deshalb dem Kläger die Pflegezulage für die gesamte strittige Zeit zugesprochen; es hat zu diesem Ergebnis auch ohne die Verwaltungsvorschrift Nr. 8 Abs. 1 zu § 35 BVG idF vom 31. August 1953 kommen müssen. In dem Urteil des 10. Senats ist ausdrücklich ausgeführt, es sei "zwischen den Beteiligten unstreitig", daß Hilflosigkeit seit 1. August 1953 vorliege, das LSG habe "nicht etwa deshalb den streitigen Anspruch (für die Zeit vor dem 1. August 1953) für begründet erachtet, weil es der Neufassung der Verwaltungsvorschriften rückwirkende Kraft bis zum Inkrafttreten des BVG beimessen wollte, sondern auf Grund der schlüssigen Erwägung, daß der Gliedverlust, der unstreitig seit 1. August 1953 Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG bewirkt, die nämliche Folge auch schon vom 1. Dezember 1951 an gehabt haben muß, wenn der Gesetzesinhalt in dem hier in Betracht kommenden Teil (Begriff der Hilflosigkeit) unverändert geblieben ist und der Gliedverlust damals schon bestanden hat." Aus diesen Ausführungen im Urteil des 10. Senats ist eindeutig zu entnehmen, daß auch das BSG über die Frage, ob die Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, nach der geänderten Verwaltungsvorschrift Nr. 8 Abs. 1 zu § 35 BVG Doppelunterschenkelamputierten Pflegezulage rückwirkend ab 1. Oktober 1950 zu gewähren, nicht entschieden hat und auch nicht hat entscheiden wollen. Von der Beantwortung dieser Frage hängt es aber im vorliegenden Falle ab, ob dem Kläger Pflegezulage rückwirkend zu gewähren ist. Wenn der 10. Senat in den Gründen seines Urteils trotzdem ausgeführt hat, die Verwaltungsbehörden seien nach Nr. 8 Abs. 1 der neugefaßten Verwaltungsvorschriften zu § 35 BVG ermächtigt "und verpflichtet", Doppelamputierten die Pflegezulage in der gesetzlichen Mindesthöhe zu gewähren, "ohne daß es einer Prüfung im Einzelfalle bedarf", so handelt es sich insoweit um ein obiter dictum, das die Entscheidung des 10. Senats nicht trägt. Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 VerwVG aF können aber nur dann vorliegen, wenn das BSG die Rechtsauffassung, auf die der Betroffene sich mit seinem Antrag auf Erlaß eines neuen Bescheides beruft, nicht nur "nebenher" ausgesprochen hat (vgl. Sauerwein, VerwVG, 2. Aufl., Anm. 6 zu § 40 VerwVG), sondern wenn diese Rechtsfrage die entscheidende Frage des vom Kläger in Bezug genommenen Urteils des BSG gewesen ist (so auch Schonleiter/Hennig, VerwVG, Anm. 9 zu § 40 VerwVG). Da dies nicht der Fall ist, hat der Beklagte dem Kläger nach § 40 Abs. 2 VerwVG aF nicht einen neuen, die Pflegezulage für die Zeit vor dem 1. August 1953 bewilligenden Bescheid erteilen müssen. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte die Erteilung eines "neuen Bescheides" nach § 40 Abs. 1 VerwVG abgelehnt hat. Nach § 40 Abs. 1 VerwVG kann die zuständige Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen. Dabei handelt es sich - anders als bei § 40 Abs. 2 VerwVG - um eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Voraussetzung für einen neuen Bescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG- und damit für eine Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde überhaupt - ist aber immer, daß das Gesetz die Gewährung der beantragten Leistungen an sich gestattet (vgl. auch Verwaltungsvorschrift Nr. 2 zu § 40 VerwVG). Im vorliegenden Falle ist für die Handhabung des Verwaltungsermessens nach § 40 Abs. 1 VerwVG schon deshalb kein Raum, weil das Gesetz die Gewährung von Pflegezulage an den Kläger überhaupt nicht zuläßt.

Nach § 35 BVG in der - hier anzuwendenden - Fassung vor dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (nF) hat der Beschädigte einen Anspruch auf Pflegezulage, solange er infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann. Hilflos in diesem Sinne ist nur, wer für die gewöhnlichen - nicht nur für einzelne - Verrichtungen des täglichen Lebens in erheblichem Umfange fremder Hilfe dauernd bedarf (BSG 8, 97, 99). Das LSG hat festgestellt, daß diese Voraussetzungen bei dem Kläger weder in der Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 31. Juli 1953 vorgelegen haben, noch daß sie seit dem 1. August 1953 vorliegen. Es hat festgestellt, der Kläger bedürfe für die gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens keiner fremden Hilfe; die Beschaffenheit der Stümpfe des Klägers sei normal, er könne sich mit Hilfe der Prothesen gut fortbewegen; nur hin und wieder sei er auf fremde Hilfeleistungen angewiesen, wie zB, wenn sich an den Stumpfenden Entzündungen einstellten, nach seinen eigenen Angaben könne er auch im Straßenverkehr grundsätzlich auf fremde Hilfe verzichten. Gegen diese Feststellungen sind Revisionsrügen nicht erhoben. In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt der Kläger nur, das LSG habe zu Unrecht nicht festgestellt, daß der Gesundheitszustand des Klägers vor dem 1. August 1953 der gleiche gewesen sei wie nach diesem Zeitpunkt, dies hat das LSG aber ausdrücklich bejaht. Die Feststellung des LSG, der Kläger sei nicht hilflos im Sinne von § 35 BVG, ist daher für das BSG bindend (§ 163 SGG). Liegen somit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Pflegezulage nicht vor, so ist kein Raum für eine Ermessensentscheidung nach § 40 Abs. 1 VerwVG. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß das Versorgungsamt dem Kläger - obwohl er nicht hilflos ist - die Pflegezulage seit dem. 1. August 1953 gewährt; die Gewährung der Pflegezulage ab 1. August 1953 beruht allein auf der geänderten Verwaltungsvorschrift Nr. 8 Abs. 1 zu § 35 BVG, wonach bei Doppelamputierten ohne weitere Gesundheitsstörungen im allgemeinen die einfache Pflegezulage angemessen ist. Der Senat braucht im vorliegenden Falle nicht zu entscheiden, ob die Verwaltungsvorschrift Nr. 8 Abs. 1 zu § 35 BVG insoweit mit dem Gesetz in Einklang steht. Bedenken können bestehen, weil das Gesetz die Hilflosigkeit nur bei Blinden (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BVG) und bei erwerbsunfähigen Hirnverletzten (§ 35 Abs. 1 Satz 3 BVG) allgemein und unwiderleglich "vermutet", nicht aber bei Doppelunterschenkel. Sicher ist auch bei vielen Doppelamputierten Hilflosigkeit gegeben, es ist dies aber - wie gerade die hier vom LSG getroffenen Feststellungen beweisen - jedenfalls bei Doppelamputierten nicht allgemein der Fall. Der Wortlaut der Verwaltungsvorschrift Nr. 8 Abs. 1 zu § 35 BVG (".... im allgemeinen....") und ihr Sinn zwingen übrigens die Verwaltung auch nicht, jedem Doppelunterschenkelamputierten ohne Prüfung der Hilflosigkeit Pflegezulage zu gewähren (vgl. Wilke, Kommentar zum BVG, Anm. VII zu § 35). Die Frage, ob dem Kläger die Pflegezulage für die Zeit vom 1. August 1953 an zu Recht gewährt wird, ist aber nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens; hier ist nur zu entscheiden, ob der Kläger, der nicht hilflos im Sinne von § 35 BVG ist, Pflegezulage für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 31. Juli 1953 allein deshalb zu beanspruchen hat, weil sie - mag dies zu Recht oder zu Unrecht geschehen - seit dem 1. August 1953 gewährt wird. Diese Frage ist aber zu verneinen. Um eine Abweichung von der Rechtsprechung des 10. Senats (BSG 3, 217 ff) handelt es sich dabei nicht, weil die Entscheidung des erkennenden Senats einen anderen Sachverhalt betrifft als den, über den der 10. Senat entschieden hat; die Anrufung des Großen Senats ist weder nach § 42 noch nach § 43 SGG geboten.

Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, daß die Verwaltung seit 1. August 1953 allen Doppelamputierten - auch wenn sie möglicherweise nicht hilflos sind - Pflegezulage gewähre, und daß es gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verstoße, wenn ihm die Pflegezulage für die Zeit vor dem 1. August 1953 versagt werde, obwohl die tatsächlichen Verhältnisse vor dem 1. August 1953 dieselben seien; denn auch der Kläger erhält seit 1. August 1953 die Pflegezulage, obwohl er nach den Feststellungen des LSG nicht hilflos ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob - wie der Kläger behauptet - allein auf Grund der geänderten Verwaltungsvorschrift anderen Doppel/unter/Schenkelamputierten die Pflegezulage für die Zeit vor dem 1. August 1953 bewilligt worden ist; wenn dies zutrifft, so ist § 35 BVG insoweit nicht richtig angewandt; der Kläger kann sich nicht auf eine Verwaltungsübung berufen, die dem Gesetz nicht entspricht; auch insoweit ist Art. 3 GG nicht verletzt.

Das LSG hat daher zu Recht die Berufung des Klägers zurückgewiesen, die Revision gegen das Urteil des LSG ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 10

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