Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 30.01.1996; Aktenzeichen L 1 Ar 111/95)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1996 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Klägerin Arbeitslosengeld (Alg) ab 12. Juli 1994 zusteht.

Die 1935 geborene Klägerin war seit Januar 1962 im Lebensmittel- und Bäckereigeschäft ihres Ehemannes in ihrem erlernten Beruf als Verkäuferin tätig. Ab 1. Januar 1991 arbeitete sie an fünf Tagen in der Woche (bei 30 Wochenarbeitsstunden) und erhielt hierfür ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 695,– DM, von dem Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt wurden; im Geschäft war neben dem Ehemann der Klägerin noch eine Aushilfskraft tätig. Im letzten halben Jahr vor der Geschäftsaufgabe (im Juli 1994) hat der Ehemann der Klägerin allerdings krankheitsbedingt nicht mehr mitgearbeitet. Wegen Betriebsaufgabe wurde der Klägerin am 21. Juni 1994 zum 11. Juli 1994 gekündigt.

Am 12. Juli 1994 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Das Arbeitsamt (ArbA) lehnte dies ab (Bescheid vom 7. September 1994; Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 1994), weil die Klägerin bei ihrem Ehemann nicht in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden und somit nicht die Anwartschaftszeit des § 104 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erfüllt habe.

Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 12. Juli 1994 Alg zu gewähren (Urteil vom 22. Februar 1995). Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil blieb erfolglos (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 30. Januar 1996). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin erfülle alle Voraussetzungen für den Bezug von Alg (§ 100 Abs 1 AFG). Insbesondere habe sie gemäß § 104 Abs 1 Satz 2 AFG innerhalb der Rahmenfrist (12. Juli 1991 bis 11. Juli 1994) mindestens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden. Ob ein Beschäftigungsverhältnis insoweit bestehe, richte sich nicht allein nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag, sondern insbesondere nach den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall; Voraussetzung für die Annahme eines zwischen Ehegatten bestehenden beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sei die Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in bezug auf Zeit, Ort und Art der Arbeitsausführung, der ernsthafte Wille, eine entgeltliche Beschäftigung einzugehen, und die Bezahlung eines angemessenen Entgelts für die geleistete Arbeit. Diese Voraussetzungen seien vorliegend gegeben. Soweit die Beklagte der Auffassung sei, ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis sei zu verneinen, weil der Klägerin kein angemessenes Entgelt gezahlt worden sei, sei dem nicht zu folgen. Zwar sei der Beklagten zuzugeben, daß zwischen tatsächlich gezahltem Arbeitsentgelt und Tariflohn eine nicht unerhebliche Diskrepanz bestehe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei das vergleichbare Tarifgehalt jedoch nur als Richtschnur bei der Beurteilung des entgeltlichen Ehegatten-Beschäftigungsverhältnisses heranzuziehen, so daß ein geringfügiges Unterschreiten oder die Nichtgewährung tariflich üblicher Leistungen nicht erheblich sei. Auch aus einer nicht nur geringfügigen Unterschreitung des Tariflohns folge indes nicht zwingend eine Unangemessenheit des Entgelts. Das gezahlte Entgelt müsse allerdings über ein Taschengeld oder eine Gefälligkeitsleistung hinausgehen. Liege es zwischen Taschengeld und Tariflohn, sei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles festzustellen, ob ein angemessenes Entgelt gezahlt worden sei. Nach diesen Grundsätzen und unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles sei davon auszugehen, daß die Klägerin ein angemessenes Entgelt für ihre Tätigkeit erhalten habe.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil macht die Beklagte eine Divergenz der Entscheidung zu Urteilen des BSG (BSGE 3, 30 ff; BSGE 17, 1 ff = SozR Nr 31 zu § 165 RVO; BSGE 74, 275 ff: SozR 3-2500 § 5 NR 17; SozR 2200 § 165 Nr 90) und eine grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend.

In den bezeichneten Urteilen habe das BSG den Rechtssatz aufgestellt, daß die Zahlung verhältnismäßig nicht geringfügiger laufender Bezüge, insbesondere in Höhe des ortsüblichen oder des tarifüblichen Lohnes, ein wesentliches Merkmal für das Bestehen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses sei, während bei geringfügigen Barbezügen – Taschengeld – im allgemeinen kein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis vorliege. Aus der Rechtsprechung des BSG folge, daß bei einer mehr als geringfügig untertariflichen Entlohnung grundsätzlich nicht mehr von einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis zwischen Familienangehörigen (hier Ehegatten) gesprochen werden könne. Hiervon weiche die Entscheidung des LSG dadurch ab, daß der Rechtssatz aufgestellt sei, auch aus einer nicht nur geringfügigen Unterscheidung des Tariflohns sei nicht zwingend auf eine Unangemessenheit des Entgelts zu schließen. Damit werde das tarifliche (oder ortsübliche) Arbeitsentgelt eines vergleichbaren Arbeitnehmers vom LSG nicht mehr als Richtschnur für ein angemessenes Arbeitsentgelt anerkannt. Bei der Beurteilung des angemessenen Arbeitsentgelts anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Betriebs löse sich das LSG von dem vom BSG geforderten objektiven Fremdvergleich. Eine derartige Auslegung sei deshalb besonders bedenklich, weil es dann zumeist genügen würde, das Haushaltsgeld des Ehegatten über ein Gehaltskonto auszuzahlen und damit nach außen hin – für die Sozialversicherungsträger unüberprüfbar – den Anschein eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses zu erwecken.

Die Sache habe grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage von grundlegendem Interesse für die Sozialversicherung sei, ob auch bei einer erheblich untertariflichen Entlohnung noch ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis zwischen Familienangehörigen und damit Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung angenommen werden könne, und welche Umstände ggf für die Beurteilung der Angemessenheit eines nicht mehr am Tariflohn orientierten Entgelts herangezogen werden können. Das LSG-Urteil werfe auch die Frage auf, ob als wesentliches Abgrenzungsmerkmal zwischen einer entgeltlichen Beschäftigung und einer familienhaften Mithilfe schon die Gewährung von Barbezügen über dem Niveau eines Taschengeldes zu sehen und wie der Begriff des Taschengeldes in diesem Sinne ggf zu definieren sei. Hierzu liege jedenfalls eine gesicherte Rechtsprechung des BSG noch nicht vor. Zumindest bedürfe die zitierte Rechtsprechung einer Konkretisierung. Es sei noch eine Anzahl von Widerspruchsverfahren und von Klageverfahren vor den Sozialgerichten und Landessozialgerichten anhängig; im übrigen sei über diese Rechtsfrage auch im Revisionsverfahren 7 RAr 120/95 zu entscheiden. Die Rechtsfragen seien schließlich klärungsfähig, denn es seien keine Gründe ersichtlich, die das Berufungsgericht daran hindern könnten, sich in Revisionsverfahren mit ihnen auseinanderzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

II

Es ist bereits zweifelhaft, ob die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten überhaupt den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegungs- bzw Bezeichnungspflicht genügt (§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫); jedenfalls ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet.

Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision ua nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder (2.) das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder, anders gewendet, das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei oder mehreren Urteilen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG aufgestellt hat (vgl BAG AP Nr 11 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz; Hennig/Danckwerts/König, Komm zum SGG, Stand März 1993, § 160 Anm 8.4 und § 160a Anm 7.8; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, Kap IX, RdNrn 81 ff; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNrn 163 ff; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl 1993, § 160 RdNr 13). Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (BSG aaO).

Ein solcher Widerspruch zwischen den von der Beklagten zitierten Urteilen des BSG und der angefochtenen Entscheidung des LSG ist objektiv nicht erkennbar. Insoweit findet sich in den von der Beklagten zitierten Urteilen des BSG gerade nicht der Rechtssatz, daß bei einer mehr als geringfügig untertariflichen Entlohnung grundsätzlich nicht mehr von einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis zwischen Familienangehörigen (Ehegatten) gesprochen werden könne. Es wird vielmehr betont, es müßten die gesamten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden (BSGE 3, 30, 39 f; 17, 1, 4 f = SozR Nr 31 zu § 165 RVO; 74, 275, 278 f = SozR 3-2500 § 5 Nr 17; BSG SozR 2200 § 165 Nr 90), der Höhe des Entgelts komme lediglich Indizwirkung zu (BSG aaO; vgl auch: BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 11; BSG, Urteil vom 12. September 1996 – 7 RAr 120/95; BSG, Beschluß vom 30. November 1995 – 11 BAr 159/95 –, unveröffentlicht). Diese Rechtsprechung hat das LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Rechtssache kommt damit entgegen der Auffassung der Beklagten auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nämlich nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl: BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65; BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nrn 6 und 7). Anders ausgedrückt: Die aufgeworfene Rechtsfrage muß (abstrakt) klärungsbedürftig und (konkret) klärungsfähig sein, und es muß von der zu erwartenden Entscheidung eine sog Breitenwirkung ausgehen.

Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig, da sie von den vorliegenden Urteilen umfassend beantwortet werden (vgl zu dieser Voraussetzung BSG SozR 1500 § 160a Nr 65). In ständiger Rechtsprechung stellt das BSG, wie schon dargelegt, bei der Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Ehegatten auf alle Umstände des Einzelfalls ab und billigt der Höhe des Entgelts lediglich eine Indizwirkung zu (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 12. September 1996 – 7 RAr 120/95 –, mwN). Eine Zulassung der Revision würde keinen Beitrag mehr zur Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts leisten können.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174453

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