Entscheidungsstichwort (Thema)

Erziehungsgeld, einkommensabhängig. Einkommensberechnung. Erziehungsgeldberechtigter, nichterwerbstätig. Verzicht auf Erwerbstätigkeit. Berechnungsweise. Vorsorgeaufwendung. Verböserungsverbot. reformatio in peius. Elementenfeststellung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen des Erziehungsgeldberechtigten beim Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit.

 

Normenkette

BErzGG § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 1-3; GG Art. 3 Abs. 1; SGB X § 48 Abs. 1; SGG § 123

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 24.11.1992; Aktenzeichen L 3 Eg 9/91)

SG Lüneburg (Urteil vom 09.01.1991; Aktenzeichen S 6 Eg 1/90)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. November 1992 wird zurückgewiesen.

Die Urteilsformel des Berufungsurteils wird wie folgt gefaßt:

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 9. Januar 1991 sowie die angefochtenen Bescheide vom 17. April 1989 und vom 6. Dezember 1989 aufgehoben.

Die Beklagte hat der Klägerin die im Rechtsstreit entstandenen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin wendet sich gegen eine Neufeststellung des ihr bewilligten Erziehungsgeldes (Erzg) und die Aufrechnung des hiernach überzahlten Betrages.

Der Klägerin wurde Erzg für ihr am 31. März 1988 geborenes Kind bewilligt, und zwar für die einkommensabhängige Phase ab Beginn des siebten Lebensmonats des Kindes ohne Einkommensanrechnung aufgrund ihrer Angabe, sie sei ledig und zZ nicht erwerbstätig (Bescheid des Arbeitsamtes ≪ArbA≫ Lüneburg vom 3. Juni 1988).

Die Klägerin heiratete kurz vor Beginn des siebten Lebensmonats ihres Kindes am 7. September 1988, so daß das Einkommen ihres Ehemanns zu berücksichtigen war. Als das ArbA hiervon nachträglich Kenntnis erhielt, errechnete es aufgrund des Einkommenssteuerbescheides des Ehemanns der Klägerin und dessen früherer Ehefrau für das vorletzte Kalenderjahr vor der Geburt des Kindes (historisches Jahr, hier: 1986) eine Überzahlung des für die einkommensabhängige Phase gewährten Erzg von 97,00 DM monatlich. Es hob den Bewilligungsbescheid für die einkommensabhängige Phase in dieser Höhe auf und rechnete den Rückforderungsbetrag von 485,00 DM gegen den laufenden Anspruch auf vermindertes Erzg auf (Bescheid vom 17. April 1989; Widerspruchsbescheid der zwischenzeitlich zuständig gewordenen Bezirksregierung Lüneburg vom 6. Dezember 1989).

Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg durch Urteil vom 9. Januar 1991 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG aufgehoben; den Bescheid des ArbA Lüneburg hat es insoweit aufgehoben, als bei der Berechnung der Minderung des Erzg ab dem siebten Lebensmonat des Kindes steuerlich anerkannte Vorsorgeaufwendungen der Klägerin im Jahre 1986 nicht berücksichtigt worden sind. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 24. November 1992). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens gehe das Gesetz von der Fiktion aus, daß die Klägerin auch schon in dem für die Einkommensermittlung maßgebenden vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt des Kindes mit ihrem Ehemann verheiratet gewesen sei. Aus § 6 Abs. 3 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) ergebe sich dann, daß bei fehlender Erwerbstätigkeit des Erzg-Berechtigten während der einkommensabhängigen Phase des Erzg sein im vorletzten Kalenderjahr erzieltes Erwerbseinkommen und die darauf entfallende Einkommens- und Kirchensteuer unberücksichtigt bleiben. § 6 Abs. 3 BErzGG erwähne die Vorsorgeaufwendungen des Erzg-Berechtigten nicht. Diese dürften deshalb nicht unberücksichtigt bleiben.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, § 6 Abs. 3 BErzGG sehe nicht vor, daß Vorsorgeaufwendungen des Erzg-Berechtigten im vorletzten Kalenderjahr zu berücksichtigen seien, wenn der Berechtigte während der einkommensabhängigen Phase des Erzg nicht erwerbstätig sei. Die Entscheidung des LSG sei mit § 6 Abs. 3 BErzGG nicht zu vereinbaren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 24. November 1992 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Es war lediglich die Urteilsformel zur Klarstellung der Tragweite der Entscheidung neu zu fassen.

1. Das LSG hat dem Berufungsvorbringen der Klägerin den Antrag entnommen, die Beklagte zu verpflichten. Erzg in der Höhe zu zahlen, die sich unter Zugrundelegung des für 1986 maßgebenden Einkommens bei Berücksichtigung der in diesem Jahr von der Klägerin gemachten Vorsorgeaufwendungen ergibt, und den Erstattungsbetrag entsprechend zu ermäßigen. Demgemäß hat das LSG den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit bei der Berechnung die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen nicht berücksichtigt worden sind. Ferner hat das LSG die Berufung „im übrigen” zurückgewiesen. Die Auslegung des Klageantrags unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht, auch im Rahmen der Revision des Beklagten (BSG SozR 3-1500 § 145 Nr. 2). Nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Die Klägerin erstrebt mit der Klage in der Revisionsinstanz wie in den Vorinstanzen die vollständige Aufhebung des Neufeststellungs- und Rückforderungsbescheides. Das Urteil des LSG läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß der Neufeststellungs-, Rückforderungs- und Aufhebungsbescheid in vollem Umfang aufgehoben wird, ohne dies mit der erforderlichen Deutlichkeit zu verlautbaren. Die Beteiligten haben auf Anfrage des Senats übereinstimmend erklärt, daß der Neufeststellungsbescheid in vollem Umfang aufzuheben sei, wenn die Vorsorgeaufwendungen entsprechend der von der Beklagten weiterhin bekämpften Rechtsauffassung des LSG berücksichtigt würden, die Klägerin mit dem Zusatz, daß ihr Klageantrag in diesem Sinne auszulegen sei. Unter diesen Umständen verstößt die Neufassung der Urteilsformel nicht gegen das Verböserungsverbot. Die hiernach erhobene reine Anfechtungsklage ist zulässig. Mit der Aufhebung des Neufeststellungs-, Rückforderungs- und Aufhebungsbescheides wird der Bewilligungsbescheid wieder wirksam, so daß es keiner Verurteilung zur Leistung bedarf (BSGE 59, 157, 159 = SozR 1300 § 45 Nr. 19) Für eine Verpflichtungsklage bestand folglich kein Raum (entsprechend zur Leistungsklage: BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr. 19).

Es kann deshalb dahinstehen, ob der Klageantrag auch so, wie ihn das LSG gefaßt hat, zulässig wäre, was der Senat sonst von Amts wegen zu prüfen hätte. Nach der Auffassung des LSG war zu entscheiden, in welcher Weise die Vorsorgeaufwendungen der Klägerin bei der Berechnung des Erzg zu berücksichtigen waren. Eine derartige Elementenfeststellung ist nach ständiger Rechtsprechung nur zulässig, wenn der betroffene Leistungsanspruch im übrigen zweifelsfrei feststeht, so daß das streitige Rechtsverhältnis durch die Elementenfeststellung im ganzen bereinigt wird (BSG SozR Nr. 14 zu § 141 SGG; BSGE 52, 145, 147 = SozR 1200 § 14 Nr. 12; Urteil vom 26. Mai 1972, 5 RKn 55/70). Desgleichen braucht der Senat wegen der Neufassung des Urteilstenors Zweifeln daran nicht weiter nachzugehen, in welchem Umfang das LSG dem Klageantrag entsprechen wollte. Diese Zweifel ergeben sich daraus, daß das LSG die Berufung „im übrigen” zurückgewiesen hat. Worauf sich die Zurückweisung bezieht, bleibt unklar. Sie wird im Urteil nicht begründe. Die Formulierung, die Berufung sei „im Sinne eines Grundurteils nach § 130 SGG begründet”, könnte darauf hinweisen, daß die Berufungsanträge zurückgewiesen wurden, soweit bestimmte Beträge in den Klageantrag aufgenommen wurden. Der Berufungsantrag, den das LSG dem Berufungsvorbringen entnommen hat, enthält indes keine Zahlenangaben.

2. Der angefochtene Bescheid war in vollem Umfang aufzuheben. Die Beklagte muß sich den Bescheid – obgleich vom ArbA erlassen – idF des Widerspruchsbescheides als dessen Funktionsnachfolger zurechnen lassen. Dieser Bescheid ist – wie das LSG im Ergebnis zutreffend erkannt hat – rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) für eine Neufeststellung lagen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzung gilt nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X auch für die Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit neben den dort zusätzlich geforderten Voraussetzungen. Zwar ist die Bewilligung von Erzg ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, und die Heirat der Klägerin ist eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen. Diese ist indes nicht wesentlich, da der Klägerin auch nach der Eheschließung ein Anspruch auf ungekürztes Erzg zustand.

3. Der Anspruch der Klägerin auf Erzg für ihr am 31. März 1988 geborenes Kind richtete sich nach § 1 Abs. 1 Nrn 1 bis 4 BErzGG idF vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S 2154), dessen Voraussetzungen unter den Beteiligten nicht streitig sind. Für Kinder, die – wie hier – vor dem 1. Juli 1989 geboren sind, wird das Erzg vom Tage der Geburt bis zur Vollendung des zwölften Lebensmonats gewährt (§ 4 Abs. 1 BErzGG). Gemäß § 5 Abs. 1 BErzGG beträgt das Erzg 600,00 DM monatlich. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BErzGG wird das Erzg vom Beginn des siebten Lebensmonats gemindert, wenn das nach § 6 BErzGG maßgebliche Einkommen bei Verheirateten, die nicht dauernd getrennt leben, 29.400,00 DM übersteigt. Nach § 5 Abs. 3 BErzGG mindert sich das Erzg um den zwölften Teil von 40 vH des die vorgenannte Grenze übersteigenden Einkommens. Nach § 6 Abs. 1 BErzGG gilt als maßgebliches Einkommen die Summe der im vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt erzielten positiven Einkünfte iS des § 2 Abs. 1 und 2 Einkommensteuergesetz (EStG) des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten, und zwar so, wie sie der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind. Zu dem maßgebenden Einkommen aus dem vorletzten Kalenderjahr gehört auch das Ehegatteneinkommen, und zwar auch dann, wenn die Ehe zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestand, selbst wenn der Ehegatte damals noch anderweitig verheiratet war. Für die familienrechtlichen Verhältnisse kommt es nach § 5 BErzGG allein auf den Beginn des siebten Lebensmonats des Kindes an. Das Gesetz fordert nicht, daß diese Verhältnisse bereits in dem für die Ermittlung der Höhe des anzurechnenden Einkommens maßgebenden Zeitraum vorgelegen haben. Für den maßgebenden Familienstand ist § 6 Abs. 1 BErzGG ohne Bedeutung (vgl. BSG SozR 3-7833 § 6 Nr. 2).

4. Nach § 6 Abs. 3 BErzGG bleiben das von dem Berechtigten im vorletzten Kalenderjahr erzielte Erwerbseinkommen und die darauf entfallende Einkommens- und Kirchensteuer unberücksichtigt, wenn er – wie hier – in der Zeit, in der das Erzg einkommensabhängig ist, nicht erwerbstätig ist. Diese Regelung bestimmt die Berechnungsweise für den Fall des vollständigen Verzichts auf eine Erwerbstätigkeit nicht eigenständig. Sie knüpft an die in den vorstehenden Absätzen für den Fall der Erwerbstätigkeit angeordnete Berechnungsweise an und bestimmt, in welcher Weise diese Berechnung zu verändern ist. Sie nennt drei Berechnungselemente der Abs. 1 und 2 des § 6 BErzGG, die unberücksichtigt bleiben, also in der Berechnung für den Fall der Erwerbstätigkeit zu streichen sind. Dies sind das Erwerbseinkommen des Berechtigten und die darauf entfallende Einkommens- und Kirchensteuer. Das erste Berechnungselement erhöht das anzurechnende Einkommen und ist damit auf eine Minderung des Anspruchs auf Erzg gerichtet. Die beiden anderen Berechnungselemente (Einkommens- und Kirchensteuer) wirken umgekehrt einer Anspruchsminderung entgegen. Ausgangspunkt ist damit stets die Berechnung nach den Abs. 1 und 2.

5. Wäre die Klägerin erwerbstätig gewesen, so wäre nach § 6 BErzGG wie folgt zu verfahren: Die Einkünfte beider Ehegatten aus dem historischen Jahr (hier: 1986) werden zusammengerechnet, und zwar so, wie sie der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind (Abs. 1 Satz 1). Die Einkünfte sind also dem Steuerbescheid zu entnehmen. Das macht keine Schwierigkeiten, wenn beide Ehegatten für das historische Jahr gemeinsam zur Steuer veranlagt wurden, also schon miteinander verheiratet waren. Wurden beide Ehegatten im historischen Jahr getrennt veranlagt oder waren sie noch nicht miteinander verheiratet und wurde jeder allein steuerlich veranlagt, so sind die Einkünfte aus beiden Steuerbescheiden zusammenzurechnen. Waren der Berechtigte oder sein Ehegatte im historischen Jahr noch anderweitig verheiratet, und wurde er mit seinem damaligen Ehegatten gemeinsam veranlagt, so sind dem gemeinsamen Steuerbescheid die auf ihn entfallenden Einkünfte zu entnehmen und mit den Einkünften des nunmehrigen Ehegatten zusammenzurechnen.

Vom Einkommen werden nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BErzGG Einkommens- und Kirchensteuer abgezogen, und zwar wiederum nach Maßgabe der Steuerbescheide. Wurden beide Ehegatten im historischen Jahr als Ledige getrennt veranlagt, so sind die Steuerbeträge den Bescheiden zu entnehmen. Es findet keine fiktive gemeinsame Veranlagung statt. Bei Ehegatten, die im Berechnungsjahr noch mit einem anderen Partner verheiratet waren, muß die im Einkommenssteuerbescheid festgesetzte Steuer im Verhältnis der auf die beiden früheren Ehegatten entfallenden Einkommensanteile aufgeteilt werden (so auch die Verwaltungspraxis, vgl. Bundesministerium für Familie und Senioren, Richtlinien zur Durchführung des BErzGG ≪RL-BErzGG≫, nicht veröffentlicht, Anm. 4.4 zu § 6; zur Frage, wie die erforderlichen Zahlenangaben vom Finanzamt zu beschaffen sind, wenn der frühere Ehegatte einer Auskunft nicht zustimmt vgl. BSG SozR 3-7833 § 6 Nr. 2).

Vom Einkommen werden ferner nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG: Die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen abgezogen, soweit sie im Rahmen der Höchstbeträge nach § 10 EStG abziehbar sind. Waren die Ehegatten im Berechnungsjahr noch nicht miteinander verheiratet, so sind für beide jeweils getrennt die steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen zu berücksichtigen. War einer der Ehegatten im Berechnungsjahr noch mit einem anderen Partner verheiratet, so kann auf die im Steuerbescheid aufgeführten Vorsorgeaufwendungen insoweit nicht zurückgegriffen werden, als sie auf den früheren Ehegatten entfielen. Ein solches Vorgehen verstieße gegen § 5 Abs. 2 Satz 3 BErzGG. Die zu unterstellende Existenz der jetzigen Ehe im Berechnungsjahr läßt es nicht zu, die Vorsorgeaufwendungen des früheren Ehegatten zu berücksichtigen. Entsprechend der Aufteilung der festgesetzten Steuern ist daher ein Aufteilung der für die früheren Ehegatten anerkannten Vorsorgeaufwendungen im Verhältnis ihrer Einkommensanteile vorzunehmen und der auf den Ehegatten entfallende Anteil zu ermitteln. Daneben sind nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG die Vorsorgeaufwendungen des jetzigen Ehegatten nach Maßgabe seines Steuerbescheides zu berücksichtigen. Wie bei der Ermittlung der beiderseits gezahlten Steuer die sich aus den Steuerbescheiden ergebenden Beträge zusammenzurechnen sind ohne Prüfung, welche Steuer sich fiktiv bei einer gemeinsamen Veranlagung ergeben hätte, so sind auch die nach den Steuerbescheiden anerkannten Vorsorgeaufwendungen zusammenzurechnen ohne Prüfung, ob sie bei einer gemeinsamen Veranlagung in dieser Höhe anerkannt worden wären. Wäre die Klägerin in der einkommensabhängigen Phase erwerbstätig gewesen, so wären die in ihrem Steuerbescheid anerkannten Vorsorgeaufwendungen (und ihr Erwerbseinkommen) zu berücksichtigen.

6. Bei fehlender Erwerbstätigkeit während der einkommensabhängigen Bezugszeit sind nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 BErzGG neben dem Erwerbseinkommen des Erzg-Berechtigten nur die darauf entfallende Einkommens- und Kirchensteuer aus der Berechnung zu streichen. Diese Regelung kann nicht im Wege lückenfüllender Auslegung auf die Vorsorgeaufwendungen erstreckt werden. Es fehlt schon an Anhaltspunkten dafür, daß die Vorsorgeaufwendungen hier anders als im Abs. 2 übersehen wurden.

Insbesondere vermag die Argumentation nicht zu überzeugen, die Abzugsbeträge des § 6 Abs. 2 BErzGG, insbesondere die Vorsorgeaufwendungen nach Nr. 2, könnten nur von dem nach § 6 Abs. 1 BErzGG ermittelten Einkommen des betreffenden Ehegatten abgezogen werden, da ein Verlustausgleich nicht stattfinde, und deshalb müßten die auf den nicht erwerbstätigen Ehegatten entfallenden Abzugsbeträge wie dessen Einkommen unberücksichtigt bleiben. Denn der Gesetzgeber hat in § 6 Abs. 3 BErzGG genau geregelt, welche Abzugsbeträge wie das Erwerbseinkommen unberücksichtigt blieben. Überdies bleibt nach § 6 Abs. 3 BErzGG nicht das gesamte Einkommen, sondern nur das Erwerbseinkommen unberücksichtigt (BSG SozR 3-7833 § 6 Nr. 1).

Die Annahme, der Gesetzgeber habe die mit dem Erwerbseinkommen im Zusammenhang stehenden Negativposten übersehen, wäre allenfalls dann berechtigt, wenn in § 6 Abs. 3 BErzGG keiner der Abzugsbeträge und lediglich das Erwerbseinkommen erwähnt würde. Da die Steuern indes genannt werden, zeigt der Gesetzeswortlaut, daß der Gesetzgeber die Steuern und die Vorsorgeaufwendungen unterschiedlich behandelt wissen wollte.

Für eine unterschiedliche Behandlung sprechen auch sachliche Gründe. Vorsorgeaufwendungen sind nicht speziell auf das Erwerbseinkommen bezogen. Sie können gegenüber allen steuerpflichtigen Einkünften geltend gemacht werden. Dies folgt schon aus der Tatsache, daß es sich beim Erwerbseinkommen um eine dem Einkommenssteuerrecht unbekannte Größe handelt (vgl. Ippisch, ZfS 1988, 136, 138). Vorsorgeaufwendungen beruhen, soweit es sich nicht um Sozialversicherungsbeiträge handelt anders als die Steuerabzüge auf dem freien Entschluß des Ehegatten. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Steuern anteilig auf das Erwerbseinkommen des erziehenden Ehegatten und die übrigen Einkünfte beider Ehegatten zu verteilen, nicht aber die Vorsorgeaufwendungen, ist unter diesem Gesichtspunkt sachlich begründet.

Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht eingewandt werden, bei Anwendung des § 6 Abs. 3 BErzGG sei nach Abzug des Erwerbseinkommens und der anteiligen Steuern zu prüfen, ob den steuerlich anerkannten Vorsorgeaufwendungen des nicht erwerbstätigen Ehegatten nach Abzug des Erwerbseinkommens noch ein höheres Einkommen dieses Ehegatten gegenüberstehe. Der Gesetzeswortlaut gibt für eine solche zusätzliche Prüfung nichts her. Sie würde dem Regelungszusammenhang widersprechen, die Ermittlung des anrechenbaren Einkommens auf die von den Finanzbehörden festgestellten Einkommensdaten zu stützen (vgl. SozR 3-7833 § 6 Nr. 3). Hiernach bleibt der auf den nicht erwerbstätigen Erzg-Berechtigten entfallende Teil der Vorsorgeaufwendungen beim Einkommen des Ehegatten als Abzugsposten erhalten. Davon geht die Verwaltungspraxis bei Ehegatten, die im Berechnungsjahr bereits miteinander verheiratet waren und der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung unterlagen, ohne weiteres aus (RL, Anm. 4.4 zu § 6 aE).

Eine hiervon abweichende Behandlung derjenigen Ehegatten, die in dem für die Einkommensermittlung maßgebenden Jahr noch nicht verheiratet waren, läßt sich aus § 6 BErzGG nicht herleiten. Sie verstieße zudem gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Ein sachlicher Grund für eine Differenzierung zwischen Ehegatten, die im vorletzten Jahr vor der Geburt ihres Kindes schon verheiratet waren und solchen, bei denen diese Voraussetzung erst in dem für die Anrechnung maßgebenden Zeitpunkt (§ 5 Abs. 2 Satz 3 BErzGG: Beginn des siebten Lebensmonats) vorliegt, ist im Hinblick auf den Zweck der Einkommensanrechnung beim Erzg nicht zu erkennen. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der bei der Einkommensermittlung der Verwaltungspraktikabilität dienende Rückgriff auf das vorletzte Jahr vor der Geburt des Kindes im Zusammenhang mit der Regelung in § 5 Abs. 2 Satz 3 BErzGG die Fiktion enthält, daß die Ehegatten auch schon in diesem Zeitraum verheiratet waren. Der Einwand der Beklagten, damit werde nicht zugleich auch eine gemeinsame steuerliche Veranlagung fingiert, ist im Hinblick auf den aufgezeigten, vom Gesetz vorgegebenen Berechnungsgang unerheblich. Denn dieser unterstellt gerade nicht, daß die Ehegatten im Berechnungsjahr auch schon steuerlich gemeinsam veranlagt worden sind.

Hiernach bleiben die Vorsorgeaufwendungen der Klägerin nicht unberücksichtigt.

Damit verbleibt kein Anrechnungsbetrag, was zwischen den Beteiligten unstreitig und deshalb nicht näher zu begründen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI927589

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