Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindung. befristeter Arbeitsvertrag. Befristete Weiterbeschäftigung einer wegen mangelnden Bedarfs gekündigten Angestellten einer Kindereinrichtung als Sachbearbeiterin im Einwohnermeldeamt

 

Leitsatz (amtlich)

Ein befristeter Arbeitsvertrag, der vor Beendigung eines wegen mangelnden Bedarfs gekündigten Arbeitsverhältnisses geschlossen wird, ist jedenfalls dann nicht als ein den Abfindungsanspruch nach § 2 Abs. 1 Satz 2 TV soziale Absicherung begründender Auflösungsvertrag anzusehen, wenn die im unmittelbaren Anschluß an die ursprüngliche Beschäftigung auszuübende Tätigkeit einen anderen Inhalt hat.

 

Normenkette

Tarifvertrag vom 6. Juli 1992 zur sozialen Absicherung (TV soziale Absicherung) § 2

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 08.11.1995; Aktenzeichen 2 (3) Sa 504/94)

ArbG Stralsund (Urteil vom 01.06.1994; Aktenzeichen 11 Ca 6/94)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung) zusteht.

Die Klägerin war bei der Beklagten aufgrund eines mit Wirkung zum 1. Juli 1991 abgeschlossenen Arbeitsvertrages als Angestellte in einer Kindereinrichtung auf unbestimmte Zeit beschäftigt. Aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung fand auf das Arbeitsverhältnis der BAT-O Anwendung. In einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag war die Zeit seit dem 27. März 1979 als Beschäftigungszeit anerkannt worden.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 25. März 1992 fristgemäß zum 30. September 1992 wegen mangelnden Bedarfs. Am 22. April 1992 wurde die Stelle eines Sachbearbeiters im Einwohnermeldeamt, befristet bis Ende 1993, ausgeschrieben. Mit Schreiben vom 28. April 1992 bewarb sich die Klägerin um diese Stelle.

Am 26. Mai 1992 schlossen die Parteien einen “Vertrag zur Änderung des Arbeitsvertrages” mit Wirkung zum 1. Juni 1992, der bis zur “Wiederaufnahme der Arbeit durch Frau M… nach dem Erziehungsurlaub ab 1. Januar 1994” befristet war.

Die Klägerin, die über den 31. Dezember 1993 hinaus nicht weiterbeschäftigt wurde, begehrt eine Abfindung nach § 2 TV soziale Absicherung. Diese tarifliche Bestimmung hat, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut:

“§ 2

Abfindung

(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil

a) er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder

erhält eine Abfindung. Das Gleiche gilt, wenn ein Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kündigung nach Satz 1 aufgrund eines Auflösungsvertrages ausscheidet.

(3) Der Anspruch auf Abfindung entsteht am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hat der Arbeitgeber gekündigt, wird die Abfindung fällig, sobald endgültig feststeht, daß das Arbeitsverhältnis beendet ist (z.B. bei Verzicht auf Klage gegen die Kündigung oder bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung).

(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT ein und ist die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.

Protokollnotiz zu § 2:

Die Vorschrift gilt auch in den Fällen, in denen vor dem 15. Juni 1992 die Kündigung ausgesprochen oder der Auflösungsvertrag abgeschlossen worden ist, das Arbeitsverhältnis jedoch erst nach dem 14. Juni 1992 geendet hat oder endet.

…”

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Abfindungsanspruch sei nach § 2 Abs. 1 Satz 2 TV soziale Absicherung begründet. Sie sei wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar gewesen und deshalb aufgrund eines Auflösungsvertrages ausgeschieden. Mit Abschluß des befristeten Arbeitsvertrages am 26. Mai 1992 sei eine längerfristige Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1993 vereinbart worden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Abfindung in Höhe von 10.000,-- DM gemäß dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Abschluß des befristeten Arbeitsvertrages sei nicht als Auflösungsvertrag i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 2 TV soziale Absicherung anzusehen. Die arbeitsvertraglichen Beziehungen seien in dem befristeten Arbeitsvertrag auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt worden. Soweit durch diesen wegen der in ihm enthaltenen Aufhebung des früheren Arbeitsverhältnisses zum 1. Juni 1992 ein Abfindungsanspruch entstanden sein sollte, sei dieser gemäß § 70 BAT-O verfallen. Außerdem stünde einem solchen Abfindungsanspruch auch § 2 Abs. 6 TV soziale Absicherung entgegen, da im Anschluß an das ursprüngliche Arbeitsverhältnis ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 8.348,-- DM verurteilt. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung in vollem Umfang. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils, soweit es der Klage stattgegeben hat, und zur Wiederherstellung des die Klage in vollem Umfange abweisenden erstinstanzlichen Urteils. Der Klägerin steht ein tariflicher Abfindungsanspruch nicht zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Parteien hätten mit dem Abschluß des bis zum 31. Dezember 1993 befristeten Arbeitsverhältnisses einvernehmlich die Beendigung des wegen mangelnden Bedarfs zum 30. September 1992 gekündigten Arbeitsverhältnisses vereinbart. Deshalb liege ein Auflösungsvertrag i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 2 TV soziale Absicherung vor, der den Abfindungsanspruch begründe. Bei der Berechnung der Abfindung sei aber nur der Zeitraum vom 27. März 1979 bis 31. Mai 1992 zu berücksichtigen, so daß sich der Anspruch auf 8.348,-- DM reduziere.

II. Diesen Ausführungen kann nicht zugestimmt werden. Die tariflichen Voraussetzungen für einen Abfindungsanspruch nach § 2 Abs. 1 TV soziale Absicherung liegen nicht vor.

1. Der Klägerin wurde nicht gekündigt, weil sie wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar war (§ 2 Abs. 1 Satz 1 TV soziale Absicherung). Sie ist auch nicht bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Kündigung aufgrund eines Auflösungsvertrags ausgeschieden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 TV soziale Absicherung).

Indem die Tarifvertragsparteien einen Abfindungsanspruch beim Ausscheiden wegen mangelnden Bedarfs ausdrücklich auch im Fall eines Auflösungsvertrags vorsehen, verwenden sie einen Begriff, der in der Rechtsterminologie einen bestimmten Inhalt hat. Deshalb ist davon auszugehen, daß sie ihn auch in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung angewendet wissen wollen (BAG Urteil vom 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121 = AP Nr. 134 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 27. April 1983 – 4 AZR 506/80 –, BAGE 42, 272 = AP Nr. 61 zu § 616 BGB). Unter einem Auflösungsvertrag bzw. einem Aufhebungsvertrag ist danach die Aufhebung der ursprünglich begründeten wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu dem vereinbarten Zeitpunkt zu verstehen (vgl. BAG Urteil vom 24. November 1988 – 6 AZR 243/87 – BAGE 60, 219 = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation). Als einen solchen Auflösungsvertrag hat das Landesarbeitsgericht den Abschluß des befristeten Arbeitsverhältnisses am 26. Mai 1992 gewertet. Dies trifft jedoch nicht zu.

Das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis wurde von der Beklagten am 25. März 1992 zum 30. September 1992 wegen mangelnden Bedarfs gekündigt. Dieses Arbeitsverhältnis haben die Parteien mit der Vereinbarung vom 26. Mai 1992 zum 31. Mai 1992 einvernehmlich aufgehoben. Davon geht auch das Landesarbeitsgericht bei der Berechnung der Abfindung aus.

Die Parteien haben dabei gleichzeitig ab 1. Juni 1992 ein bis zum 31. Dezember 1993 befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart. Die in der Befristungsabrede liegende Einigung über den Beendigungszeitpunkt bezog sich jedoch nicht auf das ursprüngliche Arbeitsverhältnis, sondern begründete nur einen Beendigungstatbestand für das ab 1. Juni 1992 beginnende Arbeitsverhältnis.

Dies ergibt sich daraus, daß das befristete Arbeitsverhältnis andere wechselseitige Rechte und Pflichten zum Inhalt hatte als das ursprüngliche Arbeitsverhältnis. Die Klägerin war zunächst als Angestellte in einer Kindereinrichtung beschäftigt. Mit dieser Tätigkeit war sie wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar, was zu der Kündigung führte. Um ihre Arbeitslosigkeit nach dem 30. September 1992 zu vermeiden, bewarb sich die Klägerin am 28. April 1992 um die am 22. April 1992 ausgeschriebene Stelle einer Sachbearbeiterin im Einwohnermeldeamt. Allein auf diese Tätigkeit bezog sich das daraufhin am 26. Mai 1992 abgeschlossene befristete Arbeitsverhältnis.

Die Befristungsabrede hatte ihren Sachgrund, wie sich aus der Vereinbarung vom 26. Mai 1992 eindeutig ergibt, in der Vertretung einer im Erziehungsurlaub befindlichen Mitarbeiterin im Einwohnermeldeamt. Es handelte sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts damit nicht um eine befristete Verlängerung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses, sondern um den Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages mit einem anderen Inhalt. Dabei beruhte die in der Befristungsabrede liegende Einigung über den Beendigungszeitpunkt auch nicht auf anschließendem mangelndem Bedarf, sondern auf dem Wegfall des Vertretungsfalles. Für diesen Tatbestand ist ein Abfindungsanspruch tariflich jedoch nicht vorgesehen.

2. Der Klägerin steht ein Abfindungsanspruch nicht aus dem durch Vereinbarung vom 26. Mai 1992 zum 31. Mai 1992 beendeten alten Arbeitsverhältnis zu.

Dies folgt zum einen daraus, daß nach der Protokollnotiz zu § 2 TV soziale Absicherung vor dem 15. Juni 1992 liegende Beendigungstatbestände von den zu diesem Zeitpunkt in Kraft tretenden tariflichen Bestimmungen nur erfaßt wurden, wenn der Beendigungszeitpunkt nach dem 14. Juni 1992 lag. Dies war vorliegend nicht der Fall. Zum anderen wäre ein im Jahre 1992 entstandener Abfindungsanspruch ebenso wie der von der Klägerin behauptete Schadenersatzanspruch im Hinblick auf die erst im Jahre 1994 erfolgte Geltendmachung nach § 70 BAT-O verfallen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, R. Hinsch, Schneider

 

Fundstellen

Haufe-Index 885464

NZA 1997, 1057

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