Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 23.08.2022; Aktenzeichen L 5 KA 15/21)

SG Mainz (Entscheidung vom 14.07.2021; Aktenzeichen S 2 KA 28/19)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. August 2022 wird als unzulässig verworfen. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird zurückgewiesen.

Die Klägerin und der Beklagte tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 28 511,74 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Streitig ist, ob der beklagte Beschwerdeausschuss verpflichtet ist, gegen die Beigeladene zu 1. wegen der Verordnung von Verbandmitteln einen Verordnungsregress festzusetzen. Die Beigeladene zu 1. ist eine Berufsausübungsgemeinschaft, bestehend aus einer Fachärztin für Allgemeinmedizin und einem Facharzt für Chirurgie. Die beiden Ärzte sind im Bezirk der zu 2. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Beigeladene zu 1. verordnete im Fall eines Versicherten der klagenden Krankenkasse verschiedene Verbandmittel (silberhaltige Wundauflagen, superabsorbierende Wundauflagen, [sterile] Kompressionsbinden sowie Polsterbinden). Nachdem die Klägerin einen Antrag auf Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verbandmittel gestellt hatte, setzte die Gemeinsame Prüfungseinrichtung für die Wirtschaftlichkeitsprüfung einen Regress für die Quartale 3/2012 bis 1/2016 iHv 28 511,74 Euro (netto) fest (Prüfbescheid vom 20.9.2016). Dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1. gab der Beschwerdeausschuss statt und ordnete keine Maßnahmen an (Widerspruchsbescheid vom 10.4.2019). Ein unwirtschaftliches Verordnungsverhalten sei nicht festzustellen.

Auf die Klage der Krankenkasse, mit welcher diese ua geltend gemacht hat, dass der Bescheid des Beklagten keine nachvollziehbare Begründung enthalte, hat das SG den Bescheid des Beklagten aufgehoben und diesen zur Neubescheidung über den Widerspruch der Beigeladenen zu 1. verpflichtet (Urteil vom 14.7.2021). Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin sei allerdings ein genereller Begründungsmangel nicht festzustellen. Der Beklagte habe unter Berücksichtigung des Vortrags im Verwaltungsverfahren und insbesondere der Anhörung der betroffenen Ärzte im Ergebnis auf die Festsetzung eines Regresses verzichtet und hierbei die verschiedenen Verbandmittel im Einzelnen beleuchtet. Die Begründung des Beklagten hinsichtlich der Verordnung von silberhaltigen Verbänden sei weder der Art noch der Menge nach zu beanstanden. Dies gelte auch für die Verwendung der hochpreisigen superabsorbierenden Wundauflagen. Nicht ausreichend begründet sei allein der Verzicht auf einen Regress hinsichtlich der sterilen Kompressionsbinden. Dem Bescheid sei nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen der Einsatz dieser sterilen Binden, statt der im Vergleich günstigeren unsterilen Binden, medizinisch erforderlich gewesen sei. Auch die Menge der quartalsweise verordneten Kompressions- und Polsterbinden werde der Beklagte neu beurteilen müssen.

Gegen dieses Urteil hat allein die Klägerin Berufung eingelegt, welche das LSG zurückgewiesen hat (Urteil vom 23.8.2022). Dem Regress wegen unwirtschaftlicher Verordnung im Einzelfall stehe schon der Vorrang der Richtgrößenprüfung nach § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V aF entgegen. Unerheblich sei, dass hier eine Richtgrößenprüfung tatsächlich nicht durchgeführt worden sei. Nach Sinn und Zweck der Regelungen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung schließe bereits die Möglichkeit einer Richtgrößenprüfung eine Einzelfallprüfung hinsichtlich der hier im Raum stehenden Missachtung (nur) des allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebotes im Einzelfall aus.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG machen die Klägerin und der Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Rechtsprechungsabweichungen geltend (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).

II

A. Die Beschwerde des Beklagten ist unzulässig. Das Urteil des SG ist, soweit es den Beklagten beschwert, rechtskräftig geworden, da der Beklagte dagegen keine Berufung eingelegt hat (§ 141 Abs 1 Nr 1 SGG; vgl BSG Urteil vom 14.7.2021 - B 6 KA 1/20 R - SozR 4-1500 § 141 Nr 4 RdNr 28 f). Bei dem Urteil des SG handelt es sich um den Sonderfall eines Bescheidungsurteils. In dem Sonderfall eines Bescheidungsurteils, wie es bei nicht ordnungsgemäßer Ausübung des Beurteilungsspielraums durch die Prüfgremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung in entsprechender Anwendung von § 131 Abs 3 SGG ergeht (vgl zB BSG Urteil vom 13.5.2020 - B 6 KA 3/19 R - MedR 2021, 279 = juris RdNr 14), können die Rechtskraftwirkungen iS des § 141 Abs 1 SGG und ihre Grenzen regelmäßig nicht allein der Urteilsformel entnommen werden. Vielmehr bestimmt die in den Entscheidungsgründen des Urteils als maßgeblich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts die Reichweite von dessen Rechtskraft (BSG Urteil vom 14.7.2021 - B 6 KA 1/20 R - SozR 4-1500 § 141 Nr 4 RdNr 31 mwN). Die Bindungswirkung eines Bescheidungsurteils erfasst dabei nicht allein die Gründe, aus denen das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt als rechtswidrig aufhebt. Die materielle Rechtskraft erstreckt sich vielmehr auch auf alle Rechtsauffassungen, die das Bescheidungsurteil der Behörde zur Beachtung bei Erlass des neuen Verwaltungsakts vorschreibt (vgl BSG Urteil vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 14; ebenso BVerwG Urteil vom 1.12.1989 - 8 C 17/87 - BVerwGE 84, 157, 164 = NJW 1990, 2700, 2702).

Nach diesen Grundsätzen kann der Beklagte das Urteil des LSG nicht mit einer Revision angreifen. Soweit das SG ausweislich seiner Entscheidungsgründe die Entscheidung des Beklagten in seinem Bescheid vom 10.4.2019 hinsichtlich der silberhaltigen Verbände und der Wundauflagen bestätigt hat, ist er nicht beschwert. Hinsichtlich der Kompressionsbinden und der Polsterbinden hat das SG zwar Vorgaben gemacht, die der Beklagte bei einer Neubescheidung zu berücksichtigen hat. Der Beklagte hat gegen das Urteil des SG allerdings keine Berufung eingelegt, sodass das Urteil, soweit es allein ihn beschwert, rechtskräftig geworden ist. Das LSG-Urteil, dass die Berufung der klagenden Krankenkasse gegen das Urteil des SG zurückgewiesen hat, hat dem Beklagten auch keine geänderten Vorgaben erteilt, die er bei erneuter Bescheidung des Widerspruchs der Beigeladenen zu 1. zu beachten hätte. Hiervon geht auch der Beklagte selbst aus, wenn er in seiner Beschwerdebegründung ausführt, dass das Urteil des LSG "dem Tenor nach zu seinen Gunsten ausgefallen ist" (Beschwerdeschrift des Beklagten S 12). Soweit der Beklagte mit der Begründung des LSG - Vorrang der Wirtschaftlichkeitsprüfung vor Einzelfallprüfung - nicht einverstanden ist, folgt hieraus keine Beschwer. Einen Anspruch auf eine bestimmte Begründung hat der Beklagte nicht.

B. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache liegen nicht vor. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und zudem aufgezeigt werden, inwiefern diese in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich), klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5; jeweils mwN). Dem wird die Beschwerde der Klägerin nicht gerecht.

Die Klägerin hält die Rechtsfrage für klärungsbedürftig:

"Schließt bereits die abstrakte Möglichkeit einer Richtgrößenprüfung nach § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F. (Fassung bis 31.12.2016) eine Einzelfallprüfung wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise (betreffend Verordnungszeiträume bis einschließlich 31.12.2016) aus, obwohl die Richtgrößenprüfung nicht durchgeführt wurde?"

a) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Darstellung des der Entscheidung des LSG zugrundliegenden Sachverhalts in der Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen genügt. Grundsätzlich ist es erforderlich, anhand der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen den für den geltend gemachten Zulassungsgrund relevanten Sachverhalt darzustellen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die entscheidungserheblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 10.12.2020 - B 6 K/A 25/20 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 16.2.2021 - B 6 KA 19/20 B - juris RdNr 7; jeweils mwN). Zwar wird zu Beginn des Vortrags der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits knapp und das Ergebnis (allein) des Berufungsverfahrens beschrieben. Im Übrigen nimmt die Klägerin jedoch "wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes … auf die Sachverhaltsschilderung des Landessozialgerichts Bezug" und macht keine Angaben zu den jeweils tatsächlichen Grundlagen und Tatsachenfeststellungen des LSG.

b) Jedenfalls aber hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt, dass sich die auf eine Richtgrößenprüfung nach altem Recht beziehende Rechtsfrage (noch) grundsätzliche Bedeutung hat. Dass und unter welchen Voraussetzungen ein Regress wegen der Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Arzneimittel- bzw Verbandmittelverordnungen durchzuführen war, war für die hier betroffenen Quartale in § 84 Abs 6, § 106 Abs 5a bis 5d SGB V dF des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.7.2009 (BGBl I 1990) im Einzelnen geregelt. Seit den Änderungen durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16.7.2015 (BGBl I 1211) wird die Durchführung von Richtgrößenprüfungen nicht mehr bundesgesetzlich geregelt. Gemäß § 106b Abs 1 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit ärztlich verordneten Leistungen ab dem 1.1.2017 vielmehr anhand von Vereinbarungen geprüft, die von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit der KÄV zu treffen sind. Damit hat die von der Klägerin formulierte Frage nicht mehr geltendes Recht zum Gegenstand (vgl für Fragen der Richtgrößenprüfung bereits BSG Beschluss vom 17.11.2022 - B 6 KA 19/22 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 7.3.2022 - B 6 KA 15/22 B - juris RdNr 10), was auch der Grund für das LSG war, die Revision nicht zuzulassen (vgl Urteilsumdruck S 31).

Zwar ist es zutreffend, dass den Urteilen des Senats nicht entnommen werden kann, dass allein die abstrakte Möglichkeit einer Richtgrößenprüfung nach § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V aF eine Einzelfallprüfung wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise stets ausschließt. Entschieden hat der Senat lediglich, dass neben einer Richtgrößenprüfung keine Einzelfallprüfung wegen Unwirtschaftlichkeit statthaft ist (BSG Urteil vom 13.5.2015 - B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 45 und Urteile vom 11.9.2019 - B 6 KA 21/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 60 RdNr 30 und - B 6 KA 22/19 R - juris RdNr 26 f; vgl auch BSG Urteil vom 11.9.2019 - B 6 KA 23/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 61 RdNr 17). Die Urteile betrafen dabei immer Konstellationen, in denen ein Zusammentreffen von Richtgrößenprüfung und Einzelfallprüfung auf Antrag im gleichen Abrechnungszeitraum vorlag.

Jedoch ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Auslegung einer Rechtsnorm, bei der es sich um bereits außer Kraft getretenes Recht handelt, regelmäßig nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage daraus erwächst, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall, sondern im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist (BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10; BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 6 KA 68/16 B - juris RdNr 8; jeweils mwN). Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht kann eine Klärungsbedürftigkeit nur anerkannt werden, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage dieses nicht mehr geltenden Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihrer Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat (BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 6 KA 68/16 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 26.5.2021 - B 6 KA 26/20 B - juris RdNr 25; jeweils mwN). Solche Umstände müssen in der Beschwerdebegründung substantiiert dargelegt werden. Hierzu reicht es jedenfalls nicht aus, wenn vorgetragen wird, dass die Rechtsfrage "tatsächlich noch eine Vielzahl von offenen, noch zu entscheidenden gleichgelagerten Verfahren betrifft" (Beschwerdebegründung S 5) oder dass "nicht davon ausgegangen werden [könne], dass Verfahren, die die Verordnungszeiträume bis 31.12.2016 betreffen, bereits im Wesentlichen abgeschlossen sind" (Beschwerdebegründung S 6). Der pauschale Vortrag der Klägerin, es gebe noch 47 Verfahren (30 Klageverfahren, 17 Widerspruchsverfahren) in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland mit derselben Problematik, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Die bloße Behauptung, es sei noch eine erhebliche Anzahl von Altfällen nicht bestandskräftig abgeschlossen, genügt regelmäßig nicht (vgl BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 6 KA 69/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl auch BSG Beschluss vom 28.6.2017 - B 6 KA 84/16 B - juris RdNr 6). Die Klägerin kann sich ihrer Darlegungspflicht nicht dadurch entziehen, dass sie den Senat insofern um einen Hinweis zur Notwendigkeit einer "detaillierten Gesamtaufstellung" bittet (Beschwerdebegründung S 6).

2. Auch die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen einer Rechtsprechungsabweichung nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG sind nicht erfüllt. Hierzu ist erforderlich, dass das LSG seiner Entscheidung tragend einen Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der einem Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG widerspricht. Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nicht schon vor, wenn das LSG einen Rechtssatz aus einer oberstgerichtlichen Entscheidung nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung einer Revision wegen Divergenz (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.11.2017 - B 6 KA 43/17 B - juris RdNr 13 mwN). Nach diesen Maßstäben führt die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz nicht zu einer Revisionszulassung.

Die Klägerin entnimmt den Entscheidungen des BSG vom 19.10.2011 (B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 33) und vom 12.12.2001 (B 6 KA 7/01 R - SozR 3-2500 § 106 Nr 55) die Aussage:

"Das Abrechnungs- und Verordnungsverhalten aller Ärzte muss zu jeder Zeit einer effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegen."

Dem stellt die Klägerin folgenden Rechtssatz des LSG gegenüber:

"Die rein theoretische Möglichkeit der Richtgrößenprüfung ist ausreichend und schließt andere Prüfungen aus."

Hierzu erläutert die Klägerin, das LSG widerspreche damit dem vom BSG aufgestellten Gebot einer effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung. Allerdings übersieht die Klägerin, dass das LSG Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht grundsätzlich in Frage stellt. Das LSG geht vielmehr davon aus, dass in der streitbefangenen Konstellation die Voraussetzungen für einen Regress wegen der unwirtschaftlichen Verordnung von Verbandmitteln im Einzelfall des Versicherten nicht vorgelegen haben. Die Voraussetzungen von § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V aF iVm § 10 Abs 2 Prüfvereinbarung seien nicht erfüllt, weil die Richtgrößenprüfung nach § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V Vorrang habe. Hierzu nimmt das LSG zunächst Bezug auf die Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 11.9.2019 - B 6 KA 21/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 60 und vom 13.5.2015 - B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51), wonach die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise in Einzelfällen "neben" der Prüfung nach Richtgrößen nicht mehr geprüft werden kann. Weitergehend führt es sodann aus, dass nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen in § 84 Abs 6, § 106 Abs 5a SGB V aF bereits die Möglichkeit einer Richtgrößenprüfung eine Einzelfallprüfung ausschließe, soweit es allein um die Missachtung des allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebotes im Einzelfall gehe (Urteilsumdruck S 29). Im Kern rügt die Klägerin mit ihren diesbezüglichen Ausführungen damit lediglich die - ihrer Ansicht nach - falsche Entscheidung des LSG im Hinblick auf die Frage des Verhältnisses von Richtgrößenprüfung und Einzelfallprüfung. Dies wird besonders deutlich, wenn sie in ihrer Beschwerdebegründung ausführt, das LSG widerspreche "dem vom 6. Senat aufgestellten Gebot einer effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung" (Beschwerdebegründung S 8). Mit der Unrichtigkeit einer Entscheidung kann eine Zulassung der Revision wegen Divergenz nicht begründet werden.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 159 Satz 2 VwGO. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).

D. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der von den Beteiligten nicht angegriffenen Festsetzung des LSG (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG).

Oppermann

Just

Loose

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15912657

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