Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Chirurg. Internist. Budget. Mengensteuerung. Generalisierung. Schematisierung. Typisierung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Normsetzer braucht auf Grund seiner Befugnis zu generalisieren, zu schematisieren und zu typisieren, nicht auf jeden Unterschied Rücksicht zu nehmen.

2. Das Fehlen der Möglichkeit der Mengensteuerung steht nicht grundsätzlich der Budgetierung entgegen.

 

Normenkette

SGB V § 87 Abs. 1; SGG §§ 160, 160a

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 21.02.2002; Aktenzeichen L 5 KA 37/01)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Februar 2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger ist als Chirurg und Unfallchirurg zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er fordert für das Quartal I/1998 höheres Honorar. Er macht geltend, das Praxisbudget reiche für Unfallchirurgen nicht aus. Widerspruch, Klage und Berufung waren erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, die Einführung der Budgets sei rechtmäßig, typisierende Regelungen durch gruppeneinheitliche Budgets und typisierende Budgetbemessungen seien hinzunehmen. Den Besonderheiten der Praxis des Klägers sei durch die Zuerkennung des Zusatzbudgets Unfallchirurgie und durch einen Zuschlag zum Praxisbudget für ambulante Operationen ausreichend Rechnung getragen worden.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel geltend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Vorbringen des Klägers, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), ist hinsichtlich der meisten mit der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen schon unzulässig und nur hinsichtlich einer Frage zulässig, insoweit aber unbegründet.

Unzulässig ist auch die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

Für die Zulässigkeit der Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss gemäß den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (std Rspr, vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14, und BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN).

Bei der ersten Frage, ob Chirurgen trotz kleiner Fachgruppe und hohem Spezialisierungsgrad budgetiert werden dürfen, entsprechen die Ausführungen des Klägers nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen. Die Beschwerdebegründung gibt keine ausreichende Grundlage für die Beurteilung, ob eine grundsätzliche Bedeutung vorliegt.

Der Kläger hält es für rechtswidrig, die Chirurgen zu budgetieren, die ca 16.000 Internisten, 900 Radiologen und 440 Labormediziner dagegen nicht. Es sei nicht nachvollziehbar, dass bei den ca 16.000 Internisten angeblich kein ausreichendes Zahlenmaterial für eine Budgetberechnung vorgelegen habe, während für die 3.684 Chirurgen ausreichendes Zahlenmaterial verfügbar gewesen sein solle, obgleich auch diese sich wie die Internisten in zahlreiche Untergruppen aufgliederten (solche ohne Schwerpunkt oder Zusatzbezeichnung, Gefäßchirurgen, Thoraxchirurgen, Unfallchirurgen, Viszeralchirurgen, plastische Chirurgen, Kinderchirurgen, Thorax- und Kardiovasculärchirurgen).

Mit diesen Ausführungen wird Näheres nur bezogen auf den Vergleich mit den Internisten geltend gemacht. Aber auch insoweit genügen die Angaben nicht. Das Vorbringen, die Internisten seien nicht budgetiert, kann sich nur auf die fachärztlichen beziehen, denn für die hausärztlichen Internisten ist ein Praxisbudget festgelegt. Andererseits nennt der Kläger die Zahl von ca 16.000, die weit über derjenigen der fachärztlichen Internisten liegt und wohl allenfalls auf die Gesamtheit aller Internisten zutreffen kann. Derart ungenaue bzw widersprüchliche Angaben ergeben keine ausreichenden, den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechenden Darlegungen, wie sie zur Prüfung der grundsätzlichen Bedeutung erforderlich sind.

Zudem spricht der Kläger nur pauschal von einem hohen Spezialisierungsgrad bei den Chirurgen, ohne darauf einzugehen, dass das Praxisbudget uU im Einzelfall erweitert werden kann und auch gerade hinsichtlich des Teilgebiets der Unfallchirurgie ein qualifikationsbezogenes Zusatzbudget vorgesehen ist. Auf solche Differenzierungen der ansonsten typisierenden und generalisierenden Budgetregelungen hat der Senat in seinem Urteil vom 8. März 2000 (BSGE 86, 16, 22 = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 121) ausdrücklich hingewiesen. Darauf geht der Kläger aber nicht, wie es gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich wäre, näher ein.

Bei der zweiten Frage, ob Unfallchirurgen trotz kleiner Fachgruppe und hohem Spezialisierungsgrad budgetiert werden dürfen, fehlen ebenfalls Ausführungen entsprechend den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Der Kläger macht geltend, die Besonderheiten der Unfallchirurgen hätten Sonderregelungen geboten; sie müssten nach der allgemeinen fünfjährigen Weiterbildung noch eine zusätzliche dreijährige absolvieren.

Allein eine längere Dauer der Weiterbildung kann indessen nicht die Folgerung begründen, eine Gesamtregelung für alle Chirurgen sei rechtswidrig. Denn der Normsetzer braucht auf Grund seiner Befugnis zu generalisieren, zu schematisieren und zu typisieren, nicht auf jeden Unterschied Rücksicht zu nehmen. Darauf geht der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht ein. Es fehlt der Versuch einer Gesamtbetrachtung der Situation der Unfallchirurgen im Vergleich zu derjenigen der anderen Chirurgen bzw Chirurgen-Untergruppen, wie es zur Darlegung der Ansicht, die Grenze zulässiger Schematisierung sei überschritten, aber erforderlich wäre. Er setzt sich weder mit der Möglichkeit, das Praxisbudget uU im Einzelfall zu erweitern, noch mit der Einräumung eines Zusatzbudgets für Unfallchirurgie noch mit den vorliegenden Ausführungen des Senats (s inbes BSG aaO) auseinander.

Auch bei der dritten Frage, ob Unfallchirurgen deswegen von der Regelung der Praxisbudgets ausgenommen werden müssten, weil sie die Leistungsmenge nicht steuern könnten, fehlt es an ausreichenden Darlegungen entsprechend den Erfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Der Kläger geht vor allem nicht darauf ein, dass nach der Rechtsprechung des Senats das Fehlen der Möglichkeit der Mengensteuerung nicht grundsätzlich der Budgetierung entgegensteht (vgl BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 31 S 179 f, wo die Überweisungsgebundenheit von Leistungen nur als Kriterium für eine Budgeterweiterung in Betracht gezogen wird). Auch weitere nahe liegende Fragen werden nicht erörtert. So fehlt jede Darlegung dazu, ob nicht die Leistungsmenge innerhalb eines Behandlungsfalles uU doch steuerbar ist. Ferner erörtert der Kläger nicht, ob es nicht ausreicht, das Praxisbudget im Einzelfall zu erweitern, zumal auch ein Zusatzbudget für Unfallchirurgie besteht.

Hinsichtlich der aufgeworfenen vierten Frage, ob eine rechnerisch unzutreffende Ermittlung der Abstaffelung der Röntgenleistung in das Zusatzbudget „Unfallchirurgie” übernommen werden durfte und ob Unfallchirurgen diese Budgetierung überhaupt hinnehmen müssen, ist die Geltendmachung grundsätzlicher Bedeutung teilweise bereits unzulässig, im Übrigen zwar zulässig, aber unbegründet.

Zur Teilfrage, ob Unfallchirurgen die Budgetierung überhaupt hinnehmen müssen, ist auf obige Hinweise zur zweiten und dritten Frage zu verweisen. Insoweit fehlt es an näheren Ausführungen entsprechend den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen.

Mit der anderen Teilfrage, ob die rechnerisch unzutreffende Ermittlung der Abstaffelung der Röntgenleistungen in das Zusatzbudget „Unfallchirurgie” übernommen werden durfte, beanstandet der Kläger, dass unzutreffende Elemente aus der Bemessung der früheren Teilbudgets übernommen worden seien; zudem träfen die in die Praxisbudgets einberechneten Kostensätze nicht zu. Indessen setzt er dem Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2000 – B 6 KA 36/00 B –, wonach eine Budgetbemessung nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil sie durch frühere rechnerische Grundlagen mitbeeinflusst wurde, die sich als fehlerhaft herausgestellt haben und deshalb später korrigiert worden sind, nur das Ergebnis seiner gegenteiligen Ansicht entgegen. Er erläutert diese nicht und bringt auch nicht konkrete Gegenargumente vor, wie das gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich wäre. Ausreichende Darlegungen entsprechend den Zulässigkeitsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG enthält die Beschwerdebegründung dagegen insoweit, als er die in die Budgets einberechneten Praxiskostensätze als unzutreffend beanstandet. Diese Frage ist jedoch nicht mehr klärungsbedürftig. In den Urteilen des Senats vom 15. Mai 2002 – B 6 KA 33/01 R und B 6 KA 21/00 R – werden die Kostensätze über das hier streitige Quartal I/1998 hinaus als rechtmäßig angesehen – zugleich wird aber darauf hingewiesen, dass ab 2003 eine Überprüfung und Neuberechnung erforderlich ist –.

Bei der fünften vom Kläger aufgeworfenen Frage, ob die Leistungsmengensteigerung bei den Unfallchirurgen maßgeblich mit Änderungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) zusammenhänge, ist aus der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, inwiefern ihre Beantwortung für die Entscheidung des vorliegenden Falles von Bedeutung sein kann. Sofern damit geltend gemacht werden soll, die Unfallchirurgen könnten die Leistungsmenge nicht selbst steuern, ist auf obige Ausführungen zur dritten Frage zu verweisen. Insgesamt jedenfalls fehlt es an Darlegungen entsprechend den Erfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.

Zur sechsten Frage, ob die Bemessung des Praxisbudgets den Besonderheiten der Unfallchirurgen ausreichend Rechnung trage, enthält die Beschwerdebegründung ebenfalls keine Darlegungen entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Dazu wird auf obige Ausführungen verwiesen. Der Kläger setzt sich auch hier nicht damit auseinander, dass das Praxisbudget uU im Einzelfall erweitert werden kann und auch ein Zusatzbudget für Unfallchirurgie vorgesehen ist. Es fehlt ferner an Ausführungen zum Ausmaß der Abweichungen bei einem durchschnittlichen Unfallchirurgen gegenüber den sonstigen Chirurgen; Angaben zum individuellen Zuschnitt der Praxis des Klägers reichen nicht aus. Sein Vorbringen genügt für die Folgerung, die Besonderheiten der Unfallchirurgen würden durch das Zusatzbudget nur unzureichend abgedeckt, nicht.

Unzulässig ist schließlich auch die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge, dem LSG hätte sich aufdrängen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären (s Beschwerdebegründung S 5 unter 6.). Denn ein Verfahrensmangel wegen Verletzung des § 103 SGG kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur darauf gestützt werden, das LSG sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. In der Beschwerdebegründung wird indessen ein bei dem LSG gestellter Beweisantrag nicht benannt.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Nach alledem ist die Nichtzulassungsbeschwerde mit der Kostenfolge entsprechend § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung) zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1176685

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