Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Ausschluss des Rechtsmittelverfahrens. allgemeine Kostenfrage. spezielle Kostenvorschrift. Verschuldenskosten

 

Orientierungssatz

Der Ausschluss eines Rechtsmittelverfahrens allein wegen der Kostenfrage (§ 165 iVm § 144 Abs 4 SGG) umfasst nicht nur die (allgemeine) Kostenentscheidung nach § 193 SGG, sondern auch die spezielle Kostenvorschrift des § 192 SGG.

 

Normenkette

SGG § 192 Abs. 1, §§ 193, 165, 144 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 16.12.2003; Aktenzeichen L 9 U 67/01)

SG Hildesheim (Entscheidung vom 01.02.2001; Aktenzeichen S 33 U 170/99)

 

Gründe

Die gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG) gerichtete Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl, 2002, IX, RdNr 177 und 179 mwN). Diesen Anforderungen an die Begründung hat der Kläger nicht hinreichend Rechnung getragen.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung (Divergenz), Verfahrensmangel - zugelassen werden. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Der Kläger behauptet zwar in seiner Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, legt diese aber nicht hinreichend dar. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert zunächst die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Es muss eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen sein, welche bisher revisionsgerichtlich noch nicht - ausreichend - geklärt ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 65 und 66; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 116 ff). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Denn der Kläger formuliert in seiner Beschwerdebegründung keine klare Rechtsfrage, sondern meint nur, die Entscheidung des LSG "provoziere" bestimmte Fragen, weil es ohne Rücksicht auf den von ihm - dem LSG - erkannten Aufklärungsbedarf lediglich die früheren Gutachten ohne neuerliche ärztliche Untersuchung habe zusammenfassen lassen und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht habe. Soweit der Kläger damit überhaupt eine Rechtsfrage formuliert haben sollte und nicht nur Kritik an der Verfahrensweise und der Beweiswürdigung des LSG geübt hat, hat er zumindest nicht in der erforderlichen Weise dargelegt, welche bisherigen Rechtsgrundsätze es zu diesem Fragenkomplex gibt und inwieweit diese einer Fortentwicklung bedürfen.

Soweit der Kläger sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz beruft, werden seine Ausführungen ebenfalls nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gerecht. Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargetan, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29 und 54).

Der Kläger meint, eine Divergenz liege vor, soweit das LSG seiner Entscheidung den Rechtssatz zugrunde gelegt habe, dass zur weiteren Sachaufklärung keine Untersuchung des Klägers durch den Sachverständigen mehr vorzunehmen sei. Damit hat der Kläger jedoch keine rechtliche Aussage des LSG aufgezeigt und einer - notwendigerweise allgemeinen - rechtlichen Aussage zB des BSG gegenübergestellt, sondern eine bestimmte Aussage zur Beweiserhebung in seinem Verfahren formuliert.

Die vom Kläger behaupteten Verfahrensmängel führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Soweit der Kläger vorbringt, das LSG habe entsprechend dem von ihm - dem LSG - erkannten weiteren Aufklärungsbedarf ein schriftliches Gutachten mit körperlicher Untersuchung einholen müssen, rügt er eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das LSG. Eine solche Rüge setzt jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG einen entsprechenden Beweisantrag des Klägers voraus. Dass er einen solchen in der letzten mündlichen Verhandlung am 16. Dezember 2003 vor dem LSG gestellt hätte, hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen.

Auch die Rügen hinsichtlich des unterlassenen Hinweises auf § 109 SGG, die Überraschungssituation im Erörterungstermin vom 22. September 2003, einschließlich der behaupteten Mängel von dessen Niederschrift genügen nicht zur Darstellung eines Verfahrensmangels iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Denn der Kläger hat es versäumt darzulegen, warum hinsichtlich dieser Verfahrensmängel keine Heilung eingetreten sei. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Rüge von Verfahrensmängeln der Berufungsinstanz im Revisionsverfahren und die Heilung von Verfahrensmängeln (§§ 556, 295 ZPO) sind nach § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 61 mwN). Gemäß § 556 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren der Berufungsinstanz betreffenden Vorschriften in der Revisionsinstanz - und demgemäß auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde - nicht mehr gerügt werden, wenn das Rügerecht nach § 295 ZPO verloren gegangen ist. Dies ist gemäß § 295 ZPO ua dann geschehen, wenn in der auf den Mangel folgenden nächsten mündlichen Verhandlung, in welcher der betreffende Beteiligte vertreten war, der Mangel nicht gerügt worden ist, obgleich er bekannt war oder bekannt sein musste.

Dass er einen der behaupteten Verfahrensfehler des LSG in der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2003, in der er durch seinen Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß vertreten war, gerügt habe, hat der Kläger nicht vorgetragen.

Soweit der Kläger weiter rügt, das LSG habe in seinem Urteil seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es sich nicht mit seinen Argumenten auseinander gesetzt habe, fehlt es ebenfalls an einer entsprechenden Darlegung. Denn der Kläger zeigt nicht auf, welches konkrete Argument mit welcher Auswirkung auf die Entscheidung des LSG dieses übergangen habe.

Sein Vorbringen greift auch in diesem Punkt im Wesentlichen die Beweiswürdigung durch das LSG an; darauf kann eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision jedoch nicht in zulässiger Weise gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

Das abschließende Vorbringen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache mit der Frage, "ob einem Beteiligten ohne Rücksicht auf dessen subjektive Einsicht Verschuldenskosten gem. § 192 Abs. 1 SGG auferlegt werden dürfen", führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Denn der Ausschluss eines Rechtsmittelverfahrens allein wegen der Kostenfrage (§ 165 iVm § 144 Abs 3 SGG, BSG SozR 1500 § 160 Nr 54) umfasst nicht nur die (allgemeine) Kostenentscheidung nach § 193 SGG, sondern auch die spezielle Kostenvorschrift des § 192 SGG (ebenso zum früheren § 192 SGG: BSG Beschluss vom 27. Januar 1999 - B 12 KR 56/98 B - mwN). Der Ausschluss eines Rechtsmittels allein wegen der Kosten dient ähnlich wie die Berufungsbeschränkung in § 144 Abs 1 SGG der Prozessökonomie und soll "stets" das Rechtsmittel ausschließen, wenn es sich "nur" um die Kosten des Verfahrens handelt (Gesetzesbegründung in BT-Drucks 12/1217 S 52). Sie wurde § 158 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nachgebildet und soll außerdem verhindern, dass das Rechtsmittelgericht die nicht angefochtene Hauptsacheentscheidung zumindest inzident mit nachprüfen muss, weil von dieser letztlich auch die Kostenentscheidung abhängt (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl 2003, § 158 RdNr 1).

Die Beschwerde des Klägers ist daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755828

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