Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1; BPersVG § 79 Abs. 3-4; ZPO § 139

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 23.06.1993; Aktenzeichen 8 Sa 12/93)

ArbG Berlin (Urteil vom 30.07.1992; Aktenzeichen 73 Ca 3715/92)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 23. Juni 1993 – 8 Sa 12/93 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der 1952 geborene Kläger war seit September 1970 Angehöriger der Paßkontrolleinheiten (im folgenden: PKE) des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit (im folgenden: MfS/AfNS) der ehemaligen DDR. Sein letzter Dienstgrad war Hauptmann. Im Frühjahr/Sommer 1990 wurde der Kläger in den neu eingerichteten Grenzschutzdienst der DDR übernommen. Seit dem Wirksamwerden des Beitritts arbeitete der Kläger als Bearbeiter des Polizeivollzugsdienstes in der Außenstelle Berlin der Grenzschutzdirektion K.. Seine Bruttomonatsvergütung betrug ab 1. Juli 1991 2.060,92 DM.

Ab November 1990 führte die Beklagte Personalüberprüfungen durch. Dazu hatte der Kläger schriftliche Auskünfte über seine frühere Tätigkeit zu geben. Am 15. Januar 1992 wurde der Kläger mündlich zu seiner früheren Tätigkeit beim MfS angehört.

Am 20. Januar 1992 richtete der Präsident der Grenzschutzdirektion Koblenz an den bei dieser Behörde gebildeten Personalrat ein Anhörungsschreiben mit folgendem Inhalt:

„Ich beabsichtige, das bestehende Arbeitsverhältnis mit den in der Anlage aufgeführten Bediensteten gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2 des Einigungsvertrages außerordentlich zu kündigen.

Aufgrund der Einzelgespräche und der mir seit dem 13. November 1991 vorliegenden Kurzauskünfte des Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit steht fest, daß die betreffenden Beschäftigten nicht in einem Randbereich, sondern im exekutiv-operativen Bereich bzw. im Stab des Ministeriums für Staatssicherheit tätig waren.

Anknüpfungspunkt für die Kündigung ist die Tatsache der Zugehörigkeit dieser Bediensteten zum ehemaligen MfS/AfNS. Zur Verwirklichung des Kündigungstatbestandes kommt es – anders als beim Tatbestand der Nr. 1 a.a.O. des Einigungsvertrages – nicht auf einen konkreten Rechtsverstoß oder gar individuelles Verschulden an.

Die Bediensteten haben als exekutiv-operativ tätige Angehörige der Paßkontrolleinheiten eine Funktion in einem System ausgeübt, das allgemein mit der Bezeichnung „Repressionsapparat” in den Sprachgebrauch Eingang gefunden hat. Insbesondere wegen der besonderen Art der Aufgaben der PKE, wie sie sich aus den dafür erlassenen Dienstvorschriften, die u.a. eine „tschekistische” Personenüberwachung und die Filtrierung des die Kontrollpunkte passierenden Personenkreises verlangten, haben die Bürger der ehemaligen DDR und auch die Menschen in den alten Bundesländern kein Verständnis dafür, wenn ehemalige Angehörige des MfS trotz einer mehr- oder langjährigen Verwendung in dieser Institution in der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland weiterbeschäftigt werden. In einem rechtsstaatlichen System ist das notwendige Vertrauen der Bürger in den Staat und seine Repräsentanten nur bei voller persönlicher Integrität der Bediensteten dieses Staates zu gewährleisten.

Den Bediensteten wurde die Kündigungsabsicht in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt. Ihnen wurde Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern. Das Gespräch hat jedoch keine Umstände erbracht, die geeignet sind, die Unzumutbarkeit des Pesthaltens am Arbeitsverhältnis zu entkräften. Auch die vorerwähnte Kurzauskunft des Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit hat keine Gesichtspunkte erbracht, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar erscheinen lassen.

Gemäß § 79 Abs. 3 BPersVG gebe ich Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme.”

In der Anlage zu diesem Schreiben ist unter laufender Nr. 1 angegeben: „B. S. GSDir/AST Berlin”

Der Personalrat erhob mit Schreiben vom 22. Januar 1992 Einwendungen gegen die beabsichtigte Kündigung.

Mit Schreiben vom 27. Januar 1992 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 29. Januar 1992 zu.

Mit der am 4. Februar 1992 eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei wegen Fehlens eines Kündigungsgrundes, Versäumung der Zwei-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 BGB sowie Verwirkung des Kündigungsrechts unwirksam. Die Beklagte habe ihm die Bruttovergütung der Monate Februar bis Juli 1992 nebst 4 % Verzugszinsen zu zahlen. Im übrigen sei der Personalrat nur unzureichend informiert worden.

Der Kläger hat beantragt

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch deren Kündigung vom 29. Januar 1992 nicht aufgelöst wurde,
  2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 12.365,52 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich jeweils ergebenden Teilnettobetrag aus DM 2.060,92 brutto seit dem 15.2., 15.3., 15.4., 15.5., 15.6. und 15.7.1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Weiterbeschäftigung ehemaliger Mitarbeiter der PKE habe auf der irrigen Annahme beruht, diese seien nur formell dem MfS/AfNS unterstellt gewesen. Erst im Juli 1991 seien ihr Dienstanweisungen für die PKE bekannt geworden. Danach sei Aufgabe der PKE auch die „ständige Überwachung und Filtrierung des die Kontrollpunkte passierenden Personenkreises zum Erkennen und Unschädlichmachen von Feinden der Deutschen Demokratischen Republik” gewesen. Die PKE hätten sich konspirativgeheimdienstlicher Methoden zu bedienen gehabt. Aufgrund der neuen Erkenntnisse sei nochmals eine Einzelfallprüfung angeordnet worden. Der Kläger habe deshalb nicht darauf vertrauen dürfen, daß eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses unterbleiben werde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und, soweit der Kläger seine Zahlungsklage in Höhe des bezogenen Arbeitslosengeldes zurückgenommen hat, das arbeitsgerichtliche Urteil für wirkungslos erklärt. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Abweisung der Klage im übrigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 27. Januar 1992 nicht aufgelöst worden. Die Beklagte schuldet dem Kläger Vergütung in der vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Höhe nebst Zinsen.

A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung vom 27. Januar 1992 sei unwirksam. Die Beklagte habe das ursprünglich gegebene Recht zur Kündigung des Klägers verwirkt. Darüber hinaus folge die Unwirksamkeit der Kündigung aus § 79 Abs. 4 BPersVG, denn der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Beklagte sei den gesetzlichen Anforderungen an das Anhörungsverfahren nicht ansatzweise gerecht geworden. Sie habe jede Angabe über die konkrete Tätigkeit des Klägers, die Dauer seiner Dienstzeit, seinen Werdegang, Dienstgrad und Lebensalter unterlassen.

Dem Kläger stehe der nach Ermäßigung um das im Anspruchszeitraum erhaltene Arbeitslosengeld rechnerisch unstreitige Entgeltanspruch für den Zeitraum Februar bis Juli 1992 aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges einschließlich Zinsen zu.

B. Mit im wesentlichen zutreffender Begründung hat das Berufungsgericht angenommen, daß die streitgegenständliche Kündigung vom 27. Januar 1992 wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats gemäß § 79 Abs. 4 BPersVG unwirksam ist.

I. Die Beteiligungsrechte der Personalvertretung nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz bestehen auch dann, wenn die Kündigung auf die Regelung des Einigungsvertrages in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 gestützt wird (vgl. BAG Urteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

II. Nach § 79 Abs. 3 Satz 1 BPersVG ist der Personalrat vor außerordentlichen Kündigungen anzuhören. Nach Satz 2 dieser Bestimmung ist die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Nach § 79 Abs. 4 BPersVG ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Ist das Anhörungsverfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, ist die Kündigung unwirksam, denn eine nicht ordnungsgemäße Beteiligung steht einer unterbliebenen Beteiligung gleich (BVerwG Urteil vom 9. Mai 1985 – 2 C 23.83 – ZBR 1985, 347; BAG Urteil vom 5. Februar 1981 – 2 AZR 1135/78 – AP Nr. 1 zu § 72 LPVG NW).

Das Mitwirkungsverfahren gemäß § 79 Abs. 3 BPersVG ist bei einer außerordentlichen Kündigung nur dann ordnungsgemäß eingeleitet, wenn die Dienststelle dem Personalrat die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers bezeichnet, die Art der Kündigung angibt und die Gründe für die Kündigung mitteilt. Die dazu erforderliche Angabe der Kündigungsgründe setzt voraus, daß die Dienststelle dem Personalrat den für die Kündigung maßgebenden Sachverhalt näher umschreibt, insbesondere die Tatsachen angibt, aus denen sie ihren Kündigungsentschluß herleitet. Eine nur pauschale, schlagwort- oder stichwortartige Bezeichnung des Kündigungsgrundes genügt in der Regel ebensowenig wie die Mitteilung eines Werturteils ohne Angabe der für die Bewertung maßgebenden Tatsachen (vgl. hierzu nur BAG Urteil vom 4. März 1981 – 7 AZR 104/79 – AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Baden-Württemberg).

III. Diesen gesetzlichen Mindestansprüchen genügt das Anhörungsschreiben vom 20. Januar 1992 nicht.

1. Die Beklagte hat dem Personalrat die ihren Kündigungsentschluß tragenden Tatsachen nicht nachvollziehbar mitgeteilt. Sie nahm laut ihrem Anhörungsschreiben vom 20. Januar 1992 an, der Kläger sei im exekutiv-operativen Bereich bzw. im Stab des MfS und nicht in einem Randbereich der PKE tätig gewesen, bei ihm würden Umstände fehlen, die die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsplatz entkräften könnten. Die Beklagte kündigte nicht allen in ihren Diensten stehenden ehemaligen Offizieren der PKE des MfS/AfNS, sondern nahm eine Auswahl anhand der im Zeitraum bis November 1991 ermittelten Tatsachen vor. Dieses wird im Anhörungsschreiben vom 20. Januar 1992 durch den Hinweis auf die geführten Einzelgespräche und die Kurzauskünfte der „Gauck-Behörde” angesprochen.

2. Damit hat die Beklagte, vertreten durch den Präsidenten der Grenzschutzdirektion K., ihre subjektiv maßgeblich gewesenen Gründe lediglich summarisch, in nicht nachvollziehbarer Weise dem Personalrat mitgeteilt. Ihre Darlegung ist sowohl hinsichtlich der abstrakt-generell aufgestellten Maßstäbe als auch hinsichtlich der konkret-individuellen Tatsachen unvollständig gewesen.

a) Die Beklagte hat es unterlassen, dem Personalrat mitzuteilen, wo sie die Grenze zwischen dem „Randbereich” einer Tätigkeit in den Paßkontrolleinheiten des MfS/AfNS und einer exekutiv-operativen Tätigkeit dieser Einheiten oder im Stab des MfS gesehen hat. Dieser Mitteilung hätte es bedurft, denn nach dem Inhalt des Anhörungsschreibens hätte die Zuordnung zum „Randbereich” den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ausgeschlossen.

b) Darüber hinaus hat es die Beklagte unterlassen, die eine konkrete Zuordnung des Klägers zum exekutiv-operativen Bereich oder Stab des MfS ermöglichenden Tatsachen mitzuteilen. Insbesondere wurden die Dauer der Zugehörigkeit des Klägers zu den PKE des MfS, die Art seiner Tätigkeit und sein letzter Dienstrang dem Personalrat nicht mitgeteilt. Dem Personalrat war damit jede eigenständige Bewertung verschlossen.

3. Die Verfahrensrüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe die Beklagte nicht zu detaillierterem Vortrag über diejenigen kündigungsrelevanten Umstände aufgefordert, die dem zuständigen Personalrat außerhalb des Anhörungsschreibens vom 6. Dezember 1991 bekannt geworden waren, und damit gegen § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 523, 139 Abs. 1 ZPO verstoßen, ist unzulässig. Soll die Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO gerügt werden, sind die Verletzung der Aufklärungspflicht als solche und die bei entsprechendem Hinweis vorgetragenen Tatsachen vorzubringen. Hieran fehlt es. Die Beklagte legt nicht dar, aus welchem Grunde das Berufungsgericht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO gehalten gewesen sei, sie zu weiterem Sachvortrag zu den dem Personalrat außerhalb des Anhörungsschreibens bekannt gewordenen Tatsachen aufzufordern. Die Beklagte zeigt nicht auf, daß insoweit aus der Sicht des Gerichts eine aufklärungsbedürftige Lage bestanden haben könnte. Im übrigen hatte bereits das Arbeitsgericht in seinem der Klage stattgebenden Urteil die Ordnungsgemäßheit der Personalratsanhörung in Zweifel gezogen. Zudem ist die Rüge sachlich unverständlich, denn das Berufungsgericht hat auf ein Anhörungsschreiben der Beklagten vom 6. Dezember 1991 gar nicht abgestellt.

Darüber hinaus ist der in der Revisionsbegründung enthaltene ergänzende Sachvortrag zur Personalratsbeteiligung ungeeignet, die vorstehend aufgezeigten Fehler des Anhörungsverfahrens auszuräumen. Vor allem bleibt unverständlich, warum die Beklagte mit ihrer Revisionsbegründung auf die Kenntnisse des BGS-Bezirkspersonalrats und nicht des Personalrats der Grenzschutzdirektion K. abstellt.

IV. Wegen dieser nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats ist die Kündigung gemäß § 79 Abs. 4 BPersVG unwirksam. Die Vorinstanzen haben dementsprechend der Klage zu Recht stattgegeben. Die Revision der Beklagten ist als unbegründet zurückzuweisen.

V. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, daß dem Kläger die Vergütungsansprüche für den Zeitraum Februar bis Juli 1992 in der rechnerisch unstreitigen Höhe aus dem Gesichtspunkt des Annahme Verzuges zustehen. Die kraft Gesetzes auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Teile der Nettovergütung sind abgesetzt. Die Erstattungsansprüche der Bundesanstalt hinsichtlich der geleisteten Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsbeiträge gemäß §§ 160 Abs. 1, 166 a APG sind vom gesetzlichen Forderungsübergang nicht umfaßt und deshalb nach wie vor dem Kläger geschuldet. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 284 Abs. 2 BGB.

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Wittek, Morsch, Hennecke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073565

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