Entscheidungsstichwort (Thema)

Ferienüberhang bei Musikschullehrern. Änderungskündigung zur Reduzierung der monatlichen Vergütung wegen Neuberechnung der Arbeitszeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zu 2 AZR 428/94

 

Normenkette

KSchG §§ 1-2; BAT § 15 Abs. 1; SR 2 l II; ZPO § 278 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Urteil vom 25.04.1994; Aktenzeichen 7 Sa 1002/93)

ArbG Bamberg (Urteil vom 16.03.1993; Aktenzeichen 3 Ca 1105/92)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 25. April 1994 – 7 Sa 1002/93 – aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Beklagte ist Trägerin einer kommunalen Musikschule. Der Kläger ist bei ihr als Teilzeitkraft angestellter Musikschullehrer. Während der Unterrichtszeit, d.h. außerhalb der Ferien, betrug die Arbeitszeit des Klägers zuletzt mindestens 5,67 Unterrichtsstunden pro Woche. Ursprünglich wurde der Kläger nach § 3 q BAT a.F. beschäftigt und seine Vergütung wurde nach den Musikschullehrer-Richtlinien der VKA bemessen. Nach der Änderung des Geltungsbereichs des BAT zum 1. April 1991 verlangte der Kläger die Behandlung nach dem BAT. Mit einer Klage auf entsprechende anteilige BAT-Vergütung war der Kläger erfolgreich, wobei die nicht durch Arbeit oder den Urlaubsanspruch des Klägers abgedeckte unterrichtsfreie Zeit während der Ferien (sogenannter Ferienüberhang) mangels einer entsprechenden Vereinbarung nicht als vergütungsmindernd berücksichtigt wurde. Die Anwendbarkeit des BAT und seiner Ergänzungen (insbesondere der Sonderregelungen SR 2 l II) auf das Arbeitsverhältnis kraft einzelvertraglicher Vereinbarung ist zwischen den Parteien nicht mehr streitig. Gleichwohl will die Beklagte nun im Hinblick auf den Ferienüberhang, den hohen Zuschußbedarf der Musikschule und den Umstand, daß die übrigen nach dem BAT beschäftigten Musikschullehrer einer entsprechenden Vertragsänderung zugestimmt haben, die monatliche Vergütung des Klägers reduzieren. Mit Schreiben vom 2. November 1992 hat die Beklagte deshalb nach Zustimmung des Personalrats gegenüber dem Kläger eine fristgemäße Änderungskündigung mit dem Ziel ausgesprochen, die aufs Jahr berechnete durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers (und damit die entsprechende Vergütung) auf fünf Stunden zu verkürzen. Der Kläger soll also zwar außerhalb der Ferien weiterhin 5,67 Unterrichtsstunden geben, unter Berücksichtigung des Ferienüberhangs aber nur mehr eine entsprechend reduzierte Vergütung erhalten. Auch bei künftigen Änderungen der Arbeitszeit soll der Ferienüberhang vergütungsmindernd berücksichtigt werden.

Der Kläger hat das Angebot unter dem Vorbehalt angenommen, daß die Änderung nicht sozial ungerechtfertigt ist. Letzteres macht er im vorliegenden Rechtsstreit geltend. Er hat unter Hinweis auf die von ihm zusätzlich zur eigentlichen Unterrichtstätigkeit wahrzunehmenden Aufgaben im Sinne der Protokollerklärung zu Abs. 1 der Sonderregelungen 2 l II und die bei den SR 2 l II nicht nachvollzogene Absenkung der allgemeinen tariflichen Arbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden pro Woche die Existenz eines Ferienüberhangs bestritten und die Auffassung vertreten, dringende betriebliche Erfordernisse, die bei Abwägung der gegensätzlichen Interessen die angestrebte Änderung der Arbeitsbedingungen im Wege der Änderungskündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen würden, ließen sich vorliegend nicht feststellen: Die finanzielle Situation der Beklagten werde durch die erstrebten Vertragsänderungen nicht nennenswert entlastet, der bloße Entschluß, Lohnkosten zu senken, könne eine Änderungskündigung nicht begründen; die Änderung sei auch unter dem Gesichtspunkt der Angleichung an die Arbeitsverhältnisse derjenigen Musikschullehrer, die das Änderungsangebot akzeptiert hätten, nicht gerechtfertigt, denn der Gleichbehandlungsgrundsatz könne nicht zu Lasten der Arbeitnehmer angewandt werden. Das Abstellen auf eine Jahresarbeitszeit verstoße gegen § 15 BAT, eine entsprechende Änderungskündigung zur Vergütungsreduzierung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch die Änderungskündigung vom 2. November 1992 zum 31. Dezember 1992, zugegangen am 3. November 1992, nicht aufgelöst worden ist, sondern vielmehr über diesen Zeitpunkt hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, das mit der Änderungskündigung verbundene Angebot stelle eine zulässige Abweichung von § 15 Abs. 1 BAT dar. Ziel der angestrebten Vereinbarung sei es, dem Kläger für 12 Monate des Jahres eine gleichmäßige Vergütung zu zahlen, obwohl die konkrete Arbeitsleistung während des Jahres nicht gleichmäßig verteilt sei. Die Änderungskündigung sei schon unter dem Aspekt der Gleichbehandlung gerechtfertigt, weil damit die Arbeitsbedingungen lediglich denen der anderen Musikschullehrer angeglichen würden. Im übrigen werde die entsprechende Reduzierung der Personalkosten durch die existenzbedrohende finanzielle Situation der Musikschule und die Verpflichtung zum sparsamen Umgang mit Haushaltsmitteln erzwungen.

Das Arbeitsgericht hat in entsprechender Auslegung des Klageantrags festgestellt, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 2. November 1992 sozial ungerechtfertigt ist. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung unter Hinweis auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Mai 1985 (– 7 AZR 248/84 –, n.v.) wie folgt begründet:

Die von der Beklagten angestrebte Änderung der Arbeitsbedingungen sei tarifrechtlich zulässig und durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt. Die Verpflichtung der Beklagten zum sparsamen Umgang mit Haushaltsmitteln erlaube aufgrund der erheblichen Steigerung des Zuschußbedarfs der Musikschule eine Gehaltsreduzierung in Angleichung an die inzwischen mit den anderen Musikschullehrern geschlossenen Verträge.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. § 15 Abs. 1 BAT wird durch die SR 2 l II nicht verdrängt. Nr. 2 Abs. 1 der SR 2 l II bestimmt lediglich, bei welcher Unterrichtsstunden- bzw. -minutenzahl pro Woche ein Musikschullehrer vollbeschäftigt ist; anders als für Lehrkräfte, die unter die SR 2 l I BAT Nr. 1 fallen, ist für Musikschullehrer die Anwendung von § 15 BAT nicht ausgeschlossen (ebenso BAG Urteil vom 13. Februar 1992 – 6 AZR 149/90 – AP Nr. 21 zu § 15 BAT). Entgegen der Ansicht des Klägers läßt der in der Beibehaltung der SR 2 l II zum Ausdruck gekommene Wille der Tarifpartner eine Reduzierung der in Nr. 2 Abs. 1 festgelegten Unterrichtsstunden entsprechend der allgemeinen tariflichen Arbeitszeitverkürzung durch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung nicht zu (vgl. auch BAG a.a.O.). Soweit Musikschulen während der allgemeinen Schulferien geschlossen sind, ist deshalb weiterhin vom Bestehen eines sogenannten Ferienüberhangs von ca. sechs bis sieben Wochen im Jahr auszugehen; auch die Sonderregelungen 2 l II setzen in Nr. 2 Abs. 2, in der Protokollerklärung zu Abs. 1 g) und in Nr. 3 einen Ferienüberhang als möglich und in der Realität häufig gegeben voraus.

2. Unzutreffend ist aber die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Reduzierung der Vergütung der Musikschullehrer durch Änderungskündigung entsprechend der im Ferienüberhang nicht erbrachten Arbeitsleistung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt und damit sozial gerechtfertigt. Mit einer Kündigung und ebenso mit einer Änderungskündigung greift der Arbeitgeber in das Arbeitsverhältnis ein, das für den Arbeitnehmer regelmäßig die Grundlage für seine Lebensgestaltung bedeutet. Dabei muß der Arbeitgeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot beachten, d.h. der Arbeitgeber darf immer nur von dem im Einzelfall mildesten, ihm noch zumutbaren Mittel Gebrauch machen; soweit möglich und zumutbar, hat der Arbeitgeber durch Ausübung seines Direktionsrechts Abhilfe zu schaffen, bevor er zum Mittel der Änderungskündigung greift (vgl. KR-Wolf, 3. Aufl., Grunds. Rz 280 und 281, m.w.N.).

Vorliegend will die Beklagte im Wege der Änderungskündigung nachhaltig in das arbeitsvertraglich vereinbarte Verhältnis von Leistung und Gegenleistung eingreifen, indem der vereinbarte Umfang der Arbeitsleistung und damit zugleich die vereinbarte Vergütung reduziert werden soll. Ein solcher Eingriff könnte unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur dann gerechtfertigt sein, wenn das erstrebte Ziel, hier der Abbau des bei Fortgewährung der Vergütung bestehenden Ferienüberhangs, nicht durch geeignete mildere Maßnahmen erreicht werden könnte. Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit die Beklagte (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Die Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, weshalb sie das erstrebte Ziel eines Abbaus des Ferienüberhangs nicht durch Ausübung ihres Direktionsrechts hätte erreichen können, etwa durch Verteilung der während der Ferien ausfallenden Unterrichtsstunden auf die Zeit außerhalb der Schulferien oder bei Öffnung der Musikschule auch während der allgemeinen Schulferien. In beiden Fällen wäre es bei einer erhöhten Inanspruchnahme der Schule durch die Musikschüler auch zu einer entsprechenden Steigerung des Aufkommens der Schulgebühren gekommen. Andernfalls – d.h. bei unveränderter Inanspruchnahme der Schule durch die Musikschüler – hätte die Beklagte mit einer entsprechend reduzierten Zahl der Unterrichtsstunden des übrigen Lehrkörpers der Musikschule und damit auch mit entsprechend reduzierten Lohnkosten kalkulieren können; dies hätte keineswegs zwangsläufig zu einer Kündigung bzw. Änderungskündigung der vorliegenden Art führen müssen, vielmehr hätte eine entsprechende Anpassung eventuell im Zuge der üblichen Personalfluktuation oder durch einvernehmliche Reduzierung der Zahl der Unterrichtsstunden bei einem oder mehreren der übrigen Musikschullehrer erreicht werden können.

Soweit es um die Alternative einer Erhöhung der Zahl der Unterrichtsstunden außerhalb der Schulferien geht, kann offenbleiben, ob die Beklagte den Ausgleichszeitraum gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BAT (im Kündigungszeitpunkt acht Wochen, jetzt 26 Wochen) hätte beachten müssen (vgl. BAG Urteil vom 15. Oktober 1987 – 6 AZR 530/85 – EzBAT § 15 Nr. 12; offengelassen in BAG Urteil vom 13. Februar 1992 – 6 AZR 426/90 – AP Nr. 22 zu § 15 BAT). Auch wenn nur eine gleichmäßige Erhöhung der Unterrichtsstunden sinnvoll gewesen wäre und wenn die Beklagte diese durch bloße Ausübung ihres Direktionsrechts nicht hätte erreichen können, wäre eine entsprechende Änderungskündigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorrangig geboten gewesen. Eine solche Änderungskündigung hätte nämlich, im Gegensatz zu der hier im Streit stehenden Änderungskündigung, das zwischen den Parteien vereinbarte Austauschverhältnis unberührt gelassen: Sie hätte lediglich die Arbeitsleistung des Klägers in dem vertraglich geschuldeten Umfang in Anspruch genommen, nicht aber Arbeitszeit und Vergütung entgegen dem Arbeitsvertrag reduziert (vgl. BAG Urteil vom 26. Januar 1995 – 2 AZR 371/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

3. Der Hinwels des Landesarbeitsgerichts auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Mai 1985 (– 7 AZR 248/84 –, n.v.) ändert daran nichts. In Jenem Urteil ging es nicht um eine Beseitigung des Ferienüberhangs durch Anpassung der tatsächlichen an die vertraglich geschuldete Arbeitszeit. Zudem hat das Bundesarbeitsgericht in dem dortigen Streitfall über die Wirksamkeit der Vergütungsreduzierung im Wege der Änderungskündigung nicht abschließend entschieden (vgl. II 2 d der Entscheidungsgründe). Als zulässig angesehen hat das Bundesarbeitsgericht eine dynamische arbeitsvertragliche Verweisung auf anderweitige Rechtsnormen über die Vergütungsbemessung mit der Folge, daß eine Änderung der Rechtsnormen zu einer automatischen Änderung der Vergütungsbemessung führt bzw. eine entsprechende nachvollziehende Vergütungsanpassung durch den Arbeitgeber zuläßt (vgl. II 2 d cc der Entscheidungsgründe). Einer solch einseitigen Anpassung stand in jenem Streitfall allerdings die Rechtskraft eines abweichenden Urteils des Landesarbeitsgerichts entgegen. Hiervon ausgehend hat das Bundesarbeitsgericht (a.a.O.) die Zulässigkeit einer Änderungskündigung zur Vergütungsanpassung bei unveränderter Arbeitszeit an die Arbeitsverhältnisse vergleichbarer Arbeitnehmer unter vom Landesarbeitsgericht (3 a der Entscheidungsgründe) zutreffend wiedergegebenen weiteren Voraussetzungen für zulässig erachtet. Vorliegend geht es allerdings nicht um eine bloße Vergütungsanpassung an geänderte Rechtsnormen und entsprechend geänderte Arbeitsverträge vergleichbarer Arbeitnehmer, vielmehr will die Beklagte die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit und die entsprechende Vergütung reduzieren. Insoweit geht aber, wie dargelegt, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die Inanspruchnahme der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung in der Regel vor.

4. Ob bei der unter Beachtung der Mitbestimmungsrechte der Personalräte vorzunehmenden Festlegung der Unterrichtsstundenzahl gemäß § 315 BGB auch individuellen Belangen der Musikschullehrer Rechnung zu tragen wäre, braucht nicht vertieft zu werden, weil sich nach dem vorgetragenen Sachverhalt dafür keine Anhaltspunkte ergeben.

5. Die Frage, ob die oben genannten Alternativmaßnahmen zum Abbau des Ferienüberhangs geeignet waren, so daß die Beklagte ihnen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit den Vorzug vor der streitigen Änderungskündigung geben mußte, bedarf weiterer Aufklärung. Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Änderungskündigung wurde in den Tatsacheninstanzen – soweit ersichtlich – nicht erörtert. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung müssen die Parteien die Möglichkeit haben, hierzu vorzutragen (§ 278 Abs. 3 ZPO). Nur wenn die von der Beklagten erstrebte Vertragsänderung die mildeste geeignete Alternative eines Abbaus des Ferienüberhangs gewesen sein sollte, könnte sich die angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts als zutreffend erweisen. Der Rechtsstreit war deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 565 ZPO).

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Fischermeier, Engel, Bartz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087201

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