Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsanspruch nach § 117 Abs 4 S 2 AFG. Aufhebung des Bewilligungsbescheides. Vgl zu allem auch BSG vom 3.3.1993. 11 RAr 57/92.

 

Leitsatz (amtlich)

Der Erstattungsanspruch des § 117 Abs 4 S 2 AFG ist nicht gegeben, wenn der Arbeitslose die Abfindung vor der Bewilligung des Arbeitslosengeldes erhalten hat; in einem solchen Fall setzt ein Erstattungsanspruch die Aufhebung des fehlerhaften Bewilligungsbescheids voraus (§§ 45, 50 SGB 10; Ergänzung zu BSG vom 14.9.1990 - 7 RAr 128/89 = BSGE 67, 221, 223 = SozR 3-4100 § 117 Nr 3).

Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber auf Grund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils unter dem Vorbehalt der Rückforderung gezahlt hat.

 

Normenkette

AFG § 117 Abs. 4 S. 2; SGB X §§ 45, 50, 115 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 28.09.1990; Aktenzeichen S-13/Ar-328/90)

Hessisches LSG (Entscheidung vom 10.04.1992; Aktenzeichen L-10/Ar-152/91)

 

Tatbestand

Die Revision betrifft die Erstattung von 5.925,60 DM, um die Doppelleistung von Arbeitsentgelt und Arbeitslosengeld (Alg) rückgängig zu machen.

Der im Jahre 1943 geborene Kläger war vom 1. April 1972 bis zum 30. September 1988 als kaufmännischer Angestellter im Außendienst bei der Firma H. GmbH (Arbeitgeberin) beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 30. September 1988 wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten des Klägers bei der Spesenabrechnung fristlos.

Auf die Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht (ArbG) Neumünster mit Urteil vom 22. Dezember 1988 fest, das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Arbeitgeberin sei weder durch die fristlose noch durch die hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung der Arbeitgeberin vom 30. September 1988 beendet worden. Auf Antrag des Klägers löste das ArbG das Arbeitsverhältnis zum 4. Oktober 1988 auf und verurteilte die Arbeitgeberin, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 75.000,-- DM zu zahlen. Bei der Bemessung hielt das ArbG den Höchstbetrag von zwölf Monatsgehältern für angemessen, weil eine ordentliche Kündigung gegenüber dem Kläger erst zum 30. September 1989 möglich gewesen wäre. Die im März 1989 eingelegte Berufung beschränkte die Arbeitgeberin auf die Höhe der Abfindung. Sie griff insbesondere die Höhe der Monatsgehälter des Klägers an, von der das ArbG ausgegangen war. Im Berufungsrechtszug vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein schlossen die Arbeitgeberin und der Kläger am 24. Mai 1989 einen Vergleich, in dem sie sich dahin einigten, die Arbeitgeberin habe entsprechend dem Urteil des ArbG nunmehr einen Betrag von 67.500,-- DM an den Kläger zu zahlen, "sofern nicht bereits geschehen". Auf Anfrage des Arbeitsamts (ArbA) teilte die Arbeitgeberin unter dem 1. Juni 1989 mit, sie habe den Betrag von 67.500,-- DM mit netto 60.786,-- DM bereits am 20. März 1989 auf ein Konto des Klägers überwiesen.

Der Kläger beantragte am 10. Oktober 1988 Alg. Diesen Antrag lehnte die beklagte Bundesanstalt (BA) mit Bescheid vom 27. Februar 1989 ab, weil ein Leistungsanspruch wegen der von der Arbeitgeberin zu zahlenden Abfindung bis zum 13. Februar 1989 ruhe und der Kläger ab 1. Januar 1989 wieder in Arbeit stehe. Auf den Widerspruch des Klägers, zu dessen Begründung er noch unter dem 6. April 1989 vortragen ließ, es sei wegen des beim LAG anhängigen Berufungsverfahrens "völlig unklar", ob er "tatsächlich Leistungen in Höhe von DM 75.000,-- erhält oder nicht", half das ArbA - ohne Ermittlungen zur Zahlung der Abfindung - dem Widerspruch ab und bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 10. Oktober bis 31. Dezember 1988 Alg (Bescheid vom 19. Mai 1989). Der für diesen Zeitraum errechnete Betrag von 5.925,60 DM wurde dem Kläger am 23. Mai 1989 überwiesen. In Schreiben an die Arbeitgeberin und den Kläger führte die BA aus, Leistungen seien Arbeitslosen auch bei Ruhen zu gewähren, "wenn der Arbeitslose die Leistungen, die ein Ruhen des Anspruchs bewirken, tatsächlich noch nicht erhält". Von dieser Möglichkeit habe die BA hier Gebrauch gemacht. Die Zahlung von Alg bewirke insoweit einen Übergang der Forderung des Klägers gegen die Arbeitgeberin.

Nach Anhörung des Klägers forderte die BA den für die Zeit vom 10. Oktober bis 31. Dezember 1988 bewilligten Betrag von 5.925,60 DM zurück. Zur Begründung führte sie aus, während dieses Zeitraums habe der Anspruch auf Alg wegen der von der Arbeitgeberin gezahlten Abfindung geruht. Die Leistung sei nach § 117 Abs 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu erstatten, weil die Arbeitgeberin die gezahlte Abfindung trotz des Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung an den Kläger gezahlt habe (Bescheid vom 8. November 1989; Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1990).

Der dagegen gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen. Entgegen der Ansicht des SG komme es für die Anwendung des § 117 Abs 4 Satz 2 AFG nicht darauf an, ob das Alg erst nach Zahlung der Abfindung bewilligt werde. Ein einleuchtender Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Erstattungsfällen nach diesem Kriterium bestehe nicht. Entscheidend sei vielmehr, daß der Anspruch des Klägers auf eine Abfindung erst durch Erledigung des Arbeitsgerichtsverfahrens nach Bewilligung des Alg entstanden sei. Als Spezialvorschrift gehe § 117 Abs 4 Satz 2 AFG den allgemeinen Vorschriften über die Rücknahme von Verwaltungsakten und Erstattung von Leistungen vor, denn § 117 Abs 4 Satz 2 AFG sehe nicht die Erstattung des Alg vor, sondern - wie § 816 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) - die Auskehrung von Arbeitsentgelt an die BA.

Der Kläger rügt, die Urteilsbegründung des LSG lasse erkennen, daß es weder § 115 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) noch § 117 Abs 4 AFG richtig angewendet habe. Nach § 115 Abs 1 SGB X gehe der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nur über, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt habe. Im vorliegenden Falle habe die Arbeitgeberin den Anspruch des Klägers jedoch aufgrund des noch nicht rechtskräftigen, aber vorläufig vollstreckbaren Urteils des ArbG erfüllt gehabt. Infolgedessen habe hier ein Fall der Gleichwohlgewährung nicht vorgelegen. Diese komme nur dann in Betracht, wenn eine dem Arbeitslosen zustehende Leistung des früheren Arbeitgebers tatsächlich noch nicht erbracht worden sei. Der Erstattungsanspruch aus § 117 Abs 4 Satz 2 AFG setze den gesetzlichen Übergang des Arbeitsentgeltanspruchs aufgrund einer Alg-Gewährung und -zahlung voraus. Da bei Bewilligung des Alg weder die Voraussetzung für eine Gleichwohlgewährung vorgelegen und auch ein Forderungsübergang auf die BA nach § 115 SGB X nicht stattgefunden habe, könne die BA den Erstattungsanspruch nicht auf § 117 Abs 4 Satz 2 AFG stützen. Unter diesen Umständen sei die rechtswidrige Bewilligung von Alg nach §§ 44 ff SGB X zu beurteilen. Deren Anforderungen genügten aber die angefochtenen Bescheide der BA nicht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. April 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 28. September 1990 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, der Anspruch des Arbeitslosen iS des § 117 Abs 4 Satz 1 AFG gehe in dem Zeitpunkt auf die BA über, in dem sämtliche Leistungsvoraussetzungen erfüllt seien, auch wenn die Leistung des Arbeitgebers noch nicht fällig sei. Im vorliegenden Fall sei der Forderungsübergang mit der Antragstellung am 10. Oktober 1988 erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt seien alle Voraussetzungen für den Alg-Bezug erfüllt gewesen, andererseits habe aber die Arbeitgeberin ihre Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung noch nicht erfüllt gehabt. Daher habe hier ein Fall der Gleichwohlgewährung vorgelegen. Ein abweichendes Verständnis leiste dem Mißbrauch der Vorschrift Vorschub. Dieser trete insbesondere dann ein, wenn der Arbeitslose - wie hier - seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkomme, so daß die Entscheidung der BA von falschen Tatsachen ausgehe. Auch könnten unterschiedliche Bearbeitungszeiten Auswirkungen auf den Anspruch haben. Gerade im Bereich des § 117 Abs 4 AFG werde die BA immer wieder mit Manipulationsversuchen konfrontiert. Das LSG sei der Anwendung unterschiedlicher Vorschriften für die Erstattung mit Recht entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des LSG beruht auf einer Verletzung der § 117 Abs 4 Satz 2 AFG, § 115 SGB X. Der BA steht ein Erstattungsanspruch aus § 117 Abs 4 Satz 2 AFG gegen den Kläger nicht zu.

1. Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich die Zahlung von 5.925,60 DM wegen des von der BA für die Zeit vom 10. Oktober bis 31. Dezember 1988 an den Kläger geleisteten Alg. Dies ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden (Erstattungsbescheid vom 8. November 1989; Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1990). Mit diesen Bescheiden hat die BA den Kläger ausschließlich auf Erstattung in Anspruch genommen. Dies folgt allerdings nicht zwingend aus der Bezugnahme der Bescheide auf § 117 Abs 4 Satz 2 AFG, der ausschließlich die Erstattung von Leistungen bei sog Gleichwohlgewährung betrifft. Entscheidend für die Bestimmung des Inhalts von Bescheiden ist die Regelung, die diesen aus der Sicht des Empfängerhorizontes zu entnehmen ist (BSGE 67, 221, 224 = SozR 3-4100 § 117 Nr 3 mwN). Danach war der Regelungswille der BA ausschließlich auf die Erstattung gerichtet. Ein Hinweis darauf, daß die BA auch den Bewilligungsbescheid vom 19. Mai 1989 als rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt hat aufheben wollen, läßt sich dem Bescheid vom 8. November 1989 in der nach § 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG) maßgebenden Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1990 nicht entnehmen. Auch das an die Prozeßbevollmächtigten des Klägers bei der Bekanntgabe des Bescheids vom 8. November 1989 gerichtete Anschreiben enthält keinen Hinweis auf einen dahingehenden Willen der BA. In dem ausdrücklich auf § 117 Abs 4 Satz 2 AFG gestützten Erstattungsbescheid ist eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht stillschweigend enthalten. Eine solche ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht Voraussetzung dieser Erstattungsforderung, so daß deren Geltendmachen einen Schluß auf einen Aufhebungswillen der BA nicht zuläßt (vgl auch BSG SozR 1300 § 50 Nr 15).

2. Nach § 117 Abs 4 Satz 2 AFG hat "der Empfänger des Alg dieses insoweit zu erstatten", als der Arbeitgeber Arbeitsentgelt, Abfindungen, Entschädigungen oder ähnliche Leistungen (§ 117 Abs 1 bis 2 AFG) trotz des Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung an den Arbeitslosen oder an einen Dritten gezahlt hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, denn diese Vorschrift bietet nur für die Erstattung eine Grundlage, wenn Alg im Zuge der rechtmäßigen Gleichwohlgewährung von der BA erbracht worden ist. Dies trifft im vorliegenden Falle nicht zu, weil die Arbeitgeberin die dem Kläger zustehende Abfindung bereits im März 1989 gezahlt hat, während die Beklagte Alg für die Zeit vom 10. Oktober bis 31. Dezember 1988 erst mit Bescheid vom 19. Mai 1989 bewilligt und gezahlt hat. Es handelt sich damit um eine Fehlbewilligung, für deren Erstattung § 117 Abs 4 Satz 2 AFG nach Wortlaut, systematischem Zusammenhang und Gesetzeszweck keine Grundlage bietet:

2.1 Die Rechtsfolge des Ruhens knüpfen § 117 Abs 1 bis 2 AFG alternativ an das Bestehen eines Anspruchs oder das Erhalten von Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis. Die im März 1989 gezahlte Abfindung von 67.500,-- DM (brutto) hat nach § 117 Abs 2 AFG das Ruhen des Anspruchs auf Alg für die Dauer von 178 Kalendertagen ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 4. Oktober 1988 bewirkt. Dieser Ruhenszeitraum ergibt sich im Hinblick auf Lebensalter und Betriebszugehörigkeit des Klägers sowie letztem Arbeitsentgelt aus § 117 Abs 3 AFG. Der Anspruch des Klägers auf Alg ruht danach jedenfalls für die Zeit vom 10. Oktober bis 31. Dezember 1988. Dagegen kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, das ArbG habe die Höhe der Abfindung mit Rücksicht auf sein Lebensalter von 46 Jahren zur Zeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und eine Betriebszugehörigkeit von 17 Jahren festgesetzt, so daß wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist bis zum 30. Juni 1989 entgangenes Arbeitsentgelt darin nicht enthalten sei. Der Kläger beachtet nicht, daß in jeder Abfindung eine Entschädigung für Lohnausfall in einem bestimmten, durch § 117 Abs 2 und 3 AFG geregelten Umfang unwiderleglich vermutet wird, wenn das Arbeitsverhältnis bei Gewährung einer Abfindung vorzeitig beendet worden ist (BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 6).

Durch die Zahlung der Arbeitgeberin ist der Kläger in die Lage versetzt worden, die ihm zugewendeten Mittel zu verbrauchen. Die Zahlung von Alg im Mai 1989 hat eine Doppelleistung (von Abfindung und Alg) bewirkt, die die Ruhensregelung gerade ausschließen soll. Allerdings beruhte die Zahlung der Arbeitgeberin nur auf dem vorläufig vollstreckbaren Urteil des ArbG Neumünster vom 22. Dezember 1988. Ein Abfindungsanspruch des Klägers gegen die Arbeitgeberin war mit Erlaß des Urteils nur auflösend bedingt durch einen abweichenden Ausgang des Arbeitsgerichtsprozesses entstanden (BAGE 57, 120, 124 f = AP Nr 4 zu § 62 ArbGG 1979 m Anm v O. Pecher/H.P.Pecher). Das ändert nichts an der durch die Zahlung der Arbeitgeberin eingetretenen Folge des Ruhens. Wird das Urteil des ArbG im Rechtsmittelzug geändert oder aufgehoben, ist der Kläger insoweit zur Rückzahlung des Geleisteten gegenüber der Arbeitgeberin verpflichtet (§ 717 Abs 2 ZPO). Im Verhältnis zur BA wäre damit eine wesentliche Veränderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eingetreten, der sie nach § 48 SGB X Rechnung zu tragen hätte.

2.2 Für den Erstattungsanspruch nach § 117 Abs 4 Satz 2 AFG fehlt es hier zudem an dem Merkmal, daß die das Ruhen des Alg begründende Abfindung "trotz des Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung" an den Kläger oder an einen Dritten gezahlt worden ist. Dieses Tatbestandsmerkmal verweist auf die Regeln des Gutglaubensschutzes von Schuldnern abgetretener, übergeleiteter oder gesetzlich übergegangener Forderungen. Danach tritt die befreiende Wirkung für die Arbeitgeberin ein, obwohl sie mangels Kenntnis des Rechtsübergangs nicht an den richtigen Gläubiger gezahlt hat (§§ 412, 407 BGB). Der Erstattungsanspruch gegen den Arbeitslosen setzt deshalb einen Rechtsübergang seines arbeitsrechtlichen Anspruchs gegen den Arbeitgeber auf die BA voraus. Dies ergibt sich auch aus dem sachlichen Zusammenhang, in dem die Anspruchsgrundlage des Erstattungsanspruchs gegen den Arbeitslosen mit § 117 Abs 4 Satz 1 AFG steht. Diese Vorschrift stellt klar, daß es sich bei den das Ruhen von Alg nach § 117 Abs 1 bis 2 AFG auslösenden Leistungen um Arbeitsentgelt iS des § 115 SGB X handelt. Die in § 117 Abs 1 bis 2 AFG angeordnete Rechtsfolge des Ruhens von Alg wegen der Konkurrenz von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis hebt § 117 Abs 4 Satz 1 AFG auf, falls der Arbeitslose die Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis tatsächlich nicht erhält (BSGE 60, 168, 171 = SozR 4100 § 117 Nr 16; ferner: SozR 4100 § 117 Nrn 18 und 20; SozR 3-4100 § 117 Nr 6). Diese Voraussetzung der sog Gleichwohlgewährung - die tatsächliche Nichtzahlung der dem Kläger aus dem Arbeitsverhältnis zustehenden Abfindung - war hier bei Bewilligung und Zahlung des Alg für die Zeit vom 10. Oktober bis 31. Dezember 1988 im Mai 1989 nicht gegeben. Unstreitig hatte der Arbeitgeber die Abfindung bereits im März 1989 gezahlt. Nur unter der Voraussetzung der Nichterfüllung von Ansprüchen des Arbeitslosen gegen den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis tritt aber nach § 115 Abs 1 SGB X ein Rechtsübergang ein. Maßgebend dafür ist der Zeitpunkt, in welchem die BA ihre Leistung an den Arbeitslosen erbringt (BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 6). Mit der Zahlung von Alg im Mai 1989 konnte sie einen Rechtsübergang nicht mehr bewirken, weil die Arbeitgeberin die dem Kläger geschuldete Abfindung bereits im März 1989 gezahlt hatte. Grund des Ruhens war hier die tatsächliche Leistung der Arbeitgeberin, nicht das Bestehen eines Anspruchs, der Gegenstand eines Rechtsübergangs hätte sein können. Die Annahme der BA, sie sei nach § 117 Abs 4 Satz 1 AFG wegen Nichtleistung der Abfindung durch den Arbeitgeber zur Vorleistung von Alg verpflichtet gewesen, ändert an dieser Rechtslage nichts (§§ 412, 404 BGB).

Der Sinn der in § 117 Abs 4 Satz 1 AFG, § 115 SGB X enthaltenen Regelungen besteht darin, dem Arbeitslosen Alg als Lohnersatzleistung zukommen zu lassen, solange ein das Ruhen von Alg auslösender Anspruch noch nicht realisiert ist. Andererseits sollen durch den Übergang des arbeitsrechtlichen Anspruchs auf die BA Doppelleistungen vermieden werden. Der Erstattungsanspruch aus § 117 Abs 4 Satz 2 AFG gegen den Arbeitslosen dient lediglich dazu, eine wegen der Unkenntnis des Arbeitgebers von dem Rechtsübergang auf die BA an den Arbeitslosen mit befreiender Wirkung (§§ 412, 407 BGB) eingetretene Doppelleistung rückgängig zu machen. Hat der Arbeitgeber - wie hier - schon vor der Zahlung von Alg Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis erbracht, die das Ruhen von Alg ausgelöst haben, ist für eine Gleichwohlgewährung und damit auch für einen Erstattungsanspruch aus § 117 Abs 4 Satz 2 AFG kein Raum.

2.3 Die Rechtsansicht des Senats führt allerdings zu einer differenzierenden Behandlung von Fällen je nachdem, ob die zum Ruhen führenden Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Zahlung von Alg bereits bewirkt waren oder nicht. Diese Unterscheidung ist bei der erörterten Gesetzeslage unvermeidlich. Sie entspricht auch der Interessenlage, denn es ist nicht ersichtlich, weshalb eine Fehlbewilligung - um eine solche handelt es sich hier - bei einer Verletzung der Ruhensbestimmungen des § 117 AFG nicht nach den §§ 45 ff SGB X abgewickelt werden sollte. In den Fällen der (rechtmäßigen) Gleichwohlgewährung schließt das Gesetz eine Doppelleistung von Arbeitsentgelt und Alg entweder durch den Rechtsübergang nach § 115 Abs 1 SGB X oder ersatzweise den Erstattungsanspruch nach § 117 Abs 4 Satz 2 AFG aus. Gegenstand dieses Anspruchs ist - entgegen des möglicherweise irreführenden Wortlauts des § 117 Abs 4 Satz 2 AFG - nicht die Rückgewähr von Alg. Dieses steht dem Arbeitslosen unter den Voraussetzungen des § 117 Abs 4 Satz 1 AFG zu. Gegenstand dieses Erstattungsanspruchs ist die Herausgabe des erlangten Arbeitsentgelts, soweit dieses wegen der Zahlung von Alg auf die BA übergegangen ist und soweit der Arbeitgeber dieses trotz des Rechtsübergangs mit befreiender Wirkung an den Arbeitslosen gezahlt hat (BSGE 60, 168, 172 = SozR 4100 § 117 Nr 16; SozR 4100 § 117 Nr 19; BSGE 67, 221, 225 = SozR 3-4100 § 117 Nr 3; SozR 3-4100 § 117 Nr 5). Dieses ist der Grund dafür, daß der Erstattungsanspruch nach § 117 Abs 4 Satz 2 AFG - anders als der Rückforderungsanspruch nach § 50 Abs 1 SGB X - die Aufhebung des Bewilligungsbescheids nicht voraussetzt.

Zu Unrecht meint die BA in diesem Zusammenhang, die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gingen auf sie schon über, sobald alle Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg (§ 100 Abs 1 AFG) erfüllt sind. Die BA meint deshalb, der Anspruch des Klägers auf Abfindung sei bereits zur Zeit des Antrags auf Alg am 10. Oktober 1988 auf die BA übergegangen. Wie indes in dem vom LSG herangezogenen Kommentar von Gagel zutreffend im Einklang mit Rechtsprechung (BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 6) und Schrifttum ausgeführt wird, tritt der Rechtsübergang nach § 115 Abs 1 SGB X mit der Zahlung des Alg ein (Gagel, AFG, § 117 RdNrn 185 ff; 195 ff; besonders deutlich wird dies in dem Hinweis, daß der Rechtsübergang bei laufender Zahlung nur im Umfang und für die Zeit, für die Alg gezahlt werden muß, eintritt, aa0 RdNr 197). Abgesehen davon, daß die Ansicht der BA mit dem klaren Inhalt des § 115 Abs 1 SGB X nicht zu vereinbaren ist, wäre der Arbeitgeber bei Fälligkeit des Anspruchs auf Arbeitsentgelt oder Abfindung gehindert, seinen Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitslosen nachzukommen. Erst durch tatsächliche Zahlung von Alg läßt sich der Umfang eines Rechtsübergangs feststellen. Dies gilt namentlich im Falle laufender Zahlungen von Alg.

Eine einheitliche Abwicklung von rechtmäßig im Wege der Gleichwohlgewährung oder unrechtmäßig bewilligtem Alg läßt sich - entgegen der Ansicht des LSG - nicht dadurch herbeiführen, daß der Rechtsübergang erst an das "Entstehen des Anspruchs" auf Abfindung angeknüpft und dieses mit seiner rechtskräftigen Feststellung am 24. Mai 1989 (oder danach) gleichgesetzt wird. Denn der arbeitsgerichtlich festgesetzte Abfindungsanspruch entsteht nicht erst mit der Rechtskraft, sondern - auflösend bedingt - schon mit Erlaß des Urteils (BAG aaO), hier also am 22. Dezember 1988. Die Frage, ob dieser Anspruch in Höhe der im März 1989 geleisteten Zahlung erloschen sei (§ 362 Abs 1 BGB), läßt sich mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht beurteilen. Erfüllung durch die auf eine vorläufig vollstreckbar ausgeurteilte Forderung erbrachte Leistung tritt nur ein, wenn der Schuldner eine "endgültige Befriedigung" des Schuldners bewirken, nicht nur "ohne Anerkennung seiner Schuld unter Vorbehalt der Rückforderung" die drohende Zwangsvollstreckung abwenden will (BGHZ 86, 269 ff; RGZ 98, 328 f).

2.4 Unter den hier gegebenen Umständen hat der Kläger das ihm zu Unrecht gezahlte Alg unter den Voraussetzungen der §§ 45 ff SGB X zu erstatten. Danach scheidet § 50 Abs 1 SGB X als Anspruchsgrundlage aus, weil diese Vorschrift die Aufhebung des Bewilligungsbescheids voraussetzt. Die Beklagte hat aber - wie ausgeführt - den rechtswidrigen Bescheid vom 19. Mai 1989 nicht aufgehoben. Eine Aufhebung läßt sich auch nicht im Wege der Umdeutung herbeiführen. Die Umdeutung einer gesetzlich gebundenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung schließt § 43 Abs 3 SGB X aus. Der Erstattungsbescheid nach § 117 Abs 4 Satz 2 AFG ist ein gebundener Verwaltungsakt, während die Aufhebung nach § 45 Abs 1 SGB X Ausübung des Ermessens und eine Verschuldensprüfung (§ 45 Abs 2 Satz 3 SGB X) voraussetzt. Die Umdeutung enthielte hier eine Änderung des Prüfungsrahmens und ist deshalb nicht zulässig (BSG SozR 1300 § 43 Nr 1 mwN). Da die BA mithin den Bewilligungsbescheid vom 19. Mai 1989 nicht aufgehoben hat, kann für die Entscheidung des Rechtsstreits ungeprüft bleiben, ob die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach §§ 45 ff SGB X gegeben sind.

Mit dem Erfordernis der Aufhebung des rechtswidrigen Bewilligungsbescheids setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des BSG, wonach in Fällen der Gleichwohlgewährung die Erstattung des gezahlten Alg die Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht voraussetzt (BSGE 60, 168, 172 = SozR 4100 § 117 Nr 16, ferner: Nrn 18 bis 20 und 22; BSGE 67, 221, 223 = SozR 3-4100 § 117 Nr 3). Diese Rechtsprechung betrifft ausschließlich Fälle der (rechtmäßigen) Gleichwohlgewährung unter den Voraussetzungen des § 117 Abs 4 Satz 1 AFG. Für diese Fallgestaltung hat das BSG ausgesprochen, die nach der Bewilligung von Alg vorgenommene Zahlung von Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis wirke nicht auf die Bewilligung von Alg zurück. Im vorliegenden Falle handelt es sich jedoch nicht um eine rechtmäßige Bewilligung von Alg. Die Aufhebung des rechtswidrigen Bewilligungsbescheides ist unerläßlich, weil dieser den (formellen) Rechtsgrund für das Erhalten und Behaltendürfen der bewilligten Leistung bildet (BSGE 47, 241, 246 = SozR 4100 § 134 Nr 11; BSGE 61, 286 f = SozR 4100 § 138 Nr 31). Die Bindungswirkung (§ 77 SGG) des Bewilligungsbescheids schließt bis zu seiner Aufhebung jede für den Kläger nachteilige abweichende Verfügung über den zuerkannten Anspruch ohne Rücksicht auf die materielle Rechtslage aus (BSG SozR 4100 § 117 Nr 21).

Auch § 50 Abs 2 SGB X scheidet als Anspruchsgrundlage aus, weil die BA das Alg mit Bescheid vom 19. Mai 1989 - also nicht wie in dieser Vorschrift vorausgesetzt ohne Verwaltungsakt - erbracht hat.

3. Nach der erörterten Rechtslage wird die BA jedenfalls für die hier zu beurteilende Fallgestaltung Manipulationsversuchen von Versicherten nicht ausgesetzt. Sie kann sich nicht darauf verlassen, daß der Arbeitslose seinen Mitwirkungspflichten nachkommt. Da das SGB X ein formalisiertes Beweisverfahren nicht vorsieht, kann die Beklagte ihrer Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 20 Abs 1 SGB X) schon durch einen Anruf beim Arbeitgeber genügen. Im vorliegenden Falle hat die Arbeitgeberin auf die nach Bewilligung des Alg vorgenommene Anfrage die Zahlung der Abfindung im März 1989 unverzüglich mitgeteilt. Rechtzeitige Sachaufklärung, deren Notwendigkeit hinsichtlich der tatsächlichen Zahlung der Abfindung an den Kläger auch im Verwaltungsverfahren erkannt worden ist, hätte die Fehlbewilligung ohne weiteres verhindert.

Nach alledem ist der Revision des Klägers der Erfolg nicht zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1172848

BSGE, 111

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